Protokoll der Sitzung vom 25.10.2012

und bis zum Ende des Jahres werden es noch einmal erheblich mehr sein. Allein im September dieses Jahres zählte das Landesamt für Gesundheit und Soziales 1 195 Vorsprachen von Asylbegehrenden, im September des letzten Jahres waren es 443, das sind rund 63 Prozent mehr.

Diese Entwicklung ist in ganz Deutschland zu beobachten und stellt alle Bundesländer und die für die Unterbringung zuständigen Kommunen vor besondere Herausforderungen. Bis September dieses Jahres werden bundesweit 49 000 Asylanträge – und damit über 30 Prozent mehr als letztes Jahr – gestellt sein.

[Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Nicht überall wurden diese Herausforderungen so gut gemeistert wie in Berlin.

[Beifall bei der CDU]

Andere Bundesländer haben bereits Zelte aufgestellt, um die Erstaufnahme zu ermöglichen, und leiten Asylbewerber bereits vor der ersten Antragsaufnahme an die Kommunen weiter, da alle Unterbringungskapazitäten erschöpft sind. Dabei ist Berlin überproportional belastet, da sich in Berlin entschieden mehr Asylbewerber melden, als hier aufzunehmen sind. Berlin ist eine Anlaufstelle für viele Asylbewerber, die bis zu Ihrer Weiterleitung in andere Bundesländer hier zunächst erfasst, untergebracht und versorgt werden müssen.

(Senator Mario Czaja)

[Canan Bayram (GRÜNE): Wie lange dauert denn die Weiterleitung?]

Diese Zugangsentwicklung stellt verschiedene Verwaltungsbereiche vor große Herausforderungen. Tangiert sind die Senatsverwaltung für Inneres und Sport – sie trifft Regelungen zur Aufnahme von Flüchtlingen und zur Verteilungsproblematik und führt Gespräche mit dem Bundesministerium des Inneren, dem BAMF zur Verfahrensbeschleunigung. Mein Haus ist für die Unterbringung von Flüchtlingen sowie für den allgemeinen Gesundheitsschutz zuständig. Die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Jugend zeichnet für die schulische Betreuung der Flüchtlingskinder verantwortlich, die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz ist für die Dauer der Asylverfahren vor den Verwaltungsgerichten zuständig. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt unterstützt bei der Suche nach Grundstücken, und die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen ist für die allgemeinen Fragen des Zusammenlebens von Flüchtlingen verantwortlich. Schließlich bereitet die Senatsverwaltung für Finanzen die finanziellen Personal- und Sachmittel für die Haupt- und Bezirksverwaltungen vor.

Vor allem und in erster Linie ist es aber die Aufgabe des Landesamts für Gesundheit und Soziales, das für die Erstaufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen zuständig ist. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben in den letzten Monaten außerordentlich Gutes geleistet. Ihnen gebührt unser Dank. Ihnen ist es zu verdanken, dass derzeit, bei dieser Zugangssituation, keine Obdachlosigkeit von Asylbewerbern vorhanden ist und diese Obdachlosigkeit vermieden werden konnte.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Ja, es ist in der Diskussion angesprochen worden: Dazu waren viele Widerstände zu überwinden und besondere Anstrengungen erforderlich. Das Landesamt gewährleistet inzwischen die Unterbringung von 4 878 Asylsuchenden in 25 Einrichtungen. Damit konnte das Landesamt für Gesundheit und Soziales seine Unterbringungskapazitäten im Bereich der Erstaufnahme innerhalb weniger Wochen mehr als verdoppeln. Insgesamt hat das LAGeSo aktuell nahezu 5 000 Personen in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Das sind allein schon 1 763 Personen mehr als Ende letzten Jahres. Die Kapazität der beiden Erstaufnahmeeinrichtungen in der Motard- sowie der Rhinstraße wurden von 750 auf 900 Plätze aufgestockt. Darüber hinaus wurden innerhalb sehr kurzer Zeit acht Notaufnahmeeinrichtungen mit zusammen 920 Plätzen eingerichtet.

Trotz des provisorischen Charakters erfüllen auch diese Notunterkünfte weitestgehend die Voraussetzungen für vertragsgebundene Gemeinschaftsunterkünfte, und die Mindestanforderungen werden eingehalten.

[Canan Bayram (GRÜNE): Macht Ihnen das keine Sorgen? ]

Ich habe mir das auch vor Ort angeschaut, Frau Kollegin. – Von den etwa 12 000 Personen, die gegenwärtig in Berlin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, leben bereits 7 000 in selbstgenutzten Wohnungen.

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales – Frau Bayram, vielleicht hören Sie einfach zu! – unterstützt weiterhin bei der Suche nach geeignetem Wohnraum und befindet sich mit den Wohnungsbaugesellschaften im Dialog, um das vereinbarte Kontingent von jährlich 275 angebotenen Wohnungen für diesen Personenkreis zu erreichen. Das LAGeSo geht aufgrund der Zuzugsentwicklung dennoch von einem zusätzlichen Bedarf in Höhe von rund 700 Plätzen bis zum Jahresende aus.

Da alle verfügbaren Plätze in Gemeinschaftsunterkünften belegt sind, müssen zusätzliche geeignete Objekte gefunden werden. Dieses Ziel kann nur in enger Abstimmung und Zusammenarbeit der einzelnen Senatsverwaltungen untereinander, aber auch zwischen dem Senat und den Bezirken erreicht werden. Ein Problem dabei war, dass in der Vergangenheit die Zahl der Asylbewerber nicht gleichmäßig auf die Bezirke verteilt war, diese also nicht proportional an der Unterbringung von Asylsuchenden beteiligt waren. Einige Bezirke scheuten aus Rücksicht auf ihre Sozialstruktur davor zurück, Gemeinschaftsunterkünfte einzurichten.

Ich möchte mich daher zunächst bei den Bezirken bedanken, die sich in besonderem Maße an der Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen beteiligen und besondere Lasten zu schultern haben.

[Beifall bei der CDU und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und PIRATEN]

Das sind seit Jahren die Bezirke Tempelhof-Schöneberg und Lichtenberg. Danke auch denen, die in diesen Bezirken politische Verantwortung tragen! Deren tatkräftiges Engagement und die Gespräche in den vergangenen letzten Wochen und Monaten auch direkt mit uns haben dazu geführt, dass wir in Berlin nicht vor noch größeren Problemen stehen.

Wir haben uns der ungerechten Beteiligung der Bezirke an der Unterbringung von Asylbewerbern von Anfang an angenommen. In meiner Verwaltung wurde ein Konzept zur gleichmäßigeren Verteilung von Unterbringungsplätzen erarbeitet, das ich dem Rat der Bürgermeister zur Beratung und Beschlussfassung vorlegen werde. Ich nehme natürlich die unterschiedlichen Konfliktlagen in den Bezirken ernst. Aber am Ende müssen alle Berliner Bezirke die Belastungen tragen. Dafür werden wir uns einsetzen.

[Canan Bayram (GRÜNE): Sehen Sie nicht, dass Sie über Menschen, richtige Menschen reden?]

Inzwischen erhält das Landesamt auch von Bezirken Angebote, die bislang von diesen nicht ausreichend ge

(Senator Mario Czaja)

tätigt wurden – auch dafür meinen Dank. Das Landesamt ist gerade dabei, deren Angebote zu prüfen.

Darüber hinaus – das wurde vorhin schon angesprochen – steht das Landesamt auch mit dem Berliner Immobilienmanagement in Kontakt, mit den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege, den Kirchen und den derzeitigen Betreibern von Gemeinschaftsunterkünften, um geeignete Objekte für eine kurzfristige Unterbringung als Notunterkunft oder als längere Gemeinschaftsunterkunft zu akquirieren. Die Suche erstreckt sich auch auf geeignete erschlossene Grundstücke, auf denen Unterkünfte errichtet werden können. Durch erhebliche Anstrengungen ist es in den letzten Tagen gelungen, dass neue Notunterkünfte in den Ortsteilen Moabit, Mitte und Heiligensee eröffnet werden konnten. Somit besteht keine besondere Not mehr. Konkrete Aussicht auf weitere Inbetriebnahme von Gemeinschaftsunterkünften haben wir.

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales hat darüber hinaus die Inbetriebnahme von weiteren vier Standorten, darunter auch in Steglitz-Zehlendorf, in Aussicht, um rechtzeitig vor Beginn der kalten Jahreszeit alle in unserer Stadt um Asyl nachsuchenden Menschen mit einer ordentlichen Bleibe auszustatten.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam die derzeitigen Herausforderungen meistern werden. Berlin hat bereits in der Vergangenheit verschiedene Perioden mit einem sehr viel höheren Zugang von Asylbewerbern, Flüchtlingen, Aussiedlern und Übersiedlern aus der ehemaligen DDR erfolgreich bewältigt. Zeitweise wurden in Berlin über 20 000 Menschen in Notunterkünften untergebracht. Damals gab es noch Containerdörfer. Das ist heute in Berlin nicht der Fall.

Daher liegen aber auch gute Erfahrungen vor, so dass über die Unterkunft und Verpflegung hinaus weitere Aufgaben wie die gesundheitliche Versorgung, die Kinderbetreuung oder die notwendigen Schulplätze erfolgreich erledigt werden können.

Ein wichtiger Beitrag ist aber auch, über Asylanträge, Folgeanträge und Klageverfahren schnell zu entscheiden. Diese Aufgaben liegen zum Teil beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Aber auch bei unseren Gerichten müssen sich die Arbeitsabläufe beschleunigen. Zusätzliche Kammern müssten eingerichtet werden, um diesem Strom an Anträgen endlich gerecht zu werden.

Als Reaktion auf die bundesweit steigenden Zugänge im Asylbereich werden daher auf der Bundesebene zahlreiche Anstrengungen unternommen, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Die Asylverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sollen erheblich beschleunigt werden. Die durchschnittliche Verfahrensdauer der Asylanträge betrug im vergangenen Jahr 5,7 Mona

te. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer für Anträge von Asylbewerbern aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina liegt derzeit bei zwei Monaten und soll auf einen Monat verkürzt werden. Damit soll möglichst schnell der Aufenthaltsstatus geklärt werden, da im Durchschnitt nur jeder vierte Asylbewerber anerkannt wird und einen Schutzgrund hat und von allen Asylanträgen von Serben und Mazedoniern in diesem Jahr noch kein einziger genehmigt wurde.

Zur Beschleunigung der Asylverfahren soll mehr Personal im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingesetzt werden. Darüber hinaus sollen Anträge von Asylbewerbern nach Herkunftsstaaten konzentriert und vorrangig durch eine aufgestockte Anzahl von Entscheidern im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bearbeitet werden.

In einem gemeinsamen Brief mit der Sozialministerin von Bayern, Frau Haderthauer, und dem Sozialminister von Hessen, Herrn Grüttner, an den Bundesinnenminister habe ich appelliert, dass die dafür dringend notwendige Personalausstattung einzurichten ist und geeignete IT-Mittel zur Verfügung stehen, um die tatsächlichen Bedingungen zur Verfahrensbeschleunigung herzustellen.

[Beifall bei der CDU]

Schließlich steht auch auf europäischer Ebene am 25. Oktober beim Treffen der EU-Innenminister auf der Tagesordnung, die Visumsfreiheit für Serbien und Mazedonien auf die Tagesordnung zu setzen.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Der enorme Anstieg der Asylbewerber stellt alle Bundesländer in Deutschland vor große Herausforderungen. Berlin ist in besonderem Maße betroffen, weil viele Asylsuchende zunächst Berlin ansteuern und dann auf andere Bundesländer verteilt werden. Berlin hat aus den 90er Jahren Erfahrungen mit starkem Zustrom von Asylbewerbern und wird diesen auch jetzt bewältigen, wenn alle Beteiligten weiter an einem Strang ziehen.

Auch ist in den letzten Wochen und Monaten hier viel gute Arbeit geleistet worden. Es gibt natürlich noch eine Fülle von Aufgaben zu erledigen, die vor uns liegen. Aber der Zustrom an Flüchtlingen hält weiter an. Wir stellen uns dieser Aufgabe. Jeder, der hier Zuflucht vor Verfolgung und Unterdrückung sucht, kann aufgenommen und mit einer angemessenen Unterkunft versorgt werden. Dafür brauchen wir keine Anträge der Opposition. Dies ist die tägliche Arbeit der Mitarbeiter des Landesamts für Gesundheit und Soziales.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

(Vizepräsident Andreas Gram)

Zum Antrag auf Drucksache 17/0579 wurde die sofortige Abstimmung beantragt. Die Koalitionsfraktionen beantragen jedoch die Ausschussüberweisung, worüber ich zunächst abstimmen lasse. Wer der Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten und Medien und mitberatend an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales und den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz und Geschäftsordnung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Ersteres war die Mehrheit. Damit ist die Überweisung in die Ausschüsse beschlossen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4:

Prioritäten

gemäß § 59 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

und komme zu

lfd. Nrn. 4.1 und 4.2:

Prioritäten der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU

Tagesordnungspunkt 27