Protokoll der Sitzung vom 27.09.2012

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich möchte kurz noch einmal die Argumente aufführen, die für eine Veränderung an dieser Stelle streiten – sie sind bereits angeklungen: Es handelt sich um geringstes Unrecht. Der Schaden ist im Hinblick auf die Preise der BVG, die immer noch maßvoll sind, gering, also eine geringe Schädigung der Verkehrsbetriebe.

Die Haft bringt in der Regel nichts, weil es hier um Haftzeiten von 15 bis 30 Tagen geht, und diese kurze Haftzeit ist nicht geeignet, um das Verhalten der Betroffenen zu beeinflussen.

Der Kollege Weiß hat auch darauf hingewiesen, dass wir es hier in der Regel mit einer Klientel zu tun haben, die erhebliche Probleme in der Bewältigung des Alltags hat. Häufig kommen noch Drogen- oder Alkoholprobleme dazu. Da bekommen Sie mit der Haft keine Verhaltensbeeinflussung hin, sodass Sie einen ewigen Kreislauf haben: Die Leute kommen immer wieder ins Gefängnis, und die eigentliche Idee, das Verhalten in Richtung straffreies Leben zu beeinflussen, funktioniert nicht.

An die Stelle des Straftatbestands sollte also der Ordnungswidrigkeitentatbestand treten. Das ist genau die richtige staatliche Sanktion. Das Schwarzfahren würde dann mit dem Falschparken gleichgesetzt, und das ist parallel zu sehen. Das ist straf- und rechtspolitisch genau die richtige Herangehensweise.

Auch hier gilt es, Politik mit Augenmaß zu machen und Strafe nur dem zu geben, dem sie gebührt. Ein behutsames Herabzonen des Schwarzfahrens zu einer Ordnungswidrigkeit ist der richtige Weg, und wir werden, wie gesagt, in der nächsten Sitzung einen entsprechenden Antrag einbringen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Herr Rissmann das Wort. – Bitte sehr!

Verehrte Damen! Meine Herren! Wir stellen uns heute wieder einmal die Frage nach der Strafwürdigkeit des sogenannten Schwarzfahrens, obwohl sie eigentlich in den Deutschen Bundestag gehört, da es dabei um die Änderung des Strafgesetzbuches geht. Wurden in der Vergangenheit solche Anliegen etwa kriminalpolitisch damit begründet, dass eine Ahndung mittels einer Ordnungswidrigkeit ausreichend sei – darauf ist hier schon eingegangen worden –, oder gesellschaftspolitisch mit der Überlegung „Freifahrt für alle“, so haben die Piraten ein, wie ich finde, gänzlich neues Argumentationsmuster anzubieten, auf das ich kurz eingehen will, weil es den Antrag als das entlarvt, was er ist, nämlich nicht zustimmungsfähig.

In der Antragsbegründung zu 2 a auf der zweiten Seite schreiben Sie im vierten Absatz:

Wenn die Verkehrsbetriebe aus Kostengründen auf naheliegende Selbstschutzmöglichkeiten verzichten, dann ist es nicht gerechtfertigt, wenn hierfür bei Polizei und Justiz wichtige Ressourcen für die Verfolgung dieses Delikts gebunden werden.

Mit anderen Worten, Sie schreiben: selbst schuld. Diese Argumentation, liebe Kollegen der Piratenfraktion, ist aus meiner Sicht gefährlich und folgenreich. Mit dieser Argumentation kann man jedes Delikt entkriminalisieren. Nehmen Sie beispielsweise den Wohnungseinbruchsdiebstahl, ein Delikt, unter dem viele Berlinerinnen und Berliner leiden mussten. Mit dieser Argumentation können Sie sagen: Der Mieter ist selbst schuld. Er hätte ein besseres Schloss vor seiner Tür anbringen können, dann wäre nicht eingebrochen worden. – Bei der Sachbeschädigung kann man sagen, der Eigentümer hätte seine Sache besser schützen müssen, dann wäre es nicht zur Beschädigung oder Zerstörung derselben gekommen. Allein diese wenigen Beispiele zeigen wohl, dass Ihre Argumentation nicht überzeugen kann.

Wenn im Antrag weiter angeführt wird, welche hohen Kosten entstehen, kann dem, nach meiner festen Über

(Dr. Klaus Lederer)

zeugung, nur entgegengehalten werden, dass der Rechtsstaat und auch die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs nun einmal Geld kosten.

[Beifall bei der CDU]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Höfinghoff?

Ja, gern, Herr Kollege. Bitte!

Herr Rissmann! Finden Sie es – ich habe es eben bei Herrn Kohlmeier schon mitbekommen – tatsächlich sinnvoll, bei einem Antrag, der die Abschaffung eines Straftatbestandes fordert, zu argumentieren, man könne alle abschaffen, wenn man einen Straftatbestand abschafft?

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Herr Kollege! Es geht darum, dass man Maßstäbe haben muss. Die Argumentation, die Sie zur Begründung zur Abschaffung dieser Vorschrift im Strafgesetzbuch ansetzen, müsste sich auch für Bewertung und Beurteilung anderer Vorschriften im Strafgesetzbuch halten lassen. Ich versuche, auf die Konsequenzen hinzuweisen, die eine Übertragung Ihrer Argumentation für das Gefüge des Normenkataloges im Strafgesetzbuch bedeuten würde. Das würde zu Ergebnissen führen, die ich wenig vertretbar empfinde.

Sie haben in Ihrer Begründung mit den Kosten argumentiert und sagen, es würden auf den Staat, die Justiz, die Polizei hohe Kosten zukommen, um dieses Delikt zu verfolgen. Auch wenn Sie diese Argumentation weiterdenken, Herr Kollege, sind wir irgendwann bei der Diskussion, wie schwer ein Delikt eigentlich zu werten sein muss, damit Strafverfolgung desselben auch Kosten beim Staat verursachen darf. Das finde ich schwierig. Wir kommen in eine Abwägung, die man gar nicht treffen kann. Ich vermute, dass Sie diese Diskussion auch nicht wirklich führen wollen.

Zu den Horrorbildern, die hier immer wieder von einigen nicht unbedingt an der Sache orientierten Diskussionsteilnehmern gezeichnet werden, wonach Schwarzfahrer massenhaft in die Berliner Justizvollzugsanstalten einfahren, kann nur gesagt werden, dass es sich bei diesem Personenkreis um Personen handelt, die sich selbst dafür entschieden haben, die Justizvollzugsanstalt zu besuchen, weil sie die Angebote der Staatsanwaltschaft, der Vollstreckungsabteilung nicht angenommen haben, auf die

sehr sinnvollen Programme wie „Schwitzen statt Sitzen“ – es gibt zahlreiche andere – einzugehen. Diese Personen nehmen aus welchen Gründen auch immer dieses Angebot des Staates, Haft zu vermeiden, nicht wahr.

[Beifall bei der CDU]

Dann muss es letztendlich als Ultima Ratio diese Möglichkeit der Ersatzfreiheitsstrafe geben, weil es zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs dann gehören muss. – Mir wird signalisiert, dass ich zum Ende kommen muss. – In der Sache darf ich auch daran erinnern, dass nach meiner festen Überzeugung die Tat der Beförderungserschleichung nach wie vor strafwürdig ist, denn ein kleiner Personenkreis von wenigen Prozent der Fahrgastteilnehmer schädigen die große Masse der Nutzerinnen und Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs. Dadurch werden beispielsweise die Tickets teurer. Die BVG ist ein öffentliches Unternehmen. Auch wird sie in ihrem Vermögen dadurch geschädigt, dass einige den erforderlichen Fahrpreis vorenthalten. Das ist zu pönalisieren. Deshalb ist die Vorschrift richtig. Darum können wir dem Antrag nicht folgen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Rissmann! – Für die Linksfraktion hat jetzt der Abgeordnete Dr. Lederer das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwei Redebeiträge – der eingangs von dem Kollegen Dr. Weiß und der von dem Kollegen Dr. Behrendt – machen es mir relativ leicht. Ich muss mich nur noch auf das Gesagte beziehen. Lieber Kollege Rissmann, ich nehme den Antrag zunächst einmal in der Sache und versuche nicht, mit den Begründungsargumenten zu kommen, denn möglicherweise kann alles an der Begründung der Piraten falsch und der Antrag trotzdem richtig sein. Man muss sich am Ende zur Sache verhalten und zum Antrag selbst entscheiden. Da muss man argumentieren und nicht schattenboxen.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall bei den PIRATEN]

Die Maßstäbe für Strafrechtspolitik liefert die Verfassung. Alles andere ist dann Strafrechtspolitik. Man kann Strafrechtstatbestände einführen. Man kann Strafrechtstatbestände abschaffen. Man sollte sich aber einen Kopf um die jeweilige Begründung machen. Am Ende muss man mit so etwas daherkommen wie kriminalpolitischer Ratio.

Strafrecht, jede Studierende, jeder Studierender des ersten Semesters weiß das, ist Ultima Ratio staatlichen Zwangshandelns. Es sollen Taten durch Polizei, Staatsanwaltschaften und Strafgerichte verfolgt werden, deren Straf

(Stefan Evers)

barkeit zur Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens unabdingbar ist. Strafrechtspolitisch müssen wir also einfach eine Frage beantworten: Gibt es andere Mittel und Wege mit gleicher oder höherer Wirksamkeit, die geeignet sind, Schwarzfahrerinnen und Schwarzfahrer an der Verletzung der in Rede stehenden Rechtsgüter zu hindern? Das ist die ganz banale Frage, über die hier diskutiert werden muss. Aus unserer Sicht ist die ersatzlose Streichung von § 265a Abs. 1 dritte Alternative StGB ein absolut richtiger Schritt zur Entkriminalisierung von Bagatelldelikten, jedoch ein viel zu kleiner Schritt. Gefängnisstrafen für Schwarzfahren sind nicht nur teuer, sie sind auch kriminologisch kontraproduktiv. Was soll es denn bringen, Beförderungserschleicher im Gefängnis erst mit den wirklich schweren Jungs in Kontakt zu bringen, zumal es in der Regel – darauf wurde schon verwiesen – nicht diejenigen sind, die über Geld verfügen und dies ganz bewusst tun, sondern es sind in der Regel diejenigen, die aufgrund ihrer sozialen Umstände in diese Situation geraten?

Das Drehen an der Strafrechtsschraube dient seit Jahren keinem anderen Zweck, als von gesellschaftlichen Missständen abzulenken. Die kriminalpolitische Rationalität wird dabei gern verdrängt. In der Tat – der Kollege Weiß hat es beschrieben – gibt es trotz rückläufiger Zahlen immer noch eine beachtliche Zahl von Ersatzfreiheitsstrafern wegen Schwarzfahrens. Wir wissen auch, dass Ersatzfreiheitsstrafen eine massive Dimension sozialer Ungleichheit beinhalten, da der Vollzug selten bei denjenigen geschieht, die Geldstrafen umstandslos begleichen können.

Der Kollege Behrendt hat darauf verwiesen, dass in den 90er-Jahren das Thema nicht nur im Bundestag und Bundesrat diskutiert worden ist. Die hessische Strafrechtskommission hat damals vorgeschlagen, nur noch Beförderungserschleichung gegenüber Kontrollpersonen zu bestrafen. Die niedersächsische Strafrechtskommission hat vorgeschlagen, § 265a komplett zu streichen. Das alles führt nicht zur kompletten Sanktionslosigkeit. Auch darauf ist hingewiesen worden. Man kann über Ordnungswidrigkeiten nachdenken. Man hat die zivilrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten. All das ist weiter im Raum. Die Linke teilt diese Haltungen absolut.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Einige Oberlandesgerichte hatten schon seinerzeit beträchtliche Schwierigkeiten, die besondere Unrechtsdimension des schlichten Fahrens ohne Fahrschein auf frei zugänglichen Bahnsteigen mit Blick auf § 265a StGB zu erkennen. In der Tat, lieber Kollege Kohlmeier, auch die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten wie beispielsweise dem einfachen Ladendiebstahl wäre sinnvoll und kriminalpolitisch klug. Es gab eine Zeit, in der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten progressivere kriminalpolitische Positionen vertreten haben. Wenn der vollmundig angekündigte heiße Herbst der Entscheidung bedeuten soll, dass kluge Anträge von Oppositionsfrakti

onen einfach abgelehnt werden, dann dauert der heiße Herbst der herbstlichen Koalitionsdämmerung bereits seit November letzten Jahres. – Vielen Dank!

Vielen Dank, Herr Dr. Lederer!

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung empfohlen. – Gibt es hierzu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.

Die Fraktion der SPD hat keine Priorität angemeldet.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.3:

Priorität der Fraktion der CDU

Tagesordnungspunkt 13

Berlin zum Mitmachen

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Stadtentwicklung und Umwelt vom 12. September 2012 Drucksache 17/0513

zum Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU Drucksache 17/0301

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der CDU. Das Wort hat der Abgeordnete Evers. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei aller Freude am politischen Streit ist es auch schön, hin und wieder Anträge in diesem Haus verhandeln zu dürfen, bei denen wir im Ergebnis zu einem inhaltlichen Einvernehmen gekommen sind. Um einen solchen Antrag handelt es sich hier. Die große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung in Berlin insgesamt, aber auch insbesondere im Bereich der Stadtplanung zu verbessern. In diesem Bereich stellt der vorliegende Antrag einen ganz wichtigen Baustein dar.