Protokoll der Sitzung vom 24.05.2012

lfd. Nr. 9:

a) Interessenbekundungsverfahren für die Gas- und Stromnetzkonzessionen

Große Anfrage der Fraktion Die Linke Drucksache 17/0304

b) Öffentlichen Einfluss auf Energienetze sichern

Antrag auf Annahme einer Entschließung der Fraktion Die Linke Drucksache 17/0305

in Verbindung mit

lfd. Nr. 12:

a) Energiewende voranbringen (I) Neue Erdgaskraftwerke als Übergangslösung

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt vom 25. April 2012 Drucksache 17/0289

zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/0195

b) Energiewende voranbringen (II) Berliner Braunkohleausstieg bis 2016

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt vom 25. April 2012 Drucksache 17/0290

zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/0196

Zur Begründung der Großen Anfrage rufe ich ein Mitglied der Fraktion Die Linke auf mit einer Redezeit von bis zu fünf Minuten. – Das macht Herr Kollege Wolf. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor etwas mehr als einem Monat wurde das Interessenbekundungsverfahren über die Neuvergabe der Konzessionsverträge für das Strom- und das Gasnetz abgeschlossen. Wir sind der Auffassung, dass es notwendig ist, dass das Parlament beginnt, sich mit dieser wichtigen Frage zu befassen und die öffentliche Diskussion und Auseinandersetzung über die Ziele und die Strategien zu führen, die das Land Berlin und der Senat bei der Neuvergabe der Netzkonzessionen verfolgen.

Die Vergabe dieser Konzessionen für die Energienetze ist eine zentrale Frage für die Stadt insofern, als die Entscheidung darüber getroffen wird, wer die nächsten 15 oder 20 Jahre diese wesentlichen städtischen Infrastrukturen betreibt, die Verantwortung dafür trägt; und vor allen Dingen sind das städtische Infrastrukturen, die auch ganz

zentrale Bedeutung für die Energiewende haben. Die Energiewende wird nur mit einer entsprechenden Netzinfrastruktur funktionieren können. Das muss entsprechend gesteuert werden, muss mit einer Investitionsstrategie verbunden sein.

[Beifall bei der LINKEN]

Deshalb trifft diese Frage der Vergabe der Netzkonzession ja auch auf ein großes öffentliches Interesse. Es hat sich eine Initiative für ein Volksbegehren begründet, das gegenwärtig in der ersten Phase ist und diese erste Hürde nach dem gegenwärtigen Stand ohne Probleme nehmen wird. Es hat sich eine Bürgergenossenschaft gebildet, die sich auch im Interessenbekundungsverfahren beworben hat und mit der aktive Bürgerinnen und Bürger das Netz oder Anteile am Netz erwerben wollen.

Was uns interessiert – und deshalb auch die Anfrage – ist: Welche Ziele verfolgen der Senat und die Koalition, und welche Mittel wollen sie dafür einsetzen? In der Koalitionsvereinbarung heißt es, dass man eine Stärkung des öffentlichen Einflusses erreichen will und das dies auch durch eine Beteiligung des Landes Berlin an den Netzen erreicht werden kann. Dass wir eine Stärkung des öffentlichen Einflusses brauchen, dass teilen wir. Ich sage dazu, dass wir auch einen bestimmenden öffentlichen Einfluss über die Netze brauchen.

Aber wenn ich mir ansehe, wie es jetzt in der Koalition aussieht – da hat unlängst die CDU-Fraktion einen Beschluss gefasst, wonach sie eine direkte staatliche Beteiligung an den Netzen ablehnt und der Auffassung ist, dass man alle guten Wünsche, die man so hat – von ökologischer Energieversorgung bis zur Sicherung der Arbeitsplätze und der Sicherung des Unternehmenssitzes –, in Konzessionsverträgen regeln kann.

Das steht nun im Widerspruch zu dem, was man immer wieder so aus der SPD-Fraktion hört. Da ist man sich aber auch nicht so ganz sicher, denn da gibt es ja die berühmte Arbeitsgruppe, in der schon der Fortgang der S-Bahn stockt. Jetzt soll es irgendwann im Juni Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe mit dem schönen Namen „Davos“ geben. Da sind wir gespannt.

Das enthebt aber nicht den Senat als Exekutive der Verantwortung zu sagen – und bei ihm liegt ja das Verfahren erst einmal –, welche Ziele er vertritt, mit welcher Strategie er da herangeht und welche Möglichkeiten er jetzt, auch aufgrund der Interessensbekundung, sieht. Ich habe mit Freude festgestellt, dass sich auch ein landeseigenes Unternehmen mit dem schönen Namen „Berlin Energie“ beworben hat. Wie sich das aber in eine Strategie einordnet, ob sich der Senat dafür entscheidet, das an einen privaten Dritten zu vergeben, ob er eine Beteiligungslösung wie in Hamburg anstrebt, ob er einen Verbund mit kommunalen Unternehmen anstrebt, die sich ja auch beworben haben, und so weiter – all das, glauben wir, muss zu diskutieren begonnen werden.

Das Parlament ist der richtige Ort, um diese Diskussion zu beginnen. Der Senat ist natürlich in der Verantwortung. Aber die Diskussion muss jetzt als öffentliche Diskussion geführt werden, und deshalb sind wir auf die Antworten des Senats gespannt.

[Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Wolf! – Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat nunmehr Herr Senator Nußbaum das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihre Große Anfrage, lieber Herr Wolf, in einem Gesamtkontext beantworten.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Sie können ja mal die Fragen beantworten!]

Die werden auch in einem Gesamtkontext beantwortet, und ich glaube, das ist auch für Sie gut, wenn Sie es dann einordnen können. Das hilft auch der Orientierung.

Wir führen zurzeit das Konzessionierungsverfahren für Strom und Gas durch – nicht für Fernwärme, um das einmal deutlich zu sagen. Es geht um Strom und Gas. Es gibt bei beiden Energiebereichen unterschiedliche Fristen. Noch einmal zur Erinnerung: Der Konzessionsvertrag für Gas endet am 31. Dezember 2013; der für Strom ein Jahr später, am 31. Dezember 2014. Wir haben mit der Bekanntgabe im Bundesanzeiger und im Amtsblatt der Europäischen Union das Verfahren zur Neukonzessionierung eingeleitet – ich hatte hierüber schon einmal im Parlament berichtet. Die Frist ist am 16. April abgelaufen. Es ist ein Interessenbekundungsverfahren, kein Ausschreibungsverfahren, um auch hier noch einmal den Unterschied deutlich zu machen.

Bei der Fernwärme gibt es keine Rechtsgrundlage – ich sagte es schon –, wie sie das Energiewirtschaftsgesetz für Strom und Gas hinsichtlich einer Bekanntmachungspflicht vorsieht. Deswegen haben wir dort keine Fristen. Wir werden uns aber natürlich auch zu gegebener Zeit im Senat über die Fernwärme unterhalten und dann auch entscheiden müssen.

Für die Gas- und die Stromkonzession haben sich fristgerecht folgende Unternehmen beworben: Die Alliander AG, der Betrieb „Berlin Energie“ – das ist ein Betrieb nach § 26 LHO; Herr Wolf hat es eben angesprochen; das wäre dann unser Instrument, unser Tool, wenn wir selbst das Netz übernehmen wollen. Es haben sich ferner beworben: die envia Mitteldeutsche Energie AG, die Stadtwerke Schwäbisch Hall GmbH und die Zwickauer Aktiengesellschaft – so viel für den Bereich Strom.

(Senator Dr. Ulrich Nußbaum)

Nun zum Gas. Hier haben sich beworben: die GASAG und die NBB Netzgesellschaft Berlin-Brandenburg. Nur für Strom haben sich beworben: Die Bürgerenergie Berlin e.G. in Gründung und die State Grid International Development Limited Vattenfall Europa AG.

Die Bewerber, die ihre Interessen sowohl für Gas wie auch Strom bekundet haben, haben auch ihr Interesse an einer Beteiligungslösung mit dem Land Berlin erklärt, sodass nach dem derzeitigen Interessenbekundungsstand sozusagen alles offen ist. Die Spieler, die ein Interesse haben, in Berlin in diesen Netzen mitzumachen, sind jetzt bekannt.

Es gab auch eine Interessenbekundung der Energieversorgung Schönau-Schwäbisch Hall GmbH für die Stromkonzession. Sie ist verspätet am 18. April eingegangen und wird daher nicht berücksichtigt werden.

Wir werden jetzt die eingegangenen Interessenbekundungen auswerten und ein transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren durchführen. Wir werden dabei mit den Interessenten Gespräche führen, und im weiteren Verfahren werden weitere Angebote abgefordert, Informationen eingefordert und weitere Details verhandelt werden.

Die wichtigste Voraussetzung – und da haben Sie recht, darüber müssen wir uns verständigen – ist das Thema der Festlegung der Auswahlkriterien. Hierzu ist es unsere Absicht, dem Senat und dem Abgeordnetenhaus nach der Sommerpause einen Vorschlag vorzulegen. Wer sich mit dem Thema befasst, weiß, dass Sie, was die Auswahlkriterien anbelangt, nicht alle Kriterien nehmen können, sondern es müssen netzbezogene Erwägungen und Kriterien sein. Es werden natürlich auch die Ziele des Energiewirtschaftsgesetzes, insbesondere des § 1, berücksichtigt werden müssen. Nach diesen Zielen geht es darum, eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung mit Energie und Gas zu gewährleisten, und sie soll zunehmend auf erneuerbaren Energien beruhen.

Diese Kriterien werden wir den Interessenten mitteilen, und wir werden sie mit der Aufforderung verbinden, darzulegen, ob und inwieweit sie diese Kriterien erfüllen können. Es ist klar, dass diese etwas allgemein gehaltenen Kriterien im Laufe des Auswahl- und Interessenbekundungsprozesses verfeinert und präzisiert werden können. Dazu wird man im Senat und im Abgeordnetenhaus die Diskussion führen müssen.

Es gibt in diesem Verfahren auch Grenzen. Diese Grenzen liegen in dem Verbot unzulässiger Nebenleistungen nach § 3 der Konzessionsabgabenverordnung. Zulässig – um es einmal positiv auszudrücken – sind bei Neuabschluss eines Konzessionsvertrags explizit die Vereinbarung eines Kommunalrabatts, eine Folgekostenregelung

von Verwaltungskostenbeiträgen von Leistungen zur Aufstellung von Energiekonzepten. Weitere Leistungen des Konzessionärs sind zulässig, sofern sie nicht unentgeltlich oder zu einem Vorzugspreis erbracht werden. Dies ist aber eine Frage des Einzelfalls und kann nicht generell beantwortet werden: Wann ist es ein Vorzugspreis, wann ist es unentgeltlich?

Im Rahmen des rechtlich Zulässigen werden auch Transparenz und Compliance des Unternehmens und BestPractice-Maßstäbe in die Erwägungen mit hineingebracht. Hier geht es ganz klar darum, den Endverbraucher zu schützen, auch darum, dass mit dem künftigen Partner unsere Vorstellungen über die Energiepolitik des Landes Berlin umgesetzt werden. Dann wird auch bewertet, wieweit dieser Partner – in welcher Beteiligungsform auch immer – zu dieser Energiepolitik beitragen kann.

Wenn man sich einmal die gegenwärtige Energielandschaft in Deutschland anschaut, so stellen wir fest, dass der Betrieb von Energieverteilnetzen sowohl von privaten wie kommunalen Trägern wahrgenommen werden kann. Uns geht es darum, mit dieser Neuvergabe stärkeren kommunalen und öffentlichen Einfluss auf die Rahmenbedingungen des Strom- und Gasnetzbetriebes zu nehmen.

Es geht aus meiner Sicht nicht um kurzfristige finanzielle Interessen. Es muss ein Mehr sein – dass sich das rechnen muss, darauf komme ich später noch zu sprechen, das ist klar –, aber es geht zunächst einmal um die energiepolitische Leitvorstellung, um die Einflussvorstellung, die das Land Berlin auf Strom- und Gasnetze hat. Die Frage, die wir dabei beantworten müssen, ist: Was ist das Mehr, wenn wir uns an diesen Gas- und Stromnetzen beteiligen?

Die Entwicklung von smarten Zukunftstechnologien wird – so meine ich jedenfalls – im Interesse eines jeden Netzbetreibers in Berlin liegen; das zeigt die Erfahrung. Es gibt ein Pilotprojekt von Vattenfall zum Smart Metering oder die Initiative Gaswärmepumpe, die die GASAG nutzt, um die Gaswärmepumpentechnik weiter zu entwickeln. Es ist also auch so, dass auch die Privaten durchaus interessiert sind, die neuesten Technologien zu nutzen. Deswegen ist die Frage eigentlich: Wie können wir ein Maximum an Einfluss erreichen? Müssen wir das – ich sage jetzt mal etwas zugespitzt – über eine eigentums- oder gesellschaftsrechtliche Konstruktion herbeiführen? Wir sind hierfür gerüstet. Das ist unsere eigene Bewerbung. Oder reicht es, Konzessionsvergaberecht, die energiepolitischen Vorstellungen, die wir haben, die Einflussnahme, die wir zukünftig nehmen wollen, im Rahmen der Konzessionsvergabe konzessionsrechtlich zu regeln? Deshalb haben wir das Verfahren sehr breit gestaltet, sodass all das möglich ist. Wir stehen auch anderen Beteiligungsformen, z. B. dem Thema Bürgergenossenschaft, offen gegenüber. Wir werden auch das mit berücksichtigen.

(Senator Dr. Ulrich Nußbaum)

Bei der Bewertung der Refinanzierung eines vollständigen oder teilweisen Erwerbs ist festzustellen, dass derzeit ausgelöst durch die Finanzmarkt- und Schuldenkrise ein historisch niedriges Zinsniveau besteht. Das heißt, rein refinanzierungstechnisch ist das Zeitfenster aufgrund der günstigen Refinanzierungsbedingungen der öffentlichen Hand positiv. Deswegen ist natürlich entscheidend, wenn wir die Refinanzierung betrachten: Was kostet uns einerseits eine langfristige Refinanzierung? Und was ist andererseits an Ertrag im Rahmen eines regulierten Netzbetriebs möglich? Deswegen müssen wir uns anschauen: Was ist möglich im Rahmen der von der Bundesnetzagentur vorgegebenen kalkulatorischen Eigenkapitalansätze auch unter Fortentwicklung des Systems für weitere Regulierungsperioden? Was ist möglich?

Aber ich sage mal: Prima facie scheint es möglich zu sein, hieraus eine Refinanzierung bedienen zu können, natürlich immer mit Blick, dass wir uns hier in langfristigen Anlagegütern bewegen. Also Netze werden langfristig abgeschrieben. Netze müssen langfristig unterhalten werden. Netze unterliegen auch den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die wir nicht hier in Berlin machen, sondern die vorrangig im Bund gemacht werden. Netze unterliegen auch möglicherweise anderen Verteilungsformen der Energie. Ich sage mal salopp: Wer weiß, ob in 10, 15, 20 Jahren die Energie noch über Netze verteilt wird. Vielleicht gibt es ja dezentrale Energieversorgungsstationen, wenn Speichertechniken entsprechend weiterentwickelt werden. Ich weiß es nicht, bin kein Techniker. Sie werden es vielleicht auch nicht alle wissen. Bei diesen langfristigen Betrachtungen muss man darauf vorbereitet sein, dass sich die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen ändern.

Deswegen brauchen wir auch Daten. Daten sind ganz wichtig. Da wir bislang die Netze nicht selbst betrieben haben, sondern andere, geht es jetzt auch in dem Interessenbekundungsverfahren darum, von der GASAG, von Vattenfall die Daten zu bekommen, die uns eine wirtschaftliche, eine ökonomische Bewertung der Netze und des Netzbetriebs möglich machen. Das wird jetzt in dem weiteren Verfahren die vordringlichste Aufgabe sein, an diese Daten heranzukommen. Wir werden das natürlich vertraulich handhaben müssen. Wir müssen den Unternehmen, die uns diese Daten liefern, natürlich im Rahmen einer Vertraulichkeitsvereinbarung zusagen, diese Daten nur für den internen Gebrauch zu benutzen und sie nicht den Konkurrenten zur Verfügung zu stellen.

Deswegen können aus meiner Sicht belastbare Angaben zur Bewertung des Gasnetzes, zur Bewertung der Stromnetze erst dann gemacht werden, wenn wir die Daten haben. Die Bandbreite von 500, 600 Millionen bis hin zu 2 Milliarden für die Stromnetze, die genannt wird, kann ich – ich sage es ganz offen – nicht beurteilen, weil mir schlichtweg die betriebswirtschaftlichen Daten fehlen. Wir werden insofern im Rahmen dieses Interessenbekun