Protokoll der Sitzung vom 09.06.2011

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.4:

Antrag

Menschen mit Behinderungen nicht im Stich lassen – Berliner Mobilitätshilfedienste umgehend dauerhaft sichern

Antrag der CDU Drs 16/4214

Das ist die Priorität der CDU mit Tagesordnungspunkt 45. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von fünf Minuten zur Verfügung. Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Kollege Hoffmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ist es nicht Realsatire, wenn die ehemalige rote Sozialsenatorin in ihrer Leib- und Magenpresse unter der Rubrik „Fragwürdig“ die Bundespolitik für einen beklagenswerten Zustand

verantwortlich macht, den sie selbst in ihrer Amtszeit verschuldet hat?

Worum geht es? – Es geht um die Mobilitätshilfedienste, die Menschen mit Behinderungen unterstützen, aus ihren Wohnungen zu kommen, um am täglichen Leben teilhaben zu können. Mit ihren Schiebediensten bringen sie die Betroffenen zum Einkaufen, zum Arzt, zu Behörden, zum Treff mit Freunden oder fahren sie einfach nur spazieren. Diese Dienste wurden über den Ligavertrag finanziert, den es nicht mehr geben wird, weil die Nachfolgesenatorin harte Kante gegen die Treberhilfe zeigen wollte und deshalb gleich alle anderen Träger mit in die Haftung genommen hat.

Das heißt, niemand weiß, ob und wie die im Vertrag vereinbarten Leistungen weiter finanziert werden. Dabei stecken die Mobilitätshilfedienste in einem doppelten Dilemma. Auf der einen Seite mussten sie Kürzungen von über 300 000 Euro verkraften, indem feste Stellen reduziert und ganze Dienste eingedampft wurden, auf der anderen Seite wurde ihnen falsche Sicherheit durch RotRot suggeriert, indem das Verfahren gewählt wurde, die eigentlichen Basisdienstleistungen an den Menschen über Arbeitsmarktfördermittel zu gewährleisten. Das war ein kapitaler Fehler!

[Beifall bei der CDU]

Schon bei der Einführung dieser Hilfskonstruktion haben Experten davor gewarnt, dass es ein Desaster geben könnte, wenn sich der Arbeitsmarkt einmal erholt und die erforderlichen MAE-Kräfte nicht mehr zur Verfügung stehen. Dieser Zustand ist jetzt eingetreten. Es fehlen 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und was macht die ehemalige Sozialsenatorin? – Sie hat nichts Besseres zu tun, als ihr Schwarzer-Peter-Spiel weiter zu betreiben.

Nun könnte es ja sein, dass die zuständige Senatsverwaltung, die nun auch den Ligavertrag mit seinen Aufgaben an sich gezogen hat, bereits über ein Zukunfts- und Finanzierungskonzept für die Mobilitätshilfedienste verfügt. Doch angesichts der letzten Nachfragen im Sozialausschuss kann davon keine Rede sein. Das ist wieder ein Skandal von Rot-Rot in der Sozialwirtschaft in Berlin!

[Beifall bei der CDU]

Dieser Senat ist aber in der Pflicht, die Mobilität behinderter Menschen zu unterstützen. Das ist gesetzlich in vielen Vorschriften geregelt, und das ist gut so, dass es gesetzlich geregelt ist.

Deshalb dringen wir darauf, dass er die Mobilitätshilfedienste ausreichend finanziell absichert und dabei seinen eigenen Zielvorgaben folgt. Ich zitiere aus der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der CDU-Fraktion:

Das Leitziel in der in 2007 durchgeführten Strukturreform ist weiterhin der Aufbau eines bestandsfähigen Systems.

Dieser eigenen Forderung müssten Sie mal nachkommen. Es ist erschreckend, dass Sie das nicht tun!

[Beifall bei der CDU]

Deshalb ist es nicht nur ein Aufruf, es ist eine Forderung an Sie, an die Regierungskoalitionen: Werden Sie nicht wortbrüchig! Handeln Sie nach den gesetzlichen Vorgaben, und nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung wahr und sparen nicht bei denen, die dringend der Hilfe bedürfen, nämlich bei den Behinderten! – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Beifall von Jasenka Villbrandt (Grüne)]

Vielen Dank, Herr Kollege Hoffmann! – Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Monteiro.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mehr als 5 000 Menschen nutzen jährlich die Angebote der Mobilitätshilfedienste, insgesamt werden pro Jahr mehr als 330 000 Begleitungen durchgeführt. Hinter jeder Zahl steht ein Mensch mit seinem persönlichen Schicksal.

Im März dieses Jahres waren fünf Frauen in meiner Bürgersprechstunde, die die Begleitung des Lichtenberger Mobilitätshilfedienstes domino in Anspruch nehmen. Sie haben am Beispiel ihrer persönlichen Lebensumstände und gesundheitlichen Beeinträchtigungen geschildert, welche enorme Bedeutung die Arbeit der Mobilitätshilfedienste für die Sicherstellung ihrer persönlichen Mobilität hat. Zugleich haben sie auf die Probleme hingewiesen, die sich aus der Reduzierung der über das Jobcenter geförderten Beschäftigungsstellen ergeben haben. In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass die derzeitige Senatsfinanzierung für die Mobilitätshilfedienste vor allem deren vernetzende und weiter vermittelnde Rolle finanziert. Herr Hoffmann! Darauf sind Sie leider mit keinem Wort eingegangen. Es ist unbestritten, dass es Hilfen für Menschen geben muss, deren Mobilität eingeschränkt ist. Die Wege, dies sicherzustellen, sind vielfältig.

Damit komme ich zum vorliegenden Antrag der CDUFraktion. Erste Bemerkung: Die CDU-Fraktion fordert im vorliegenden Antrag den Senat auf, bei der Arbeit der Mobilitätshilfedienste auf Teilnehmer in Beschäftigungsmaßnahmen zu verzichten und diese Stellen stattdessen über den Landeshaushalt zu finanzieren. Dabei beziehen Sie sich auf eine Summe von 300 000 Euro, die in der Vergangenheit im Berliner Landeshaushalt eingespart worden ist. Bei wohlmeinender Betrachtung kann ich dazu sagen: geheimnisvoll die CDU-Fraktion, sehr geheimnisvoll! Bei kritischer Betrachtung kann man zu einem anderen Schluss kommen: Rechenkünste mangelhaft. Herr Hoffmann! Ich habe Sie bereits am 14. April 2011 zu Ihrem Verhältnis zu Zahlen befragt. Ich erkläre es Ihnen gern. Laut Abfrage in der Konzept-AG der senatsgeförderten Mobilitätshilfedienste sind pro Bezirk 30 bis 40 Helferinnen und Helfer bei den Mobi

litätshilfediensten notwendig, um die Nachfrage der mobilitätsbehinderten Bürgerinnen und Bürger erfüllen zu können. Geht man der Einfachheit halber von durchschnittlich 35 Stellen pro Bezirk aus, bedeutet das 420 Stellen. Bei 420 Stellen und einer Wochenarbeitszeit von 30 Stunden ergibt sich bei einem Etat von 300 000 Euro rechnerisch ein Stundenlohn von 57 Cent.

[Gregor Hoffmann (CDU): Das ist ja albern, was Sie rechnen!]

57 Cent pro Stunde, Herr Hoffmann, ist das wirklich Ihr Ernst? Oder haben Sie das alles anders gemeint, aber leider nicht im Antrag niedergeschrieben, weil Sie es nicht verstehen?

[Beifall bei der SPD]

Ich bitte Sie, das spätestens bei der Beratung im Ausschuss aufzuklären. Damit Sie die Zahlen bei der Aufklärung nicht wieder unnötig verwirren, habe ich den Mehrbedarf bei einem angenommenen, noch unter dem Mindestlohn liegenden Arbeitgeberbruttolohn von 7,50 Euro berechnet. Ich komme dabei auf einen Finanzbedarf von 3,95 Millionen Euro.

[Gregor Hoffmann (CDU): Das ist doch absurd!]

3,95 Millionen Euro abzüglich der von Ihnen in Anschlag gebrachten 300 000 Euro ergäbe immer noch einen Mehrbedarf von 3,65 Millionen Euro pro Jahr. Ist es das, was Sie mit Ihrem Antrag fordern? Dann formulieren Sie es bitte klar und deutlich. In der vorliegenden Form ist es mir leider nicht möglich, Ihre Worte für bare Münze zu nehmen.

Zweite Bemerkung: Die CDU-Fraktion bezieht sich in dem Antrag auf die UN-Behindertenrechtskonvention sowie bundes- und landesrechtliche Regelungen. Wie es der Zufall will, stand gestern im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Bundestages ein Antrag von Union und FDP zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf der Tagesordnung. Herr Hoffmann! Sie werden wissen, dass dieser Antrag die Umsetzung der UN-Konvention unter einen pauschalen Haushaltsvorbehalt stellt. Vielleicht können Sie bei der Ausschussbehandlung aufklären, wie das zu Ihrem Antrag passt.

[Beifall bei der SPD – Beifall von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Dritte Bemerkung: Der Bund kürzt im Jahr 2011 erheblich die Zuweisung für Beschäftigungsmaßnahmen. Für Berlin-Brandenburg geht es hierbei um ein Minus von 50 bis 60 Prozent. Anschließend fordert die Partei, die für diese Kürzung im Bund verantwortlich ist, den Senat von Berlin auf, in dem die CDU gottlob keine Verantwortung trägt, diese wegfallenden Mittel aus Landesmitteln auszugleichen? Verstehe ich das richtig? Ich bin gespannt, wie die CDU-Fraktion dies in ihrer Mobilität eingeschränkten Bürgerinnen und Bürgern erklärt. Unterschätzen Sie nicht den Verstand der Menschen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat die Kollegin Villbrandt.

[Zuruf von der CDU]

Das muss eigentlich immer angemeldet werden. Bitte schön, Herr Kollege Hoffmann, Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention.

Werte Kollegin! Sie rechnen hier ein Beispiel vor, das überhaupt nicht in einem Zusammenhang zu sehen ist. Sie müssen Ihre Verantwortung für das Angebot sehen. Wir haben das Angebot in Berlin gehabt. Wir haben es im Landeshaushalt über die sozialen Liga-Verträge finanziert. Ihr Senat hat die Liga-Verträge aufgekündigt, Ihr Senat hat damals die Kürzungen vorgenommen, und heute beklagt derselbe Senat, oder besser noch die alte Senatorin, dass der Bund schuld sei an der Entscheidung, die Sie selbst getroffen haben. Wer hier die Leute in die Irre führt, das sind Sie!

[Beifall bei der CDU]

Zur Erwiderung die Kollegin Monteiro!

Sehr geehrter Herr Hoffmann! Ich habe vielleicht den Fehler gemacht, Ihren Antrag für bare Münze zu nehmen. Das sollte man nicht tun. Wenn Sie etwas anderes meinen, dann schreiben Sie es bitte in den Antrag.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Das Wort hat jetzt die Kollegin Villbrandt von den Grünen.

Meine Damen und Herren! Frau Monteiro! Herr Hoffmann hat schon recht: Sie haben sich die ganze Zeit davor gedrückt, zum Thema, zum Problem zu reden.

[Beifall bei der CDU]

Es gibt Tausende Gründe, um die Mobilität der Menschen zum Thema zu machen, vor allem in einer älter werdenden Gesellschaft, in der neben den Menschen mit krankheits- oder behindertenbedingten Mobilitätseinschränkungen auch die Bürgerinnen und Bürger hinzu kommen, die alt sind und ein bisschen unbeweglich geworden sind, aber trotzdem in ihrer vertrauten Umgebung, in ihrer Wohnung bleiben wollen. Denen allen muss geholfen werden, damit sie mobil bleiben. Dabei habe ich noch nicht die künftige demografische Bedarfslage ins Visier genommen, die kommt noch hinzu.

Ein moderner Sozialstaat sollte die Teilhabe aller Menschen an gesellschaftlichem Leben sichern. Mobilität gehört dazu. Sie ist eine Grundlage der Teilhabe. Die Mobilitätshilfedienste, das hat Herr Hoffmann richtig gesagt, sind viele Jahre über den Liga-Vertrag finanziert worden. Im Rahmen der sogenannten Umstrukturierung wurden von Ihnen, meine Damen und Herren von RotRot, 350 000 Euro gestrichen. Das bedeutete eine Reduzierung der Mobilitätshilfedienste, Standorte mussten aufgegeben werden, nennen wir es beim Namen: Damit haben Sie 2006 de facto die ehrenamtlichen Strukturen im Bereich der Mobilitätshilfedienste zerstört.

[Heidi Kosche (Grüne): Hört, hört!]

Ausgerechnet Die Linke, die keine Gelegenheit ausgelassen hat, um gegen Ein-Euro-Jobs im Bund zu protestieren, setzt in Berlin dieses Instrument bevorzugt und massenhaft im Bereich der Mobilitätshilfedienste ein. Damals hat die zuständige Staatssekretärin, Frau Leuschner, gesagt: