Das neue Bewilligungsverfahren bei der Prozesskostenhilfe bedeutet einen Systemwechsel, der in der Praxis den Zugang von Bedürftigen zum Rechtsschutz in verfassungswidriger Weise verhindern wird.
Das merkt der Arbeitskreis Sozialgericht beim Berliner Anwaltverein an. Und die Neue Richtervereinigung postuliert – Zitat –:
Unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgleichheit verbietet sich die vorgesehene Absenkung der Freibeträge. Hier einzukürzen, dürfte sich unmittelbar auf die Möglichkeit auswirken, Rechtsschutz zu suchen, und mit dem Sozialstaatsprinzip schwer vereinbar sein.
Grund für die Änderung des Prozesskosten- und Beratungshilferechts soll die angebliche Kostenexplosion der Ausgaben in diesem Bereich sein. Doch diese Kostenexplosion gibt es überhaupt nicht. Die Ausgaben für die rechtssichernde Leistung stiegen von 2007 bis 2010 um gerade mal 1,3 Prozent. Das Einzige, was tatsächlich gestiegen ist, war die Zahl der bewilligten Anträge, und zwar um 12,5 Prozent. Diese Anstieg ist überwiegend auf die steigende Zahl bewilligter Prozesskostenhilfeanträge bei den Arbeits- und Sozialgerichten zurückzuführen. Und der Grund für diese Fallzahlsteigerung ist die schlampige Arbeit des Bundesgesetzgebers bei den Hartz-IV-Gesetzen.
Das bedeutet aber letztlich doch nichts anderes, als dass dieser Gesetzentwurf dazu führen soll, dass das Versagen der Politik von denjenigen ausgebadet werden soll, die am allerwenigsten dafür verantwortlich sind.
Weitere Zweifel beziehen sich auf den fiskalischen Nutzen der beabsichtigten Änderungen. Da sich durch die Bürokratisierung der Prüfungen im Bewilligungsverfahren der Verwaltungsaufwand für die Justiz erheblich erhöht, ist zu befürchten, dass die Kosten eher für andere Aufwendungen draufgehen, statt zu verschwinden. Das ist nun allerdings aberwitzig. Die steigende Zahl der Anträge im Bereich des Arbeits- und Sozialrechts weist deutlich auf die steigende Zahl von Niedriglöhnern und einkommensarmen Menschen hin, die sich aus eigenen Mitteln anwaltliche Unterstützung nicht mehr leisten können. Statt die sozialen Ursachen dieser Entwicklung wie Prekarisierung und Druck auf den Niedriglohnsektor zu bekämpfen, statt Ausgrenzung und Armut endlich anzugehen, will die Bundesregierung die Rechte der betroffenen Menschen beschneiden. Das ist nicht hinnehmbar.
Gerade in Berlin, einer Stadt mit vielen einkommensarmen Menschen, sollen auch zukünftig Bedürftige in Sorgen- und Familienrechtsfragen, in Kündigungsschutz und Sozialrecht die ihnen zustehende Unterstützung erhalten. Die Bundesregierung will eine Zwei-Klassen-Justiz schaffen, in der die Frage der Rechtswegbeschreitung vom Geldbeutel abhängt. Das darf nicht sein. Deswegen ist es notwendig, dass sich Abgeordnetenhaus und Senat in dieser Frage klar positionieren. Unsere Erwartung ist, dass sich der Senat in Fachministerkonferenzen und im Bundesrat gegen den Gesetzentwurf verwendet – und zwar engagiert. Deswegen bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort der Kollege Kohlmeier. – Bitte sehr!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Lederer, mit dem herzlichen Glückwunsch verbunden zu Ihrem heutigen Geburtstag! Sie haben nicht nur wegen Ihres Geburtstages in allem recht, was Sie hier gesagt haben, nur, lieber Kollege Lederer: Wir sind hier nicht im Bundestag. Wir haben die Bundesdrucksache 17/11 472 hier im Abgeordnetenhaus nicht zur Beratung vorliegen.
Wir erwecken hier meines Erachtens den unzutreffenden Eindruck, als könnten wir das Prozesskostenhilferecht ändern. Das können wir nicht, denn das Abgeordnetenhaus ist dafür nicht zuständig. Insofern streuen Sie den Menschen Sand in die Augen. Sie tun so, also würden wir für die Menschen etwas verbessern können. Das können wir aber nicht, weil wir nicht zuständig sind.
Die Prozesskostenhilfe ist ein Institut, das einer der wesentlichen Errungenschaften der bundesrepublikanischen Demokratie und des Sozialstaatsprinzips ist. Jedermann und jedefrau soll Zugang zum Recht erhalten, unabhängig von seinem Einkommen. Das ist auch richtig so.
Die Prozesskostenhilfe ersetzt seit dem 1. Januar 1981 das frühere Armenrecht. Das Armenrecht gewährte bei dem Nachweis der Bedürftigkeit durch Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung, dem sogenannten Armutszeugnis – so genannt –, und bei Erfolgsaussicht das vorläufige Führen eines Zivilprozesses. Unter diesen grundsätzlich gleichen Voraussetzungen – Bedürftigkeit, Erfolgsaussicht und keine Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung – konkretisiert das Prozesskostenhilferecht der §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung, wer unter welchen Voraussetzungen Prozesskostenhilfe bekommt.
Ich verstehe, dass keine Fraktion in diesem Haus das Ob der Prozesskostenhilfe in Frage stellt. Keine Fraktion in diesem Haus will die Prozesskostenhilfe abschaffen. Keine Fraktion in diesem Haus will, dass der Zugang zum Recht für jedermann und jedefrau abgeschafft wird. Auch diese rot-schwarze Koalition steht dafür, dass Rechtschutz für alle gewährleistet wird.
Es muss aber an dieser Stelle auch gesagt werden – möglicherweise müssen wir auch darüber reden –, wie die Prozesskostenhilfe ausgestaltet wird. Wie Sie wissen, bin ich als Rechtsanwalt tätig, wie Sie auf meiner Internetseite ganz transparent nachlesen können, zum Teil auch im Rahmen von Prozesskostenhilfemandaten.
Ich erlebe leider vermehrt, dass die Bewilligung von Beratungs- oder Prozesskostenhilfe abgelehnt wird. Ich erlebe, dass Beratungshilfe verweigert wird und in unzulässiger Weise auf Jobcenterberatung oder andere Einrichtungen verwiesen wird. Ich erlebe, dass äußerst strenge Maßstäbe bei der Bewilligung angelegt werden und die Personen, die auf Prozesskostenhilfe angewiesen sind, diese nicht erhalten. Ein Richter sagte einmal zu mir auf Nachfrage, warum das so sei mit den strengen Maßstäben: Aus haushaltsrechtlichen Gründen würde er sehr strenge Maßstäbe bei der Bewilligung ansetzen.
Damit ist die Katze eigentlich aus dem Sack gelassen: Es geht um Geld, und es geht um die Kosten für Beratungs- und Prozesskostenhilfe. Daraus machen – wenn man sich die Vorlage des Bundestages ansieht – weder der Bundestag noch die Länder, die sich bereits dazu geäußert haben, einen Hehl. Wenn man sich die Ausgaben der letzten Jahre anschaut, muss man feststellen, dass die Ausgaben quasi explodiert sind. Allein das Land Berlin gibt jährlich fast 15 Millionen Euro für Prozesskostenhilfe aus. Diese Kostenlast führt dazu, dass Bürger vom Recht ausgeschlossen werden. Bürgerinnen und Bürger, die nicht über finanzielle Mittel für einen Prozess verfügen, be
kommen diese nicht, weil Richter aus haushalterischen Gründen die Prozesskostenhilfe verweigern. An der Stelle sage ich klar, dass wir dort heran müssen. Wir müssen sicherstellen, dass diejenigen, die nicht über die wirtschaftliche Kraft für einen Prozess verfügen, vom Recht nicht ausgeschlossen werden. Das hat diese Koalition erkannt und sich bereits im Rahmen ihres Koalitionsvertrages dazu verständigt. Sie können nachlesen, dass Mitnahmeeffekte der Prozesskostenhilfe zu vermeiden sind.
Was sind Mitnahmeeffekte? – Dazu gibt es ein Beispiel, welches uns präsent dargestellt wurde. Es betrifft einen Antragsteller, der zufälligerweise Richter war und sich mit seiner Frau ein Haus baute. Aufgrund dieser Schuldenlast, die er hatte, hat er Prozesskostenhilfe im Scheidungsverfahren von dieser Frau beantragt. In diesem Fall des Familienrechts heißt das Verfahrenskostenhilfe. Diese wurde dann auch bewilligt. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass man sich die Frage stellen muss, ob die Prozesskostenhilfe hier nicht mitgenommen wird. Warum wird jemandem, der ein Haus baut, Prozesskostenhilfe gewährt, jemandem, der aber gar nichts hat, keine bewilligt? Hier klafft eine Gerechtigkeitslücke, die beseitigt werden muss. Darüber müssen und wollen wir mit Ihnen reden. Insofern bietet Ihr Antrag einen guten Anlass dazu.
Die Rednerinnen von SPD und CDU im Bundestag, Frau Sonja Steffen und Ute Granold, haben deutlich gemacht, dass auch ihrerseits durchaus Zweifel an der einen oder anderen Regelung im Gesetz bestehen. Lassen Sie uns im Rechtsausschuss beraten, welche Regelungen im neuen Gesetz auf Berliner Sicht sinnvoll sind und welche nicht! Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass der Zugang zum Recht unabhängig vom Einkommen für die Berlinerinnen und Berliner auch weiterhin sichergestellt ist! – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Kollege Kohlmeier! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Behrendt! – Bitte sehr, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte Kollegen! Liebe Öffentlichkeit! Auch wir Grünen wollen den Zugang zum Recht auch jenen offen halten, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren sind. Hierzu leisten Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe einen wesentlichen Beitrag, denn Gerichtsverfahren, das wissen Sie alle, kosten Geld. Statt die Hilfen bei steigenden Lebenshaltungskosten auszuweiten, will die amtierende Bundesregierung diese einschränken.
Die Idee geht zurück auf Anträge im Bundesrat von zwei Bundesländern, Niedersachsen und Baden-Württemberg.
Später ist noch das Bundesland Hessen dieser Initiative beigetreten. Da steht die Änderung am 22. September noch aus.
Die Bundesregierung hat sich das zu eigen gemacht. Die Kollegen haben bereits darauf hingewiesen: An dem Entwurf, den die Bundesregierung jetzt in die Debatte gebracht hat, Kollege Kohlmeier, ist die CDU in der Bundesregierung irgendwie beteiligt. Sie haben die CDU im Bundestag zwar in Schutz genommen. Die Initiative muss aber von irgendjemandem dort eingebracht worden sein. Das Bundesjustizministerium ist bekanntermaßen noch von der FDP gestellt. Aber auch die CDU-Fraktion trägt das mit.
An dieser Neuregelung ist zu Recht viel Kritik geübt worden. Es droht hier, insbesondere den finanziell Schwächsten der Zugang zum Recht verwehrt zu werden. Es droht hier eine Zwei-Klassen-Justiz. Gerade für die Schwachen, gerade für diejenigen, die Schwierigkeiten haben, ihre Rechte sonst durchzusetzen, sind die Gesetze und sind die Gerichte und ist die Prozesskostenhilfe nötig.
Es ist darauf hingewiesen worden, dass insbesondere in den Bereichen Familienrecht, Sozialrecht, Ausländerrecht – leider heißt es immer noch so – und Asylrecht, die meisten Fälle im Prozesskostenhilfebereich liegen. Der klassische Fall der Bedürftigkeit ist die alleinerziehende, geringverdienende Mutter im Familiengerichtsverfahren. Die soll hier rechtlich schlechter gestellt werden. Das ist auch auf frauenpolitischen Gründen nicht zu verstehen und abzulehnen.
Allerdings wundert es nicht, dass gerade die FDP diese Initiative vorantreibt, denn wenn sie an anderen Stellen Spekulanten Tür und Tor öffnet, die sich unter anderem auch auf dem Berliner Mietenmarkt wie Wildsäue aufführen, ist es nur folgerichtig, dann auch den Mieterinnen und Mietern den Rechtschutz zu erschweren. Wenn sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Deregulierung das Leben schwer machen, ist es nur konsequent, den Rechtsschutz noch weiter zu erschweren. Beides weist aber in die falsche Richtung.
Das Argument der Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf, missbräuchlicher Inanspruchnahmen von Prozesskostenhilfe zu begegnen, vermag nicht zu überzeugen. So blieb die Bundesregierung auch auf konkrete Nachfrage meiner Fraktion im Bundestag Zahlen zu dem behaupteten Missbrauch schuldig. Wenn man sich die einzelnen Maßnahmen anschaut, sind ein Großteil der vorgeschlagenen Änderungen – das ist sehr detailreich
und sollte von uns im Ausschuss noch einmal breiter beleuchtet werden – zur Prozesskostenhilfe nicht geeignet, um dem behaupteten Missbrauch überhaupt begegnen zu können.
Zu berücksichtigen ist sicherlich auch, dass man die Verfahren mit den vorgeschlagenen Änderungen komplizierter macht, und da stellt sich immer die Frage, ob sich der wesentlich höhere Verwaltungsaufwand im Hinblick auf den möglichen Ertrag lohnt. Ist es wirklich sinnvoll, dass Richterinnen und Richter, Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger komplizierte Antragsverfahren durchführen, um dann die Rate womöglich um 5 Euro erhöhen zu können? Da möchte ich drei Fragezeichen machen.
Ich als Richter, als einer derjenigen, die Prozesskostenhilfe durchaus bewilligt, das Verfahren betrieben und nachgefragt haben, wie es mit dem Einkommen ist, hätte mir wiederum nicht vorstellen können, dass in der Justizverwaltung niemand festgesetzte Raten auch mal überprüft. Wir rechnen hin und her, wie viel derjenige zahlen kann und soll, dann wird eine Ratenzahlung im Beschluss festgelegt, aber es gibt niemanden, der mal nachfragt und den mal erinnert, dass er vielleicht auch mal die Ratenzahlung erbringt. Das muss man sich sicherlich in der Verwaltungspraxis noch mal genauer angucken. Das ist sicherlich etwas, was wir auch im Hinblick auf den Berliner Landeshaushalt nicht so laufen lassen sollten, denn die festgesetzten Raten sollten nun wirklich erbracht werden.
Die Rechtsuchenden sind jedenfalls für Einsparungen – das ist ja das wesentliche Argument – denkbar ungeeignet.
Letzter Satz, Herr Präsident! – Wer bei der Prozesskostenhilfe einspart, versündigt sich am Rechtsstaat. – Ich danke Ihnen!
Ich danke Ihnen! – Herr Kollege Rissmann! Ich erteile Ihnen jetzt das Wort für die Fraktion der CDU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der schon zu Genüge begründete Antrag der Linken verlangt, dass sich
dieses Haus gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung zu der Drucksache 17/11472 – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Prozesskosten- und Beratungshilfe – einsetzt. Das ist aus meiner Sicht verwunderlich, da auch das Land Berlin jährlich mit erheblichen Ausgaben für die Prozesskostenhilfe belastet wird. So waren es zum Beispiel im Jahr 2009 ca. 16,5 Millionen Euro. Der Trend zeigt nach oben. Rückflüsse werden in Berlin, was ausdrücklich zu kritisieren ist, gar nicht erfasst, sodass die endgültige Leistung und auch Belastung des Landes Berlin wohl gar nicht bezifferbar ist. Bei den Ländern, bei denen solche Rückflüsse erfasst werden, lag die Quote im Jahr 2010 bei weniger als 20 Prozent. Auf die Problematik der Überprüfung und Kontrolle der Durchführung von Ratenzahlungen hat der Kollege Behrendt schon hingewiesen. Auch das wird zu beachten sein.
Ich will Ihnen zur Veranschaulichung, warum es einen Handlungsbedarf auf Bundesebene gibt, ein weiteres Zahlenbeispiel aus dem Bereich der Beratungshilfe nennen. Im Jahr 1981 gab es bundesweit nicht mal 60 000 Anträge auf Beratungshilfe durch einen Rechtsanwalt. Im Jahr 2010 waren es 970 152 Anträge. Das ist mehr als eine Versechzehnfachung. Das erklärt auch, dass es in der 16. und 17. Bundestagswahlperiode Forderungen aus den Ländern gab, die sich dann in Bundesratsinitiativen ausdrückten, die gestiegenen Ausgaben zu begrenzen und die Prozess- und Verfahrenskostenhilfe effizienter zu gestalten. Wichtig ist dabei zu betonen, dass – ich darf aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, der hier angegangen wird –, zitieren, sichergestellt werden soll,
dass der Zugang zum Recht gerichtlich wie außergerichtlich weiterhin allen Bürgerinnen und Bürgern unabhängig von Einkünften und Vermögen eröffnet ist.