[Martina Michels (LINKE): Nein, aber nicht mit solchen Pöbeleien! – Zuruf von den PIRATEN: Abstimmen!]
Was heißt: Nein, aber nicht? – Seit wann entscheiden Sie, wann ich meine Rede halte! Wirklich, Frau Kollegin!
Im Jahr 2005 gab es eine Diskussion im Bundestag zur Entkriminalisierung von Beförderungserschleichung. Entsprechende Anträge kann man nachlesen, und sie sind zu Recht abgelehnt worden. Auch der Bundesrat – also die Länderkammer – hatte sich bereits damit befasst, einen Ordnungswidrigkeitentatbestand anstelle einer Strafnorm zu schaffen. Die Entwürfe wurden aber nicht weiter beraten. Bundestag und Bundesrat haben also in der Vergangenheit immer wieder die geltende Rechtslage bestätigt und nicht geändert, und die geltende Rechtslage ist auch durch das Bundesverfassungsgericht rechtlich bestätigt worden. Die Entscheidung finden Sie in Papierform in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“, 1998, Seite 1135.
Lassen Sie uns noch einmal gemeinsam einen Blick zum Bundesgerichtshof werfen, den Sie auch in Ihrer Begründung aufgeführt haben! Sie schreiben: BGH 53, 122. – Ich habe mir große Mühe gegeben, diese Entscheidung zu finden, und habe sie nicht gefunden. Vielleicht können Sie sie mir nachreichen. Ich habe aber anstelle dessen eine andere Entscheidung des Bundesgerichtshofes gefunden, und zwar die BGH-Entscheidung vom 8. Januar 2009, Az. 4 StR 117/08 – nachzulesen in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“, 2009, Seite 1091 bis 1092.
Dort sagt der BGH: Eine Beförderung wird bereits dann erschlichen, wenn der Täter ein Verkehrsmittel unberechtigt benutzt und sich dabei allgemein mit dem Anschein umgibt, er erfülle die Geschäftsbedingungen des Betreibers. – Was will der BGH damit sagen? – Auf berlinerisch: Wenn ich so tue, als hätte ich einen Fahrschein, und keinen habe, bin ich ein Straftäter.
Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung weiter gesagt, und zwar im letzten Satz, ganz einfach zu finden:
Es ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung, dem Gesetzgeber vorbehaltene rechtspolitische Zielsetzungen zu verwirklichen.
Also die Zielsetzung, die Sie ja durchaus haben: Entkriminalisierung des Schwarzfahrens. – Wenn Sie die Entkriminalisierung des Schwarzfahrens erreichen wollen, dann beantragen Sie das doch, und beantragen Sie nicht, den Straftatbestand abzuschaffen, denn dem werden wir hier, wie gesagt, nicht zustimmen!
Ich folge auch nicht Ihrer Argumentation, dass das klamme Berlin Millionenbeträge für die Rechtsverfolgung aufwendet. Lieber Kollege Weiß! Sie wollen mir doch nicht tatsächlich vorrechnen, ob Schaden und Rechtsverfolgung in einem wirtschaftlichen Verhältnis zueinander stehen. Ich frage Sie: Sollen künftig Straftäter nicht mehr eingesperrt werden, weil die Haftplätze Geld kosten? Sollen Straftaten nicht mehr verfolgt werden, weil die Gerichte Geld kosten? – Ich kann allen Berlinerinnen und Berlinern versichern, dass diese Koalition die finanziellen Mittel aufbringen wird, um auch zukünftig Straftaten zu verfolgen und zu ahnden. Der Rechtsstaat kostet Geld, und wir werden dieses Geld als Rechtsstaat aufbringen.
Sie verfolgen mit diesem Antrag nur ein Ziel und wollen eigentlich von etwas ablenken: Sie haben es bisher nicht geschafft, Ihr Wahlversprechen umzusetzen: Kostenfreiheit im ÖPNV!
[Lachen bei den PIRATEN – Christopher Lauer (PIRATEN): Was ist mit Ihren Wahlversprechen? – Weitere Zurufe von den PIRATEN]
Sie haben es noch nicht einmal geschafft, einen Antrag einzureichen. Und weil Sie dieses Ziel erreichen wollen, wollen Sie jetzt den Straftatbestand abschaffen. Das macht diese Koalition nicht mit. – Herzlichen Dank!
Zu dem Vorwurf, dass wir unsere Wahlversprechen noch nicht eingelöst haben: Wenn Sie einfach mal kurz den Raum verlassen, dann kriegen wir das schon hin!
[Beifall bei den PIRATEN – Zurufe von den PIRATEN – Torsten Schneider (SPD): Wegrenner Lauer! – Christopher Lauer (PIRATEN): (Dr. Simon Weiß) Oh Mann, Sie sind so hohl! – Weitere Zurufe]
Aber nun im Ernst: Die Urteile, die Sie erwähnt haben – Verfassungsgericht und Bundesgerichtshof –, sind ja alle bekannt. Wir sagen auch nicht, dass es verfassungswidrig ist, wie es momentan geregelt ist. Uns geht es tatsächlich darum zu fragen, ob diese gesetzliche Regelung so sinnvoll ist, und da sind wir ganz klar der Meinung: nein. Es ist auch keine rein wirtschaftliche Erwägung, weil es sich wirtschaftlich nie lohnt, Leute ins Gefängnis zu stecken. Darüber müssen wir nicht diskutieren. Das ist ein gesellschaftlicher Mehrwert. Und ist der an dieser Stelle gegeben?
Wenn wir vernünftigerweise nicht von Abschreckung oder Resozialisierung oder Sicherheit reden können, dann steht die Frage nach dem sozialen Nutzen im Raum, und ich habe noch kein vernünftiges Argument gegen das, was ich gesagt habe, gehört.
Sie haben gefragt: Soll denn der Ehrliche der Dumme sein? – Nein. Bitte vergessen Sie nicht: Wenn ich dreimal schwarzfahre, und ich komme vor Gericht und bekomme eine Strafe, dann ändert das nichts daran, dass ich das erhöhte Beförderungsentgelt bezahlen muss. Das ist ein zivilrechtlicher Anspruch, aber es einzutreiben, ist Aufgabe der Verkehrsbetriebe, und wir leben in einem Rechtsstaat, wo man solche Forderungen eintreiben kann. Das hat nichts damit zu tun, dass der Ehrliche der Dumme ist, denn sowohl der Ehrliche wie der Unehrliche müssen zahlen. Das sind zivilrechtliche Ansprüche, die gar nichts mit dem zu tun haben, worüber wir gerade reden.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin erschüttert über das Niveau der rechtspolitischen Debatte, das dieses Haus mittlerweile erreicht hat.
Ich finde außerdem, dass der für Justiz zuständige Senator Heilmann an der Debatte teilnehmen könnte. Vielleicht könnten die Vertreter der CDU-Fraktion dafür sorgen, dass ihr Senator wenigstens an dieser rechtspolitischen Debatte teilnimmt. Denn es geht immerhin um ein Thema, das im Gegensatz zu Wassertarifen und anderem tatsächlich in seinen Zuständigkeitsbereich fällt.
Wir Grünen sind der Meinung, dass in Berlin immer noch zu viele Leute in den Knästen sitzen, die dort nicht hingehören. Auf das Problem der Ersatzfreiheitsstrafe, also den Umstand, dass Menschen ins Gefängnis gehen, obwohl sie von Gerichten gar nicht zu einer Haftstrafe, sondern zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, hat der Kollege Weiß hingewiesen. Das beschäftigt uns seit vielen Jahren, und da ist der Gedanke der Entkriminalisierung von Formen geringster Kriminalität nicht erst den Piraten, sondern schon vielen anderen gekommen.
Das Bundesverfassungsgericht judiziert in ständiger Rechtsprechung: Die allgemeine Aufgabe des Strafrechts ist es, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen. Jede Strafnorm enthält ein mit staatlicher Autorität versehenes sozial-ethisches Unwerturteil. Das Strafrecht wird als Ultima Ratio des Rechtsgüterschutzes eingesetzt, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozial schädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist.
Bei der Beförderungserschleichung kann man mit Recht daran zweifeln, ob das wirklich nottut. Als die SPD rechtspolitisch noch ein bisschen moderner war, als es der Kollege Kohlmeier hier dargestellt hat, hat sie das so ähnlich gesehen. Das hat zumindest den Ersten Bürgermeister der schönen Stadt Hamburg im Jahr 1994 bewogen, über eine Bundesratsinitiative genau das Anliegen der Piraten zu verfolgen.
Auch meine Fraktion im Deutschen Bundestag hat im Jahr 1995 einen Vorstoß unternommen, um das Schwarzfahren zu entkriminalisieren. Die Piraten knüpfen hier also an eine lange rechtspolitische Diskussion an, die allerdings noch nicht zu dem von uns gewünschten Ergebnis, nämlich der Entkriminalisierung des Schwarzfahrens geführt hat. Deshalb hier in aller Kürze noch einmal die Argumente, die dafür sprechen:
Ich stelle Ihnen auch die Frage besonders gern, Herr Kollege Behrendt! – Haben Sie eigentlich bei der Diskussion, die schon länger als seit 1994 geführt wird, auch mitbekommen, dass nicht nur der Straftatbestand abgeschafft, sondern anstelle dessen eine Ordnungswidrigkeitsnorm eingeführt werden soll? Können Sie mir sagen, wo ich diesen Passus im Antrag der Piraten finde? Ich habe ihn dort nicht gelesen.
Ich danke Ihnen für diese, man könnte fast meinen, abgesprochene Vorlage. Meine Fraktion wird zur nächsten Sitzung – wir haben das bereits in der Fraktion verabschiedet – einen eigenen Antrag zu diesem Thema vorlegen, und dort wird drinstehen, dass an die Stelle des Paragraphen 265a StGB – Herr Kohlmeier, hören Sie mir zu, wenn ich antworte? Das wäre doch höflich – ein Ordnungswidrigkeitentatbestand treten soll. Diesen Antrag werden wir ins nächste Plenum einbringen.