Protokoll der Sitzung vom 14.04.2011

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Oberg?

Bitte schön, Herr Oberg!

Vielen Dank! – Herr Steuer! Wie passen denn diese beiden Aussagen, die Sie heute hier im Plenum gemacht haben, zusammen? Sie haben heute Morgen bei der Begründung Ihres Antrags zur Aktuellen Stunde festgestellt, dass sich neun von zehn Eltern in Deutschland mehr Vergleichbarkeit wünschen, dass sie sich einheitliche Bildungsstandards wünschen, und haben jetzt gerade gesagt, dass Sie die pädagogischen Ziele der Volksinitiative „Schule in Freiheit“ teilten und haben etwas von einer Balance gesprochen. Beide Dinge sind aber elementar weit auseinander, denn die Volksinitiative fordert nicht weniger, als dass jede Schule inhaltlich macht, wozu sie gerade Lust hat. Wo ist also da die Balance, von der Sie gesprochen haben?

[Zurufe von Christoph Meyer (FDP) und Mieke Senftleben (FDP)]

Das kann ich Ihnen ganz genau sagen, Herr Oberg. Die Volksinitiative fordert mehr pädagogische Freiheit. Damit habe ich überhaupt kein Problem.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Wir können soviel pädagogische Freiheit haben, wie wir wollen, wenn gleichzeitig die Standards definiert sind, wenn die Abschlussprüfungen identisch sind an allen Schulformen

[Zurufe von Lars Oberg (SPD) und Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

und die Schulen sich darauf überprüfen lassen müssen, ob sie in der Lage sind, diese Standards einzuhalten. Dann ist es mir völlig egal, wie sie es erreichen, diese Standards einzuhalten. Insofern passt es sehr gut zusammen.

Wir beantragen heute mit unserem eigenen Beschlusstext, dass die grundsätzlichen Ziele der Volksinitiative aufgenommen und bei der Arbeit in der Bildungspolitik im Abgeordnetenhaus in der Zukunft berücksichtigt werden sollen. Wir wünschen uns, dass unserem Antrag heute zugestimmt wird.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege Steuer! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nunmehr der Herr Kollege Mutlu das Wort. – Bitte schön, Herr Mutlu!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen die Volksinitiative „Schule in Freiheit“ als einen engagierten Beitrag zur schulpolitischen Debatte in der Stadt, auch wenn wir nicht mit allen Punkten der Initiative inhaltlich einverstanden sind. Wir beglückwünschen die Initiative zu ihrem Erfolg. Die Forderungen der Volksinitiative „Schule in Freiheit“ sind berechtigt und decken sich in vielen Punkten mit unseren Vorstellungen.

[Christoph Meyer (FDP): Das ist dreist, Herr Mutlu!]

Wir sind für den weiteren Dialog mit den Initiatorinnen und Initiatoren der Volksinitiative offen. Wir sind der Meinung, dass es im Interesse aller Beteiligten ist, den Schulen mehr pädagogische Freiheiten zu geben, Schulen in freier Trägerschaft eine faire und transparente Finanzierung zu gewähren und die Bildungseinrichtungen als selbstständige Organisationen zu stärken.

Für uns hat die Qualität der Bildungseinrichtung höchste Priorität. Die Ergebnisse des Modellvorhabens „Eigenverantwortliche Schule“ bieten in dieser Hinsicht viele konkrete Schritte, wie Schulen mehr Autonomie und Eigenverantwortung gewährt werden kann, und so auch mehr pädagogische Freiheiten ermöglicht werden können. Die MES-Ergebnisse bilden für uns einen Rahmen für mehr pädagogische Freiheiten und mehr Eigenverantwortung vor Ort. Schulen sollen die Möglichkeiten haben, sich ohne staatliche Reglementierung oder unnötige Bürokratie mit allen Beteiligten – dazu zähle ich Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, wie aber auch Eltern –, ein Schulprogramm zu geben, ohne immer wieder an der Bürokratie und der Schulaufsicht zu scheitern. Sie sollen die notwendige Unterstützung bekommen, die Ziele dieses Schulprogramms zu erreichen. Dazu zählt auch, dass Schulen mehr Selbstständigkeit bekommen und mehr Spielräume sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in personellen Angelegenheiten. Das heißt, Honorarmittel in die Hand der Schule, Vertretungsmittel auch in die Hand der Schule, Fort- und Weiterbildungsmittel in die Schule und ein gewisser Umfang der Personalmittel, sozusagen Geld statt Stellen, sollen ebenfalls in die Verantwortung der Schulen, damit sie vor Ort Eigenverantwortung ausüben können.

[Beifall bei den Grünen]

Herr Kollege Mutlu! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Grosse?

Nein, nicht nachdem sie vorhin diesen Zwischenruf gemacht hat!

[Oh! bei der SPD]

Dann fahren Sie bitte fort!

Hinsichtlich der Bezuschussung der freien Schulen sagen wir: Eine ein- bis dreijährige Wartefrist, in der festgestellt wird, ob der Träger einen ordnungsgemäßen Schulbetrieb aufnehmen und dauerhaft gewährleisten kann, halten wir für angemessen. Auch dieses ist im Interesse der Schülerinnen und Schüler. Nichts wäre schlimmer, wenn Schule in freier Trägerschaft nach zwei Jahren auf dem Weg pleite geht, aufgibt und die Schüler dastehen. Daher halten wir eine Wartefrist von einem Jahr bis zu drei Jahren für angemessen.

Die Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft muss transparent sein und für Planungssicherheit sorgen. Grundsätzlich erwarten wir einen angemessenen finanziellen Beitrag des Trägers. Wir wollen aber auch Modelle prüfen, bei denen eine Erhöhung der Bezuschussung der gemeinnützigen Schulen in freier Trägerschaft möglich ist, wenn sie eine ausgewogene soziale Mischung nachweisen und teilweise auch auf das Schulgeld verzichten. Für uns ist eine ausreichende Finanzierung und Gewährleistung eines für alle zugänglichen breiten und qualitativ hochwertigen öffentlichen Bildungsangebotes bei der Neugestaltung der Zuschussregelung für Schulen in freier Trägerschaft von Priorität.

Nun möchte ich noch zwei Sätze zu Frau Tesch sagen. Eigentlich sollte ich hier aufhören, aber das muss gesagt werden. Frau Dr. Tesch! Diese Modellschule und diese Berechnungen zur Modellschule, die Sie hier genannt haben, haben Ihre Vertreter im Hauptausschuss gegen den Widerstand der Opposition abgelehnt. Sie wollten auch nach jahrelangen Diskussionen nicht, dass der Senat diese Modellschulenberechnung vornimmt, damit endlich eine transparente und faire Bezuschussung nach dem Vollkostenmodell erfolgen kann. Da sage ich gar nichts über die Höhe. Es geht nur um diese Modellschulen. Das haben Sie abgelehnt.

Ich finde auch, dass es einfach unmöglich ist, dass Sie hier immer wieder – wie auch im Ausschuss – sagen, die staatlichen Schulen in öffentlicher Hand müssen vor Schulen in freier Trägerschaft geschützt werden. Das ist unglaublich! So schwach sind die Schulen in staatlicher Hand nicht. Sie machen gute Arbeit. Reden Sie nicht die Erfolge staatlicher Schulen klein!

[Beifall]

Freie Schulen und Schulen in staatlicher Trägerschaft können sehr wohl Seite an Seite gute Bildung für Berlin gewährleisten. Das müssen wir als Parlament auch schaffen.

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Kollege Mutlu! – Für die Linksfraktion spricht nunmehr der Kollege Zillich. – Bitte schön, Herr Zillich, eilen Sie herbei!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Mutlu! Immer wieder muss ich bei diesem Thema feststellen, dass Sie keine ganz deckungsgleiche Position zu Ihrer Bildungsstadträtin in FriedrichshainKreuzberg haben. – Das möchte ich nur vorweg anmerken.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Vor dem Engagement, das der Initiatoren und der vielen, die diese Volksinitiative unterschrieben haben, haben wir großen Respekt. Dieser Respekt muss in der Behandlung der Volksinitiative gewahrt werden. Ich habe mich in der ersten Rederunde, die ich für nicht so ganz angemessen hielt, dafür eingesetzt. Wir haben in den Ausschussberatungen in Absprache mit den Initiatoren der Volksinitiative eine Behandlung gesichert, die ernsthaft war. Wenn dieser Respekt vor dem Anliegen nicht aus allen Knopflöchern zu jeder Zeit sichtbar war, muss man vielleicht erläutern, dass es zunächst an der üblichen Atmosphäre in diesem Ausschuss und weniger am Anliegen der Initiatorinnen und Initiatoren liegt, was die Sache nicht besser macht.

Die Volksinitiative greift das wichtige Thema auf, nach dem Verhältnis zwischen der Verantwortung an der einzelnen Schule und der öffentlichen Verantwortung andererseits bei der Gestaltung von Bildung zu fragen. Da werden doch zwei sehr unterschiedliche Ansätze deutlich. Die Volksinitiative sagt, vielleicht aus ihrer Perspektive verständlich, dass es vor allem darauf ankommt, den Schulen Freiheit und Selbstverantwortung zu garantieren. Alles andere würde mit dieser Garantie schon sinnvoll passieren. Wir haben eine andere Perspektive. Das nehme ich für mich in Anspruch. Wir müssen die Bildungschancen aller Kinder im Blick haben; wir müssen die Situation an allen Schulen im Blick haben. Wir wollen und wir können es uns nicht leisten, dass wir Schulen als Verlierer zurücklassen, keine einzige Schule, weil an diesen Schulen Schülerinnen und Schüler sind. Unsere Befürchtung ist, dass genau das droht, würde man dem Anliegen der Volksinitiative in Buchstaben folgen, Schulen die im Wettbewerb zwischen den Schulen als Verlierer zurückbleiben. Diese Befürchtung konnte in den Anhörungen nicht ausgeräumt werden.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Nein! Uns muss es um die Bildungschancen aller Schüler und um ein gleichwertiges Bildungsangebot gehen. In der Tat hat eine ausreichende Qualität, eine ausreichende Finanzierung, eine gute Finanzierung eines öffentlichen Bildungsangebots für uns Priorität. Es ist in den Anhörungen aber durchaus deutlich geworden, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Volksinitiative ganz unterschiedliche Motive und ganz unterschiedliche Anliegen hatten, die durchaus über den Wortlaut der Volksinitiative hinausgehen.

Das wurde insbesondere deutlich – kommen wir damit zu den einzelnen Punkten der Volksinitiative – am Punkt pädagogische Freiheit. Ich finde es zunächst einmal völlig richtig – ich teile den Ansatz –, dass man bei der Frage der pädagogischen Qualität auf die Verantwortung der einzelnen Schule setzt. Da findet der pädagogische Prozess statt. Es ist völlig richtig, dies zu tun. Man muss allerdings auch sagen, dass die Schulen bereits jetzt eine erhebliche Freiheit in der Gestaltung des Lernens an der Schule gesichert haben. Es ist allerdings auch richtig, dass die Bedingungen nicht immer so sind, dass zu dem Nutzen dieser Freiheit auch motiviert wird.

In der Anhörung ist auch deutlich geworden, dass Anzuhörende durchaus den Weg, den wir beschreiten, die Entwicklung von Gemeinschaftsschulen, als den richtigen betrachtet haben. Insofern finde ich schon, dass wertvolle Anregungen gegeben wurden. Allerdings – das haben hier alle Fraktionen gesagt – sehen wir nicht, dass es möglich ist, dass man – wie es die Volksinitiative fordert – nicht nur keine Vorgaben für die konkrete Gestaltung des Unterrichts macht – das sollte man nicht tun –, sondern darüber hinaus auch keine gemeinsamen Qualitätsstandards und keine gemeinsamen Anforderungen an Abschlüsse stellt. Das ist notwendig, um tatsächlich ein gleichwertiges Bildungsangebot zu sichern.

Der Forderung nach gleichwertiger Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft können wir so nicht folgen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Der erste Grund ist ein ganz pragmatischer, nämlich ein finanzpolitischer. Wir sind in einer Situation knapper Kassen. Die Finanzierung öffentlicher Schulen, weil dort die Mehrheit der Kinder lernen, hat für uns an dieser Stelle Priorität.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Der zweite Punkt ist durchaus ein systematischer. Die freien Schulen wollen sich durchaus – sie haben auch das Recht, das nicht zu wollen – eben nicht in die Aufgaben öffentlicher Schulen einordnen, beispielsweise in die Frage eines Schuleinzugsbereiches oder in die Frage, welche Kinder sie aufnehmen müssen. Daraus folgt, dass sie auch nicht in gleicher Art und Weise finanziert werden können. Was wir aber wollen und wozu wir den Senat wiederholt aufgefordert haben, ist, dass wir an dem von uns angestoßenen Prozess gemeinsam mit den freien Schulen dranbleiben, ein transparentes Finanzierungssystem, das Planungssicherheit gewährleistet, zu schaffen.

Mein Redezeit neigt sich dem Ende zu. Deswegen will ich an der Stelle sagen: Es sind durchaus wichtige Anregungen in den Anhörungen in die Debatte gekommen. Für uns steht die Verbesserung der Bildungsqualität für alle Kinder im Zentrum. Deswegen geht es vor allem um die Verbesserung der Bildungsqualität an den öffentlichen Schulen. Wir haben dort einiges getan und einige Richtungsentscheidungen getroffen. Wir wissen, dass es in diesem Bereich noch viel zu tun gibt. Wir wollen vor allem von diesem Anspruch nicht lassen, dass wir vor allem die Qualität in den öffentlichen Schulen verbessern müssen und dafür die Verantwortung tragen. – Danke schön!

[Beifall bei der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Kollege Zillich! – Für die FDPFraktion hat nunmehr Frau Senftleben das Wort. – Bitte schön, Frau Senftleben!

Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Erst einmal herzlich willkommen liebe Vertreter der Volksinitiative Schule in Freiheit! – Eines wundert mich doch: Alle reden hier von eigenverantwortlicher Schule, wie wichtig und richtig das ist. Herr Mutlu sagt, wir brauchen Honorar- und Vertretungsmittel, Geld statt Stelle, MES, Modellversuch eigenverantwortliche Schule fortführen. Prima, ihr hättet die FDP-Anträge zu diesen Themen. Es war nicht nur einer, sondern es waren viele Anträge, die wir diesbezüglich gestellt haben. Ich frage mich heute, warum die alle abgelehnt worden sind. Bleiben wir doch ein bisschen bei der Wahrheit.

[Beifall bei der FDP]

Am 13. Januar hat die FDP-Fraktion in der Rederunde zur Volksinitiative eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Zielen angemahnt. Glückwunsch noch einmal an die Initiative! – Wir forderten vor allem eine echte Debatte mit konkreten Ergebnissen zu den einzelnen Forderungen: mehr pädagogische Freiheit, organisatorische Selbständigkeit für die öffentliche Schule, eine gleichberechtigte Finanzierung aller Schulen. Eines muss klar sein, die Unterzeichner wollen mehr als nur Beratung, Befassung oder Aussprache. Vor allem wollten sie sicher nicht eine respektlose Behandlung ihrer Forderung in der Anhörung.

[Beifall bei der FDP]

Da wurden die Vortragenden von der Vorsitzenden mehrfach zurechtgewiesen. Herr Oberg unterhielt sich lautstark mit seiner Nachbarin. Und Frau Dr. Tesch brachte ihre Auffassung zur Initiative auf den Punkt, als sie herablassend meinte, sie habe das „Pamphlet“ auch gelesen. – Selten haben sich Mitglieder des Schulausschusses so danebenbenommen wie während dieser Anhörung. Das will ich in diesem Hause noch mal deutlich sagen.

[Beifall bei der FDP – Zurufe von der Linksfraktion]

Die Initiative will mehr, und deshalb fragen wir uns, ob sie mit der heutigen Beschlussempfehlung zufrieden sein kann. Die Stellungnahme von SPD und Linken, mitgetragen von den Grünen, geht in die Richtung: Haben wir alles schon. Machen wir selber besser. Brauchen wir nicht. – Konkrete Maßnahmen – Fehlanzeige! Es handelt sich eher um eine Art Grußwort, verfasst von einem Oberlehrer bzw. einer Oberlehrerin. Die rot-rot-grüne Stellungnahme belehrt die Volksinitiative, dass ihre Forderung entweder schon umgesetzt wird oder dass staatliche Schulen als Verliererschulen zurückgelassen werden. Wir haben es gerade wieder von Herrn Zillich gehört. – Sie haben es immer noch nicht verstanden, Frau Dr. Tesch, Herr Zillich! Bei gleichberechtigter Finanzierung der Schule, egal, ob in staatlicher oder freier Trägerschaft, wird jedem Schüler erstmals jede Schule zugänglich gemacht, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Das Prinzip steckt dahinter.