Protokoll der Sitzung vom 22.03.2007

gebe keinen Grund, dass Eltern das Mittagessen ihrer Kinder an gebundenen Ganztagsgrundschulen nicht bezahlten, da selbst Hartz-IV-Empfänger in ihrem Regelsatz ausreichend Geld vorfänden. Wir sollten aber wissen, dass die Regelleistung für Kinder unter 14 Jahren nur 207 € pro Monat beträgt. Davon sind ca. 80 € für Essen und Getränke vorgesehen. Das sind ca. 2,60 €, von denen ein Kind den ganzen Tag – zu Hause und in der Schule – ernährt werden soll. Bedenkt man, dass davon 40 % auf das Mittagessen entfallen, bleibt von 2,60 € nur ca. 1 € für die Mittagsmahlzeit übrig. In dem uns vorliegenden Antrag der FDP wird die Einführung einer Essenspflicht gefordert. Außerdem wollen Sie, dass bei Kindern, deren Familien von staatlichen Transferleistungen leben, der Essensbetrag direkt an den Caterer überwiesen wird.

Wie ist unsere Position zu dieser Frage? – Aus unserer Sicht müssen ausnahmslos alle Grundschüler, die einen ganzen Tag in der Schule verbringen, mit einem warmen Mittagessen versorgt werden, natürlich einschließlich der notwendigen Getränke. Die Frage ist jetzt, welche Möglichkeiten dafür bereits bestehen bzw. welche wir schaffen müssen.

Ein Blick über das Land Berlin hinaus ist manchmal ganz hilfreich. Es wurde schon gesagt, verschiedene Bundesländer befassen sich mit dieser Problematik ebenfalls. Sie haben dieses Problem aus der Sicht der Kinder offensichtlich etwas früher erkannt als wir. Das zeigt unter anderem ein Antrag des CDU-regierten Saarlands an den Bundesrat. Ich zitiere einen Satz:

Es zeigt sich zunehmend, dass die im Rahmen des SGB II vorgesehenen monatlichen Regelleistungen nicht ausreichen, um das Mittagessen für Schülerinnen und Schüler, die ein Ganztagsschulangebot nutzen oder nutzen möchten, bezahlen zu können.

Doch es gibt auch hier in Berlin verschiedene Modelle, die diskutiert werden. Einige Kollegen haben sie genannt. Der Berliner Ganztagsgrundschulverband hat ein solches Modell auf einer Veranstaltung im Dezember vorgestellt. Ich denke, wir müssen diese Vorschläge und Anregungen – dem Brief vom Landeselternbeirat habe ich noch nicht bekommen – im Ausschuss gründlich prüfen, denn es muss im Interesse der Kinder gehandelt werden. Da befinden wir uns, glaube ich, überparteilich auf einer Ebene. – Danke schön!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Frau Dr. Barth! – Ihnen folgt jetzt Frau Jantzen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte Frau Jantzen, Sie haben das Wort!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Barth! Wir diskutieren das Thema Schulessen in dieser Stadt seit mindestens zwei Jahren. Sie waren damals schon an der

Regierung. Ich bedauere, dass Sie bis heute noch keine Lösung gefunden haben. Das ist längst überfällig.

[Beifall bei den Grünen]

Noch einmal für alle, damit Sie wissen, worüber wir diskutieren: Der Antrag der FDP hat die Überschrift „Keine hungernden Kinder an Berliner Schulen – Schulspeisungen zu integralem Bestandteil an gebundenen Ganztagsschulen entwickeln!“ Zugegeben, Frau Senftleben, damit wird ein gravierendes Problem an den Berliner Schulen aufgegriffen, allerdings eines, das nicht nur an den gebundenen Ganztagsschulen existiert.

Auch wir halten es für ein Unding, dass Erzieherinnen oder Erzieher, Lehrerinnen oder Lehrer bei der Essensausgabe stehen und Kinder, deren Eltern entweder den Vertrag nicht abgeschlossen oder nicht bezahlt haben, aussortiert und vom Essen ausgeschlossen werden. Das kann so nicht sein. Das ist zutiefst unsozial und grenzt Kinder aus. Es gibt Schulen, die es geschafft haben, gute Lösungen zu finden. Sie haben mit dem Caterer die Vereinbarung, dass der Nachschlag gleich mitgeliefert wird. Da werden die Schüsseln und Teller auf die Tische gestellt, und alle Kinder können sich bedienen. Es gibt Lösungen, die machbar sind, aber wir können es den Schulen nicht allein überlassen.

Der Antrag, Frau Senftleben, wird der Problematik von hungernden Kindern und der Essensversorgung in den Schulen nicht gerecht. Wir haben inzwischen an den Gymnasien Kinder, die durch die Schulzeitverkürzung auch den ganzen Tag in der Schule sind. Wir haben immer noch Schulen, die noch nicht einmal eine Cafeteria und damit eine Möglichkeit haben, wo Kinder sich etwas zu essen holen können. Das sollten wir auch beachten.

Der Zusammenhang von Armut und Gesundheit ist schon angesprochen worden. In Berlin lebt jedes dritte Kind unter 15 Jahren in Armut, das sind rund 200 000 Kinder. Es gibt immer mehr Schulen, die klagen, dass Kinder ohne Frühstück kommen. Die Berliner Tafel allein versorgt 3 000 bis 4 000 Kinder mit Essen, und Schulen in benachteiligten Gebieten werden Frühstücksbeutel für 20 Cent angeboten.

[Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

Worauf Sie sich beziehen, sind die durchschnittlich 10 Prozent Kinder an den gebundenen Ganztagsschulen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht am Essen teilnehmen, ein Großteil aus finanziellen Gründen. Es ist klar, mit leerem Magen lernt sich’s schlecht. Dass die Schulverpflegung ein integraler Bestandteil einer guten und gesunden Schule insgesamt und der gebunden Ganztagsschule wie der offenen Ganztagsschule sein muss, steht in der Koalitionsvereinbarung und sogar in der Regierungserklärung. Das wird der Senat nicht müde zu betonen. Wichtig dabei ist eine gute Qualität. Das sind Räume, in denen Kinder in Ruhe und unter guten Bedingungen essen können. Es ist auch wichtig, dass kein Kind abhängig vom Geldbeutel der Eltern von diesem Essen ausgeschlossen wird.

Ein Blick in andere Länder lohnt. England, Schottland, Österreich haben Qualitätskriterien. Da gibt es Zuschüsse für einkommensarme Kinder. Portugal hat erkannt, dass die hohe Zahl übergewichtiger Kinder dringenden Handlungsbedarf nach sich zieht und hat eine Kampagne aufgelegt, wo jede Schule eine Ernährungsassistentin bekommt, damit die Kinder in Zukunft besser ernährt werden. Schweden und Finnland wären das Beispiel, wo das Essen kostenlos für alle Kinder als Bestandteil der Schule angeboten wird.

[Mieke Senftleben (FDP): Finnland nicht!]

Das Ganze ist vernetzt und gebunden an eine Ernährungserziehung in der Schule. Wie wir wissen, wird immer weniger zu Hause gekocht. Kinder werden schlecht ernährt. Deswegen wäre dies auch für uns ein gutes Beispiel. Das wäre auch – –

Entschuldigung, Frau Jantzen! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Lindner?

Bitte!

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Der hat Hunger!]

Frau Kollegin Jantzen! Teilen Sie nicht meine Auffassung, dass Eltern, die Leistungen, die sie vom Staat empfangen – Kindergeld und weitere Ersatzleistungen – bei Hartz-IV-Empfängern

[Elke Breitenbach (Linksfraktion): Die kriegen gar kein Kindergeld!]

auch einmal für das einsetzen sollten – und notfalls dazu gezwungen werden müssen, was unmittelbar ihren Kindern zugute kommt, und man nicht Geldleistungen zur Verfügung stellt und die Dinge, die davon gekauft werden sollten – wir reden hier über das tägliche Mittagessen – nicht zusätzlich kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollten, sondern die Mittel, die der Sozialstaat dafür gedacht hat, eingesetzt werden?

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Ihr könnt eine Konferenz zusammen machen, sprecht da einmal darüber! – Uwe Doering (Linksfraktion): Eine Berlin-Konferenz!]

Vielen Dank, Herr Lindner! – Dann nehme ich meinen Notizzettel Seite 6 und fange damit an. Frau Barth hat es schon gesagt. Wissen Sie, wie viel Geld in dem Regelsatz für das Essen dabei ist? Es ist gesagt worden, hören Sie gut zu: 2,61 €! – 2,40 € kostet ungefähr ein Mittagessen

der Schule. Dann erklären Sie und Ihre Kollegen einmal, wie die Eltern für 21 Cent das Frühstück und das Abendessen für ihre Kinder noch sicherstellen können! Das können sie nicht.

[Beifall bei den Grünen und der Linksfraktion – Beifall von Raed Saleh (SPD) – Mieke Senftleben (FDP): Das kann doch wohl nicht wahr sein!]

Weil wir das auch nicht können, und weil es zutiefst unsozial ist, was Sie vorschlagen, lehnen wir Ihren Antrag in dieser Form garantiert ab.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Kann sie doch!]

Das kann keine Lösung sein. Es ist absurd. Natürlich haben Eltern die Verantwortung für ihre Kinder, aber dann muss man ihnen auch das Geld zur Verfügung geben, das sie brauchen. Kindergeld kriegen Arbeitslosengeld-IIEmpfänger nicht, Herr Lindner, gucken Sie sich die soziale Realität in dieser Stadt einmal an!

[Beifall bei den Grünen und der Linksfraktion – Dr. Martin Lindner (FDP): Ist doch Quatsch, was Sie erzählen!]

Okay, Herr Lindner ist nicht belehrbar und will die soziale Realität nicht anerkennen.

[Christian Gaebler (SPD): Gut, dass Sie es einsehen! Endlich!]

Schauen wir uns an, was Rot-Rot uns als Lösung angeboten hat. Sie haben in der Koalitionsvereinbarung geschrieben, ein gesundes Essen solle in allen Schulen da sein.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Und mit was? Mit Recht!]

Sie werden nicht müde, den Zusammenhang zwischen Armut und schlechten Chancen von Kindern in Bezug auf Bildung und Gesundheit hier zu wiederholen.

[Zuruf von der Linksfraktion: Da stehen wir uns sehr nah!]

Ja, da stehen wir uns in der Tat sehr nah. – Nichtsdestotrotz verweisen Sie immer wieder gerne auf den Bund und überlassen im Moment in Berlin immer noch die Sicherstellung des guten Essens für Kinder, deren Eltern es sich nicht leisten können, der Berliner Tafel und die Sicherung der Teilnahme am Essen dem Schulleiter, der damit übermäßig belastet ist oder den schulischen Fördervereinen, die auch in anderen Bereichen sehr viel zuzahlen.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Zur Not haben wir noch die Grünen, wie wir gerade hören!]

Das finde ich nicht sehr sozial und konsequent.

Die Lösung der FDP, ich habe es schon gesagt, ist nicht die Lösung für das Problem.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Geben Sie doch eine!]

Sie verlangen vom Senat, ohne Rechtsgrundlage sicherzustellen, dass Eltern vertraglich verpflichtet werden sollen,

das Essensgeld zu bezahlen. Zu den Transferleistungen habe ich etwas gesagt. Das finde ich zutiefst unsozial. Es zeigt, Herr Lindner, dass Sie von der sozialen Realität in dieser Stadt sehr, sehr weit entfernt sind.

[Beifall bei den Grünen und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Eine Kurzintervention – Herr Dr. Lindner hat das Wort. – Bitte!

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Geben Sie Jamaika den Rest!]

Das geht mir zunehmend auf den Wecker. Meine Fraktion macht auf ein wirklich dringendes Problem aufmerksam und schlägt eine Lösung vor. Da frage ich mich, was soll daran unsozial sein, wenn wir sagen, dass das Geld, das der Sozialstaat dafür zweckgebunden bestimmt, von den Eltern nicht versoffen wird,

[Beifall von Monika Thamm (CDU) – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Oder verkoksen!]