Protokoll der Sitzung vom 07.03.2013

Die Tinte unter dem städtebaulichen Vertrag war noch nicht einmal trocken, da zieht Ihr Bürgermeister bereits gegen seine eigenen Vertragspartner zu Felde, und das wegen einer Maßnahme, die sie selbst nicht einmal wollten, nicht brauchten, sondern zu der er sie unnötigerweise verpflichtet hat in Umsetzung einer Planung, die längst überholt war, was er schlicht verschlafen hat; um eine Brücke zu erschließen, die der Senat auf Wunsch des Bezirks plant und von der heute auf einmal niemand mehr etwas wissen will. Aber vielleicht ist das auch Ihr parteiinterner Pragmatismus, vielleicht muss das dabei herauskommen, wenn man sich in einer Partei zu bewähren hat, deren Flügel inhaltlich und atmosphärisch kaum weiter auseinander liegen könnten. Das Eine sagen, das Andere tun – das mag Ihre Politik sein, aber bitte tragen Sie doch Ihre inneren Widersprüche nicht zulasten Dritter aus.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Und ganz offensichtlich stimmt auch das Verhältnis zwischen Ihrer Bezirks- und Landesebene nicht so ganz, wenn ausgerechnet von ihrer Seite heute der Antrag ausgeht, über den Erhalt des Denkmals East-Side-Gallery in diesem Hause zu sprechen. Wir freuen uns ja über diese Einsicht, und wir kehren natürlich die Scherben einer verfehlten Bezirkspolitik zusammen, denn am Ende haben wir ein gemeinsames Interesse. Aber es wäre schön gewesen, wenn es gar nicht erst so weit gekommen wäre. Vielleicht schauen Sie Ihren Parteifreunden demnächst etwas genauer auf die Finger, bevor Senat und Koalition zum politischen Feuerwehreinsatz ausrücken müssen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Glücklicherweise war es dafür offenbar nicht zu spät, und es hat niemand geschlafen. Wir selbst haben in der vergangenen Woche bereits mit dem Investor und Bauherren über ein Moratorium für die Umsetzung der Mauersegmente gesprochen, sofort nachdem wir von dieser Maßnahme Kenntnis erhalten hatten. Ich bedanke mich bei ihm ausdrücklich dafür, dass er trotz der damit für ihn verbundenen Kosten die Bereitschaft dazu hatte und auch bereit war, auf Einladung des Regierenden Bürgermeisters gemeinsam mit dem Bezirk und dem benachbarten Grundstückseigentümer an einem Runden Tisch über eine alternative Erschließungsplanung zu verhandeln. Erste Ergebnisse gibt es schon heute. Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einer besser erträglichen Erschließungslösung kommen werden. Diesmal werden wir genau hinsehen, wie der Bezirk mit der Situation und mit unseren Entscheidungen umgeht. Denn Tatsache ist: Der Bezirk hat nicht nur das Vertrauen seiner Vertragspartner enttäuscht. Er hat durch seine Unbedachtheit nicht nur dem internationalen Ansehen Berlins ganz erheblichen Schaden zugefügt, er hat vor allem – das finde ich bitter – hinter verschlossenen Türen und mit selbstverschuldetem Zeitdruck über die Erschließung des Areals verhandelt und rechtlich verbindliche Tatsachen geschaffen, ohne auch nur im Ansatz historische Sensibilität erkennen zu lassen, und das, während wir gleichzeitig in dem von mir bereits genannten Forum Stadtspree über die zukünftige Entwicklung des Spreeraums mit den Bezirken, Grundstückseigentümern und Vertretern der Stadtgesellschaft diskutieren. Und diese Debatte ist ganz offensichtlich bitter nötig. Denn die breite öffentliche Auseinandersetzung der letzten Tage führt uns sehr deutlich vor Augen, wie sich das Geschichtsbewusstsein in unserer Stadt über die Jahre weiterentwickelt hat. Während es im ersten Jahrzehnt nach dem Fall der Mauer wie bereits beschrieben darum ging, auch stadtplanerisch die Narben der Teilung zu schließen und den brachliegenden ehemaligen Todesstreifen neuen Nutzungen und Entwicklungen zuzuführen, so sehr geht es heute umgekehrt um unser Bedürfnis, die noch vorhandenen Mauerreste als authentische Orte der Erinnerung und der Mahnung zu erhalten. Es geht darum, Gedenken nicht zu relativieren.

Es versteht sich von selbst, dass das mit 1316 Metern längste Teilstück der Mauer hier einen ganz besonderen Stellenwert einnimmt. Diesen Stellenwert hat es richtigerweise auch im Gedenkstättenkonzept des Vorgängersenats, das vielleicht auch besser früher beschlossen worden wäre, sonst hätte sich manche Entwicklung sicherlich anders abgezeichnet.

[Uwe Doering (LINKE): Wer hat denn damals dagegen gestimmt? – Sie waren das!]

Ich glaube, aus heutiger Sicht sähe eine Planung deutlich anders aus als 1995. Aber wir respektieren die Eigentumsrechte derjenigen, die an diesem Ort auf ihren

Grundstücken bauliche Entwicklung betreiben wollen. Und nur mit ihnen, nicht gegen sie können wir zu Lösungen kommen, die eine größtmögliche Rücksicht auf die historische Bedeutung des Mauerdenkmals nehmen.

Die Bedeutung der East-Side-Gallery für unsere Stadt betont die CDU-Fraktion seit Jahren. Ich hätte mir manches Mal gewünscht, für unsere Initiativen die gleiche öffentliche Aufmerksamkeit zu erfahren, wie wir sie in diesem Fall haben. Denn mir blutet das Herz nicht nur angesichts der rücksichtslosen Planung, neue Löcher in die Mauer zu reißen; ich finde ebenso unerträglich das Ausmaß des Vandalismus, unter dem die Werke der Mauerkünstler seit Langem zu leiden haben. 2009 erst haben wir zweieinhalb Millionen Euro in die Sanierung der East-Side-Gallery investiert, und kaum vier Jahre später findet sich kaum eine Stelle, die nicht schon wieder durch Graffiti und Schmierereien verunstaltet ist. Auch das ist unerträglich, das ist nicht hinzunehmen. Wir haben bereits vor einiger Zeit hier im Hause deutlich gemacht, dass wir dort großen Handlungsbedarf sehen. Aber ich kann mich nicht erinnern, dafür ähnlich große Resonanz erfahren zu haben wie für unser heutiges Thema,

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

obwohl es meines Erachtens mindestens so wichtig ist, wenn wir es denn ernst damit meinen, das Denkmal EastSide-Gallery auch als ein wertvolles, als ein weltweit beachtetes Kulturgut zu erhalten. Ich will besser nicht darüber spekulieren, warum das so ist, warum wir erst heute über die Notwendigkeit und den Stellenwert eines bewahrenden Mauergedenkens in diesem Areal sprechen und nicht schon sehr viel früher. Aber wir sind in jedem Fall entschlossen, auch dieses nicht auszuklammern, wenn wir über einen angemessenen Umgang mit der East-Side-Gallery sprechen.

Abschließend möchte ich eines noch deutlich machen: Es beunruhigt mich, auf welche Weise das berechtigte Anliegen derjenigen, die für den zusammenhängenden Erhalt des Mauerdenkmals kämpfen, von Vertretern ganz anderer Interessen in Geiselhaft genommen wird. Wir werden uns insbesondere von einem Bezirk, der lieber Baumärkte als bezahlbaren Wohnraum plant und der nur von seinem eigenen Versagen ablenken will, keine Gentrifizierungsdebatte aufzwingen lassen. So sehr ich mich über den Geist der friedlichen Protestkundgebung am vergangenen Sonntag gefreut habe: Wenn eine bekannte Persönlichkeit wie der Schauspieler Ben Becker dort unter Beifallsrufen ein „Heil Hinkel!“ in die Menge schmettert, dann beschämt mich das zutiefst.

[Beifall bei der CDU und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wenn Investoren in dieser Stadt in dieser aufgeheizten Atmosphäre mit körperlicher Gewalt bedroht werden, weil sie vom Bezirk geschaffenes Baurecht in Anspruch

nehmen, wenn sie darüber hinaus ja letztlich nur Verpflichtungen aus öffentlich-rechtlichen Verträgen umsetzen und sich dafür in dieser Form beschimpfen lassen müssen, dann ist ganz klar eine Grenze überschritten. Und diese moralische Grenze ist uns nicht weniger wichtig als der Erhalt des Denkmals East-Side-Gallery. Ich hoffe, dass wir gemeinsam ebenso entschlossen und deutlich auch dafür eintreten, wenn wir nicht wollen, dass dauerhaft ein anderer dunkler Schatten auf unsere Stadt fällt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Evers! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Lauer. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin ein bisschen verwundert darüber, dass die Debatte hier so ruhig abgelaufen ist. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass alle hier im Haus vertretenen Parteien bis auf die Piratenfraktion –

[Zuruf von der CDU]

Ich schimpfe doch gleich noch auf die Grünen, liebe CDU, jetzt warten Sie doch mal ab! –

[Stefan Evers (CDU): Dann ist ja gut!]

mit dieser East-Side-Gallery-Geschichte etwas zu tun haben. – Meine Damen und Herren! Es ist so weit: David Hasselhoff kommentiert die Politik des Landes Berlin. Den Punkt im Niveau haben wir jetzt schon erreicht. Hätte ich das vor zwei Wochen gesagt, wäre ich hier zu Recht ausgelacht worden. Die Geschichte der East-SideGallery könnte eine Geschichte ohne Missverständnisse sein, wenn alle Beteiligten bei der Sache bleiben würden. Aber Moment, wir haben es ja hier mit der Berliner Politik zu tun, und da muss es sich ja zwangsläufig in eine Posse verwandeln.

Frau Lompscher hat schon erklärt, der Ministerrat der DDR hat sie in Auftrag gegeben und seit 1995 steht sie unter Denkmalschutz.

[Andreas Gram (CDU): Nicht nur die East-Side-Gallery!]

Es gibt einen Bebauungsplan für die Spree, und deswegen wurden schon in der Vergangenheit Löcher in den Mauerstreifen gerissen, genehmigt wohlgemerkt.

Was hier noch nicht zur Sprache kam, ist zum Beispiel diese 40 Meter lange Stück, das 2006 entstanden ist für die O2-Arena oder -World oder wie das Ding heißt. Wo war da der Protest?

Es gab damals auch noch eine sehr interessante Kleine Anfrage aus dem Jahr 2005, als der Senat Folgendes gesagt hat, ich zitiere:

Um eine angemessene Zuwegung von der Mühlenstraße und dem Arena-Vorplatz zur geplanten Schiffsanlegestelle der AEG zu gewährleisten, hat Berlin an dieser Stelle eine Öffnung der East-SideGallery zugesichert. Die betroffenen Mauerteile sollen auf benachbarte Flächen im Spreeuferbereich umgesetzt werden.

Aha! Wir haben also einen Bebauungsplan, der dafür sorgt, dass da Löcher rein kommen in die Mauer. Wir haben einen Senat, der in der Vergangenheit Investoren zugesichert hat, dass es auch in Ordnung ist, diese Löcher da reinzumachen. Die Landesdenkmalbehörde sagt auch, es ist in Ordnung, da Löcher reinzumachen, denn sonst wären diese Löcher gar nicht da. Und wir haben einen Investor, der vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg dazu angewiesen wird, ein Loch in diese Mauer zu machen.

Was könnte da schiefgehen, in einer solchen Ausgangslage? Derjenige, der diesen Auftrag gegeben hat – Ihr Bezirksbürgermeister Schulz –, stellt sich hin und sagt den Protestierenden: Demonstrieren Sie weiter, weil der Finanzsenator nur durch den Druck der Straße zu vernünftigen Handlungen gezwungen werden kann. – Wow!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Was für ein Volkstribun! Was für ein engagierter Bezirksbürgermeister!

[Zuruf]

Das ist ja ein toller Job! Da sage ich irgendwelchen Leuten, sie sollen Löcher irgendwo hinmachen und sie sollen irgendwelche Dinge einreißen, und wenn es dann passiert, stelle ich mich davor und sage: Ohoho! Berlinerinnen und Berliner! Wehrt Euch mal dagegen, hier wird ein Loch gemacht.

[Heiterkeit bei den PIRATEN]

Was soll denn das? Ist das Politik? Ich muss mich auch ganz ernsthaft dafür entschuldigen, dass wir auch hier einen Antrag zur Aktuellen Stunde mit so einem dämlichen Titel gestellt haben. Wenn ich mich am Sonntag mit dem – jetzt hätte ich fast ein unparlamentarisches Wort gesagt, das auf …eiß endet – beschäftigt hätte, dann hätten wir so etwas nicht beantragt. Wieder Selbstbeschäftigung, um uns selbst drehen!

Hier wird immer gesagt: Luxuswohnungen! Haben Sie das Interview mit dem Investor in der „Berliner Zeitung“ gelesen? Das sind 36 Wohneinheiten, von denen sind schon 20 verkauft. Es gibt einen Quadratmeterpreis von 2 750 bis 10 000 Euro pro Quadratmeter. 2 750 Euro pro Quadratmeter, das ist ja der pure Luxus! Der Kollege Mayer hat vor Jahren hier in Berlin – was war der Preis, den Du für Selbstbauen bezahlt hast?

[Zuruf von Pavel Mayer (PIRATEN)]

Drei? Zwei! – Das sind ja die puren Luxuswohnungen, die Gentrifizierung! Diese Leute, die sich die pure Luxuswohnung für 2 750 Euro den Quadratmeter kaufen, die gentrifizieren dann natürlich weiter noch Friedrichshain-Kreuzberg und andere Berliner Bezirke, weil sie sagen: Es ist so geil, jetzt habe ich mir eine Luxuswohnung gekauft, jetzt kaufe ich mir noch fünf andere. Tolle Logik!

Da wird diesem Mann also gesagt, er solle diesen Durchbruch machen, den er selber gar nicht braucht. Er sagt selber: Ich brauche das nicht! – Ihr Bezirksbürgermeister sagt aber: Macht da ein Loch in die Wand.

[Allgemeine Heiterkeit – Zuruf: Sie sind ja fast so gut wie der Schneider!]

Ich bin ja wohl mindestens so gut wie Herr Schneider, wenn nicht sogar noch besser.

[Heiterkeit und Beifall]

Dann sagt der Regierende Bürgermeister am Montag, der am Freitag begonnene Abriss eines Teils der East-SideGallery erscheint als nicht notwendig. Da muss ich dann aber auch sagen: Sorry, Herr Wowereit! Ihr Senat sagte 2005 noch: Wir sichern Investoren zu, Löcher in die Mauer reinmachen zu können, 40 Meter. 20 Meter für eine Fahrradbrücke sind also problematischer bzw. nicht notwendiger als 40 Meter für die O2-World. Das muss man nicht verstehen. Wir kennen uns als Politiker mit dem Gegen-die-Wand-Fahren ganz gut aus, aber ich weiß nicht, ob man das den Fahrradfahrern, die über die Brücke fahren möchten, antun sollte.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schmidberger?

Ja, aber sehr gerne, Frau Schmidberger!

Bitte!

Vielen Dank, verehrter Kollege! Ich würde gerne wissen, was sagen Sie denn aus demokratietheoretischer Sicht dazu, dass der Bezirk den 87 Prozent der FriedrichshainKreuzbergerinnen und -Kreuzberger gefolgt ist, die einen Fußgänger- und Fahrrad-Brommysteg gefordert haben? Wie bewerten Sie das? Finden Sie, das Bezirksamt ist dann nicht verpflichtet, das umzusetzen?

Aus demokratietheoretischer Sicht würde ich das so bewerten, dass Sie nicht rechnen können, denn die Wahlbeteiligung war 19,1 Prozent.

[Heiterkeit und Beifall bei den PIRATEN, der SPD und der CDU]