Protokoll der Sitzung vom 08.03.2007

Ihrer Fraktion allerdings nehme ich es ein bisschen übel, weil ich den Eindruck habe, dass wieder einmal ein Antrag gestellt worden ist, der bar eines gewissen Sachver- stands ist.

Wir haben seit 1999 die Diversionsrichtlinie in dieser Stadt.

[Frank Henkel (CDU): Wer hat es gemacht?]

Seit 1998 wird diese in Nordrhein-Westfalen umgesetzt, also mit knapp einem halben Jahr Vorsprung. Der Erfolg der Diversion oder der Gelben Karte in NordrheinWestfalen ist in Zweifel zu ziehen. Wenn Sie sich die Zeiten und Daten von Nordrhein-Westfalen angesehen haben, werden Sie gemerkt haben, dass sich dort innerhalb von zehn Jahren die Jugendkriminalität verdoppelt hat. Ich bin gerne bereit zu akzeptieren, dass die FDP eine natürliche Affinität zur Farbe gelb hat.

Vielleicht haben auch Sie ähnliche Probleme wie die Menschen, die mit dem Begriff „Diversion“ nichts anfangen können. In der Rede des Justizstaatssekretärs Jan Söffing, aus der Sie Ihren Antrag passagenweise zusammengesetzt und, wenn ich das eben richtig vermerkt habe, auch Ihre Rede zu großen Teilen übernommen haben, hätten Sie noch weiterlesen müssen. Dort schreibt er – ich zitiere mit der Erlaubnis des Präsidenten –:

Mit der Gelben Karte soll eine breitere Öffentlichkeit aufmerksam gemacht und zugleich die betroffene Klientel und ihr soziales Umfeld angesprochen werden. Deshalb wurde der sperrige kriminologische Fachbegriff des „Diversionstages“ ersetzt.

Mit dem Begriff „Diversionstag“ können sogar viele Juristen und erst recht die beschuldigten Jugendlichen und ihre Eltern nichts anfangen.

Wenn jetzt wirklich nur der „sperrige Begriff“ das Problem ist, Herr Jotzo, dann hätte ich Ihnen gerne im Ausschuss oder auch im Rahmen eines persönlichen Gesprächs erklärt, dass wir seit sieben Jahren die Diversionsrichtlinie in dieser Stadt umsetzen, dass in jeder Direktion ein Diversionsbeauftragter, ein Polizist, in Zusammenarbeit mit einem Sozialarbeiter des Sozialpädagogischen Instituts genau das durchführt, was Sie hier unter dem Begriff „Gelbe Karte“ fordern.

Sie haben zwar in Ihrer Rede mehrfach angesprochen, dass es ein weitergehendes Projekt sein soll, dass die Gelbe Karte mehr zu bieten hat als die bisherige Diversion. Aber in Ihrem Antrag und auch der Begründung finde ich davon nichts. Darin haben Sie nur die Punkte genannt, die bereits jetzt durchgeführt werden. Es geht darum, schneller zu handeln, den Jugendlichen nach der ersten Tat sozusagen abzuholen, ihm den Spiegel vorzuhalten und deutlich zu machen: bis hierhin in einem Rechtsstaat und nicht weiter. Es geht darum, dass dies bis zu einer gewissen Schwelle des Vergehens durch andere Maßnahmen deutlich gemacht werden kann, z. B. sich bei dem Geschädigten zu entschuldigen, eine teilweise auch materielle Schadenswiedergutmachung, Arbeitsleistung für den Geschädigten oder der Täter-Opfer-Ausgleich usw. Die Diversionsrichtlinie führt noch einige andere Maßnahmen auf.

All dies wird bereits durchgeführt. Ich bin gern bereit, mich mit Ihnen und Ihrer Fraktion im Innenausschuss darüber zu unterhalten. Aber das Konzept zur Bekämpfung der Jugendkriminalität liegt uns bereits vor. Verbesserungen sind immer möglich, und wenn es am Namen liegt und Sie mit „Gelber Karte“ besser schlafen können, dann von mir aus auch das.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Vielen Dank! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Kollege Henkel. – Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Wochen und Monaten diskutieren wir über das Thema Jugendgewalt. Die Erkenntnis, dass es Jugendgewalt gibt, die Erkenntnis, dass sie immer brutaler wird, und die Erkenntnis, dass sie sich mittlerweile auch gegen Polizeibeamte

richtet, ist nicht neu. Ebenfalls nicht neu – jedenfalls wenn man den Zahlen der Jahre 2005 und 2006 folgt – ist die Tatsache, dass die Täter überproportional häufig junge Männer nichtdeutscher Herkunft sind. Selbst Polizeipräsident Glietsch kam kürzlich zu der Einsicht, dass die Gewaltkriminalität insbesondere junger nichtdeutscher Männer ein ernstzunehmendes Phänomen ist. Bei der Vorstellung der PKS 2005 hatte er sich gegen diese Kategorisierung noch vehement gewehrt und mir und meiner Fraktion unverantwortliche Panikmache vorgeworfen. Nun also mehrere brutale Übergriffe und ein Jahr später hat der rotrote Senat zumindest rhetorisch den Ernst der Lage offensichtlich erkannt. Endlich kommen die Fakten auf den Tisch, und es gibt Hoffnung, dass das Wegschauen und Verharmlosen endlich ein Ende hat.

[Beifall bei der CDU]

Das Hauptproblem der Jugendkriminalität, besonders im Bereich jugendlicher Intensivtäter, lässt sich nach wie vor auf einen einfachen Dreisatz bringen. Er lautet: jung, männlich, Migrationshintergrund. Dies wurde auch am Montag im Innenausschuss deutlich, wo wir eine Analyse von Intensivtätern der Staatsanwaltschaft Berlin erörtert haben. Die wesentlichen Ergebnisse daraus waren: 78 % der erfassten Personen sind zwischen 14 und 20 Jahren alt, 5 % davon Mädchen; 74 % der Täter wurden in Deutschland geboren, 51 % haben die deutsche Staatsangehörigkeit, und 70 % der Täter haben einen Migrationshintergrund.

Herr Kollege! Gestatten Sie die Zwischenfrage des Kollegen Saleh?

Nein, nun wirklich nicht! – So viel zu den Zahlen, Herr Kollege Saleh, die Zahlen sind keine Studie der CDUFraktion, sondern eine Analyse von Intensivtätern der Staatsanwaltschaft. Ich hoffe, dass die Zahlen zur Versachlichung der Debatte insgesamt beitragen. Da es sich bei der Gruppe, über die wir hier reden, ganz überwiegend um Jugendliche handelt, die in Berlin groß geworden sind, ist es auch ein Berliner Problem und Aufgabe unserer Gesellschaft, die Schwierigkeiten selbst zu bewältigen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Ich sage aber auch: Bei den Fällen, wo jugendliche Straftäter die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen, Herr Senator, müssen alle ausländerrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, an deren Ende eine konsequente Abschiebung steht.

[Beifall bei der CDU]

Die Ursachen für Gewaltentwicklung sind vielschichtig. Eine schwierige soziale Situation kann und darf aber als alleinige Erklärung nicht herhalten. Es ist vielmehr so, dass sich ein zunehmender Werteverfall und eine Verrohung der Gesellschaft breitmachen. Dies gilt zweifellos

für deutsche und für nichtdeutsche Täter gleichermaßen. Bei Tätern mit Migrationshintergrund kommt hinzu, dass sie, aufgewachsen mit einem völlig anderen Rechtsverständnis, unsere Rechtsordnung oftmals schlichtweg nicht verstehen und sie daher so häufig Bewährungsurteile als Freisprüche betrachten.

[Zuruf von der Linksfraktion]

Ich rede übrigens zu dem Antrag, Frau Kollegin. Beruhigen Sie sich, Sie sind ja gleich dran. – Wer aber unsere Rechtsordnung nicht versteht, wird sich im Ergebnis auch ihrer Akzeptanz entziehen. Deshalb bin ich sicher, dass wir alle kein Erkenntnisdefizit haben, und deshalb muss Schluss sein mit dem bloßen Debattieren.

[Beifall bei der CDU]

Wir müssen jetzt der Qualität der Gewalt entschiedene Maßnahmen entgegensetzen, meine Fraktion hat dazu diverse Initiativen eingebracht. Unsere Vorschläge liegen also auf dem Tisch.

Jetzt hat die FDP die Debatte bereichert mit einem ursprünglich in Nordrhein-Westfalen entwickelten Modell „Gelbe Karte gegen Jugendkriminalität“.

[Beifall bei der FDP]

Aus unserer Sicht kann dies eine geeignete Maßnahme sein, Herr Jotzo, im Kampf gegen Jugendgewalt und Jugendkriminalität. Aber Frau Hertel hat recht, ich erinnere auch gern in diesem Zusammenhang an das erste Büro Diversionsberatung, ich erinnere an die Diversionsrichtlinie und an die Diversionsermittlermodelle, welche die große Koalition aus CDU und SPD bereits 1999 ins Leben gerufen hatte und wozu ich das Gelbe-Karten-Modell, das Sie jetzt in die Debatte bringen, als eine durchaus erwähnenswerte Ergänzung betrachte. Denn, Frau Kollegin Hertel, wenn das, was wir gemeinsam 1999 auf den Weg gebracht haben, so erfolgreich gewesen wäre, dann hätten wir die Probleme heute nicht und würden über ganz andere Dinge sprechen.

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Insofern sind die genannten Erfolgskriterien, was die Gelbe Karte betrifft, im Bereich jugendlicher Straftäter richtig. Wir brauchen beschleunigte und leicht nachvollziehbare Verfahren, wir brauchen eine bessere Vernetzung und Kooperation der beteiligten Einrichtungen. Ausgewiesene Sanktionen müssen, das stimmt, besser verständlich sein. Das Lebensumfeld von jungen Straftätern, insbesondere die Familie, muss mit einbezogen werden.

Herr Kollege, noch mal der Wunsch zu einer Zwischenfrage!

Nein, wirklich; wir haben das doch alles durch, Kinder! Wir haben im Ausschuss darüber gesprochen. Insofern hören Sie sich jetzt an, was ich sage; danach können Sie

sagen, was Sie wollen. Dann reden wir nachher wieder im Ausschuss. Insofern stehlen Sie mir hier nicht die Zeit!

[Beifall bei der CDU]

Die verhängten Sanktionen müssen in der Tat – auch da hat der Kollege Jotzo recht – wirksam sein, und natürlich muss eine Erfolgskontrolle praxisorientiert erfolgen.

Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege!

Insofern ist die Verhängung erzieherischer Maßnahmen der richtige Weg, der damit beschritten wird. Das, was mit der Vorladung der Täter geschieht, ist richtig. Solche Termine schaffen breite Öffentlichkeit und wirken auch in wichtige Kreise hinein, das ist das Entscheidende. Deshalb ist das unter präventiven Gesichtspunkten sehr erfolgversprechend. Wir werden diesem Modell unsere Zustimmung geben, weil wir davon überzeugt sind, dass es eine sinnvolle Ergänzung zu dem ist, was es bisher im Land Berlin gibt. – Vielen Dank!

Das Wort für die Linksfraktion hat Frau Dr. Barth. – Entschuldigung, es gibt eine Kurzintervention von Herrn Saleh; zwei Minuten maximal.

[Christian Gaebler (SPD): Drei!]

Drei maximal, vielen Dank!

So lange brauche ich gar nicht. – Herr Henkel! Ich habe das Gefühl, Sie machen mit Ihrer Darstellung – jung, männlich, Migranten – einen großen Fehler. Ich habe das Gefühl, Sie schüren damit Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft.

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Wie Sie das Problem momentan darstellen, könnte man es einseitig verstehen. Ich würde mit meinen Äußerungen aufpassen. Fakt ist, wir haben Probleme. Fakt ist, wir haben Gewaltprobleme bei überwiegend jungen Migrantinnen und Migranten. Fakt ist aber auch, dass die Darstellung, wie Sie es zeigen, so nicht dastehen kann. Damit schüren Sie Fremdenfeindlichkeit.

Es muss Schluss sein mit der Darstellung, dass Menschen, deren Eltern bereits hier leben, mit Namen Ali oder Mustafa, die bereits Deutsche in der dritten Generation sind, noch diesen Migrationshintergrund angerechnet bekommen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Zur Erwiderung der Abgeordnete Henkel!

[Özcan Mutlu (Grüne): Jetzt was Neues, bitte!]

Ich glaube, Herr Kollege Saleh, auch wenn es Ihnen unter den Nägeln gebrannt hat, wir hatten es hier erstens mit einem Missbrauch der Geschäftsordnung zu tun.

Zweiter Punkt: Ich schüre überhaupt nicht die Dinge, die Sie mir in der Debatte vorwerfen, überhaupt nicht. – Sie müssen mir zuhören: Wir haben ein Hauptproblem der Jugendkriminalität im Bereich jugendlicher Intensivtäter. Wenn Sie es mir nicht glauben, fragen Sie Ihren Innensenator und den Polizeipräsidenten, den Sie und Ihre Koalition ins Amt geholt haben.