Protokoll der Sitzung vom 31.01.2013

Wie kann ein solcher Mitarbeiter noch Kooperationspartner sein? Wie kann das Netzwerk Kinderschutz weiterentwickelt werden, wenn alle nur noch Spitz auf Knopf abarbeiten, was rechtlich einklagbar ist? Und alles, was darüber hinaus passiert, und in der Netzwerkarbeit passiert viel darüber hinaus an den Schnittstellen mit Kooperationspartnern, das macht uns eben Sorge, und wir fürchten, dass das zunehmend abgebaut wird und das Netz eben nicht enger geknüpft wird.

Ich kann hier noch mal ein paar Beispiele aus den Bezirken nennen. In Tempelhof-Schöneberg z. B. ist die Fallzahlenbelastung im RSD pro Vollzeitfachkraft 140 Familien. Zur Erinnerung, Frau Scheeres, hat es eben gesagt: 35 Kinderschutzfälle plus 25 andere Fälle ist die oberste Norm, die angegeben wird, sowohl nach der Studie als auch auf Bundesebene wird es angeraten.

In Marzahn-Hellersdorf sind es 80 bis 120 Fälle pro Vollzeitfachkraft bei steigenden Fallzahlen. Um nur mal ein Beispiel zu nennen: Von 2007 auf 2011 ist die Zahl der betroffenen Kinder von 385 auf 1 068 gestiegen. Das muss man sich mal vorstellen. Hier gibt es auch eine Entwicklung, die nicht außen vor gelassen werden darf. Wir haben höhere Bevölkerungszahlen in Berlin. Wir hatten gerade vor Kurzem die Bevölkerungsprognose auf dem Tisch. Daraus ist das ganz klar hervorgegangen, dass wir hier einen Zuwachs und eine steigende Geburtenrate haben. Und wir haben eine Verschärfung der sozialen Lage. Das muss man einfach mit rechnen, wenn man in der Politik ist.

Vielleicht noch eine Zahl zu Friedrichshain-Kreuzberg: Da sind es zurzeit 70 Fälle pro Person. Bei Umsetzung des Personalabbaus – wird angegeben – werden es ca. 90 Fälle sein. Das geht so nicht weiter. Wir finden, da muss

das Land Berlin, da muss der Senat auch irgendwie mehr Verantwortung übernehmen. Es gibt ja verschiedene Vorschläge, die auf dem Tisch sind, wie diesen Zuständen Abhilfe geleistet werden kann. Es geht da nicht nur um Geld, es geht auch um die Überprüfung der Effizienz der Strukturen.

Das Modell, das Sie angesprochen haben, das 2011 entwickelt wurde, wissen Sie, ist vom Rat der Bürgermeister abgelehnt worden. Sie wollen es nicht umsetzen. Man kann jetzt nicht zwei Jahre später einhergehen und sagen, na ja, wir finden es aber trotzdem eine gute Idee, orientiert euch mal daran. Da sagen die, ja, gut, wir würden es ja gerne machen, aber wir haben keine Wahl, wir können es nicht leisten, wir haben hier einfach Personalmangel, und wir haben Geldmangel.

Die Bezirke sind nicht ordentlich ausgestattet worden. Das wissen wir alle hier. Es ist ein gutes Jahr her, tatsächlich, dass von den Bezirken parteiübergreifend gefordert wurde, wir brauchen 111 Millionen pro Bezirk mehr, und sie haben 50 bekommen. Das hat eben gerade mal gereicht, oder reicht eben gerade mal, um die Kostensteigerungen zu decken. Da sitzt ja der Hase im Pfeffer. Das kann man nicht einfach ignorieren. Das kriegen natürlich auch die Jugendämter und alle anderen zu spüren.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Und was machen sie, wenn sie keine Außeneinstellungen vornehmen können, wenn sie den Einstellungskorridor nicht verbreitern können? – Das ist alles dringend notwendig. Sie werben sich gegenseitig aus den Bezirken qualifiziertes Personal ab. Das fehlt dann wieder anderswo. Das ist ein Kreislauf, der einfach vollkommen irrsinnig ist, und der muss unterbunden werden. Ich finde, da ist das Land Berlin mehr in der Pflicht, als es das jetzt annimmt.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wir hatten auch nach den Kooperationen gefragt, wie es damit steht. Ein Netzwerk lebt von Kooperationen, ist, wie gesagt, keine Decke, soll es auch nicht sein. Aber auch hier sind Sie uns die Antwort schuldig geblieben. Auch hier steht die Frage: Wer macht das, und wann macht er das? Der Herr Dr. Blankenstein hat in einer der Anhörungen ja berichtet, dass hier von engagierten Einzelkämpfern sozusagen das System lebt und dass die fehlenden Strukturen im medizinischen Kinderschutz durch diese engagierten Einzelpersonen abgefedert werden.

Uns hätte auch interessiert: Wie gelingt inzwischen die Zusammenarbeit mit anderen Bereichen, mit dem Ressort Gesundheit? Welche Rolle spielt u. a. eigentlich der Kinderschutzbeauftragte der Senatsgesundheitsverwaltung? Ist er in diese ganzen Prozesse integriert? Ist das irgendwie hilfreich, was da passiert?

Wir finden auch, dass wir nach all den Erkenntnissen – es wird ja hier im ganzen Land Berlin in vielen Kommissionen und Gremien gearbeitet: Wie kann man den Kinderschutz verbessern? Und wie kann man aus den Fehlern, die gemacht wurden, lernen? Wir müssen mit den gewonnenen Erkenntnissen auch etwas anfangen. Eine Erkenntnis aus der Analyse des Falls Zoe ist z. B., dass es neue Partner braucht. Hier ist eindeutig beschrieben worden, dass die Suche nach geeignetem und bezahlbarem Wohnraum für Familien in krisenhaften Situationen besonders schwierig ist. Das können wir uns alle lebhaft vorstellen. Es ist ja schon für Menschen, die keine Krise haben, schwierig, hier in Berlin eine Wohnung zu finden.

Ist eine Unterstützung des Landes und Kooperation mit kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und Jobcentern machbar und denkbar? Gibt es da Möglichkeiten? – Wir sind der Meinung, dass entsprechende Vereinbarungen auf Landesebene dringend nötig wären. Wohnraumverlust und Zwangsumzüge müssen bei Familien mit Kindern vermieden werden, ist unsere Haltung.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vor der Entscheidung der Jobcenter – auch bei Kostensenkungsverfahren – muss in solchen Fällen eine Kooperation mit den Jugendämtern passieren, um die Situation nicht noch zu verschärfen. Weiterer Knackpunkt ist die Bürokratie, die hier auch angesprochen wurde. Die Maßgabe ist, dass die Zielstellung eines Netzwerks ist, verbindliche Handlungs-, Informations- und Dokumentationsmuster zu erstellen.

Der Status ist – auch wieder Resultat aus den Analysen, die gemacht wurden –: Die Kollegen beklagen – ich zitiere hier – im Rückblick einen Zeitdruck durch Bürokratie. Sie entfernen sich von ihrer eigentlichen Kernkompetenz als Sozialarbeiter, da z. B. parallele Dokumentationen zum Kinderschutz und zum Hilfeprozess erfolgen müssen. Das heißt, hier müsste dringend ein Abgleich passieren. Die Ausführungsvorschriften müssen synchronisiert werden. Die Ausführungsvorschriften müssen natürlich auch immer von Menschen umgesetzt werden. Es ist gut, dass wir in Berlin so ausführliche haben, aber auch hier muss sich das System selbst hinterfragen.

Wir beurteilt der Senat die Situation, und welche Steuerungsverantwortung übernimmt er auch im Hinblick auf das, was in den Bezirken offenbar sehr unterschiedlich gehandhabt wird, das Berichtswesen und die Dokumentationspflichten? Zum Sachstand Prävention: Sie haben ja ganz richtig darauf hingewiesen, dass das ein wichtiger Teil der Arbeit ist, der wichtigste eigentlich. – Ich habe nur noch 60 Sekunden, ist ja unglaublich.

Es gilt ja sowieso bei uns in der Jugendpolitik der Grundsatz „Prävention vor Intervention“, weil logischerweise Reparaturen aufwendiger sind als Vorbeugungsarbeiten. Wir wissen aber auch, dass zugunsten der Leistung für

Intervention gerade an der Prävention gespart wird. Das wird auch absehbar nicht besser, denn die Ausgaben für Intervention steigen gerade kontinuierlich. Das sind die erhöhten Fallzahlen. Und das sind die verschärften Lebensbedingungen hier in der Stadt. Die Kosten bei den Hilfen zur Erziehung sind um ca. 10 Millionen im Vergleich zu 2011 auf über 420 Millionen gestiegen. Das sind auch Fakten, Tendenzen und Entwicklungen, die man hier zur Kenntnis nehmen müsste.

Es ist ganz wichtig, ein Frühwarnsystem zu installieren. Sie haben da auch schon einige Bausteine genannt. Es ist gut, dass das passiert. Trotzdem verstehen wir nach wie vor nicht, weil wir als Linke in den Haushaltsberatungen den Ausbau der Angebote nach § 16 gefordert haben, –

Sie müssten bitte zum Ende kommen, Frau Kollegin!

warum das damals nicht möglich war, je 250 000 Euro für allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie von der Koalition zu bekommen. Das wäre ja z. B. eine Möglichkeit gewesen, die Bezirke ganz klar zu unterstützen und zu fördern. – Ich höre jetzt auf.

Bitte, Frau Kollegin, wäre nett!

Ich denke, wir werden ja doch noch öfter darüber reden.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Danke schön! – Für die Fraktion der SPD erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Eggert. – Bitte sehr, Herr Kollege!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Senatorin Scheeres! Allgemein vorweg zu den Anfragen: Es ging mir schon früher so, in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg, so ein Fragenkatalog sagt oft mehr aus über den, der fragt, oder diejenige – in diesem Fall –, die fragt, als den, der antwortet. Wenn ich mir diese Große Anfrage mit ihrer Vielzahl fachlich wichtiger und Detailfragen angucke, dann kann ich nur sagen: Frau Möller, Respekt! Diese Große Anfrage zeigt deutlich, dass Sie sich mit dem Netzwerk Kinderschutz auseinandergesetzt haben und es Ihnen wichtig ist. Das finde ich wirklich gut. Ich freue mich darüber, dass sich

Die Linke auch in der Oppositionszeit an unsere gemeinsamen politischen Kinder erinnert, die aus rot-roter Zeit stammen. Ich freue mich, dass wir uns gemeinsam weiter dafür einsetzen und uns darum kümmern. Und ich freue mich, dass wir uns, wenn wir uns die Beantwortung von Frau Senatorin Scheeres heute angehört haben, wenig Sorgen über den Fortbestand machen müssen und es kaum Skepsis gibt, dass es auch weiterhin einen Ausbau und eine Qualitätsentwicklung in diesem Bereich geben wird. Frau Scheeres hat es hier noch einmal deutlich gemacht. – Danke, Frau Scheeres, auch Ihnen hierfür, dass Sie sich für unsere politischen Kinder einsetzen, aber sich auch ganz konkret um die Berliner Kinder kümmern.

Aber zwei, drei Sachen, und das ist wohl richtig, müssen hier erwähnt werden. Die rot-schwarze Koalition sieht zwar sehr positiv auf die nächsten Jahre, doch wir hoffen, dass wir einige Bereiche vielleicht auch noch verbessern können. Der Bereich der Gesundheitsvorsorge und der Supervision muss gestärkt werden. Wir müssen wissenschaftlich evaluieren, ob die Arbeitsbedingungen vor Ort in den Jugendämtern und bei den freien Trägern, so wie sie aktuell sind, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch so sind, dass sie nicht an ihre physische oder psychischen Grenzen geraten.

Laut einer aktuellen Studie sind knapp die Hälfte der Erwerbstätigen in Deutschland überzeugt, dass der Stress im Arbeitsalltag in den vergangenen zwei Jahren zugenommen hat. Rund jeder zweite Arbeitnehmer arbeitet nach eigenen Angaben unter starkem Termin- und Leistungsdruck. Der Senat hat nicht nur eine Verantwortung für den Schutz der Kinder in Berlin, sondern der Senat hat auch eine Vorsorgepflicht für seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dieses muss gewährleistet werden. Eine Anmerkung hierzu: Es hat in der Vergangenheit auch Außeneinstellungen gegeben. Die Fälle wurden von Frau Senatorin Scheeres erwähnt. In FriedrichshainKreuzberg und auch in Marzahn-Hellersdorf hat es welche gegeben. Also ganz so, dass gar keine mehr eingestellt werden, ist es auch nicht.

Ich stelle fest, dass wir in den nächsten Jahren die Situation der Flüchtlinge, die in die Stadt kommen, im Auge behalten müssen. Der Senat muss hier einiges tun und steht vor großen Herausforderungen. Ich freue mich, dass Frau Senatorin Kolat hier bereits einige Maßnahmen ergriffen hat. Denn Berlin muss zeigen, dass diese Menschen hier willkommen sind. Berlin muss insgesamt zeigen, dass wir eine weltoffene und freundliche Stadt sind, so wie Berlin bereits gezeigt hat, dass wir eine familienfreundliche Stadt sind.

[Beifall bei der SPD]

Denn wir stehen sehr gut da bei der Ausstattung mit Kitaplätzen.

[Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE): Das sehen die Eltern aber anders!]

Dass in Berlin Familie und Beruf gut miteinander vereinbart werden können, das ist mehr als nur ein politisches Ziel. Es ist ein knallharter Standortvorteil – Frau Senatorin Yzer, wenn sie hier wäre, würde mir recht geben. Damit wird Berlin attraktiv, attraktiv für Fachkräfte, die wir auch in Zukunft brauchen. Das ist ein wichtiger Punkt.

[Beifall bei der SPD]

Gute, qualitativ hochwertige Kitas sind aber nicht genug. In den nächsten Jahren werden wir die Familienhebammenprojekte und die Familienzentren in den Bezirken ausbauen.

Doch in diesem Jahr – und das spreche ich auch gern noch einmal an – stehen wir vor Herausforderungen, die so groß sind, dass wir sie nur gemeinsam werden lösen können. Wir brauchen dringend ein Musterjugendamt mit klaren Standards, wie von Frau Senatorin Scheeres eben gerade dargestellt. – Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen – das richtet sich an alle Fraktionen und auch alle Parteien! Sprechen Sie mit den Bezirksbürgermeistern und der – leider nur – einen Bezirksbürgermeisterin, dass sich der Rat der Bürgermeister nicht noch einmal einstimmig dagegen ausspricht, Standards für die Jugendarbeit zu setzen. Sie müssen endlich in die Pötte kommen. Wir brauchen ein Standardjugendamt. Das ist wichtig.

Für uns hier im Haus gilt: Lassen Sie uns gemeinsam laut darüber nachdenken, ob wir das von den Vorsitzenden der Jugendhilfeausschüsse geforderte Moratorium für die Jugendarbeit gemeinsam durchsetzen können.

Von dieser Stelle lassen Sie mich zum Abschluss noch meinem Kollegen Roman Simon gute Besserung ausrichten. – Ich danke Ihnen für Aufmerksamkeit! Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Burkert-Eulitz – bitte schön, Frau Kollegin!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Scheeres! Sehr geehrter Herr Kollege Eggert! Ich weiß ja nicht, in welchen Parallelwelten Sie leben,

[Beifall von Özcan Mutlu (GRÜNE)]

aber irgendwie waren Sie ja auch beim Landesjugendhilfeausschuss, als die Jugendamtsdirektorinnen und auch die Vorsitzenden der Jugendhilfeausschüsse dabei waren und Brandbriefe vorgetragen und inhaltlich gesagt haben:

Wir können unserer Garantenpflicht als öffentliche Jugendhilfe in den Bezirken nicht mehr nachkommen, weil wir nicht genug Personal haben, um den Kinderschutz abzusichern. Das ist die Situation in dieser Stadt, und darauf wollten wir Antworten von Frau Scheeres. Die Piraten haben eine Kleine Anfrage gestellt. Wir haben eine Kleine Anfrage gestellt. Frau Möller hat eine Große Anfrage gestellt. Und wir alle bekommen keine Antworten, wie die Realität jetzt gerade in den Bezirken aussieht und wie sie aussehen wird.

Müll, Unrat in den Wohnungen, betrunkene Eltern, kein Strom, keine Heizung und dazwischen kleine Kinder – bereits vier Minderjährige sind in dieser Woche ihren Familien weggenommen worden, so die „Berliner Zeitung“ von heute. Das ist die Realität. Sie sind zufällig gefunden worden. Wie viele Kinder es noch in dieser Stadt sind, die Hilfe brauchen, das wissen wir nicht.

Was passiert aktuell? – Die Kostensätze für die Hilfen zur Erziehung sinken. Die Fallpauschalen und die Kosten sind im Vergleich zu 2010 um über 6 Prozent gesenkt worden. Ob daran qualitative Aspekte beteiligt waren, das ist mehr als fraglich. Aber die Kosten für die Hilfe zur Erziehung sind gestiegen. Das heißt, die Fallzahlen sind massiv gestiegen.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eggert?