Protokoll der Sitzung vom 30.08.2012

Die Tagesordnungspunkte 29 bis 32 stehen ebenfalls auf der Konsensliste.

Wir kommen damit zur

lfd. Nr. 33:

Berlin zur Forschungshauptstadt für Alternativmethoden zu Tierversuchen machen

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/0441

Für die Beratung steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hämmerling. – Bitte sehr!

Schönen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren!

Es wird ein Tag kommen, an dem die Menschen über die Tötung eines Tieres genauso urteilen werden, wie sie heute die Tötung eines Menschen beurteilen.

Das ist nicht von mir. Das sagte Leonardo da Vinci, und er war damit nicht nur seiner Zeit weit voraus.

Als Tierschützerin bin ich in guter Gesellschaft, nicht nur mit anderen Tierschützerinnen und Tierschützern, auch hier im Hause, sondern mit vielen namhaften Persönlichkeiten: Mahatma Gandhi, Rosa Luxemburg, Paul McCartney, Romain Rolland, Christian Morgenstern, aber eben auch mit Wissenschaftlern wie Albert Einstein. Sie alle haben einen respektvolleren Umgang mit Tieren eingefordert.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ich persönlich lehne Tierversuche ab. Ich weiß aber auch, dass wir ad hoc auf Tierversuche nicht verzichten können. Es gibt zu vielen Tierversuchen schlicht keine Er

satzmethoden. Das ist auch überhaupt kein Wunder, denn zu Ersatzmethoden wird so gut wie nicht geforscht. Da wollen wir ansetzen. Wir wollen mit einem Forschungsfonds die Forschung bei den Ersatzmethoden vorantreiben.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Weil das Land Berlin kein Geld hat, soll dieser Fonds aus einer Tierversuchsabgabe gespeist werden. Diese Abgabe soll für alle Tierversuche im Rahmen der routinemäßigen Wirkstoffanalyse bei Medikamenten und Chemikalien erhoben werden. Berlin – das wissen Sie – ist mit 275 000 getöteten Versuchstieren die Hauptstadt der Tierversuche. Wir sagen: Das muss sich ändern! Wir wollen, dass Berlin zur Hauptstadt der tierversuchsfreien Forschung wird. Der Forschungsfonds kann dazu ein erster Schritt sein.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ich appelliere ganz besonders an die Vertreterinnen und Vertreter von CDU und SPD: Bitte unterstützen Sie den Antrag! In Ihrem Koalitionsvertrag steht – ich zitiere:

Die Koalition wird sich für die Einschränkung von Tierversuchen einsetzen und verstärkt tierversuchsfreie Methoden fördern.

Davon ist bis heute nicht viel zu spüren. Sie fördern ein neues Tierversuchslabor für das MDC in Höhe von 24 Millionen Euro. Für den Forschungspreis haben sie gerade einmal 15 000 Euro übrig. Auf diese Weise können Sie die Tierversuche im Land Berlin nicht verringern.

Tierversuche – ich gebe das zu – sind anerkannt und etabliert, aber sie sind eben auch ethisch angreifbar, und sie sind auch nicht genau, so wie oft behauptet wird. Denken Sie an das Schlafmittel Contergan. Schwangere, die dieses im Tierversuch erprobte Medikament eingenommen haben, brachten missgebildete Babys auf die Welt.

Wir wissen heute: Wenn Ersatzmethoden zu Tierversuchen entwickelt und evaluiert werden, dann sind sie zuverlässiger als Tierversuche, dann können wir uns darauf verlassen. Heute werden bestimmte Chemikalien nicht mehr an Kaninchenaugen getestet, sondern an bebrüteten Hühnereiern. Kein Meerschweinchen muss mehr für Hautverträglichkeitstest sterben, weil eben Ersatzmethoden genau in diesen Bereichen erforscht worden sind. Nur deshalb funktioniert es, weil es Ersatzmethoden gibt und weil Forscher in diese Richtung geforscht haben. Genau da müssen wir hin. Eine einseitige Ausrichtung auf Tierversuche wird in die Sackgasse führen.

Herr Senator Heilmann! Noch ein Satz an Sie: Im Zusammenhang mit den Tierversuchen gehört die Vorratshaltung und die Kontrolle der Labore auf den Prüfstand. Es geht nicht an, dass nur eine halbe Personalstelle für

unabhängige Kontrollen von Hunderten Versuchsvorhaben mit Hunderttausenden Versuchstieren zur Verfügung steht. Und es ist schon überhaupt nicht akzeptabel, dass die Labore eine Lizenz zur Vorratshaltung und zur Zucht von 1,6 Millionen Versuchstieren haben. Wie viele dieser Tiere getötet werden, wird nicht mal statistisch in den Laboren erfasst, geschweige denn, dass Sie oder wir davon eine Ahnung bekommen. Wir meinen, dass hier ein ganz dringender Handlungsbedarf besteht. Ich erwarte eine konstruktive Debatte und vor allem konstruktive Lösungen für diese Probleme.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Hämmerling! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Herr Karge das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! – Frau Hämmerling! Sie haben gleich ein einzelnes Beispiel, Contergan, benutzt, um damit die Problematik bei Tierversuchen darzustellen. Sie haben aber auch gesagt – und da gebe ich Ihnen recht –, dass in den letzten Jahren der Bewusstseinsgrad zum Thema Tierversuche so gewesen ist, dass eine Verringerung stattgefunden hat, und das ohne staatliche Zwangsmaßnahmen oder Sonstiges.

[Zuruf von den PIRATEN: Stimmt nicht!]

Man kann auch sagen: Es geht darum, dass Wirkstoffe gefunden werden, die geprüft werden müssen, und die dürfen nicht erst beim Menschen zum Einsatz gebracht werden. Sie wissen genauso gut wie ich, dass beispielsweise das MDC sehr verantwortungsvoll mit Tierversuchen umgeht. Heute wird genau und auch verantwortungsvoll mit Tierversuchen umgegangen, und nicht nur dort. Zell- oder computerbasierte Modelle, die dann am Tiermodell verändert werden, dann am Affen und dann am Menschen ausprobiert werden, sind heute noch notwendig. Das ist heute noch eine klare Aussage.

Wir haben es aber in den letzten Jahren geschafft, dass es weniger Tierversuche gibt. Aber das Ziel ist es doch, dass Wirkungen, die schädlich sind, am Patienten zu vermeiden sind. Da finde ich es nicht richtig, dass dies gegeneinander ausgespielt wird. Im Übrigen gilt das auch für Lebensmittel. Gleiches gilt doch dabei, dass Zellansammlungen keinen kompletten Organismus abbilden können. Das wissen Sie, und das wissen wir auch.

Die Frage ist selbstverständlich – da gebe ich Ihnen recht, und da ist es auch aller Ehren wert, dass Sie diese Fragen in Ihrem Antrag gestellt haben –, ob wir in der Vergangenheit genug für Alternativen gesorgt haben, ob wir genug Mittel eingesetzt haben, dass der aktuelle Stand der

Wissenschaft sich auch in der Forschung durchgesetzt hat, um auf Tierversuche zu verzichten. Darüber können wir reden, und darüber sollten wir im Ausschuss auch reden. Ich gehe davon aus, dass es auch interessant und vorstellbar sein könnte, dass Berlin zu einem Forschungsstandort entwickelt wird, der sich damit hervortut, dass er möglichst wenig Tierversuche zulässt. Keine Frage, da werden wir mit Ihnen gehen!

Insofern würden wir gern eine Ausschusssitzung, vielleicht auch mit Anhörung von Sachverständigen, hierzu machen, um das Thema auch substanziell zu behandeln. Ich denke, das, was wir alle unter anderem an Glauben haben, ist eben nicht das, was man weiß. Ich denke, wir müssen uns Klarheit verschaffen, was die beste Möglichkeit ist. Ich glaube aber auch nicht, dass die 5-EuroFonds-Geschichte der Weisheit letzter Schluss ist. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich habe im April das MaxDelbrück-Centrum besucht und dort verantwortungsvolle Wissenschaftler vorgefunden, die sich nicht das Leben einfach machen, indem sie die Tier nur töten, sondern es geht da um Grundlagenforschung, die für Berlin, die für die Patienten, die Menschen in dieser Stadt wichtig ist.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Karge! – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Abgeordnete Frau Platta das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, genau um den letzten Satz dreht es sich im Grunde genommen, und zwar, ob irgend etwas unerlässlich ist. Wenn das Deutsche Tierschutzgesetz Tierversuche nur zulässt, wenn sie unerlässlich sind, dann ist schon klar, dass Forscher nur verantwortungsbewusst mit Tieren bei diesen Forschungen umgehen sollen und verpflichtet sind, im Rahmen der Genehmigungsbeantragungen zu prüfen, ob es nicht doch andere Möglichkeiten gibt, Tiere zu verschonen, möglichst tierversuchsfreie Methoden, die mitunter schon lange in Anwendung sind, zu nutzen.

Das Land Berlin fördert – und das eigentlich schon unter Rot-Rot – die Entwicklung von alternativen Methoden zum Tierversuch und hat deshalb schon in der letzten Legislaturperiode den Preis des Landes ausgerufen. Auch wenn er nur mit 15 000 Euro dotiert ist, ist er trotzdem ein Zeichen an die Wissenschaftler, sich in diesem Bereich weiter zu engagieren und bei Forschung und Lehre auch mehr Anwendungen im Bereich der Alternativen zum Tierversuch zu finden.

Es ist sicher so, dass sich jeder hier im Hause wünscht, dass Berlin die Forschungshauptstadt für Alternativme

thoden zu Tierversuchen wird. Ich glaube, dass keiner hier möchte, dass Tiere gequält werden und sinnlos sterben. Trotzdem ist immer noch die Frage offen, ob diese Produktentwicklungen so, wie sie momentan hier in der Gesellschaft betrieben werden, wirklich sinnvoll sind. Deshalb sind solche Fragen ebenso im Ausschuss zu klären wie auch, ob es die richtige Stellschraube ist, wenn wir jetzt sagen, wir setzen für jedes Tier 5 Euro an. Ist das Leben eines Tiers 5 Euro wert? Ich frage mich: Wer sagt eigentlich, dass wir diese Größe ansetzen können? Welches Recht haben wir dazu, 5 Euro für ein Leben zu verlangen? Ich weiß, dass Menschen auch für 3,50 Euro auf der Straße erschlagen werden, aber deshalb möchte ich trotzdem nicht eine Summe in dieser Größenordnung für ein Versuchstier festlegen.

Also reden wir, bitte schön, im Ausschuss für Wissenschaft, Forschung und Technologie, gern auch mit vielen Experten, darüber, welchen Sinn es haben kann, einen Forschungsfonds aufzulegen mit diesen Grundlagen, so wie es hier im Antrag steht! Aber sicher ist Die Linke mit Ihnen, wenn es darum geht, Alternativmethoden zu fördern und auch im Land Berlin mehr und mehr Tiere aus den Käfigen zu holen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Platta! – Der Abgeordnete Herrmann hat jetzt für die CDU-Fraktion das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den hier vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen könnte man pointiert auch mit „Mehr Mäuse für Tierversuchsalternativen“ überschreiben. So sympathisch ich und die CDU-Fraktion das Anliegen des Antrags auch finden, frage ich mich doch, ob der Antrag letztlich nicht nur blinder Aktionismus ist, insbesondere im Hinblick auf den Tierversuchspreis, den Frau Hämmerling eben ansprach, mit 15 000 Euro dotiert. Bislang gibt es im Land Berlin keinen einzigen Bewerber, der diesen Preis haben möchte. Insofern scheint es nicht an den 15 000 Euro zu liegen.

Bislang müssen in vielen Bereichen Tierversuche durchgeführt werden, um z. B. die Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten und Lebensmitteln zu prüfen und so das Risiko für Menschen zu verringern. Wir sind alle bestrebt, diese Tierversuche auf das absolut notwendige Maß zu reduzieren,

[Christopher Lauer (PIRATEN): Wer ist „wir“?]

und setzen uns genau wie die Grünen dafür ein, dass die Anstrengungen zur Entwicklung von Alternativmethoden weiter verstärkt werden. Dass diese Anstrengungen bis

lang nicht den gewünschten Erfolg hatten und nicht den erwünschten Umfang haben, liegt nach meiner Erkenntnis jedoch nicht am Geld. Vielmehr sind schon seit 1980, also weit bevor der Tierschutz in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wurde, durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung genau solche Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Rahmen des sogenannten 3R-Konzepts gefördert worden.

Nun ist es aber in den letzten Jahren so gewesen, dass die Förderung im Rahmen des Förderschwerpunkts „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ immer finanziell auskömmlich ausgestattet war, sodass alle vom wissenschaftlichen Gutachtergremium als förderwürdig bewerteten Forschungsprojekte letztlich auch gefördert werden konnten. Die diesbezügliche Forschungsförderung der Bundesrepublik Deutschland ist im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union unübertroffen, wie eine im Jahr 2008 veröffentlichte Untersuchung bestätigt hat. Der Schutz von Tieren hat in Deutschland ein im internationalen Vergleich hohen Stellenwert und genießt als Staatsziel Verfassungsrang. Der Tierschutz befindet sich jedoch in einem Spannungsverhältnis zu der Notwendigkeit der Durchführung von Tierversuchen im Rahmen von wissenschaftlichen Projekten. Bei allen Anstrengungen werden wir Tierversuche – wie auch meine Vorredner richtig gesagt haben – leider in absehbarer Zeit nicht vollständig durch Alternativmethoden ersetzen können. Wir können aber durch gezielte Anreize ein Nachdenken über tierversuchsfreie Lösungsansätze für wissenschaftliche Probleme in der biomedizinischen Forschung herbeiführen. Die Koalition lobt aus diesem Grund auch in diesem Jahr wieder den Preis aus. Wie gesagt, haben wollte ihn bislang keiner.

Unser Ziel ist es, zum Schutz der Tiere neue Wege für alternative Forschungsansätze zu finden und schon vorhandene alternative Ansätze weiterzuentwickeln, Synergien zu nutzen und Kompetenzen für schnelle Fortschritte zu fördern. Dieses Ziel wollen wir jedoch – anders als die Grünen – nicht gegen Forschung und Industrie, sondern gemeinsam mit allen Beteiligten erreichen. Nur dann ist es realistisch, dass wir den langen und beschwerlichen Weg hin zu weitestgehend tierversuchsfreien Forschungs- und Produktsicherheitsmethoden meistern. – Vielen Dank und schönen Abend noch!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Herrmann! – Für die Piratenfraktion hat jetzt der Abgeordnete Kowalewski das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Mir wurde zwischendurch mal der Eindruck vermittelt, ich müsste mich dafür rechtfertigen, dass wir heute überhaupt über diesen Antrag reden. Andererseits ist dieses Thema zu wichtig, um es ohne ordentliche erste Lesung in die Ausschüsse zu schicken. Das haben wir gerade an den Redebeiträgen, die bisher gehalten worden sind, gesehen. Wir sind doch auch alle von 1 Uhr als Sitzungsende ausgegangen, oder? Dann müssen wir doch nicht unbedingt um 21 Uhr fertig werden.