Protokoll der Sitzung vom 30.08.2012

Vielen Dank, Herr Dr. Weiß! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Es wird die Überweisung des Gesetzesantrags federführend an den Ausschuss für Digitale Verwaltung, Datenschutz und Informationsfreiheit und mitberatend an die Ausschüsse für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen, für Bauen, Wohnen und Verkehr, für Bildung, Jugend und Familie, für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien, für Gesundheit und Soziales, für Inneres, Sicherheit und Ordnung, für Kulturelle Angelegenheiten, für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung, für Sport, für Stadtentwicklung und Umwelt, für Wirtschaft, Forschung und Technologie, für Wissenschaft und an den Hauptausschuss empfohlen. – Gibt es hierzu Widerspruch? – Das sehe ich nicht, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.2:

Priorität der Fraktion Die Linke

Tagesordnungspunkt 40

Keine Preiserhöhung für das Sozialticket

Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/0462

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Die Linke. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Breitenbach. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Monaten wurde der Haushalt verabschiedet. Kurze

Zeit später beschloss der Senat, den Preis für das Sozialticket zu erhöhen. Es waren schon Ferien, und vermutlich – weil dies heute immer wieder Thema war – dachten Sie, es seien alle im Urlaub.

Sie alle wissen, dass wir das Berlin-Ticket als verbilligte Monatskarte eingeführt haben, und zwar für Menschen, die auf Transferleistungen angewiesen sind, für Menschen, die von Hartz IV, von Sozialhilfe oder auch von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leben müssen, also für Menschen, die allesamt ein ganz geringes Einkommen haben. Ihnen wollen Sie, meine Damen und Herren der Koalition, ab dem nächsten Jahr 2,50 Euro mehr für die Mobilität abnehmen. Damit steigt der Preis für das Sozialticket im Vergleich zur regulären Monatsmarke prozentual fast doppelt so stark. Gerecht können Sie das wohl kaum nennen!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Sie wissen darüber hinaus, dass der Preis von 33,50 Euro für das jetzige Sozialticket bei den mickrigen Regelsätzen schon relativ hoch ist. Er liegt sogar 10 Euro über dem, was die Bundesgesetze vorschreiben. Umso wichtiger wäre es, den Preis des Sozialtickets stabil zu halten, denn Mobilität ist eine zentrale Voraussetzung, um an der Gesellschaft teilhaben zu können.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Die geplante Erhöhung an sich ist schon falsch. Aber dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, während der Haushaltsberatungen genau zu diesem Punkt kein Wort gesagt haben, dass Sie unseren Antrag zur Erhöhung des Zuschusses einfach abgelehnt haben und dass dann wenige Tage später die Preiserhöhung beschlossen wurde, das ist gelinde gesagt eine Frechheit.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Philipp Magalski (PIRATEN): Das ist die Sozialdemokratie!]

Für Sie stand von vornherein fest, dass die Mehrkosten auf die Nutzerinnen und Nutzer des Sozialtickets umgelegt werden, dass sie dafür zahlen sollen.

Das Sozialticket gibt es jetzt seit sieben Jahren, und – für diejenigen, die sich heute vielleicht nicht mehr erinnern – es gab schon viel Ärger darum. Auch innerhalb der rotroten Koalition wurde darüber gestritten, nämlich als der damalige Finanzsenator und eine Mehrheit im Senat darauf bestand, dass die Zuschüsse für das Sozialticket gestrichen werden. Es dauerte dann zehn Monate, bis es eine alternative Finanzierung gab, bis es eine Lösung gab und bis das Sozialticket eingeführt wurde. Seit 2005 konnte der Preis für das Sozialticket fast stabil gehalten werden, unter anderem auch, weil der Senat im Jahr 2006

eine Preiserhöhung verhindert hat. Das fordern wir jetzt auch von dem Senat.

Wir erwarten, dass der Senat darauf hinwirkt, die geplante Preiserhöhung zu stoppen. Wir fordern den Senat auf, dass die Senatsvertreter im Aufsichtsrat der Tariferhöhung des Sozialtickets nicht zustimmen – wie es auch schon 2006 passiert ist – und dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die die Tarifgenehmigungsbehörde ist, wenn es nötig ist, ihre Zustimmung verweigert.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Das ganze Gerede von sozialem Zusammenhalt wird völlig unglaubwürdig, wenn jetzt die steigenden Mobilitätskosten auf die Menschen mit geringem Einkommen abgewälzt werden. Das Sozialticket wird im Moment von 150 000 Berechtigten genutzt. Wer jetzt sagt, 2,50 Euro im Monat erscheint lachhaft: Ja, das kann sein, aber für viele derjenigen, die darauf angewiesen sind, wird das möglicherweise der Punkt sein, dass sie sich das Ticket nicht mehr leisten können. Das heißt gesellschaftlicher Ausschluss.

Das Sozialticket muss bezahlbar bleiben. Wir fordern den Senat auf, die unsoziale Entscheidung zurückzunehmen, und bitten um Ihre Stimmen für unseren Antrag. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Frau Breitenbach! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Abgeordnete Frau Radziwill das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Ich bitte meine Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, über diesen Antrag heute nicht sofort abzustimmen, sondern um Überweisung in die Ausschüsse, federführend an Soziales sowie an den Wirtschafts- und Hauptausschuss. Aus meiner Sicht hat die Beratung in den Fachausschüssen deshalb Sinn, weil die Preiserhöhung des Sozialtickets bisher nur im Hauptausschuss im Rahmen der Haushaltsberatung kurz angesprochen wurde. Wir sollten als Parlamentarier im zuständigen Fachausschuss prüfen, ob die Preiserhöhung für das Sozialticket sozial verträglich und angemessen ist. Da gilt es, eine Menge Argumente gegeneinander abzuwägen, und wir sollten uns die notwendige Zeit für die Beratung nehmen.

Erklärtes Ziel unserer Koalition ist es, den Preis für das Sozialticket bzw. Berlin-Ticket S nicht teurer zu gestalten als die Hälfte des regulären Preises der Monatskarte.

Diese Vorgabe hat der Senat meiner Einschätzung nach mit seinem Beschluss eingehalten.

Welche Dimension können 2,50 Euro haben? – Rund 150 000 Personen nutzen das Sozialticket pro Monat. So steht es in der Antwort auf die Kleine Anfrage Drucksache 17/10745 aus dieser Legislaturperiode. Im Jahr 2005 waren es mit rund 91 000 Personen noch vergleichsweise wenige Nutzerinnen und Nutzer. Das Sozialticket wird aktuell stark genutzt, und in den letzten Jahren stieg die Anzahl der Nutzerinnen und Nutzer deutlich. 2,50 Euro pro Person bei 150 000 Nutzern ergeben rund 375 000 Euro geringere Ausgaben für das Land Berlin. Hochgerechnet auf zwölf Monate sind das 4,5 Millionen Euro, die das Land weniger aufwenden muss. Eine stattliche Summe, wie ich finde.

Was bedeuten aber 2,50 Euro für die Nutzerinnen und Nutzer? – Ein Einpersonenhaushalt im Sozialtransferbezug bekommt aktuell 374 Euro staatliche Unterstützung für die Sicherung des Lebensunterhalts plus Kosten für die Unterkunft. Mit 36 Euro statt bisher 33,50 Euro würde ab dem 1. Januar 2013 der Preis um 9,6 Prozent steigen, also fast 10 Prozent Mehrkosten für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs und notwendige Mobilität. Der Preis für das Sozialticket wäre mit der Erhöhung seit 2005 um 12,5 Prozent gestiegen. Im Vergleich dazu ist der Hartz-IV-Satz seit 2006 aber nur um 6,4 Prozent gestiegen. 2,50 Euro sind für die Betroffenen eine Menge Geld. Ihr Spielraum ist sehr gering. Die kürzlich erfolgte Anhebung des Hartz-IV-Satzes um 10 Euro wird wieder zu einem Viertel verringert, wenn die Berlinerinnen und Berliner ab dem 1. Januar 2013 für ihr Sozialticket 2,50 Euro mehr zahlen müssten.

Aber zu berücksichtigen gilt auch, dass die jüngste Erhöhung des Hartz-IV-Satzes laut Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 25. April 2012, gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt.

[Philipp Magalski (PIRATEN): Hört, hört!]

Die Leistungen seien nicht evident unzureichend, aber sie wären für einen Alleinstehenden um 36 Euro und für eine Familie um monatlich 100 Euro zu niedrig. Das Verfahren ist nun dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Wir sollten vor einer Preiserhöhung des Sozialtickets das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht abwarten. Schwache Schultern können und sollten nicht noch mehr Kosten tragen.

[Beifall von Nikolaus Karsten (SPD)]

[Nikolaus Karsten (SPD): Ja, bitte!]

Den Nutzerinnen und Nutzern des Sozialtickets könnte wahrscheinlich eine geringe Erhöhung des Preises zugemutet werden, aber ohne eine weitere Erhöhung der Transferleistungssätze sind 2,50 Euro aus meiner Sicht

unverhältnismäßig hoch. Wir sollten den Versuch unternehmen, auf die anstehenden Entscheidungen auf Bundesebene zu warten und daher eine fachliche Beratung in den Ausschüssen führen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Vielen Dank, Frau Kollegin Radziwill! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Beck das Wort. – Bitte sehr, Herr Kollege!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir unterstützen den Antrag der Fraktion Die Linke.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Wir freuen uns, dass Die Linke weiterhin Initiativen für sozial benachteiligte Menschen in der Stadt ergreift, die sie als Regierungspartei nicht so recht ins Zentrum ihrer Arbeit zu rücken vermochte.

[Oh! von der LINKEN]

Pseudoinitiativen der SPD- und Linksfraktion aus dem Jahr 2007, das Grundrecht auf Mobilität umzusetzen, haben aufgrund fehlender Ernsthaftigkeit erwartungsgemäß nicht zum Erfolg geführt.

Frau Radziwill! Wenn Sie sich ernsthaft mit den Einkommensschwächsten unserer Stadt solidarisieren wollen, dann müssten Sie eigentlich den Antrag der Linken unterstützen und nicht noch mal Umwege über bundesgesetzliche Regelungen suchen, die Sie sowieso nicht schaffen umzusetzen.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Es gab zwar seit 2005 keine Preiserhöhung für das Sozialticket, aber die Mobilität von vielen Transferleistungsbezieherinnen und -beziehern und Geringverdienenden in der Stadt bleibt trotzdem fortgesetzt eingeschränkt.

Im Regelsatz von Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und -empfängern sind 23,54 Euro für Mobilität vorgesehen. Das heißt, bei einer Preiserhöhung um 2,50 Euro würde die Zuzahlung zum Sozialticket weiterhin drastisch gesteigert werden. Das Grundrecht auf Mobilität würde immer mehr eingeschränkt werden.

Das Land Berlin muss nach der geplanten Preiserhöhung durch die BVG analog dem Erhöhungsbetrag weniger aus eigenen Haushaltsmitteln erstatten. Es ist sehr ärgerlich, dass der Senat auf Kosten der Ärmsten in unserer Stadt seine Haushaltssituation verbessern möchte.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]