Protokoll der Sitzung vom 03.03.2011

[Özcan Mutlu (Grüne): Unglaublich!]

Demokratische Legitimation bedeutet, dass Entscheidungen der Bezirksämter auf das Staatsvolk zurückzuführen sein müssen. Gerade in den Bezirken mit hohem Ausländeranteil würde die Staatsgewalt bei Ihrem Ausländerwahlrecht nur noch sehr eingeschränkt vom deutschen Volk ausgehen. Deutsche könnten perspektivisch sogar im eigenen Land auf kommunaler Ebene in eine Minderheitenposition gedrängt werden.

[Benedikt Lux (Grüne): Horst Mahler würde klatschen!]

Dies ist weder demokratisch, noch ist es den Bürgerinnen und Bürgern zumutbar. Wir werden Ihren Antrag ablehnen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Kluckert! – Das Wort hat jetzt der fraktionslose Kollege Stadtkewitz.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kluckert! Vielen Dank für diesen Beitrag! Sie haben das sehr gut auf den Punkt gebracht. Das hier beantragte Wahlrecht für Ausländer, die keine EU-Bürger sind, ist ganz klar verfassungswidrig. Ich denke, das haben einige der Redebeiträge heute gezeigt. Ich unterstelle Ihnen, dass Sie auch ernste Ziele damit bezwecken, es geht aber an diesen Zielen vorbei. Auch gesellschaftspolitisch werden Sie mit diesem Ausländerwahlrecht nichts erreichen.

Zunächst zur rechtlichen Betrachtung, auch wenn sie hier ausführlich gemacht worden ist, noch einige Punkte. Natürlich geht alle Staatsgewalt in Deutschland vom Volke aus, und sie wird vom Volk durch Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtssprechung ausgeübt. Diese Staatsgewalt definiert auch, was das Volk ist. Das Volk, das hat das Grundgesetz mehrfach bestätigt und immer wieder deutlich gemacht, setzt sich zusammen aus Deutschen und nicht aus Ausländern. Obwohl das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland – auch das gehört dazu – im Lauf der Jahre und im Lauf der Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht nicht immer nur an Glanz dazugewonnen hat, hat aber in dieser Hinsicht das Bundesverfassungsgericht diese klare Formulierung immer wieder bestätigt und festgehalten, dass das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland eben nur von Deutschen gebildet wird. Und das ist der entscheidende Punkt. Es geht nämlich in Ihrem Antrag um die Frage, durch eine Verfassungsänderung zunächst in Berlin durch die Hintertür die Zusammensetzung unseres Volks ändern zu wollen. Das ist das, was Sie im Kern mit diesem Antrag bezwecken.

Es ist hier ausführlich dargelegt worden, warum Sie auch mit einer Änderung der Berliner Verfassung gar nicht hinkommen würden, denn das Grundgesetz gilt universal, in allen Gebieten unseres Landes. Sie müssten also das Grundgesetz ändern. Wenn Sie sich an die Diskussion erinnern, die wir damals geführt haben, als es darum ging, dass EU-Bürger auf kommunaler Ebene in Kreisen, in Gemeinden Wahlrecht haben, dann werden Sie sich auch an die Argumente erinnern, und Sie werden sich an die klare Formulierung des Verfassungsgerichts erinnern, dass dies nur bei Änderung des Grundgesetzes möglich war. Genauso wird es hier sein. Eine Änderung der Berliner Verfassung reicht hier mitnichten aus, um durch die

Hintertür – ich sage es noch einmal – die Zusammensetzung des Volkes ändern zu wollen.

Die gesellschaftspolitische Betrachtung Ihres Vorschlags – ich zitiere mal aus Ihrem Antrag. Sie sagen:

Drittstaatsangehörigen ist das Wahlrecht jedoch verwehrt, selbst wenn sie seit 40 Jahren in Deutschland wohnen.

Oder:

Fehlendes Wahlrecht und mangelnde Partizipationsmöglichkeiten können Desinteresse an der Aufnahmegesellschaft hervorrufen.

Liebe Nie-wieder-Deutschland-Fraktion! Mir kommen die Tränen.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Wenn’s mal so wäre!]

„Wenn’s mal so wäre“, sagt natürlich die Ganz-Linksaußen-Fraktion, völlig klar. – Glauben Sie wirklich allen Ernstes, dass jemand, der 40 Jahre in Deutschland lebt, sich nur deshalb nicht assimiliert oder integriert hat, nur deshalb nicht Deutscher geworden ist, weil er kein Wahlrecht hatte? Weil wir ihm nicht schon nach drei Jahren, wie Sie es beantragen, das Wahlrecht einräumen? – Wir haben im Zweifel für den Unterhalt gesorgt. Wir haben im Zweifel zahlreiche Integrationsprogramme finanziert. Aber wir haben ihnen nicht das Wahlrecht gegeben, und nach Ihrer Logik haben sie sich deshalb nicht integriert. Das ist lächerlich, das ist dumm, und das zeigt, dass Sie keine Ahnung haben, warum es in Deutschland auch nach so vielen Jahren, auch nach so vielen Generationen immer noch Integrationsverweigerung gibt. Sie handeln mit Ihrem Antrag frei, und ich zitiere mal das Gedicht von Bertolt Brecht, vielleicht passt er an dieser Stelle:

Wäre es da Nicht doch einfacher, die Regierung Löste das Volk auf und Wählte ein anderes?

Nun sind Sie zwar nicht die Regierung, aber Ihr Gesetzesvorschlag geht genau in diese Richtung. Er unterliegt genau dieser Logik. Ihr Antrag ist nicht nur verfassungswidrig, er wird auch gesellschaftspolitisch genau das Gegenteil erreichen. Er wird ein weiterer Grund dafür sein, dass es nach wie vor Integrationsverweigerung gibt und gar keinen Grund, sich in diese Gesellschaft einzufügen und über eine Einbürgerung als deutscher Staatsbürger Wahlrecht in diesem Land zu haben. Deswegen ist Ihr Antrag dringend und zwingend abzulehnen. – Schönen Dank!

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Stadtkewitz! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und mitberatend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung. – Ich höre keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf die Priorität der Fraktion der Linken, das ist der Tagesordnungspunkt 26,

lfd. Nr. 4.2:

Volle Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 1. Mai 2011 gemeinsam in der Region Berlin-Brandenburg-Westpolen gestalten

Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/3901

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, Drucksache 16/3901-1, außerdem ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 16/3901-2. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Die Linke. Frau Abgeordnete Michels hat das Wort. – Bitte sehr!

Danke schön! – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 1. Mai 2011 fallen die bisherigen Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit weg. Ab dann steht auch der deutsche Arbeitsmarkt nach einer siebenjährigen Übergangsfrist Jobsuchenden aus den mittelosteuropäischen EU-Ländern offen. Und um es deutlich zu sagen: Die Gewährung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürgerinnen und Bürger der EU-Mitgliedsstaaten gehört als grundrechtsgleiches Recht zu den elementaren Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Das heißt, die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit ist für uns ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen Europa.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion und der FDP]

Wir haben bereits in den Diskussionen um die Verlängerungen der Übergangsregelungen 2006 und 2009, wenn Sie sich erinnern, festgestellt, dass eine längere Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Berlin keine Vorteile bietet, und haben die schnellstmögliche Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gefordert.

[Mirco Dragowski (FDP): Mit dem Mindestlohn!]

Allerdings – Herr Dragowski, Sie sind gleich dran – haben wir auch damals schon in erheblicher Differenz zur FDP betont, dass nach unserer Auffassung die Freizügigkeit mit einem geregelten Rahmen versehen werden sollte. Die Übergangsfristen sollten seinerzeit genutzt werden, um Mindeststandards für Beschäftigungsverhältnisse zu sichern, denn um Lohndumping zu verhindern und eine wirtschaftlich faire wie sozial gerechte Wettbewerbssituation zu schaffen, sind für uns die Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes sowie die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns unverzichtbar.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Genau in dieser Hinsicht ist der Senat auch tätig geworden. Nun sind aber die Übergangsfristen verstrichen, ohne dass auf Bundesebene die Chance genutzt wurde, ausreichende arbeitsmarkt- und sozialpolitische Rahmenbedin

gungen zu schaffen, die das Risiko von Sozialdumping hinreichend ausschließen. Und deshalb, lieber Herr Dragowski, reicht der Änderungsantrag der FDP bei weitem nicht aus. Uns geht es eben nicht um eine bloße Erklärung nach dem Motto: Herzlich willkommen in der EU!, wie Sie sagen: ein bloßes „positives Signal an die neuen Mitgliedsländer“, wie Sie es nennen – nein, das greift zu kurz! Wir knüpfen an diesen Schritt auch weiterhin klare politische Forderungen. Uns geht es um ein positives Signal an alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir wissen uns im Übrigen damit eins mit den Gewerkschaften und anderen Verbänden.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die Freizügigkeit darf nicht zu einer weiteren Deregulierung des Arbeitsmarktes durch die Hintertür führen. Die Politik muss hier entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Zwar ist es erfreulich, dass nach langem Kampf selbst die schwarz-gelbe Koalition Mindestlohntarifverträge in Branchen wie beispielsweise im Wachschutz und in der Pflege für allgemeinverbindlich erklärt und inzwischen auch für die Leiharbeit darüber diskutiert. Doch dieses reicht uns nicht. Wir bleiben dabei, dass unter anderem die Schaffung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, eine wirklich wirkungsvolle Kontrolle der Arbeitsbedingungen, flankiert von einer Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes notwendig wäre.

[Mirco Dragowski (FDP): Firmen- und Jobkiller!]

Dies sind geeignete Instrumente, um Ängste und Befürchtungen abzubauen. Auf diese Weise kann sowohl ein Lohndumping durch absolute Niedriglöhne als auch ein Unterlaufen von tariflichen Gehaltsstrukturen unterbunden werden.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Von besonders aktueller Bedeutung ist es, auch hier das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit für den Bereich der Leih- und Zeitarbeit durchzusetzen. Das bedeutet, dass der verliehene Arbeitnehmer nicht mehr geringer entlohnt werden darf als ein vergleichbarer Arbeitnehmer im entleihenden Unternehmen. Deshalb fordern wir den Senat mit unserem Antrag auf, sich auch weiterhin in dieser Hinsicht zu engagieren.

[Mirco Dragowski (FDP): Tod der Leiharbeit!]

Nur wenn ausreichende Maßnahmen zum Schutz bestehender sozialer Standards ergriffen werden, wird Europa von den Menschen als Freiheitsgewinn und nicht als Bedrohung wahrgenommen. Ein letzter Satz zum Änderungsantrag der Grünen: Darauf wird mein Kollege Zimmermann noch genauer eingehen. Wir bewegen uns dort auf einer Wellenlänge. Darüber können wir im Ausschuss reden.

Sehr gut! Das ist der letzte Satz.

Dazu der letzte Satz. – Diese Beratungsstellen gibt es bereits. Wir haben bereits auf Einladung meiner Fraktion alle Beratungsstellen eingeladen. Unser Ziel ist der Aufbau eines Netzwerks. Das geht in die richtige Richtung. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Michels! – Für die CDU-Fraktion hat Frau Kroll das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der bevorstehende Wegfall der Beschäftigungsgrenzen zu Polen und Tschechien sowie zu sechs weiteren EU-Staaten am 1. Mai 2011 ist ohne Frage auch für das Land Berlin und hier insbesondere für den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt von großer Bedeutung. Allerdings wundert es uns schon, dass dieses Thema den Koalitionsfraktionen erst jetzt, zwei Monate vor Beginn der Arbeitnehmerfreizügigkeit, in den Fokus gerät und sie dieses zu einem so späten Zeitpunkt parlamentarisch bearbeiten wollen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Wie man so schön sagt: besser spät als nie.

Noch mehr erstaunt ein Teil der Begründung für diesen Antrag. Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident:

Angesichts der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit in der Region Berlin-Brandenburg ist absehbar, dass im Vorfeld des 1. Mai in der Bevölkerung Befürchtungen artikuliert werden.