Protokoll der Sitzung vom 25.10.2012

Danke schön, Herr Präsident! – Herr Kollege Reinhardt! Sie haben gerade dem Kollegen Juhnke von der CDU darin zugestimmt, dass die Asylverfahren schneller abgeschlossen werden müssen. Stimmen Sie denn auch mit der CDU überein, dass die schneller abgelehnten Asylbewerber auch zügiger abgeschoben werden müssten?

Herr Kollege Lux! Das war einer der wenigen Punkte, in denen ich mit Herrn Dr. Juhnke übereingestimmt habe. Es geht natürlich nicht darum, dass man Menschen möglichst schnell abschiebt oder loswird, sondern darum, dass sie sich nicht jahrelang in einem unsicheren Rechtsstatus bewegen und jeden Tag damit rechnen können, dass das Asylverfahren plötzlich abgeschlossen wird, sie morgens mit Klingeln geweckt und dann dementsprechend schnell aus Deutschland abgeschoben werden. Es geht natürlich nicht darum, dass die Abschiebeverfahren beschleunigt werden und wir mehr Abschiebeknäste brauchten. Ich glaube, Sie wissen genauso gut wie ich, dass wir überhaupt nicht in diese Richtung gehen.

[Sven Rissmann (CDU) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Ah, da kommt noch eine Frage. Jetzt geht es richtig rund. Meine Güte!

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rissmann!

Bitte!

Herr Kollege Reinhardt! Was soll denn aus Ihrer Sicht mit abgelehnten Asylbewerbern geschehen?

Herr Kollege Rissmann! Ich glaube, das ist jetzt eine sehr grundsätzliche Frage.

[Lachen bei der CDU]

Wir haben auf verschiedenen Ebenen bestimmte Verpflichtungen. Dazu gehört zum einen die Verpflichtung, dass wir den Asylbewerbern ein gerechtes und faires Verfahren gewähren müssen. Das ist etwas, das wir aus dem Grundgesetz ableiten können und müssen. Wir haben aber gleichzeitig bestimmte Verpflichtungen, denen auch nachgekommen werden muss. Wichtig wäre es zum Beispiel, dass wir uns in Deutschland darauf verständigen, dass wir Minderjährige, die abgeschoben werden sollen, eben nicht mehr abschieben, dass wir darauf achten, dass wir Familien nicht auseinanderreißen, dass wir darauf achten, dass bei Abschiebungen die menschenwürdige Behandlung weiterhin auch gewährleistet wird, dass nicht – wie es in vielen Fällen bei Abschiebungen schon passiert ist – Menschen zu Tode kommen oder

sonstige körperliche Verletzungen erleiden. Das wären wichtige Punkte, auf die wir uns konzentrieren müssen, wenn wir über Asylverfahren, über Abschiebung reden. Da sollte der Fokus liegen!

[Michael Dietmann (CDU): Wie war jetzt die Antwort?]

Sie haben jetzt noch eine Frage?

Herr Kollege Dr. Heide hat eine Zwischenfrage!

Ich habe die Antwort zwar akustisch, aber von der Sache her nicht recht verstanden, insbesondere deshalb, weil wir momentan eine Vielzahl von abgelehnten Asylbewerbern haben, die aus Ländern Europas kommen, insbesondere Beitrittskandidaten der Europäischen Gemeinschaft. Insofern glaube ich, dass die Kriterien, die Sie eben genannt haben, nur sehr eingeschränkt Anwendungen finden.

Eine Frage stellen, bitte!

Danke, Herr Kollege Gram! – Es drängt sich die Frage auf, was nach diesem schnellen Asylverfahren mit den Leuten passieren soll, wenn sie nicht freiwillig ausreisen?

[Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE)]

Herr Kollege! Das, was Sie jetzt beschreiben, ist jetzt gerade nicht der Regelfall. Der Regelfall ist ja, dass Menschen hier Asyl beantragen, dass dann aber gesagt wird: Wir können diesem Antrag nicht stattgeben, wir lehnen ihn ab. Trotzdem ist die Rückreise in das Heimatland gefährdet, weil die Situation im Heimatland unruhig ist. Daraus entsteht dann häufig die Situation der Geduldeten, die hier nicht die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsstatus abzusichern, gleichzeitig aber nicht abgeschoben werden. Das ist ja gerade die Situation dieses unsicheren Rechtsstatus, in dem sich viele Menschen befinden.

Wenn es zu dem Fall kommt, dass ein Asylantrag abgelehnt wird, dann wäre eine Abschiebung unter sehr, sehr klar formulierten und sehr, sehr klaren Bedingungen eben auch möglich, aber das ist ja jetzt gar nicht die Frage, die sich hier stellt.

[Michael Braun (CDU): Würden Sie irgendwann mal eine Frage beantworten?]

Ich hatte neulich in meiner Rede schon darauf hingewiesen, in welch aufgeheizter Stimmung das Asylbewerberleistungsgesetz in den Neunzigerjahren entstanden ist.

Das wurde schon mehrfach angesprochen. Jetzt laufen wir Gefahr, dass wir die aufgeheizte Stimmung in Deutschland wiederholen, und das ist etwas, was wir unbedingt verhindern müssen! Das Asylbewerberleistungsgesetz regelt die Separation von Flüchtlingen und Asylbewerbern aus unserem Sozialsystem hinaus. Langfristige Schäden durch die Nichtintegration sind dabei wesentlich schlimmer als die möglicherweise entstehenden Kosten für unsere Gesellschaft. Der Auftrag durch das Bundesverfassungsgericht an uns ist dabei also klar: Das Urteil vom 18. Juli 2012, die verminderten Leistungen durch das Sondergesetz für verfassungswidrig zu erklären, ist Auftrag an uns, Asylsuchende und Flüchtlinge in das normale Sozialsystem zu integrieren. Das können wir nun mit Berlin anstoßen, andere Bundesländer haben dazu bereits eine Initiative in den Bundesrat eingebracht, wir haben die Möglichkeit, diese Initiative zu unterstützen.

Frau Radziwill! Ich freue mich natürlich, dass Sie auf die CDU zugehen und sie überzeugen wollen, aber natürlich ist es nicht hilfreich, wenn Sie jetzt die Bundesratssitzung verstreichen lassen, sich dort u. U. enthalten und dann vielleicht irgendwann später eine neue Bundesratsinitiative einbringen. Das wäre besser als nichts, aber trotzdem wäre es sinnvoll, wenn wir jetzt gemeinsam auf diese Bundesratssitzung hinarbeiten, wo der Antrag ja schon auf der Tagesordnung steht und wozu Berlin sich ja auch verhalten muss.

[Ülker Radziwill (SPD): Die Beratungen laufen!]

Liebe Abgeordneten von der Koalition! Sie haben einen Koalitionsvertrag ausgearbeitet, in dem Sie den Menschen eine Willkommenskultur versprochen haben.

[Ülker Radziwill (SPD): Dazu stehen wir auch!]

Das finde ich schön, dass Sie dazu stehen! – Auf Seite 60 steht:

Wir werden eine Willkommenskultur etablieren, die den Zuwanderern zeigt, dass sie in Berlin erwünscht und gewollt sind.

Sie sehen, wir beschäftigen uns sogar mit dem, was Sie schreiben, und nicht nur mit unseren eigenen Pamphleten!

[Ülker Radziwill (SPD): Hatten Sie das denn überhaupt in Ihrem Wahlprogramm?]

Sollte das eine Zwischenfrage sein, Frau Kollegin Radziwill, oder war das ein Zwischenruf? – Bitte schön, stellen Sie die Zwischenfrage!

Das war eigentlich eher ein Kommentar, aber wenn Sie es hören möchten, dann sage ich es noch einmal.

Sie müssen eine Frage stellen, das wissen Sie, nicht?

Ich versuche, es umzuformulieren. – Haben Sie denn das, was Sie in unserem Koalitionsvertrag nachgelesen haben, in ähnlicher Form in Ihrem Wahlprogramm gehabt?

Frau Radziwill! Ich kann Sie beruhigen, wir haben die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes tatsächlich in unserem Wahlprogramm für Berlin stehen. Ich kann Ihnen nach der Sitzung gerne den Link zuschicken, dann können Sie alles auch in Ruhe nachlesen.

Meine Damen und Herren von der Koalition! Das, was Sie bisher eingebracht haben im Bereich Willkommenskultur, ist im Großen und Ganzen ein Antrag zu einer zentralen Einbürgerungsfeier, den wir auf der vorletzten Sitzung hier besprochen haben. So gerne wir auch feiern, das muss mehr werden! Das soll nicht alles gewesen sein, wir fordern mehr Willkommenskultur! Ein erster Schritt wäre die Annahme des dringlichen Antrags der Oppositionsfraktionen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Ich bedanke mich auch! – Für den Senat erteile ich jetzt Herrn Senator Czaja das Wort. – Bitte sehr, Herr Senator!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach vielen Jahren des Rückgangs von Asylbewerbern haben wir seit 2009 wieder einen merklichen Anstieg des Zugangs. Dieser hat sich in diesem Jahr noch einmal erheblich gesteigert, nachdem das Bundesverfassungsgericht am 18. Juli die Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für verfassungswidrig erklärt und eine Übergangsregelung in Kraft gesetzt hat, nach der Asylbewerber rund ein Drittel höhere Geldleistungen erhalten.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Und deswegen sind die Zahlen der Asylsuchenden gestiegen?]

Seither ist bundesweit ein verstärkter Zustrom – vor allem aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien – zu verzeichnen, zumal für diese Länder seit Ende 2009 bzw. 2010 keine Visumspflicht mehr besteht, sodass die legale Einreise jederzeit möglich ist. Hier hat sich – und das bestätigen die Mitarbeiter unseres Landesamtes für Gesundheit und Soziales – in weiten Teilen ein organisierter Busreiseverkehr entwickelt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Breitenbach?

Nein, keine Zwischenfragen! – Hier werden Menschen offenbar mit falschen Versprechungen und für viel Geld nach Deutschland transportiert, um hier Leistungen zu erhalten, die für tatsächlich politisch Verfolgte – wie beispielsweise aus Syrien – gedacht sind. Für das Jahr 2012 rechnen wir daher mit rund 3 500 Ayslbegehrenden.

[Udo Wolf (LINKE): Der Mann redet für den Senat, Frau Kolat?]

Im letzten Jahr waren es bereits 2 316 Menschen.

[Udo Wolf (LINKE): Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! – Benedikt Lux (GRÜNE): Das ist die Willkommenskultur der CDU!]

Im Jahr 2009 waren es noch 1 076, im Jahr 2006 wurden nur 913 Asylbewerber und Asylbewerberinnen in Deutschland und in Berlin angenommen. Das ist also für dieses Jahr mehr als das Dreifache im Vergleich zu 2006,

[Udo Wolf (LINKE): Weiß Klaus Wowereit das?]

und bis zum Ende des Jahres werden es noch einmal erheblich mehr sein. Allein im September dieses Jahres zählte das Landesamt für Gesundheit und Soziales 1 195 Vorsprachen von Asylbegehrenden, im September des letzten Jahres waren es 443, das sind rund 63 Prozent mehr.