Für die Besprechung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden können. Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Zimmermann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Öffentliche Sicherheit zu organisieren und die Menschen vor Kriminalität zu schützen, sind zentrale staatliche Aufgaben. Wir haben uns diesen Aufgaben in unseren Regierungsprogrammen von 2001 und 2006 gestellt, wir haben diese abgearbeitet, und ein Ergebnis ist: Die Gefahr, in Berlin Opfer einer Straftat zu werden, ist geringer als noch vor zehn Jahren.
Die Kriminalität ist im Vergleich zu 2002 um insgesamt 18,7 Prozent gesunken und damit auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung angekommen. Wir können feststellen: Berlin ist trotz mancher Unkenrufe eine sichere Metropole.
In nahezu allen Deliktfeldern sind in der Langfristbetrachtung von 2002 bis 2010 die Straftaten zurückgegangen, teilweise geringfügig, teilweise aber auch deutlich, so etwa bei den Straftaten gegen das Leben, also Mord und Totschlag, minus 33 Prozent, Raub minus 32 Prozent, Raubüberfall auf Straßen, Wegen und Plätzen sogar über 50 Prozent, Sexualdelikte minus 19 Prozent, gefährliche und schwere Körperverletzung minus 10 Prozent. Dieser Trend wird eindeutig bestätigt durch den Einjahresvergleich von 2009 auf 2010, der deshalb eindrucksvoll ist, weil im Bund die Zahlen teilweise, etwa bei Rohheitsdelikten und Körperverletzung, ansteigen. Eine klare Botschaft dieser aktuellen Statistik ist also: Schwere und schwerste Gewalttaten sind in Berlin spürbar rückläufig, und wir werden tun, was möglich ist, damit dieser Trend auch anhält.
Die positive Entwicklung in diesen und anderen Deliktfeldern hat mehrere Gründe. Zuallererst ist sie das Verdienst der Berliner Polizei, die tagtäglich durch Gefahrenabwehr und Verbrechensbekämpfung für Sicherheit sorgt und uns erneut erfreuliche Ergebnisse ihrer schwierigen Arbeit vorlegen kann. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir
uns in diesem Haus in dieser Aktuellen Stunde auch ausführlich damit beschäftigen und diese Arbeit würdigen.
Der Zugewinn an Sicherheit hat auch zu tun mit dem gewachsenen Vertrauen in eine Polizei, die sich weiterentwickelt und weiterqualifiziert hat. Mit dem Polizeipräsidenten Dieter Glietsch ist die Berliner Polizei zu einer modernen Großstadtpolizei geworden, die in vielem Vorbild für andere Bundesländer ist, die gezielt und effizient auf Kriminalitätsschwerpunkte reagiert und die bei Großlagen wie auch bei Kiezeinsätzen überlegt und besonnen vorgeht. Die Zeiten, in denen die Polizei selbst Gegenstand eher peinlicher Debatten war, sind vorbei. Dieses Ansehen der Polizei in der Bevölkerung ist von unschätzbarem Wert für die innere Sicherheit in der Stadt.
Ich bin froh darüber, dass unsere Sicherheitskonzeption in der Öffentlichkeit – nicht nur bei der „Berliner Zeitung“ und dem „Tagesspiegel“ – verstanden wird. Sie folgt Grundsätzen, die unter früheren Senatoren, ob sie Werthebach oder Heckelmann oder Kewenig hießen, eben nicht selbstverständlich waren.
Ich nenne drei Punkte in aller Kürze. Erster Punkt: Vorbeugen ist besser als Nachsorgen. Wir haben der Prävention und der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung – zwei verschiedene Dinge übrigens – einen höheren Stellenwert eingeräumt. Die Polizei und andere Behörden sind präventiv deutlich stärker unterwegs als früher. Und wir wollen Straftaten dadurch verhindern, dass kriminelle Strukturen möglichst frühzeitig aufgedeckt werden. Dazu haben wir – nicht Sie – das ASOG geändert und die Observationsmöglichkeiten der Polizei verbessert, sodass insbesondere Hooligans, rechtsextreme Gewalttäter, der Drogenhandel oder andere Formen der organisierten Kriminalität effektiver bekämpft werden können.
Zweites Stichwort, das ich nennen möchte, ist die Vernetzung und die täterorientierte Ermittlungsstruktur in verschiedenen Feldern. Wir haben mit dem Intensivtäterkonzept eine gezielte Strategie zur Erfassung und Verurteilung von Mehrfach- und Vielfachtätern umgesetzt – die meisten von ihnen sitzen übrigens im Gefängnis –, systematisch ergänzt durch das Schwellentäterkonzept und das Neuköllner Modell zur beschleunigten Anwendung des vereinfachten Jugendverfahrens, das nun auf die ganze Stadt ausgeweitet wird.
Mit schnellen und koordinierten Reaktionen von Polizei, Justiz, Schule und Jugendämtern werden Jugendliche vor dem Abgleiten in Kriminalität bewahrt. Dennoch brauchen wir für Einzelfälle – das will ich auch festhalten – eine verbindliche Betreuung, die wir auch jetzt einrichten werden.
Mit der Strategie der Deeskalation bei Demos und Großveranstaltungen setzen wir auf Kooperation mit gesellschaftlichen Gruppen und auf die ausgestreckte Hand statt auf Konfrontation. Bei Konflikten haben beweissichere Festnahmen Vorrang vor wuchtigen, aber eher diffusen Operationen. Diese Strategie hat sich über Jahre bewährt, und wir hoffen, dass auch in diesem Jahr der Tag der Arbeit weitestgehend gewaltfrei gefeiert wird.
Wir werden in der Debatte sicher gleich hören, dass die guten statistischen Werte mit der Wirklichkeit nichts zu tun hätten und eigentlich nur auf zwei Umstände zurückzuführen seien, nämlich den demografischen Wandel und das hohe Dunkelfeld aufgrund einer zu geringen Polizeistärke. An beiden Einwänden ist durchaus etwas dran.
Selbstverständlich kommt uns hier die Demografie zugute, denn wenn weniger junge Männer da sind, haben wir auch tendenziell weniger gewaltbereite junge Männer. Aber dies ist wiederum auch nur ein statistischer Wert und damit keine bessere Erkenntnisgrundlage als die Statistik im Übrigen. Erst recht ist dadurch ein Rückgang der Jugendkriminalität um 22 Prozent gegenüber dem letzten Jahr überhaupt nicht hinreichend zu erklären.
Selbstverständlich könnten mehr Polizisten auch mehr Kontrollen durchführen. Nur: Die Kontrolldelikte machen rund 15 Prozent der gesamten Deliktgruppen aus, die in der Statistik dargestellt werden. Und bei allem anderen, was angezeigt wird oder sonst der Polizei bekannt wird, ist die Personalstärke der Polizei für die Erfassung dieser Daten irrelevant – allenfalls für die Dauer der Bearbeitung relevant. Also lässt sich festhalten: Der positive Trend in der Kriminalstatistik ist durch diese von Ihnen doch etwas aufgeblasenen Argumente überhaupt nicht zu entkräften. Der positive Trend bleibt erhalten.
Das Sicherheitskonzept, das wir gemeinsam über zehn Jahre entwickelt haben, greift. Die Kennziffern weisen in die richtige Richtung.
Dennoch ist längst nicht alles gut. Wir sind weit davon entfernt, die Dinge schönzureden. Die Ursachen, die gesellschaftlichen Konflikte, die Kriminalität begünstigen, sind nach wie vor vorhanden. Deshalb müssen die Anstrengungen in der Sicherheitspolitik mit gleicher Intensität fortgesetzt werden. Welche Aufgaben liegen vor uns? – Ich gebe denjenigen recht, die vor Tendenzen der Verwahrlosung im öffentlichen Raum und vor Gefahren warnen, die immer wieder neue Kriminalitätsformen verursachen. Wir müssen feststellen, dass ganze Straßenzüge verkommen, weil die Gewerbemieten hochgetrieben und Einzelhändler vertrieben werden und weil Spielhallen und Wettbüros oder Leerstand Platz greifen. Die Verwertungsinteressen Einzelner zerstören teilweise innerstädtische Strukturen des Zusammenlebens und des Handels,
und was wir mindestens brauchen, ist ein konsequentes Vorgehen gegen solche Verwahrungslosungstendenzen öffentlicher Räume.
Dazu gehören das Ausschöpfen des Planungsrechts und die Begrenzung des Mietanstiegs ebenso wie das Quartiersmanagement und eine aktivierende Präventionsarbeit in den Kiezen. Die Instrumente dafür sind vorhanden oder werden geschaffen – siehe Spielhallengesetz –, oder sie müssen auf Bundesebene geregelt werden – siehe Miethöhe –, aber ich glaube, da müssen wir noch etwas baggern, bis auf Bundesebene etwas passiert.
Ein zweites Stichwort zu dem, was wir tun müssen: Die Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr muss erhöht werden. Videoüberwachung ist ein Hilfsmittel zur Strafverfolgung, bietet aber keinen hinreichenden Schutz in diesem Bereich. Deswegen müssen wir Personal auf die Bahnhöfe und in die Züge bringen. Das kostet Geld – darauf hat der Regierende Bürgermeister völlig zu Recht hingewiesen. Es gibt aber zwei Möglichkeiten: Entweder die Nutzer bezahlen das, oder die Allgemeinheit bezahlt das über den Landeshaushalt. Hier ist noch nichts entschieden. Wir werden es prüfen. Klar ist: Es muss Personal in diesen Bereich kommen.
Ich will einige Stichworte in aller Kürze nennen: Die Integration, und zwar die soziale Integration gleich welcher Ethnie, ist die beste Prävention. Wir müssen weiter den Migrantenanteil bei Polizei und Feuerwehr erhöhen. Wir müssen überhaupt mit dem Einstellungskorridor bei der Polizei dafür sorgen und sicherstellen, dass die 16 160 Stellen bei der Polizei tatsächlich besetzt werden können. Denn diese Zahl ist ausreichend, aber auch erforderlich für die Erfüllung der polizeilichen Aufgaben.
Und schließlich: Der moderne Strafvollzug schafft bessere Voraussetzungen für Resozialisierung, geringere Rückfallquoten und damit mehr Sicherheit. Deswegen werden wir die neue Vollzugsanstalt Heidering bauen.
Ich möchte auf eine Deliktsgruppe hinweisen, die sich in einem desaströsen Zustand zeigt. Das ist die Wirtschaftskriminalität. Wir sehen, dass wir unter dem geltenden Recht keine Chance haben, die vorhandenen Taten vernünftig abzuurteilen. Wir haben ein zahnloses Wirtschaftsstrafrecht.
Wir müssen dafür sorgen, dass wir zu einer schärferen Managerhaftung kommen, damit wir auch in diesem wichtigen Deliktsfeld weiter vorankommen. Wir werden dazu die Initiative ergreifen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Tue Gutes und rede darüber – das ist ein altbekanntes Motto auch des politischen Marketings. Deshalb wird heute von Rot-Rot versucht, in einem dritten Aufguss – nach Presseberichterstattung und Innenausschuss – darüber zu reden, wie erfreulich und scheinbar zunehmend sorgloser es um die Entwicklung der Kriminalität in Berlin bestellt sei. Doch ich stelle die Frage: Ist es wirklich so viel Gutes, über das wir dabei zu berichten hätten? Oder ist nicht vielmehr die Hoffnung beim Senat der Vater des Gedankens, einmal die täglichen Meldungen über zunehmend brutalere Vorgänge in dieser Stadt übertrumpfen zu können – Meldungen wie die vom 12. Februar, wo ein 30-jähriger Passant auf dem U-Bahnhof Lichtenberg von einer Gruppe jugendlicher Schläger ins Koma geprügelt wurde? Oder Meldungen wie die vom 31. März, wo ein Siebenjähriger einen Neunjährigen auf einem Spielplatz in Tempelhof mit einem Messer die Lippe aufgeschnitten hat? Oder Meldungen wie die vom 26. März, wo ein 23-Jähriger auf einem U-Bahnhof in der City West von einer Gruppe von Schlägern angegriffen wurde, angeblich wegen einer Zigarette, die er nicht anbieten konnte? – Aus dem gleichen Grund wurde übrigens zwei Nächte später ein 42-Jähriger in Hohenschönhausen krankenhausreif geprügelt. – Oder sind es Meldungen wie die vom 11. April, als vermummte linksextremistische Verbrecher, den Tod von Menschen in Kauf nehmend, einen heimtückischen Brandanschlag auf den Polizeiabschnitt 51 in Friedrichshain verübt haben? Oder ist es eine Meldung wie die von gestern, wo sich 40 Rocker in einem Ein
Diese Aufzählung bietet nur einen kleinen Überblick von Vorfällen aus der allerjüngsten Vergangenheit. Diese Aufzählung ist aber mehr als das: Sie spiegelt wider, warum die Berliner Angst vor Kriminalität in ihrer Stadt haben. Sie spiegelt auch wider, dass den Berlinern das Gefühl, in einer sicheren Stadt zu leben, mehr und mehr abhandenkommt.
Es ist spannend, der Frage nachzugehen, wer recht hat: der Senator mit seinen scheinbar unbestechlichen Zahlen, die man sich – wie er immer so schön sagt – ganz nüchtern ansehen müsse, oder aber die vielen Menschen mit ihrem Bauchgefühl. Die blindgläubigen Unterstützer des Senats hier im Haus werden mir jetzt natürlich populistische Angstmacherei vorwerfen.