Protokoll der Sitzung vom 10.11.2011

Wenn Sie genau zugehört hätten, Herr Doering, dann hätten Sie unsere Position genau verstanden. Unsere Position heißt: Wir wollen kein Straßenausbaubeitragsgesetz. Daran hat sich nichts geändert. Wir haben diese Position vertreten, als wir in der Regierung waren, vor 1999. Da wollte die SPD das umsetzen, und das ist mit uns nicht passiert. Wir haben diese Position vertreten, als wir in der Opposition waren. Da haben Sie nur in der Regierung Ihre Meinung geändert, die Sie vorher hatten, und jetzt vertreten wir diese Auffassung auch. Nur der Unterschied ist, Herr Doering: Wir haben jetzt ein Straßenausbaubeitragsgesetz, das Sie als Architekt dieses Gesetzes hier im Haus eingebracht, erarbeitet und umgesetzt haben. Mit diesen Rahmenbedingungen muss man in einer Koalitionsverhandlung natürlich auch leben.

[Ah! von der LINKEN]

Das Zweite, Herr Doering: Im März haben Sie auf dem Parteitag beschlossen. Unseren Antrag, Herr Doering, haben wir im Juni oder Juli eingebracht. War das jetzt vor oder nach Ihrem Parteitag?

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Das war Wahlkampf!]

Der Antrag auf Ihrem Parteitag war vor der Beschlusslage, die wir hier im Haus getroffen haben. Es ist schon ziemlich verlogen, wenn Sie sagen, Sie haben den Antrag gestellt und hatten dann eine andere Meinung. Nein! Sie haben auf dem Parteitag beschlossen, dass Sie das Straßenausbaubeitragsgesetz abschaffen wollen, und haben wenige Monate später hier im Parlament unserem Antrag keine Zustimmung gegeben, als es eine Mehrheit gegeben hätte. Und dass es die FDP nicht mehr gibt, Herr Doering, haben Sie vielleicht auch bemerkt, wenn Sie in diesem Haus mal ordentlich rundum schauen.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von der LINKEN – Dr. Klaus Lederer (LINKE): Das werden keine schönen Zeiten in Marzahn-Hellersdorf!]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat der Kollege Otto. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich gerade mal auf dem Weg nach hier vorne hineinversetzt in jemanden, der diese Debatte am Fernseher anguckt. Da kann ich Ihnen sagen: Ich würde wahrscheinlich den Fernseher abstellen.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ich würde ihn deshalb abstellen, weil hier ein kleinliches Gezänk herrscht in der Frage: Wer hat vor einem halben Jahr, wer hat vor einem Vierteljahr, und was hast du und was habe ich?

[Uwe Doering (LINKE): Das kennen die Grünen überhaupt nicht!]

Sie haben jetzt einfach mal die Positionen getauscht, Die Linke und die CDU, das gibt es. Vielleicht gibt es auch so etwas wie eine Abwechslung in der Opposition. Vielleicht haben Sie auch von Herrn Czaja das Büro übernommen. Es gab Umzüge im Haus, und Sie haben vielleicht den Antrag noch gefunden. Aber wer jetzt wann und wie was hat, das ist nicht das, was wir hier diskutieren müssen, sondern was wir diskutieren müssen, das ist einmal das Sachthema, und zum Zweiten kann man schon noch mal darüber nachdenken: Was heißt es eigentlich, wenn man im Wahlkampf – Herr Czaja, das geht jetzt an Sie – 100-Prozent-Versprechungen abgibt? Herr Doering hat vorhin gesagt, es gibt nur 100 oder null. Das ist sehr vereinfacht. Es gibt immer den Kompromiss. Ich glaube, das muss man dann auch, Herr Czaja, vor der Wahl den Leuten ehrlich sagen, dass sie nicht 100 Prozent bekommen werden. Was Sie plakatiert haben, glaube ich, war überzogen. Wenn Sie damit in eine Koalition gehen und das aufweichen, dann ist das schwierig, weil Sie nicht das liefern können, was Sie den Leuten versprochen haben. Das wissen Sie ganz genau, und Sie haben jetzt auch schon ein bisschen die Richtung angedeutet.

Die Angelegenheit mit diesem Gesetz ist nicht so platt, wie das diskutiert wird. Es ist nicht die Frage, ob wir so ein Gesetz brauchen oder nicht, sondern die Frage lautet doch: Ist es sinnvoll – auch in Berlin –, dass Leute, die an Straßen wohnen, wo etwas gebaut wird, wo verbessert, erweitert, ausgebaut wird, dass die sich daran beteiligen müssen? Das ist die Frage! Oder sollen alle für alles zahlen? Macht das einfach der Steuerzahler? Dadurch wird – Sie wissen das – alles ein bisschen diffuser. Mich interessiert dann auch nicht mehr, was die vor meiner Haustür bauen. Das wird sicherlich schön und teuer sein.

Das Gesetz und die Praxis haben dazu geführt, dass die Bürgerbeteiligung besser geworden ist. Die Leute organisieren sich. Sie kennen doch alle die Beispiele aus Reinickendorf, Steglitz, Pankow oder Lichtenberg. Da organisieren sich Leute und sorgen dafür, dass Baumaßnahmen zum Beispiel kostengünstiger werden. Die sorgen dafür, dass nicht irgendwelche Beamten in den Tiefbauämtern bauen, was sie wollen oder schon immer gern mal asphaltiert sehen wollten. Das ist ein Erfolg des Gesetzes.

Jetzt kommt die Schwierigkeit – das klang bei einzelnen Redebeiträgen schon an –: Wie viel muss man denn nun bezahlen? Wonach richtet sich das? – Das Gesetz ist da sehr schematisch. Es sagt: Sie haben eine Anliegerstraße, da beträgt der Beitrag soundso viel Prozent der Baukos

ten. Sie haben eine Hauptverkehrsstraße, eine Haupterschließungsstraße oder einen Wohnweg, und da beträgt der Beitrag soundso viel. Ich plädiere dafür, dass wir uns nicht nach einer solchen schematischen Klassifizierung richten, sondern zum Beispiel nach dem Verkehrsaufkommen. Machen Sie doch eine Verkehrszählung – vorher/nachher –, und dann wird man sehen: Ist das für die Leute eine deutliche Mehrbelastung – vielleicht muss der Beitrag sogar mal im Einzelfall negativ sein –, oder ist das eine Verbesserung? Darüber muss man diskutieren. Sie müssen endlich mal das Gesetz überprüfen, und das geht an die SPD.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Sie haben sich gescheut zu gucken, was in anderen Kommunen und Ländern ist und wie man das modifizieren kann. Es liegt jetzt bei Ihnen, bei der SPD. Mit dem neuen Koalitionspartner – genauso wie offenbar mit dem alten – können Sie da nicht viel anfangen. Sie müssen das jetzt bringen, Herr Buchholz! Sie müssen modifizieren, eine Studie vorlegen, das Gesetz evaluieren, und Sie müssen den Leuten sagen, wie mehr Gerechtigkeit in dieses Gesetz hineinkommt. Das ist Ihre Aufgabe! Das erwarten wir von Ihnen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ein solcher Prozess muss möglichst bald absehbar sein. Sie müssen dafür sorgen, dass überprüft wird: Was gibt es in den anderen Bundesländern? Es gibt Kommunen, die so etwas gerade erst eingeführt haben. Herr Doering! Machen Sie sich doch mal kundig! In anderen Bundesländern – auch in Ostdeutschland – gibt es Kommunen, die das eingeführt haben, weil sie festgestellt haben, dass es richtig ist, die Leute zu beteiligen, und weil sie möglicherweise auch ein Haushaltsproblem haben. – Reden wir nicht drumherum! Das spielt eine Rolle! – Harald Wolf sagte im Frühjahr einer Zeitung: Das hätten sie nur pro forma, wegen Karlsruhe, gemacht. – Das fand ich ein bisschen schwach, was der Senator da gesagt hat. Er hat so getan, als ob das Gesetz zur Beruhigung der anderen Bundesländer gemacht worden wäre.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Ich glaube, das haben Sie missverstanden!]

So ist es doch nicht! Ein solches Gesetz ist ernsthaft notwendig, weil es Verantwortung klärt in der Stadt, Verantwortung für die Finanzierung von Infrastruktur in dieser Stadt, und das brauchen wir weiterhin, aber wir wollen es anders, wir wollen es besser und wir wollen es gerechter haben. Das ist Ihre Aufgabe – auch Ihre, Herr Czaja!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Für die Fraktion der Piraten hat nun der Abgeordnete Spies das Wort.

[Uwe Doering (LINKE): Bist du jetzt für alles zuständig?]

Das ist Zufall! – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Otto! Ich hatte gerade den Eindruck, dass Sie noch im Modus der Koalitionsverhandlungen stehengeblieben sind.

[Heiterkeit und Beifall bei den PIRATEN und bei der LINKEN]

Kollegen von der SPD! Überlegen Sie sich mal, ob es dann nicht vielleicht besser wäre, wenn Sie das Straßenausbaubeitragsgesetz behalten wollten. Die CDU hat, wenn Sie im Internet googeln, direkt eine Domain registriert: Straßenausbaubeitragsgesetz, aber da lese ich auch nicht viel. Die letzte Aktualisierung stammt vom 17. Juni.

[Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN]

Das war wohl der Tag, an dem Sie Ihren Antrag eingebracht haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken: Es ist gut, wenn man Fehler eingesteht und korrigieren will. Es stellt sich allerdings die Frage, warum dieses Gesetz zur Aufhebung des Straßenausbaubeitragsgesetzes erst jetzt von Ihnen eingebracht wurde. Es hat in der letzten Legislaturperiode reichlich Zeit und Gelegenheit dazu gegeben. Offenbar war Ihnen eine harmonische Regierungsbeteiligung wichtiger als die Interessen der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt.

[Beifall bei den PIRATEN und bei der CDU]

Wenn viele, viele Milliarden Euro durch die Landesbank verzockt wurden – da waren ja ehemals auch führende Köpfe der CDU sehr kreativ – und die Haushaltskasse leer ist, dann fehlt auch das Geld zur Sanierung maroder Verkehrsstraßen.

[Beifall von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Das ist aber eine öffentliche Aufgabe, für die die Bürgerinnen und Bürger Steuern zahlen. Es ist richtig, dass in anderen Bundesländern seit Jahrzehnten Straßenausbaubeiträge für Maßnahmen erhoben werden, die den Anliegern einen direkten Vorteil bringen. Das ist eine gelungene Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Juristen. Um nur ein Beispiel aus einer langen Liste zu nennen: Das Verwaltungsgericht Kassel hat 1999 entschieden, dass die Aufstellung neuer Verkehrsschilder nicht beitragspflichtig ist, die Kosten für den Abbau, die Zwischenlagerung und Wiederaufstellung der bereits vorhandenen dagegen schon. Hier ist diese Liste!

[Beifall von Sven Kohlmeier (SPD) und Lars Oberg (SPD) – Sven Kohlmeier (SPD): Ausgedruckt! Hervorragend!]

Ausnahmsweise ausgedruckt, ja! – Bereits kurz nach Verabschiedung des Straßenausbaubeitragsgesetzes in Berlin hat das Oberverwaltungsgericht BerlinBrandenburg 2006 entschieden, dass Eigentümer im Westteil Berlins auch rückwirkend zur Kasse gebeten werden können. Das liegt an der komplizierten Struktur. Damit war eine entsprechende Schutzregelung – § 15a des Gesetzes – nichtig, und damit wurden völlig unnötig alte Gräben zwischen Ost und West erneut aufgerissen. Für mich ist es grundsätzlich nicht einsehbar, warum für neue Bürgersteige, Fahrradwege, Grünstreifen und Bäume extra zur Kasse gebeten werden soll. Immerhin wurde daran gedacht, die Regelung zur Bürgerbeteiligung in das Gesetz aufzunehmen, die ich ausdrücklich loben würde, käme sie denn zur Anwendung. Die Bezirke haben sich sehr kreativ darin gezeigt, dass das nicht passiert.

[Uwe Doering (LINKE): Genauso ist es!]

Meiner Ansicht nach gehört das Gesetz abgeschafft, da es keine sinnvolle Steuerungswirkung für die Stadtentwicklung hat. Kommunale Beiträge sollten nur dann erhoben werden, wenn dem Beitragszahler daraus ein erkennbarer Nutzen entsteht. Beitragserhebungen zum Abbau der Staatsverschuldung lassen sich meines Erachtens nicht rechtfertigen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den PIRATEN und bei der CDU]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Gesetzesantrags an den künftig für Bauen zuständigen Ausschuss und an den künftigen Hauptausschuss empfohlen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Für die lfd. Nr. 4.5 ist keine Priorität benannt worden. Der Tagesordnungspunkt 5 steht auf der Konsensliste. Tagesordnungspunkt 6 war Priorität der Fraktion Die Linke unter Nr. 4.4.

Ich komme zu

lfd. Nr. 7:

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 17/0015

Elftes Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Es wird die Überweisung der Gesetzesvorlage federführend an den künftig für Wirtschaft zuständigen Ausschuss und mitberatend an den künftig für Um

(Vizepräsidentin Anja Schillhaneck)

welt zuständigen Ausschuss empfohlen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.