Frau Abgeordnete Burkert-Eulitz! Das Bezirksamt wird uns dann sicherlich entsprechend informieren, sodass wir dann schnell eine Bewertung vornehmen können.
Bevor wir zu Tagesordnungspunkt 3 kommen, warten wir noch einen Moment, bis wieder Ruhe eingekehrt ist. – Danke schön!
b) Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan von Berlin für die Haushaltsjahre 2012 und 2013 (Nachtragshaushaltsgesetz 2012/2013 – NHG 12/13)
Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die zweite Lesung und schlage vor, die Einzelberatungen der drei Paragrafen miteinander zu verbinden, und höre hierzu keinen Widerspruch. Ich rufe die Überschrift und die Einleitung sowie die §§ 1 bis 3 der Drucksache 17/0500 auf. Für die Besprechung bzw. Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Esser. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Stellen Sie sich für einen Augenblick einmal vor, Sie wollten sich ein Eigenheim zulegen, die größte Infrastrukturmaßnahme Ihres Lebens. Sie wenden sich vertrauensvoll an die Fertighausfirma Wowereit und Schwarz und erhalten als verbindliches Angebot 310 000 Euro Komplettpreis mit allem Drum und Dran – Haus, Garten, Erschließung, Kreditvermittlung, Regelung der Nachbarschaftsrechte usw. Sie fragen sich: Haut das wirklich hin? – und erhalten die Antwort: Gar kein Problem, unsere Firma ist eine Erfolgsgeschichte mit lauter zufriedenen Kunden; und in der Kalkulation ist noch 20 Prozent Luft, volle 60 000 Euro für Unvorhergesehenes. – Sie sind überzeugt und schließen den Vertrag.
So ähnlich lief das hier vor einigen Jahren im Hauptausschuss, bloß, dass es sich um einen Flughafen und nicht um ein Fertighaus handelt und die in Rede stehende Summe mit 3,1 Milliarden Euro damals tausendmal so hoch war.
Aber weiter im Text, werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst kamen natürlich die üblichen Verzögerungen und Kostensteigerungen auf der Baustelle. Das haben Sie
als Bauherr auch nicht anders erwartet. Aber am Ende sind Sie froh, denn Wowereit und Schwarz erklären: Alles noch im Kostenrahmen, und noch besser: Im Juni können Sie einziehen! – Sie kündigen die alte Wohnung, bestellen den Möbelwagen, laden schon mal die Gäste für die Einweihungsparty ein. Kartons und Kisten sind gepackt, da kommen Herr Wowereit und Herr Schwarz und hüsteln: Ähm, es gibt da ein Problem. Der Umzug könne nicht stattfinden, die Fertigstellung habe sich verzögert, die Heizung – sprich Brandschutzanlage – funktioniere nicht. Es gäbe da zwar noch die händische Lösung, die Methode Sarrazin, fünf Pullover übereinander anziehen und Heizkosten sparen,
aber vielleicht sei das für den kommenden Winter dann doch nicht das Ideale. Kurz und gut, der Einzug werde sich um anderthalb Jahre verzögern, und dann sei da leider noch was. Der Bau werde am Ende 40 Prozent teurer, und Sie müssten deswegen 120 000 Euro nachschießen. Sie hätten doch sicher noch Rücklagen, oder etwa nicht?
Ansonsten sei aber alles bestens. Das Haus sei zu über 90 Prozent fertig. Okay, da sei das Problem mit der Heizung. Auch gebe es neue Probleme mit den Nachbarn, die rund 30 000 Euro kosten könnten. Und dann liege da wohl auch noch das eine oder andere Kabel an der falschen Stelle.
Im Schlussspurt sei der Überblick leider ein wenig verlorengegangen. Deswegen könne man auch nicht alles ganz genau beziffern. Aber dafür, dass das Geld diesmal ganz bestimmt reichen werde, verbürge sich die Firma Wowereit und Schwarz hoch und heilig.
Man solle also weiterhin Vertrauen haben zu der bewährten Firma und jetzt endlich das Geld rausrücken.
So, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von SPD und CDU! Wie reagieren Sie normalerweise, wenn Sie sich so etwas anhören müssen? Ich meine im wirklichen Leben, nicht in der Politik. Höchstwahrscheinlich würden Sie die Firma Wowereit und Schwarz vom Hof jagen und Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die Herren in Regress zu nehmen. Das Argument der Herren Wowereit und Schwarz, man könne schließlich nicht alles wissen und deshalb nichts dafür, würden Sie als das bewerten, was es ist: absurd, zynisch und verantwortungsscheu.
Was aber passiert stattdessen im politischen Raum und hier im Saal? – Da entfaltet sich aufs Schönste die zynische Logik, die die Politik zu oft regiert und die viele Menschen verdrossen macht. Da denken die einen an die Bundestagswahl im nächsten Jahr. Die anderen überlegen, wie lange sie brauchen, um einen Nachfolger für Wowereit aufzubauen. Die nächsten wieder fragen sich, ob sie von einem langen Siechtum mehr profitieren als von einem schnellen Ende des Skandals. Und nachdem alle miteinander zu dem Resultat gekommen sind, dass es politstrategisch am besten ist, erst mal alles auf die lange Bank zu schieben, fühlen sich einige auch noch gut dabei. Denn das beweist ja, dass man zu den harten, ausgekochten Jungs und Mädels gehört, die wissen, wie richtige Politik funktioniert. So weit, so schlecht.
Ich finde, wir alle hier im Politikbetrieb, Politiker aller Fraktionen und auch Journalisten, sollten mal die Frage stellen: Was ist eigentlich mit den Leuten in unserer Stadt – und das sind viele, wenn nicht die meisten –, die das Flughafendesaster ganz einfach und ohne höhere Politarithmetik als das nehmen, was es ist: ein Skandal, der Konsequenzen erfordert. Was ist eigentlich mit diesen Leuten, die auf einfachen Werten wie Wahrhaftigkeit, Anstand und Verantwortung bestehen und darauf, dass auch Politiker und Manager ihre Fehler zugeben und dafür geradestehen? Sind die alle blöd und naiv und haben die Gesetze der Politik nicht begriffen? Sind diese Menschen naiv, weil sie darauf bestehen, dass auch die Politik nicht jenseits aller Regeln operiert und die Kraft zur Selbstreinigung aufbringen muss, wenn es das Wohl der Stadt erfordert, und die sich sagen, den Weg aus der Krise zu finden, das ist unsere Aufgabe als gewählte Abgeordnete, alle miteinander? – Ich finde nicht, dass diese Menschen naiv sind, und blöde sind sie schon gar nicht. Ich finde, dass sie das Wesentliche erkannt und im Kern recht haben.
Für diese Leute und deren Sichtweise kämpfen wir hier. Es ist ein Problem, wenn einige Schlaumeier hier erklären: Oh, da hätten wir ja noch mal Glück gehabt, dass die Steuereinnahmen dieses Jahr so schön sprudeln und wir sie ohne neue Verschuldung und Sparmaßnahmen in eine Rücklage für das Flughafendesaster umleiten können. Hinter jedem Euro dieser 444 Millionen Steuereinnahmen steht ein Mensch, der diesen Euro hart erarbeitet hat und von uns erwartet, dass wir verantwortungsbewusst damit umgehen.
Das ist das Geld der Eltern von Schülern, die in maroden Schulgebäuden sitzen müssen und unter Lehrermangel leiden. Das ist das Geld von Leuten, die ihre Miete nicht mehr bezahlen können, weil in dieser Stadt seit zehn Jahren kein öffentlich geförderter Wohnungsbau mehr möglich war.
Das ist das Geld von Leuten, die auf dem S-Bahnhof stehen und frieren, weil mal wieder kein Zug kommt und unsere Infrastruktur nicht funktioniert. Kurzum: Das ist das Geld von Leuten, die mit Verweis auf die Haushaltsnotlage weggeschickt werden, vielleicht auch manchmal weggeschickt werden müssen, wenn sie ein Anliegen vorbringen, das öffentliches Geld kosten könnte, auch wenn das Anliegen noch so berechtigt ist.
Und wenn Sie jetzt diesen Nachtragshaushalt mit einem nonchalanten „Ja, ja, schön ist das natürlich nicht“ durchwinken, ohne den Herren Wowereit und Schwarz ihre Fehlleistung gleichzeitig nachzutragen, dann werden Grundwerte gebrochen, die für eine parlamentarische Demokratie essentiell sind.
Wir alle sollten nicht zulassen, dass der Begriff der politischen Verantwortung in Berlin so weit ausgehöhlt wird, dass die Chefs von Vorstand und Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft keine Konsequenzen ziehen, solange nicht am Ende eines quälenden Prozesses hieb- und stichfest nachgewiesen wurde, dass sie am 12. Mai, nehmen wir mal an, 2011 exakt um 15.32 Uhr mit eigenen Augen ein Kabel gesehen haben, das falsch verlegt wurde. Diese Reise nach Absurdistan sollten wir nicht antreten, auch nicht unter Ihrer Führung.