Protokoll der Sitzung vom 14.06.2012

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Stadt wird nur eine Chance haben, wenn sie weiterhin dafür sorgt, dass hier ein weltoffenes und liberales Klima herrscht. Barack Obama hat einmal gesagt, diese Stadt kenne von allen Städten den Traum von der Freiheit am besten. Man kann es auch anders sagen: Rund um den Globus begeistert Berlin die Menschen mit seiner weltoffenen Atmosphäre, mit Toleranz und Friedfertigkeit, mit innerer Liberalität. Dafür stehen wir, aber es muss jeden Tag neu erkämpft werden. Wir dürfen es nicht zulassen, dass einige Gruppen in dieser Stadt diesen sozialen Frieden, diese Liberalität zerstören wollen. Deshalb ist es richtig, dass Herr Henkel und die Berliner Polizei intensiv den Kampf gegen Verbrecherbanden wie die Hells Angels oder andere aufnehmen. Da hat er die volle Un

(Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit)

terstützung. – Lassen Sie nicht nach, Herr Henkel, auch nicht nach Rückschlägen! Es ist wichtig, dass wir für Frieden und Sicherheit in dieser Stadt sorgen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Wir wollen, dass die Menschen in der U-Bahn und auf öffentlichen Plätzen geschützt sind. Deshalb muss alles unternommen werden, dass Übergriffe, wie wir sie in der letzten Zeit hatten, keine Chance haben. Wir wollen, ob es am 1. Mai ist oder bei Fußballspielen, dass Gewalt keine Chance hat und dass die Polizei dagegen vorgeht. Das ist auch eine Haltung, die eine Gesellschaft haben muss. Es dürfen nicht noch Leute am Rande stehen und klatschen oder wegsehen, sondern wir wollen eine aktive Gesellschaft haben, eine aktive Demokratie, die den Feinden unseres offenen, demokratischen Lebens eine klare Absage erteilt. Dazu gehört auch die NPD und ein NPD-Verbot.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Ich danke an dieser Stelle all jenen, die etwas riskiert haben, indem sie eingegriffen haben, wenn ein dunkelhäutiger Mensch beschimpft, eine Frau bedroht, ein schwules Paar überfallen oder ein Jude antisemitisch angegriffen wurde. Das sind Situationen, die sind schwierig. Wir erwarten nicht von jeder Frau, jedem Mann, dass sie Heldin oder Held werden. Wir erwarten aber, dass sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten einschreiten, Gesicht zeigen.

Dafür steht eine weltoffene Stadt wie Berlin. Das ist unser Ziel. Unsere 775-jährige Geschichte, die wir dieses Jahr feiern, steht für diese Offenheit. Das ist unsere Chance für die Zukunft. Deshalb bittet der Senat um Zustimmung zu diesem Doppelhaushalt. Es ist ein guter, ausgewogener Haushalt,

[Zurufe von den GRÜNEN]

der die Zukunftsperspektiven dieser Stadt ermöglicht und weiter voranbringt. – Schönen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Herr Regierender Bürgermeister! – Ich eröffne jetzt die zweite Rederunde und erteile dem Kollegen Esser für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege Esser, Sie haben das Wort!

[Zuruf]

Eben war das doch laut genug. Bei der Lautstärke von Herrn Wowereit können wir doch bleiben. – Aber jetzt erst mal der Form nach!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Herr Wowereit! Es kann ja sein, dass Ihnen das Flughafendesaster auch als Person – es sollte zumindest so sein – schwer in den Knochen steckt. Aber deswegen bringt es weder Sie noch die Berliner Politik einen Schritt voran, wenn Sie Ihren Frust über die eigenen Fehlleistungen an der Opposition abreagieren und die alte LandowskyPlatte von den Antiberlinern auflegen, bloß weil wir unserer Pflicht nachkommen und den Finger in die offenen Wunden Ihrer Politik und insbesondere des Flughafendebakels legen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Ich habe das in der Vergangenheit dieser Koalition, die wir jetzt wieder haben, ja erlebt. Die Platte von den Antiberlinern, die wurde von den damaligen Herren Diepgen, Landowsky und anderen umso lauter gespielt, je größer der Murks war, der verborgen werden sollte.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Den Rest Ihrer Rede fand ich auch hochenttäuschend. Auch da kann ich verstehen: Ihnen steckt wohl noch der SPD-Parteitag in den Knochen. Aber noch sind Sie nicht im Bundestag! Noch sind Sie hier nicht weg! Noch sind Sie der Regierende Bürgermeister dieser Stadt, der sich hier hinzustellen und seinen Haushalt zu begründen und zu verteidigen hat. Nichts davon haben Sie getan! Stattdessen philosophieren Sie über europäische Politik und andere Allgemeinplätze.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Von Ihnen und der von Ihnen gewollten Koalition mit der CDU wird erwartet, dass Sie Ihre Selbstfindungsphase beenden und mit diesem Haushalt die nötigen strategischen Grundentscheidungen für die Stadt treffen. Denn der Haushalt – das wissen Sie sehr gut – ist nicht nur Erbsenzählerei, sondern in Zahlen gegossene Politik. Das ist heute die Stunde, in der aus all den schönen Ideen, die man so haben kann, ausgewählt werden muss. Das ist der Realitätsschreck für die Wahlversprechen, das ist der Schritt von der Ankündigung zur Umsetzung von Politik. Nichts davon ist in diesem Haushaltsplan zu sehen, und nichts davon war in Ihrer Rede zu hören.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Deswegen gehe ich noch mal in die Niederungen der Berliner Politik. Die politischen Abgründe, die sich in

dieser Haushaltsberatung zwischen Ihnen und uns aufgetan haben, haben mich, ehrlich gesagt, überrascht. Wir wollten mehr Lehrer für Schulen in besonderen Problemlagen, Sie nicht! Herr Wowereit! Was steht dazu in Ihrem Haushaltsplan? – Nichts! Warum steht nichts in Ihrem Haushaltsplan? Darauf erwarte ich eine Antwort von Ihnen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Wir wollten den Zustand beenden – der Antrag liegt auf dem Tisch –, dass die Bezirke in der Personalpolitik schlechter als die Hauptverwaltungen behandelt werden. Sie wollen das ausweislich des Haushaltsplans nicht, obwohl Ihre Koalitionsvereinbarung den Bezirken genau das verspricht, was wir beantragen. Meine Frage ist: Warum machen Sie so was? Ich sage Ihnen voraus: Im Vollzug dieses Haushalts werden Sie das an dieser Stelle nicht durchhalten!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Wir wollten in dieser Haushaltsberatung auch nicht über Haushaltspolitik und Mietentwicklungen in der Stadt philosophieren. Wir wollten und wollen etwas für die Mieter tun: Wasserpreise senken, Mieten stabilisieren, Neubau ankurbeln, Sozialwohnungen erwerben – Sie offenkundig nicht! Jeden Tag reden Sie darüber – heute bei Herrn Saleh zwar beredtes Schweigen, dafür bei Herrn Wowereit allgemeine soziologische Stadtbeschreibung! Zu Mieterschutz, Wohnungsbau, Wasserpreissenkung steht nichts, aber auch gar nichts in Ihrem Haushalt, und da müssen Sie Ihre Politik meiner Ansicht nach ganz entschieden ändern, wenn Sie diese Stadt nicht sozial gegen die Wand fahren wollen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Wir möchten die Sanierung der öffentlichen Gebäude vorantreiben, die Energiekosten des Landes Berlin senken und die finanziellen Voraussetzungen für ein Klimastadtwerk schaffen – Sie nicht! Dafür haben Sie kein Geld übrig. Aber ein Gebäude wird nun mal, wie jeder weiß, nicht kostenlos modernisiert. Und im Übrigen hat zu dieser unverantwortlichen Schattenverschuldungspolitik Herr Baum von den Piraten vorhin das Notwendige gesagt.

Wir wollten bereits mit dem Haushalt die Weichen für die Ausschreibung der S-Bahn stellen und endlich einen kommunalen Wagenpark für dieses Verkehrsmittel beschaffen – Sie nicht!

[Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Stattdessen wollen Ihre Jungs und Mädels in der Arbeitsgruppe mit dem schönen Namen „Davos“ weiter die Zeit verträumen und noch ein paar Gutachten bestellen, ob

wohl wir eines alle miteinander doch leider wissen: Der nächste Winter kommt bestimmt,

[Zuruf von Heidi Kosche (GRÜNE)]

und die Berliner stehen dann wieder allein in Schnee und Regen ohne funktionsfähigen Nahverkehr. – Damit, Herr Graf und Herr Wowereit, ist auch umrissen, was grüne Infrastrukturpolitik ist und meint.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir wollen zuerst die Substanz der Gebäude und Straßen erhalten. Wir wollen unsere Schulen auf Stand bringen. Wir wollen den Nahverkehr voranbringen. Wir wollen die Energiekosten drastisch senken und den Klimaschutz vorantreiben. Wir wollen das ICC sanieren – anders als Herr Saleh. Wir wollen das Klinikum Steglitz sanieren. Wir wollen Tausende von Arbeitsplätzen auf dem Bau und im Handwerk schaffen und erhalten, indem wir das fortsetzen, was mit dem Konjunkturprogramm auch an Gutem schon in Berlin begonnen hat, während Sie das einfach abbrechen und dafür null Euro in Ihrer Haushaltsplanung haben.

[Beifall bei den GRÜNEN – Heidi Kosche (GRÜNE): Pfui!]

Denn was machen Sie denn, Herr Wowereit, Herr Graf? – Hallo, Herr Graf! Was machen Sie denn? – Sie fahren einen Haushalt mit einer konkurrenzlos niedrigen und beschäftigungsfeindlichen Investitionsquote, und Sie leisten sich folgende Nummer: Sie erhöhen das auch von uns geforderte Schulanlagensanierungsprogramm um 30 Millionen Euro und kassieren es dann als Gegenfinanzierung gleich wieder ein, indem Sie eine pauschale Minderausgabe in gleicher Höhe auf die Bauinvestitionen setzen. Das ist doch Schilda pur!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Heiterkeit]

Ich frage Sie: Wollen Sie das im Herbst bei der Investitionsplanung auch so machen? Erst beschließen Sie für das ICC und die Wowereit-Gedenkbibliothek zusammen 600 Millionen Euro, und dann beschließen Sie eine pauschale Minderausgabe beim Bau von ebenfalls 600 Millionen Euro. So machen Sie im Augenblick Haushaltspläne, und diese Art und Weise wird diesen Herbst, in dem die Wahrheit kommen muss mit der Investitions- und Finanzplanung, nicht überleben.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Ich würde das auch nicht so deutlich sagen, wenn wir Grüne in dieser Haushaltsberatung nicht auch Mut zu Strukturentscheidungen gezeigt hätten. Ihre A 100 und Ihre ZLB in der Hand von einem Menschen, der noch nicht mal ein Großprojekt stemmen kann, wollen wir nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wir finden nicht, dass man die Messegesellschaft für ihre Politik in der Vergangenheit und ihre Sanierungsversäumnisse beim ICC auch noch mit einer Fortsetzung der Zuschüsse belohnen muss. Wir sind dafür, die zu streichen und damit die Messe an den Kosten, die beim ICC entstehen werden, auch angemessen zu beteiligen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Sven Kohlmeier (SPD): Deshalb regiert ihr nicht!]

Wir finden nicht, dass – Herr Zöllner ist inzwischen weg – Herrn Zöllners Spielzeug, Einstein-Stiftung, auch noch Aufwüchse und eine Fortschreibung über die kommenden Jahre haben muss. Wir haben das gedeckelt.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wir hatten den Mut zu einer Umverteilung im Kulturbereich von den etablierten Institutionen hin zu den Grassroots in Höhe von einem Prozent, was die großen Institutionen durchaus verkraften können. Wir hatten den Mut, auch wenn dann ein von uns sehr geschätzter – und er mag uns ja sonst auch – Mensch wie Herr Lilienthal sagt, das sei eine Schnapsidee. Wir halten es für eine richtige Idee, solidarische Umverteilung auch innerhalb des Kulturetats zu machen.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]