Protokoll der Sitzung vom 14.04.2011

Es ist spannend, der Frage nachzugehen, wer recht hat: der Senator mit seinen scheinbar unbestechlichen Zahlen, die man sich – wie er immer so schön sagt – ganz nüchtern ansehen müsse, oder aber die vielen Menschen mit ihrem Bauchgefühl. Die blindgläubigen Unterstützer des Senats hier im Haus werden mir jetzt natürlich populistische Angstmacherei vorwerfen.

[Frank Zimmermann (SPD): Richtig!]

Ich appelliere jedoch an Sie, sich einmal ernsthaft mit der Statistik zu beschäftigen und auch einmal nachzudenken.

[Beifall bei der CDU – Frank Zimmermann (SPD): Sie auch!]

Ich stelle hier folgende These auf: Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist eine interessante und auch dankbare Grundlage für den Kriminalisten, der die Entwicklung einzelner Delikte und Phänomene beobachten möchte. Sie ist jedoch für eine Aussage über die Höhe der sich absolut real ereignenden Kriminalität insgesamt, die ihr vom Senat permanent zugesprochen wird, mitnichten geeignet.

[Beifall bei der CDU]

Das hat mit einem ganz simplen Modellproblem zu tun, nämlich dem zwangsläufigen Nichtbeachten der Ceterisparibus-Klausel, das heißt, die Parameter der Statistik – insbesondere im Langfristvergleich – sind nicht die gleichen. Was heißt das konkret auf die Statistik bezogen? – Vor allem dieses: Die Zahl der Polizeibeamten, die sich um die Aufnahme und Aufdeckung krimineller Handlungen kümmern könnten, ist seit 2002 drastisch gesunken. Im Vollzugsdienst bedeutet das über 1 136 Beamte weniger. Dabei ist nicht einmal berücksichtigt, dass der Senat nicht einmal alle Stellen, die er im Haushalt zur Verfügung hat, auch besetzt. In Arbeitsstunden umgerechnet sind das über zwei Millionen Arbeitsstunden im Jahr.

Glauben Sie denn im Ernst, liebe Kollegen von Rot-Rot, dass das keine Auswirkungen auf die Sicherheitslage in der Stadt hat? Glauben Sie denn im Ernst, dass die Kriminalität in Berlin mit weniger Polizei sinkt, und das in einer Situation, wo es den Menschen dank Rot-Rot ökonomisch schlechter geht als überall sonst in Deutschland?

[Benedikt Lux (Grüne): Dank Schwarz-Gelb!]

Glauben Sie im Ernst, dass vor dem Hintergrund ungelöster Fragen bei der Integration, bei der sinkenden Bildungsqualität öffentlicher Schulen und einer zunehmenden Verrohung in einer Gesellschaft, in der zwar nicht das

Geld, aber das Messer zunehmend locker sitzt, der Abbau von über 1 000 Polizeibeamten dazu führt, dass Berlin sicherer wird?

Im Vergleich zu 2002 sind die ermittelten Straftaten bei wesentlichen Kontrolldelikten um fast 45 000 Fälle gesunken. Damit relativiert sich auch das Gerede vom besten Ergebnis seit der Wende.

[Beifall bei der CDU]

Sie können jetzt Ihre eigene Spekulation darüber aufstellen, woran das gelegen hat. Ich behaupte jedoch: Das Rechtsbewusstsein der Täter hat sich nicht sonderlich verändert, und es bleibt bei dem, was schon Ihr ExSenator Thilo Sarrazin in diesem Haus gesagt hat: Je weniger Polizei auf den Straßen unterwegs ist, desto weniger Kriminalität wird festgestellt.

[Beifall bei der CDU]

In der aktuellen, vielgerühmten Statistik räumt der Senator selbst ein, dass allein die Hälfte des scheinbaren Rückgangs der Zahlen von 2009 zu 2010 auf technische Probleme bei der Datenvermittlung bei der BVG zurückzuführen ist. Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass viele Graffitifälle allein deshalb ausblieben, weil die Züge bei der S-Bahn nicht gefahren sind und weil Sprayer nur Spaß an dann auch fahrenden Zügen haben, dann schmilzt das angebliche Sinken der Kriminalität dahin wie ein Traumgebilde durch das hartnäckige Klingeln des Weckers.

[Beifall bei der CDU]

Dieser Wecker ist aber bei Rot-Rot noch nicht angegangen. Sie versuchen hier unverzagt, mit Zahlen zu punkten, die dem täglichen Empfinden der Menschen widersprechen. Vor dem Hintergrund der eben beispielsweise dargestellten technischen Übermittlungsprobleme ist das nicht nur fehlerbehaftet, sondern unredlich.

[Beifall bei der CDU]

Dabei will ich hier gar nicht erst tiefer auf die qualitativen Veränderungen der Taten – hin zu immer brutaleren Vorgängen – oder auf die steigende Belastung von einzelnen Ortsteilen eingehen, die von einer rein rechnerisch sinkenden Durchschnittszahl herzlich wenig haben. Beispielsweise haben wir bei politisch motivierter Kriminalität von links das zweithöchste Niveau der vergangenen Jahre – nach dem Ausreißerjahr 2009. Darüber hinaus ist die Aufklärungsquote erneut gesunken. Die Berliner lassen sich die Mär von der sicherer werdenden Stadt auch nicht aufschwatzen. Gucken Sie mal diesbezüglich in die Kommentare im Netz zu den einschlägigen Artikeln in den Tageszeitungen! Ein Leser hat es dabei auf den Punkt gebracht und gesagt: Wenn es null Polizei gibt, dann wird es auch null erfasste Kriminalität geben. – Das ist in der Tat die Logik von Körtings Statistik.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Benedikt Lux (Grüne)]

Frau Seelig! Sie haben recht, dass bei mehr Polizei die erfasste Kriminalität erst einmal steigen würde, und zwar

so weit, bis es ein realistisches Bild über die Kriminalität in dieser Stadt geben würde. Aber an einem realistischen Bild sind Sie nicht interessiert. Insofern appelliere ich an uns alle, diesen rot-roten Polizeiabwicklungsverein mit seinem Märchenonkel Körting an der Spitze bald zu stoppen. Es ist hohe Zeit. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Beifall von René Stadtkewitz (fraktionslos)]

Das Wort für die Linksfraktion hat die Abgeordnete Seelig. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Innenausschuss am vergangen Montag war es wie immer: Egal, welche Zahlen in der Kriminalitätsstatistik nachzulesen sind, die Oppositionsfraktionen interessieren diese Zahlen nicht. Sie wissen schon vorher, wie sie den Rückgang der Kriminalitätszahlen zu bewerten haben. Es sei vorgegaukelte Sicherheit, es sei Wahltaktik, und im Übrigen gebe es zu wenig Polizisten, oder sie säßen nur in ihren Schreibstuben. Wenn die Jugendgruppengewalt und die Rohheitsdelikte zurückgegangen sind, dann liege das daran, dass es weniger Jugendliche gibt. Daran stimmt natürlich, dass seit 2002 die Anzahl der jungen Menschen in unserer Stadt um fast 11 Prozent abgenommen hat.

[Benedikt Lux (Grüne): Hat die Opposition doch mal recht!]

Doch ihr Anteil an den Tatverdächtigen sank um 30 Prozent. War dann letztlich nicht doch etwas anderes für den Rückgang der Kriminalität ursächlich? Polizeipräsident Glietsch sagte bei der Präsentation der Kriminalstatistik, einer der Gründe könnte die gute Arbeit von Polizei und Justiz sein. Diesem Satz wollen wir uns ausdrücklich anschließen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Polizei und Justiz haben in den letzten Jahren das erfolgreiche Intensivtäterkonzept entwickelt und es mit dem Schwellentäterkonzept weitergeführt. Das Neuköllner Modell – Kollege Zimmermann wies bereits darauf hin –, das vorsieht, Jugendliche zeitnah mit Sanktionen zu konfrontieren, wenn sie straffällig geworden sind, wird berlinweit umgesetzt und hat etwas mit erfolgreicher Polizeiarbeit zu tun.

Der Polizeipräsident machte auch deutlich, dass es zutreffe, dass es weniger Polizisten und Polizistinnen gebe als noch vor Jahren. Das bestreitet ja niemand. Er zeigte aber, dass dies nicht – wie von der Opposition angeführt – der Hauptgrund für den Rückgang der erfassten Straftaten sein könne. Wenn Kontrolldelikte nur 15 Prozent aller Straftaten ausmachen – dazu zählt z. B. Drogenhandel oder Schwarzarbeit –, dann kann man die Tatsache, dass in Berlin seit 2002 die Zahl der registrierten Straftaten um 18,7 Prozent gesunken ist, nicht darauf zurückführen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Jan Thomsen hat in der „Berliner Zeitung“ die Präsentation der diesjährigen Kriminalitätsstatistik eindrucksvoll als eine Erfolgsbilanz unseres jetzt leider scheidenden Polizeipräsidenten dargestellt. Auch hier sagt meine Fraktion: Dieser Sicht schließen wir uns an.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ich widerspreche meinem Innensenator nur ungern, aber wenn er sagt, die Zahlen dieser Kriminalitätsstatistik seien unspektakulär, dann verengt er die Sicht auf die Straftatenerfassung zwischen 2009 und 2010. Seit 2002 ist die Gesamtzahl der registrierten Straftaten – ich wiederhole es gern – quer durch alle Deliktbereiche um 18,7 Prozent gesunken.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Auch im Vergleich mit dem Bundestrend, wo zurzeit gerade bei den Rohheitsdelikten die Zahlen ansteigen, steht Berlin gut da. Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass das die Straftaten sind, vor denen die Bürgerinnen und Bürger sich fürchten. Sie fürchten sich davor, Opfer von Gewalt zu werden, und hier muss Sicherheitspolitik ansetzen.

[Benedikt Lux (Grüne): Einbruch doch auch!]

Natürlich ist es auch nicht hinnehmbar, dass die verschiedenen Formen der Eigentumsdelikte um 3 Prozent angestiegen sind. Einbruch ist dabei auch ein Delikt, das Menschen ziemlich tief in ihrem Inneren angreift und verletzt. Da hat die FDP nicht unrecht, dass man sich auch um diese Eigentumsdelikte verstärkt kümmern muss, aber es widerlegt auch eine andere steile These der Opposition, wonach die Menschen aus lauter Resignation Diebstähle gar nicht mehr anzeigen würden. Das machen sie offensichtlich, sonst hätten wir dort keine steigenden Prozentzahlen. Im Übrigen weiß jeder, dass eine Versicherung nicht bezahlt, wenn man nicht zur Polizei geht. Also ist auch das wieder eine haltlose These.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Björn Jotzo (FDP): Es ist nicht jeder versichert!]

Was mich ziemlich erstaunt hat, war der Schwerpunkt, den die Grünen neuerdings setzen, nämlich die gestiegene Zahl der Sachbeschädigungen. Geht es in erster Linie um Graffiti? Graffiti sei besorgniserregend und trage dazu bei, dass sich die Menschen weniger sicher fühlen.

[Benedikt Lux (Grüne): Das ist doch Quatsch!]

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich gemeinsam mit einer gewissen Renate Künast hier im Hause gegen die Broken-windows-Theorie des New Yorker Polizeipräsidenten Bratton gestritten habe, die bei der CDU damals ungeheuer beliebt war. Die Zeiten ändern sich – bei den Grünen sogar rasant.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Beifall von Björn Jotzo (FDP)]

Sie werden nie eine Polizeistärke haben, die es nicht erforderlich macht, Prioritäten zu setzen. Ansonsten würden wir in einem Polizeistaat leben. Aber unsere Prioritäten

sind ganz klar da, wo es um Leben und Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger geht. Mir ist es wichtiger, den Feuerteufeln von Marzahn und Neukölln das Handwerk zu legen, als Sprayer auf frischer Tat zu ertappen. Das sage ich ganz offen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Bei der Entwicklung der Eigentumsdelikte spielen auch Faktoren wie Eigensicherung und technische Möglichkeiten eine Rolle. Als vor etlichen Jahren die Zahl der Autodiebstähle plötzlich erheblich abnahm, konnte man feststellen, dass die Industrie gerade ihre Wegfahrsperren verbessert hatte. Jetzt haben Straftäter offensichtlich nachgerüstet. Damit will ich sagen: Kriminalitätsbekämpfung ist nicht nur Aufgabe der Polizei.

[Beifall von Benedikt Lux (Grüne)]

Das trifft auch auf andere Bereiche zu. Die Polizei kann nicht Armut oder Verwahrlosung bekämpfen. Das sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, bei denen die Polizei ein Akteur unter vielen ist.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Benedikt Lux (Grüne)]