Protokoll der Sitzung vom 03.03.2011

Uns geht es auch noch um einen dritten Aspekt, den ich hier ansprechen will, und das ist das Zusammenwachsen dieser Gesellschaft. Wir stellen uns die Frage, wie denn eine Gesellschaft zusammenwachsen soll, in der Rechte und Pflichten ungleich verteilt sind, in der Menschen, die bei der Steuer herangezogen werden, nicht dabei mitwirken können, ob Steuern überhaupt bzw. für welche Dinge in welcher Höhe erhoben werden. Das ist ein Problem, und das führt eben auch dazu, dass Menschen sich zurückziehen und sagen: Was ich dazu zu sagen habe, das interessiert niemanden. Meine Stimme zählt nicht. Und dann brauche ich auch nicht mich zu öffnen für eine Gesellschaft. – Das ist wirklich schade, und das ist auch etwas, was wir so nicht mehr hinnehmen wollen. Insoweit müssen wir da auch in Bezug auf Integration und das Zusammenwachsen dieser Stadt hier Abänderungen herbeiführen und müssen dafür sorgen, dass die Menschen zu

ihrem Menschenrecht kommen, nämlich mitwirken zu dürfen.

[Beifall bei den Grünen]

Ich will Sie gerne noch auf diese Karte aufmerksam machen und sie kurz vorlesen, auf der wir sagen, ganz selbstverständlich sagen auch Menschen, die keinen deutschen Pass und keinen europäischen Pass haben: Hier lebt meine Familie. Hier ist mein Freundeskreis. Hier findet mein Alltag statt. Das ist mein Kiez. Das ist meine Stadt. Berlin ist meine Stadt. Aber meine Stimme, wer hört die? Von wem wird sie erhört? Von wem wird sie befolgt, auch in dem, was sie kundtut und was sie mitgestalten will? – Wir, Bündnis 90/Die Grünen, sagen: Wir nehmen es nicht mehr hin, dass es Bezirke gibt, in denen ein Drittel der Bevölkerung nicht mitwählen darf. Wir nehmen es nicht hin, dass es Abgeordnetenhauswahlkreise gibt, in denen zwei Drittel nicht wählen dürfen. Wir wollen den Menschen geben, was Ihnen unserer Ansicht nach zusteht, und das ist eine Stimme für Berlin, für die Bezirksverordnetenversammlungen, damit sie sich hier einbringen können. – Danke schön!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Bayram! – Für die SPDFraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Dörstelmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist unverändert ein ganz wichtiges Anliegen sozialdemokratischer Politik, für Menschen, die lange hier leben, aber weder deutsche Staatsangehörige noch EUBürger sind, ein Wahlrecht auf kommunaler Ebene und, wie es hier auch schon anklang, damit auch eine Beteiligungsmöglichkeit, am politischen Gestaltungsprozess zu schaffen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es ist erfreulich, dass auch andere Parteien dieses Ziel – wie mit dem hiesigen Antrag – weiterverfolgen.

Ich attestiere diesem Antrag auch, dass er in seiner Begründung – jedenfalls im ersten Teil, wie sie vorgelegt wurde – zwei Punkte zutreffend benennt: Dies ist zum einen die große Anzahl der Betroffenen, auch das klang hier bereits zutreffend an, und zum Zweiten die Tatsache, dass es eine Gefahr des schleichenden Desinteresses dieser Betroffenen an der Aufnahmegesellschaft gibt, wenn ihnen nicht entsprechende Partizipationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Das ist korrekt wiedergegeben. Deshalb sagen wir auch ganz klar: Wer hier längere Zeit lebt, wer hier seinen Lebensmittelpunkt gegründet hat, der soll auch mit entscheiden dürfen, was um ihn herum geschieht und geschehen soll.

[Beifall bei der SPD]

Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen, die Probleme in der Sache insgesamt und damit auch die Probleme Ihres Antrags liegen auf einem ganz anderen Feld. Zum einen im richtigen Verfahrensweg. Sie schlagen hier ein Verfahren, nämlich eine Änderung der Landesverfassung von Berlin, vor, das rechtlich mit wirklich hohen – und ich sage auch unvertretbar hohen – Risiken behaftet ist. Schon für die Einführung des Kommunalwahlrechts für EU-Bürgerinnen und -Bürger war nach allgemeiner Einschätzung seinerzeit eine Grundgesetzänderung des Artikels 28 GG erforderlich. Bei den Angehörigen von Nicht-EU-Staaten soll das Ihrer Meinung nach jetzt allein aufgrund Zeitablaufs nicht mehr gelten. Das scheint mir außerordentlich riskant, was Sie vorschlagen. Sie argumentieren in der Begründung Ihres Antrags im Wesentlichen damit, der Begriff des Volkes werde in Artikel 20 und in Artikel 28 des Grundgesetzes in gleicher Bedeutung gebraucht, habe dabei aber im Ergebnis einer Einbeziehung nach Einfügung Artikel 28 Abs. 1 Satz 3 neu dieser Einbeziehung der EU-Bürger nicht entgegengestanden. Daraus folge: Staatsangehörige und Staatsvolk sind nicht mehr automatisch maßgeblich für den Begriff des Wahlvolks. So weit, so gut.

Aber die Einbeziehung der EU-Bürger erfolgte erstens vor einem verfassungsgerichtlich bestätigten und zweitens grundgesetzverändernden Eingriff. Das muss man hier hervorheben. Und es erfolgte vor dem Hintergrund eines genau geregelten europäischen Einigungsprozesses, unter anderem mit hohen Ratifizierungsanforderungen. Das ist eine Situation, die Sie bei dem, was Sie hier vorschlagen, hinsichtlich der Angehörigen von Drittstaaten gar nicht haben. In Ihrer Begründung, die Sie dem Antrag beigefügt haben, verweisen Sie auf die Wahlen zum Europäischen Parlament, was Ihnen in diesem Zusammenhang aber gar nicht hilft. Das, was Sie aus den Umständen, die Sie geschildert haben und die Sie zum Teil zutreffend dargelegt haben, ableiten können, ist, dass ein kommunales Wahlrecht für Menschen aus Drittstaaten nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist. Deshalb halten wir daran auch fest.

Trotzdem muss ganz klar gesagt werden: Für eine solche Einführung ist eine Änderung des Grundgesetzes notwendig und nicht nur eine Änderung der Verfassung von Berlin. Sie denken da Ihren Gedanken nicht sauber zu Ende, und das ist problematisch.

[Beifall bei der SPD]

Zum Zweiten der Hinweis, dass die Bezirke keine Kommunen seien – das findet man auch in der Begründung zu diesem Antrag: Das als Argument in einer verfassungsrechtlichen Frage vorzutragen, bei der es in erster Linie um das Wahlrecht des Einzelnen und nicht so sehr um die rechtliche Stellung der Bezirke geht, ist extrem riskant. Vor allem, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen, ein halbes Jahr vor den Wahlen eine so weitreichende Entscheidung wie diese Wahlrechtsänderung auf diese Argumente stützen zu wollen, wissend, dass 2008 eine entsprechende Bundesratsinitiative unter Beteiligung dieses Sentas am Widerstand der unionsgeführten Länder gescheitert ist, wissend, dass die Berliner CDU diesen

Fortschritten immer noch ablehnend ängstlich gegenübersteht, aber vor allem wissend, dass bis zum Wahltag keine gerichtliche Entscheidung mehr möglich wäre und dann im Extremfall im Nachgang eine ganze BVV-Wahl anfechtbar würde, das nenne ich unverantwortlich!

[Beifall bei der SPD]

Es liegt auch der Verdacht nahe, dass es Ihnen in erster Linie um Wahltaktik geht und dass Sie nicht die Interessen der Betroffenen im Auge haben. Das müssen Sie sich dann auch sagen lassen!

[Beifall bei der SPD]

Entschuldigung, Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bayram!

Ich bin gleich zu Ende. Sie kann ja dann eine Kurzintervention machen. – Ich sage zum Schluss dieses Beitrags: An dem Ziel, das hier dargestellt wurde, halten wir unverändert fest. Aber auf Ihrem Weg kommen wir dort nicht hin. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dörstelmann! – Für eine Kurzintervention hat nun Frau Abgeordnete Bayram das Wort.

Herr Kollege! Kann ich Ihren Beitrag dahin gehend verstehen, dass Sie noch mal überdenken würden, was Sie hier vorgetragen haben, wenn wir einen späteren Zeitpunkt nehmen würden, in dem das Gesetz in Kraft treten würde? Ansonsten würde mich bei Ihrem Rechtsvortrag, den Sie hier gehalten haben, interessieren, wie Sie das Ganze politisch sehen, auch Ihre eigene Verantwortung als Berliner Abgeordneter, der Sie dies schon eine ganze Weile sind. Wie sehen Sie Ihre persönliche Verantwortung, und wie bringen Sie das in Einklang mit dem, was Sie hier vorgetragen haben, dass es mehrere Bundesratsinitiativen gab, zurzeit aktuell wieder eine der A-Länder? Da fragt es sich insbesondere auch mit Blick darauf, dass wir in Berlin eine ganz andere Zusammensetzung haben, sodass im Moment aufgrund des Umstandes, dass es mit SPD-Parteizugehörigen und den anderen Fraktionen hier eine Zweidrittelmehrheit gäbe, um diese Landesverfassungsänderung herbeizuführen: Wie stehen Sie dazu? Haben Sie sich dazu überhaupt schon mal Gedanken gemacht? Oder haben Sie vielleicht gar Sorge, dass in Ihren eigenen Reihen ganz viele Menschen sind, die solche Bundesratsinitiativen lediglich dann mittragen, wenn Sie darauf hoffen können, dass Sie nicht Realität werden.

Insoweit finde ich schon spannend, dass Sie sich rein rechtspositivistisch hier vorne hinstellen und sagen: Ich habe auch ein paar Aufsätze gelesen, dass das nicht geht. – Das halte ich für ein bisschen wenig.

[Christian Gaebler (SPD): Sie spielen mit dem Wahlrecht! – Weitere Zurufe]

Ich will nicht darauf verzichten, Sie kurz noch mal darauf hinzuweisen, dass es gerade Radbruch war, der gesagt hat: Rechtspositivismus löst die Fragen einer Gesellschaft nicht.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Aber Rechtsbruch!]

Dann lesen Sie doch noch mal nach, wie positivistisch die Darstellung ist, statt sich inhaltlich politisch in die Diskussion einzubringen

[Christian Gaebler (SPD): Das sagt eine ausgebildete Volljuristin!]

und darzustellen, wo Ihre Position ist und wie Sie sich in Ihrer Verantwortung als Berliner Parlamentarierinnen und Parlamentarier einbringen wollen. Das ist für mich die spannende Frage, die Sie heute noch nicht beantwortet haben, die Sie aber den Wählerinnen und Wählern werden beantworten müssen, wenn es so weit ist.

[Beifall bei den Grünen – Christian Gaebler (SPD): Damit haben wir gar kein Problem!]

Vielen Dank! – Herr Dörstelmann! Sie haben die Gelegenheit zu einer Antwort. – Bitte sehr!

Frau Kollegin! Das Problem ist: Sie haben den Kernpunkt der rechtlichen Auseinandersetzung nicht erfasst. Das ist das große Problem!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und der FDP]

Wenn man über Verfassungsrecht spricht und wenn man über ein so hohes Gut wie das Wahlrecht spricht, dann darf man das nicht so leichtfertig tun, wie Sie das machen. Das ist geradezu grotesk!

[Beifall bei der SPD]

Wir wollen doch festhalten: Stellen wir uns vor, das würde durchgesetzt werden, und es scheitert nachher an einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung, dann sind doch die Wege zur Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Angehörige von Drittstaaten auf lange Zeit verbaut. Das muss doch jedem klar sein! Das wollen wir nicht!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dörstelmann! – Jetzt hat Herr Abgeordneter Wansner das Wort für die Fraktion der CDU das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer sich mit dem Antrag der Grünen „Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin (Wahlrecht für Drittstaatsangehörige zu Bezirksverordnetenversammlungen)“ beschäftigt und in der Begründung liest:

Wenn das Ziel einer nachhaltigen Integrationspolitik die gleichberechtigte Teilhabe der Migranten und Migrantinnen in allen Bereichen der Gesellschaft ist, dann kann das Wahlrecht für Drittstaatsangehörige als ein wichtiger Schritt für eine erfolgreiche Integration betrachtet werden.

Frau Bayram! Wer so etwas noch im Jahr 2011 formuliert, hat möglicherweise in den letzten Jahren nicht festgestellt, was die Menschen insgesamt in dieser Stadt bewegt. Ihre Wünsche und ihre Hoffnungen richten sich nicht auf das kommunale Wahlrecht, sondern sie wollen mit Recht eine völlig gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in dieser Stadt. Sie wollen raus aus der Massenarbeitslosigkeit, von der sie in dieser Stadt besonders betroffen sind. Das beschäftigt sie! Sie wollen für ihre Kinder und für sich eine Zukunftsperspektive in Berlin. Sie fordern eine bessere Schulausbildung für ihre Kinder, denn die Jugendarbeitslosigkeit ist bei diesen Menschen besonders hoch, teilweise katastrophal. Sie fordern eine vernünftige Durchmischung in den Quartieren in der Stadt.

Die vollen Bürgerrechte und insbesondere das Wahlrecht müssen an den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit gebunden bleiben. Wählen ist ein Staatsbürgerrecht! Der Erwerb des Wahlrechts und die politische Mitbestimmung müssen ein Anreiz für die Integrationsanstrengungen der Zuwanderer bleiben.

[Beifall bei der CDU]

Es würde dem Interesse an einer erfolgreichen Eingliederung der Zuwanderer schaden, ihnen insgesamt diesen Anreiz zu nehmen. Daher muss der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit Voraussetzung für politische Mitbestimmung bleiben. So sieht es übrigens auch das Grundgesetz vor, Frau Bayram! Deshalb lehnen wir – und da hat die SPD recht – ein Ausländerwahlrecht über das bereits bestehende Wahlrecht für EU-Staatsangehörige ab.

Aber, Frau Bayram und Herr Dörstelmann, es war schon interessant, die Diskussion von ihnen beiden zu lesen und zu erleben. Denn, Frau Bayram, bis vor Kurzem waren Sie doch noch in der SPD. Warum haben Sie denn in dieser Partei nicht Ihre Vorschläge gemacht? Manchmal hat man so das Gefühl, dass das ein Streit zwischen alten Familienangehörigen ist.

Wir wollen keine Zweiklassengesellschaft mit einem zahlenmäßig großen Anteil von Menschen ohne volle Bürgerrechte. Unser Ziel in der CDU ist eine kulturell vielfältige Gesellschaft vollberechtigter Bürger, deren einigendes Band die deutsche Staatsangehörigkeit und das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung sind. Frau Bayram! Das ist doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit! Dazu gehört aber auch – und das haben Sie, Frau Bayram überhaupt noch nicht angesprochen –, die eingebürgerten Zuwanderer und die deutsche Innenpolitik einer politischen Einflussnahme durch die Regierungen der Herkunftsländer zu entziehen. Es ist doch vielfach festgestellt worden, dass beispielsweise die Einmischung der türkischen Regierung in innenpolitische Fragen in Deutschland die Eingliederung der türkischen Zuwanderer erschwert. Das haben die Auftritte des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan am 10. Februar 2008 in Köln und am 27. Februar 2011 in Düsseldorf bewiesen. Nur allein dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es für den Erfolg unserer Integrationsanstrengungen ist, den Zuwanderern die Tür zur deutschen Staatsangehörigkeit zu öffnen. Damit sollen sie die vollen Bürgerrechte und damit das Wahlrecht in unserer Stadt erhalten. Damit wäre möglicherweise Ihr Antrag, Frau Bayram, mehr oder weniger erledigt.

Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, dass die Menschen, die in der Stadt leben, voll integriert werden! Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten, dass sie deutsche Staatsbürger werden! Anschließend haben sie das Wahlrecht, dann sind sie voll akzeptiert und fühlen sich auch in unserer Heimat zu Hause. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]