Vielen Dank! – Meine Damen und Herren! Ich erteile jetzt Herrn Kollege Dr. Lederer für die Fraktion Die Linke das Wort. – Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie das brennende Verlangen nach Nachfrage und Kontrolle Herrn Jupe in seinem Berufsethos treibt, das habe ich im Wasserausschuss erlebt, dazu brauchen Sie mir hier nichts zu erzählen!
[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN – Andreas Baum (PIRATEN): Kann man auch nachlesen!]
Kann man auch nachlesen, jawohl! – Was sich hinter dem sogenannten Pferdefleischskandal verbirgt, ist nun in der Tat mehr als eine banale Tiersortenverwechselung. Ob nun Pferdefleisch in der Lasagne besser schmeckt oder Rindfleisch in der Lasagne, das möchte ich als Vegetarier an der Stelle überhaupt nicht bewerten, und darum geht es letztlich auch nicht.
Im Mittelpunkt dieses erneuten Lebensmittelskandals steht die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Millionen Menschen offenbar vorsätzlich über die Inhalte von Lebensmittelprodukten getäuscht worden sind. Stück für Stück kommt ans Tageslicht, dass Fertignahrungsmittel, die als Rindfleisch deklariert worden sind, Pferdefleisch enthalten. Lasagne, Ravioli, Gulasch, Chili con Carne, und ich bin ziemlich sicher, dass die Liste in den nächsten Wochen noch die eine oder andere Erweiterung erfahren wird.
Bürgerinnen und Bürger fragen sich, was sie eigentlich noch bedenkenlos kaufen können, und wie bereits bei BSE, bei Dioxin oder den Antibiotikabelastungen wird die Politik wie immer hektisch und überschlägt sich in Aktionismus. Der zu Wochenbeginn von Bundesministerin Aigner und den Länderministern vorgelegte Aktionsplan zeigt, wie vorhersagbar hilflos mal wieder reagiert wird. Geprüft werden soll, ob die Selbstkontrolle der Lebensmittelkonzerne ausreichend ist. Es soll geprüft werden, ob die Informationspflichten für Unternehmen gegenüber den Behörden ausreichend sind, und es soll geprüft werden, wie ein vernünftiges Frühwarnsystem der Verbrauchertäuschung aussehen kann. Schließlich soll geprüft werden, ob die Sanktionen in Form von Strafen und Bußgeldern gegen kriminelle Lebensmittelpanscher ausreichend sind. Das klingt für mich alles nach dem sehr bekannten Phänomen „Tot durch Prüfauftrag“.
Dabei ist das alles nun wirklich nicht neu. Frau Köhnes Beitrag war nicht so sonderlich tiefschürfend, aber eines hat sie richtig dargestellt, nämlich die Geschichte der Lebensmittelskandale der letzten Jahre. Ich frage mich, was eigentlich in der Zwischenzeit passiert ist und weshalb in einem Aktionsplan erst einmal wieder ein Prüfauftrag nach dem anderen ausgelöst werden muss.
Das ist doch unbegreiflich! Wir wissen nach den Betrügereien und Skandalen der vergangenen Jahre genau, was überfällig ist: Behörden müssen Verbraucherinnen und Verbraucher schon bei konkreten Verdachtsfällen schnell und umfassend informieren. Unternehmen, die Informationen zurückhalten, müssen mit spürbaren, schmerzhaften Sanktionen belegt werden. Die Herkunft und die Lieferketten von Lebensmitteln müssen für die Konsumentinnen und Konsumenten lückenlos nachvollziehbar sein. Die Gesamtverantwortung für die Qualität eines Produkts muss bei dem Unternehmen liegen, dessen Logo auf der Verpackung prangt. Und so weiter und so weiter, alles schon zusammengestellt, liegt alles vor, ist alles auch schon diskutiert worden.
Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Jupe, aber es war in der Tat die CDU/CSU-Regierung gemeinsam mit der FDP, die in der Vergangenheit jeden Schritt zu weiterem wirkungsvollem Verbraucherschutz mit der Gefährdung
Da können Sie sich doch nicht hierher stellen und sagen, Sie wollten ganz wild die Regierung kontrollieren und ihr auf den Zahn fühlen. Damit machen Sie sich hier lächerlich. Damit machen Sie sich angesichts des massenhaften Versagens Ihrer Bundesregierung absolut lächerlich.
Meine Damen und Herren! Man muss auch einmal über die Hauptursachen des derzeitigen Skandals reden. Das sind die offenbar mafiaartigen Strukturen in der Produktion von und im Handel mit Lebensmitteln. In einer Zeit, in der der Lebensmittelkauf und deren Lieferung rund um den Globus organisiert sind, gerät die wirtschaftliche Logik des Lebensmittelsektors in den Fokus. Wie sinnvoll ist es eigentlich, in einem ruinösen Wettbewerb die Preise für Nahrung in Supermärkten und Großhandelsketten immer weiter zu drücken? Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul, mag sich mancher sagen. Aber wenn es nicht mehr nur um die Frage geht: Rind oder Pferd –, sondern um die Frage: Hormone, Antibiotika oder Dioxin, da sieht die Sache dann schon anders aus.
Entsteht durch die Struktur der Lebensmittel- und Großhandelsbranche nicht automatisch der Zwang, sich zur Senkung der Produktionskosten immer zweifelhafterer Methoden zu bedienen? Das Nutztier muss immer schneller, immer fetter und immer billiger auf das Fließband und in den Wirtschaftskreislauf. Ist es da ein Wunder, dass Medikamente, Wachstumshormone, Massentierhaltung, aber auch der Betrug bezüglich der Inhaltsstoffe nicht zu den Ausnahmen gehören, sondern offenbar zur kriminellen Regel werden? Ist es nicht blauäugig, Frau Köhne, dem Phänomen mit Selbstverpflichtungserklärungen begegnen zu wollen
oder abstrakt mehr Transparenz zu fordern? Ich meine, bei den gegenwärtigen Wertschöpfungsketten der Lebensmittelindustrie passen all die Informationen, die die Kundinnen und Kunden kennen sollten, kaum noch auf die Etiketten. Vor allem: Wie soll all das vor Falschdeklarationen schützen? Wir haben es doch offensichtlich mit einem organisierten und bewussten Lebensmittelbetrug in der globalen Lebensmittelindustrie zu tun. Nicht, dass nicht genug auf dem Etikett steht, ist das Problem, sondern dass das, was auf dem Etikett steht, offensichtlich nicht in der Verpackung ist. Das ist das Problem, und hier muss angesetzt werden.
Das Ganze hat natürlich auch noch eine sozialpolitische Dimension. Es sind insbesondere Menschen mit geringem Einkommen, Menschen in Armut und Prekarität, die notgedrungen darauf angewiesen sind, günstige Lebensmittel zu kaufen. Sie können weder in die Feinkostabteilung des KaDeWe noch auf den Biomarkt auf dem Kollwitzplatz gehen, ihnen bleibt nur der Weg zum Discounter. Frisches Gemüse oder kontrolliertes Fleisch aus der Region sind da nicht drin. Die global organisierten Lebensmittelkonzerne verdienen dabei kräftig mit. Es ist doch wirklich irrsinnig, dass Tiere, Gemüse und sonstige Zutaten in den einzelnen Wertschöpfungsstufen um die halbe Welt fliegen, um an den billigsten Standorten unter fragwürdigen Bedingungen verarbeitet zu werden. Dagegen, Frau Köhne, können Sie auch mit Herkunftsnachweisen und Etikettenpflichten nichts tun. Das ist alles symbolische Politik. Ich teile die Kritik all derjenigen, die sagen, Sie wollen ein bisschen Bundestagswahlkampf machen, anstatt über die Fragen zu reden, die die Stadt wirklich bewegen: vom Flughafen über den Lärmschutz, über die Staatsoper bis hin zum Krankenhauskonzern Vivantes.
Was gebraucht wird, ist eine andere und regulierte Ökonomie im Lebensmittelsektor, die auf kurzen Wegen, regionaler Verarbeitung, gesicherten Standards und verbindlicher Kontrolle beruht. Was will der Senat unternehmen, um hier – gern auch durch Druck auf Frau Aigner – ein Umsteuern hinzubekommen? Denn eines ist klar: Wenn Thilo Sarrazins Speisezettel für Hartz-IVBezieherinnen und -Bezieher der Maßstab sein soll, dann führt um Ponygulasch und Pferdelasagne kein Weg herum. Denn Konsumentinnen- und Konsumentensouveränität ist für arme Menschen ein Euphemismus.
Damit bin ich bei meiner nächsten Frage an den Senat: Stichwort Kontrollen. Die einzige Möglichkeit, Etikettenschwindel aufzudecken, besteht in einem verlässlichen Netz professioneller Lebensmittelkontrolle. Da ist es doch die Frage, was der Senat unternehmen will, um die lückenlose Kontrolle von Lieferketten zu gewährleisten. Wie wird gesichert, dass die Berlinerinnen und Berliner unverzüglich informiert werden, wenn Verdachtsmomente über Täuschung und Gesundheitsrisiken vorliegen? Stimmt es tatsächlich, dass einzelne Discountketten offenbar schon im Januar stille Rückrufaktionen durchgeführt haben, heimlich, still und leise, ohne die Öffentlichkeit zu informieren? Wie kann es sein, dass die Öffentlichkeit davon nichts mitbekommt? Was will der Senat gegen eine solche Praxis unternehmen? Hat der Senat konkrete Ideen für die Verbesserung und die Stärkung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes?
Frau Staatssekretärin Toepfer-Kataw hat im Dezember 2012 aus dem Bezirk Lichtenberg Post bekommen. In diesem Schreiben hat der zuständige Stadtrat sie darauf hingewiesen, dass die Ausstattung der Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämter völlig unzureichend ist. Dort
heißt es, dass die Pflichtaufgaben nicht erfüllt werden können, sondern die Erfüllungsquote bei 70 Prozent mit sinkender Tendenz liege. Zitat:
Ursächlich dafür sind die bereits in den vergangenen Jahren immer wieder aufgeführten Personaldefizite, die Folgen der demografischen Entwicklung sowie zunehmend besondere Probleme im Zusammenhang mit der Globalisierung der Handelsmärkte.
Also, zumindest in Lichtenberg wusste man schon im Dezember, dass es da ein Problem gibt. In den anderen Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämtern sieht es nicht besser aus.
Ich bleibe dabei: Nur mit Kontrollen und Laboranalysen lässt sich ein Schwindel wie der beim Pferdefleisch aufdecken. Der Senat muss sagen, was er unternimmt, damit die Fähigkeit der Berliner Behörden gesichert bleibt, die Kontrollen auch tatsächlich durchzuführen.
Ihnen, liebe Koalition, war es trotz einer Vielzahl anderer wichtiger Fragen heute ganz besonders wichtig, in einer Aktuellen Stunde über den Pferdefleischskandal zu sprechen. Dann erwarte ich nun auch, dass uns der Senat sehr genau Auskunft darüber erteilt, was er zu unternehmen gedenkt, um seiner konkreten Verantwortung für die Lebensmittelsicherheit hier im Land Berlin auch tatsächlich nachzukommen. – Dann lässt sich auch diskutieren, Herr Jupe. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Dr. Lederer! – Für die Piratenfraktion hat jetzt der Kollege Kowalewski das Wort. – Bitte sehr!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Stunde heute dreht sich nicht um die verfehlte Senatspolitik, die Spitzenkräfte aus der Stadt treibt. Es geht auch nicht um die verfehlte Senatspolitik, die die Geschäftsführer der kommunalen Krankenhauskette in die Flucht treibt, und es geht auch nicht um die verfehlte Senatspolitik, die die Lehrer zu Streiks zwingt, und damit die Eltern, zu Hause zu bleiben. Es geht vielmehr um ein Thema, an dem der Senat augenscheinlich gar nicht selbst schuld ist, sondern mit professionellem Krisenmanagement glänzen möchte.
Nach 360 amtlichen DNA-Analysen wurden deutschlandweit in 24 Proben nicht deklariertes Pferdefleisch in
verarbeiteten Lebensmitteln gefunden. Die böse Industrie! Damit konnte ja nun wirklich niemand rechnen! Alle üblichen Verdächtigen sind dabei: Hausmarken von AldiSüd und -Nord, Kaufland, Lidl, Kaisers, Rewe, Edeka, Eismann, Real, Metro und natürlich unsere Freundin Nestlé, die keinen Lebensmittelskandal auslässt.
Dass Pferd im Gegensatz zum Rind nach jüdischen Speisegesetzen treife – also nicht erlaubt – ist, ist dabei nur ein Aspekt. Grundsätzlich fordern wir Piraten auch an dieser Stelle zum wiederholten Mal, dass auf allen Verpackungen von Lebensmitteln, wie auch Kosmetika und Bekleidung klar, vollständig und korrekt deklariert sein muss, was sich darin befindet, und was zur Herstellung genutzt wurde.
Herr Kollege Lederer! Es steht leider doch zu wenig auf den Etiketten. Wir haben Gelatine als Klärmittel in Wein und Saft, wir haben L-Cystein aus Schweineborsten oder Federn in Bäckereien als Knethilfe, allüberall tierische Produkte, die nirgends in Zutatenlisten oder Inhaltsstoffdeklarationen auftauchen. Das ist auch Teil des Skandals. Wo Zutaten und Verarbeitungshilfsstoffe tierischen Ursprungs eingesetzt werden, muss dies deutlich erkennbar sein. Das gilt auch für tierische Bestandteile in Aromen, Zusatzstoffen und technischen Hilfsstoffen, die während der Produktionsprozesse zum Einsatz kommen. Wer vollständig auf Zutaten tierischen Ursprungs verzichten möchte, muss die Möglichkeit dazu haben, auch hier in der Kantine. Wir sollten auch niemanden dazu zwingen, durch die Bezahlung von Steuern der Massentierhaltung das Geld in den Trog zu schaufeln.
Wer denkt, Pferdefleisch habe zwar keinen guten Ruf, müsste daher heimlich unters Rind gemischt werden, sei dafür aber gesünder, weil die illegal gefangenen Wildpferde nicht ihr ganzes Leben eingepfercht und angebunden waren wie viele ihrer wiederkäuenden Kolleginnen und auch nicht mit genetisch verändertem Soja gefüttert und gegen die unerträglichen Haltungsbedingungen dauermediziert wurden, der irrt leider auch. Das Schmerzmittel Phenylbutazon, das für Menschen nur als letzte Linie und nur für kurze Zeit verwendet werden darf, wurde nämlich auch im gefundenen Pferdefleisch nachgewiesen; falls Sie sich wundern, warum Sie nach dem Lasagnekonsum so schmerzbefreit sind.
Wer Fleisch für Dumpingpreise kauft, braucht sich eigentlich trotz hoher EU-Förderung für Massentierhaltung nicht zu wundern, wenn dann Industrieabfall auf dem Teller landet. Der damalige Finanzsenator Sarrazin – das haben wir auch gerade schon gehört – schlug 2008 HartzIV-Empfängern entsprechendes Direktrecycling vor: Bratwurst für 38 Cent, 100 Gramm Hackfleisch für 38 Cent, 130 Gramm Leberkäse für 56 Cent, eine Scheibe Bierschinken für 15 Cent. Er bezeichnet das als völlig
Ja, ja. – In Wirklichkeit ist es allerdings die Verlagerung von hohen Entsorgungskosten für Sondermüll auf sozial Schwache, die dies unter Einsatz ihres Körpers und auf Kosten ihrer Gesundheit durchführen sollen.
Damit das Fleisch weiterhin so schön billig bleibt, wird jetzt in der EU nach dem Vorbild des schönen Films „Cloud Atlas“ auch wieder die Fütterung mit Tiermehl eingeführt. Wir erinnern uns: Durch die Tiermehlverfütterung war 2000 die Ausbreitung von BSE mit mehr als 20 000 zur BSE-Ausmerzung getöteten und vom Steuerzahler zum Marktpreis ersetzten Rindern erst möglich. Das bringt uns jetzt auch zum Pferdefuß der Debatte, zur Industrieförderungsministerin Aigner, natürlich CSU, die jetzt mit ihrem Nationalaktionsplan Tätigkeit vortäuscht. Natürlich soll diese Tätigkeit keinen Effekt haben, wie die hessische Industrieförderungsministerin Puttrich, natürlich CDU, klarmacht, indem sie sagt, dass wir natürlich nicht die Zahl der Lebensmittelkontrolleure zu erhöhen brauchen. Die Einrichtung eines Frühwarnsystems soll natürlich der Industrie überlassen werden, weil ja freiwillige Selbstkontrolle von Großkonzernen schon immer blendend funktioniert hat.
Wir halten also fest – Kollegin Köhne hat es auch schon angedeutet –: Die Bundesregierung möchte nichts unternehmen und rät auch den Ländern davon ab. Das bestehende System, das diese Skandale nicht nur ermöglicht, sondern quasi notwendig macht, soll komplett erhalten bleiben. Subventionen in erster Linie für Großbetriebe? – Ja! Pflichtkennzeichnung der Herkunft des Fleisches bei Fertigprodukten? – Nein! Niedriglöhne in Schlachthöfen? – Ja! Artgerechte Haltung, die die Antibiotika- und Schmerzmittelkeule unnötig machen würde? – Undenkbar! – Hauptsache Hack für 38 Cent inklusive Pharmazeutika, die die Verbraucher schön ruhigstellen.
Die Debatte kennen wir von den Tierschutzgesetznovellierungsversuchen, die sogar die EU-Richtlinien nicht erfüllen. Zwar konnte man sich auf das Zoophilieverbot einigen, Zoophiole haben scheinbar eine echt schlechte Lobby, Schenkelbrand bei Pferden bleibt aber genauso erhalten wie das betäubungslose Kastrieren von Ferkeln, damit das Schweinefleisch bloß nicht nach Schweinefleisch schmeckt. Letzteres ist bis 2019 weiterhin erlaubt, und wenn die Industrie eine weitere Verlängerung braucht, muss sie eben der Union und Frau Aigner eine weitere Amtszeit kaufen.