Protokoll der Sitzung vom 24.05.2012

Man muss auch anerkennen, dass sich die Politik gern der Privatisierung bedient, um Verantwortung für unpopuläre Sparmaßnahmen, Entlassungen oder Preiserhöhungen abzuschieben, die manchmal leider notwendig sind. Dabei wird wiederum oft übersehen, dass der Staat im Gegensatz zum privaten Eigentümer auch volkswirtschaftlich handeln muss und nicht allein betriebswirtschaftlich denken kann. Es gibt Fälle, in denen der volkswirtschaftliche Schaden einer Entscheidung den betriebswirtschaftlichen Nutzen übersteigt. Aber das ist oft nicht leicht zu ermitteln.

Zum Thema Bewag und Vattenfall: Was dort passiert ist, kann man nicht unbedingt als uneingeschränkten Erfolg bezeichnen. 1997 – das ist den meisten sicher bekannt – wurde die 51-prozentige Landesbeteiligung auf Basis einer Unternehmensbewertung von 2,3 Milliarden Euro verkauft. Vier Jahre später, als Vattenfall von Mirant die 22 Prozent dazugekauft hatte, war ihnen das Unternehmen 8,4 Milliarden Euro wert. In vier Jahren gab es also eine Wertsteigerung, die man eigentlich nur in dynamischen Wachstumsbranchen oder von Schrottimmobilien kennt.

[Beifall bei den PIRATEN]

Wenn auf einem schrumpfenden Energiemarkt solche Wertzuwächse erzielt werden, wurde irgend jemand über den Tisch gezogen. In dem Fall hat entweder Berlin seinerzeit zu wenig für die Bewag bekommen, oder Vattenfall hat später zu viel bezahlt. Wahrscheinlich trifft in dem Fall beides zu.

[Heiterkeit von Martin Delius (PIRATEN)]

Leider sind die Berliner in beiden Fällen auch die Leidtragenden. Sie wurden um die Milliarden, die zu wenig gezahlt wurden, geprellt, und die Milliarden, die Vattenfall zu viel gezahlt hat, gehen zunehmend zulasten der Kunden und auch der Unternehmenssubstanz.

[Beifall bei den PIRATEN]

Es ist auch nicht verwunderlich, dass Vattenfall zurzeit nur 35 Prozent dessen investiert, was zu Bewag-Zeiten investiert wurde. Ich will Vattenfall zwar nicht verteufeln, es gibt sicher schlimmere Konzerne auf dem Planeten, aber bei der Neuvergabe muss man sich die Frage stellen, ob Vattenfall den Herausforderungen tatsächlich gewachsen ist. Ich hebe jetzt Vattenfall heraus, weil die große Gefahr besteht, dass hier eine Hamburger Lösung favorisiert wird und man den einfachsten Weg geht.

Die Herausforderungen wurden schon genannt. Der Energiewende, der dezentralen Energieerzeugung, der Elekt

romobilität – nur einige Stichworte – soll das Berliner Stromnetz künftig gewachsen sein. Die 25,1-ProzentBeteiligung, die jetzt in Hamburg vereinbart wurde, sehe ich sehr problematisch. Wenn man sich etwa den Geschäftsbericht und die Konzernstrategie von Vattenfall anschaut, dann sieht man, dass Vattenfall sparen will und muss. Und wo sparen sie? – Das ist aus dem offiziellen Geschäftsbericht: Sie sparen 5 Prozent bei Vertrieb und Verwaltung, 10 Prozent bei Betrieb und Wartung und 30 Prozent bei Forschung und Entwicklung. 11 Prozent weniger Investition, und das Ganze soll eine Wachstumsstrategie sein.

[Unruhe]

Dazu kommt für die nächsten Jahre noch – wie es so schön heißt – a greater focus on payroll costs – Einsparungen bei Löhnen und Lohnnebenkosten – und eine 15-prozentige Zielvorgabe bei der Eigenkapitalrendite. Das ist mit dem Netzbetrieb, mit den Vorgaben der Regulierungsbehörde überhaupt nicht zu erzielen, wenn man das seriös machen will.

[Unruhe]

Dazu kommen noch die 180 Millionen Euro Einsparungen bei Personal in Deutschland.

[Unruhe]

Herr Kollege! Darf ich Sie kurz unterbrechen? – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, dass Sie wieder so zahlreich im Saal versammelt sind. Es ist unschön, dass es deswegen gerade sehr laut wird. Bitte! – Herr Mayer, Sie haben wieder das Wort!

[Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Das bedeutet: 1 500 Arbeitsplätze weniger in Deutschland, davon 1 000 in Berlin, und eine neue Preisstrategie als Premium Brand, das wird die Kunden sicherlich auch freuen.

[Beifall und Heiterkeit von Martin Delius (PIRATEN)]

Da kann man Herrn Olaf Scholz zu der hervorragenden Wahl seines neuen Partners nur gratulieren.

Was tun jetzt in Berlin? – Wohl niemand will, dass das Berliner Stromnetz unter den neuen Herausforderungen zu einer zweiten S-Bahn wird. Das ist auch nicht notwendig, denn es wurde schon mehrfach über den Preis geredet. Nach den Zahlen, die ich habe, kommt die Netzkonzession für das Stromnetz einer Lizenz zum Gelddrucken sehr nahe, denn wir sind pragmatisch reguliert, und das unternehmerische Risiko ist auch kalkulierbar, auch wenn tatsächlich eins besteht.

Sicher wird auch die rechtssichere Vergabe nicht ganz einfach werden. Olaf Scholz in Hamburg ist eingeknickt, weil Vattenfall ihm klargemacht hat, dass sie ziemlich viel juristischen Ärger machen werden, wenn ihnen die Netze weggenommen werden und man dort geräuschlos vorgehen will.

Es wurde auch schon auf die Kombination, die Abhängigkeiten, Verflechtungen mit der Erzeugung, dem Fernwärmenetz und dem Gasnetz hingewiesen. Aber das Stromnetz ist eigentlich das Einfachste und Interessante bei der ganzen Sache. Wir halten auch derzeit die Varianten von Rekommunalisierung in den verschiedensten Arten bis hin zur Genossenschaftslösung für sehr interessant.

Zum Wert des Netzes: Der ist auch relativ unproblematisch zu ermitteln, wenn die Zahlen da sind. Das ist weitgehend gesetzlich geregelt. Da braucht nicht allzu viel verhandelt werden. Mein Wunsch wäre es, wenn sich hier alle Fraktionen im Haus auf eine gemeinsame Lösung verständigen würden. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Große Anfrage ist damit begründet, beantwortet und besprochen.

Zu dem Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/0305 wird die Überweisung an den Hauptausschuss empfohlen. Gibt es dazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.

Zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/0195 – Stichwort: Erdgaskraftwerke – empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich gegen Grüne, Linke und Piraten die Ablehnung auch mit Änderung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und die Piratenfraktion. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktion der SPD und die Fraktion der CDU. Enthaltungen? – Es gibt keine. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/0196 – Stichwort: Braunkohleausstieg – empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich gegen Grüne, und Piraten bei Enthaltung Die Linke die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und die Piratenfraktion. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktion der SPD und die Frak

tion der CDU. Enthaltungen? – Die Fraktion Die Linke. Damit ist der Antrag ebenfalls abgelehnt.

Damit kommen wir zu

lfd. Nr. 10:

a) Achtzehnter Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR

Jahresbericht 2011

Bericht Drucksache 17/0258

b) Einsetzung eines parlamentarischen Ehrenrates

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion Drucksache 17/0347

Zu diesem Tagesordnungspunkt begrüße ich ganz herzlich den Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Martin Gutzeit. – Herzlich willkommen bei uns!

[Allgemeiner Beifall]

Auch hier haben die Fraktionen eine Redezeit von bis zu fünf Minuten. Für die Fraktion der SPD beginnt die Kollegin Seidel-Kalmutzki. – Sie haben das Wort – bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im November wird das Gesetz, das den Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen berief, 20 Jahre alt. Öffentliche Debatten und jüngste Beschlüsse, mit denen etwa die Überprüfung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst bis 2019 verlängert und der Personenkreis erweitert wurde, machen deutlich, wie aktuell das Thema immer noch ist. Anhaltend großes Interesse registriert auch die Landesbehörde, und das in steigendem Maße. Das ist sehr verwunderlich unter den nachwachsenden Generationen.

In seinem Tätigkeitsbericht 2011 zieht der Berliner Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen eine positive Bilanz seiner Arbeit. Wir von der SPD-Fraktion möchten Herrn Martin Gutzeit und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihr kontinuierliches und so wichtiges Engagement danken.

[Allgemeiner Beifall]

Immer noch werden Sie gebraucht. Der Bedarf an Ihrer Arbeit ist beständig und steigt. Dies drückte auch der Senatsbericht vom Februar dieses Jahres aus, der dem Abgeordnetenhaus eine Verlängerung dieses Gesetzes

über den Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes im Land Berlin empfiehlt, das zum 30. November 2012 ausläuft.

Denn neue Aufgabenfelder kommen immer wieder hinzu. Seit der Gesetzesänderung 2010 arbeitet die Behörde des Landesbeauftragten etwa verstärkt daran, auch der Opfergruppe der Kinder und Jugendlichen Rehabilitation zuteil werden zu lassen, die Unrecht in DDR-Jugendeinrichtungen erfahren haben. Dazu wurde z. B. eine spezielle Beratungsstelle eingerichtet. Die Wiedergutmachung dieser Fälle, in denen Kinder und Jugendliche unrechtmäßig in Heime und Jugendwerkhöfe eingewiesen wurden, ist gesetzlich noch nicht einheitlich geregelt. Das ist ein Gebiet, auf dem wir als Gesetzgeber im Land Berlin noch unseren Beitrag zu einer klaren Arbeitsgrundlage der Behörde leisten könnten. Wie uns das im Bericht auf Seite 6 und 7 angeführte Beispiel einer Frau aus Hohenschönhausen nahelegt, sollten wir prüfen, ob die derzeitige Gesetzeslage tatsächlich gerecht ist.

Der Landesbeauftragte leistet auf mehreren Gebieten eine dankenswerte Arbeit: von der Hilfe zur Akteneinsicht beim Bundesbeauftragten über die Dokumentation und Aufklärung über die menschenrechtsfeindlichen Aktivitäten der DDR-Staatssicherheit bis hin zur Unterstützung von Verfolgtenverbänden. Eine wichtige Aufgabe hat die Behörde nicht nur als Beraterin, sondern auch als Vermittlerin. Die Kommunikation zwischen Opfern und Ämtern bei Fragen der Wiedergutmachung wird beständig verbessert. Diese Beratungs- und Vermittlungsarbeit ist noch immer unerlässlich, denn der Bericht besagt, dass die Zahl der Anfragen zur strafrechtlichen Rehabilitierung weiter zunimmt.

Hinzu kommt, dass die zuständigen Ämter noch immer nicht ausreichend auf Anfragen zu Ausgleichszahlungen vorbereitet sind, indem sie etwa keine speziellen Formulare aushändigen können.

Es hat mich besonders beeindruckt, dass Betroffene mitunter erst jetzt, mehr als 20 Jahre nach dem Ende des SED-Regimes, von ihrem Recht erfahren, das erlittene Unrecht strafrechtlich aufarbeiten und eine Rehabilitierung einfordern zu können.