Die Sachen, die Sie uns erzählt haben, sind uns allen bekannt. Sie können uns glauben, wir haben uns, als Scientology nach Charlottenburg gezogen ist, in diesem Parlament intensiv mit dem Thema befasst. Daraufhin sind auch Angebote gemacht worden mit der Sektenleitstelle etc. Es ist nicht so, dass wir aus dem Mustopf kommen, sondern Sie hinken in dieser Debatte hinterher.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe die Aufregung nicht, die jetzt hier im Haus herrscht. Wir sollten es Scientology nicht gönnen, diesen Triumph zu feiern, dass wir uns über Stilfragen und Petitessen unterhalten. Ich glaube – und das ist bemerkenswert genug, Herr Kollege Höfinghoff –, dass wir einer Meinung sind und deutlich Scientology ablehnen. Das kann man unterstreichen, denn es kommt in diesem Haus nicht allzu oft vor.
Ich kann es kurz machen, denn vieles wurde schon gesagt. Man muss vielleicht wissen, dass Lafayette Ron Hubbard vor seiner Zeit als Scientology-Chef ScienceFiction-Autor war. Das erklärt einiges von dem, was er später formuliert hat und welche abenteuerlichen Vorstellungen er entwickelt hat. Es ist erstaunlich, was man alles glauben kann, aber jeder darf ja glauben, was er will. Hier geht es aber nicht um religiöse Vorstellungen, sondern um ein als religiöse Vereinigung getarntes Geschäftsmodell. Das ist ja, Gott sei Dank, heute weitgehend bekannt. Deshalb fällt es Scientology immer schwerer, neue Opfer zu finden.
Scientology hat aber nicht nur individuell eine verheerende Wirkung auf die von der Psychosekte betroffenen Personen, sondern ist auch allgemein demokratiefeindlich. In der sogenannten Scienocracy, die Scientology etablieren würde, wenn sie dazu in der Lage wäre, wäre natürlich auch die Koalitionsfreiheit abgeschafft. Jeder müsste Mitglied bei Scientology werden. Er gäbe keine Gewaltenteilung oder Opposition. Die Menschen würden in Distriktbüros mit 10 000 Personen, von einem Politoffizier geleitet, leben. Deshalb denke ich, dass es wichtig ist, dass der Verfassungsschutz diese Organisation überwacht.
Bei der CDU gibt es übrigens seit 1991 ein Unvereinbarkeitsbeschluss mit Scientology. Daraus wird klar, dass Scientology eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt.
Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hat die schon erwähnte Leiststelle eingerichtet. Es gibt die Broschüre „Scientology – eine kritische Bestandsaufnahme“, die sich – um so besser – offensichtlich großer Beliebtheit erfreut. Ich möchte aber auch nicht unerwähnt lassen, dass die Kirchen an dieser Stelle auch eine gute Arbeit machen und viele Beratungsdienstleistungen anbieten. Das ist eine notwendige Arbeit.
Aber trotz der sinkenden Mitgliederzahlen sollte man keine Entwarnung geben. Die Mutterorganisation in den USA verfügt nach wie vor über erhebliche finanzielle Mittel. Und auch die Arbeit durch die Tarnorganisation, in der sich Scientology nicht sofort erkennen lässt, ist durchaus ein Problem. Deshalb ist es notwendig, weiter aufmerksam zu sein. Ich glaube, nach der Beantwortung durch Innensenator Henkel auch sagen zu können, dass der Senat das Thema weiter auf dem Schirm hat, das ist gut und richtig. – Vielen Dank!
Danke, Herr Kollege Dr. Juhnke! – Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Brauer das Wort. – Bitte, Herr Kollege!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist schon eine etwas wunderliche Debatte heute. Ich sage es Ihnen offen: Es interessiert mich relativ wenig, warum jemand woran auch immer glaubt. Das ist absolute Privatsache, da hat niemand reinzureden. Den Kolleginnen und Kollegen der Piratenfraktion ist sicher der Pastafarianismus vertraut; mein Gott, beten Sie Ihre Spaghettimonster an, aber lassen Sie den Rest der Welt bitte damit in Ruhe, manche Menschen mögen keine Nudeln!
Es interessiert mich wenig, wie die Anhänger des Fliegenden Spaghettimonsters, der Lehren Ron Hubbards, irgendwelcher anderer Sekten oder sonstiger Religionsgemeinschaften ihr religiöses Leben realisieren, das ist deren Privatsache.
Aber jetzt muss ich aufpassen, die russischen Pussys kriegten zwei Jahre aufgebrummt, glaube ich. Das deutsche Strafgesetzbuch § 166 Abs. 1 ermöglicht ebenso wie das russische, dass ich für drei Jahre hinter Gitter gehe, wenn ich mich jetzt verplappere. Okay, Vorsicht! Jedenfalls ist die Kultorganisation Sache der Glaubensge
meinschaften. Und alle, aber auch alle, Kollege Höfinghoff, diese Zusammenhänge reagieren allergisch, wenn Menschen die Absicht hegen, sie zu verlassen, auch unsere Großkirchen mögen das nicht so besonders.
Wenn sich eine Glaubensgemeinschaft als Kirche oder „Church“ definiert, meinetwegen, dass dies die Konkurrenzanalysten der ortsansässigen Glaubensgemeinschaften, der Platzhirsche sozusagen, auf den Plan ruft, ist nachvollziehbar. Deren Titulierung als – in Anführungszeichen, damit es korrekt ist – „Sektenbeauftragte“ ist hingegen schon fast Realsatire.
und Berlins überall die Kirchen selber. Und das ist auch richtig so. Alle großen Glaubensgemeinschaften starteten einmal als Sekte. Sie waren lediglich bislang die Sieger auf der Walstatt des Götter- und Priestergerangels, okay.
Günstig ist in jedem Falle eine gewisse Verankerung in den staatlichen Strukturen. Das trifft auf den Planeten Erde insgesamt zu. Klar wäre es schon interessant zu wissen, wie viele Scientologen eventuell in den höheren Verwaltungsetagen Berlins sitzen. Herr Senator Henkel hat Aussagen dazu gemacht. Er sagt, keine. Das möchte ich aber auch bezüglich Opus Dei – war da nicht einmal etwas in der Bildungsverwaltung, ist da nicht rein zufällig auch die Leitstelle zu Fragen der Sekten angesiedelt? – oder aber auch der Gesellschaft Jesu wissen. Allerdings ist rein rechtlich gesehen die bloße Mitgliedschaft sowohl bei den einen als auch bei den anderen Privatsache, jedenfalls solange die dienstlichen Pflichten nicht vernachlässigt werden und der Beamteneid nicht verletzt wird.
Wer über Glaubensgemeinschaften diskutiert, das haben wir eben bemerkt, kommt unweigerlich auf das Feld knallharter wirtschaftlicher Interessen. Ich empfehle Ihnen einen Gang auf die Museumsinsel. Da gibt es im Moment eine bemerkenswerte Sonderausstellung. Seit den Zeiten Uruks sind Religionsgemeinschaften undenkbar, die sich nicht auch als Wirtschaftsbetriebe aufführen. Kult kostet Geld.
Sie alle kennen das wunderbare Bild der Austreibung der Wechsler aus dem Tempel. Sie kennen alle aus dem Matthäusevangelium das Gleichnis vom Zinsgroschen, nur hat sich das heute etwas umgekehrt, und das ist mein eigentliches Problem: Die Pharisäer waren seinerzeit von Jesu Rede überrascht und gingen weg. In Deutschland würde ihnen das heute nicht mehr passieren, sie könnten
Carsten Frerk summierte 2010 in seinem „Violettbuch Kirchenfinanzen“ 19,9 Milliarden Euro, die der Steuerzahler allein den beiden christlichen Großkirchen alljährlich zufließen lässt. Die reagierten mit heftigen Attacken, verständlicherweise, aber nur auf die Tatsache der Veröffentlichung, die Zahlen wurden nicht dementiert. Allein der Sonderausgabenabzug der Kirchensteuer kostete Bund und Länder im Jahr 2011 2,8 Milliarden Euro.
Dagegen sind die Dotationen aus den sogenannten Kirchenstaatsverträgen – für philologisch sensible Menschen schwingt da so dieses Wort Staatskirchenverträge mit, ich glaube, das ist nicht ganz zufällig –, so zwischen 460 und 490 Millionen Euro, vergleichsweise genauso lächerlich wie die Argumente, mit denen z. B. diese Vertragswerke auch heute noch begründet werden.
Die Berliner Schulklos stinken zum Himmel, aber der Senat will ein Drittel der 27 Millionen Euro des Kirchentags 2017 bezahlen. Ich finde, das stinkt noch stärker.
Aber gut, die Mehrheit der vom Volke gewählten Politiker will dieses Rumfingern in den Taschen des Volkes, dann soll es auch so sein. Aber werfen Sie dann bitte nicht anderen vor, sie seien Wirtschaftsbetriebe! Das ist doch selbst – –
Sind Sie an dem individuellen Schicksal der Opfer der menschenverachtenden Methoden von Scientology interessiert, oder wollen Sie das Ganze schönreden mit Ihrer Rede gerade?
Ich versuche lediglich, zu argumentieren, dass sich in der zu Recht von den Fraktionskollegen der Piraten gestellten Großen Anfrage etwas mehr verbirgt als dieses von Ihnen so relativ kleindimensional betrachtete Problem. Es geht einfach um die zivilisatorische Verfasstheit dieser Stadtgesellschaft. Darum geht es. Da muss man schon einen etwas weiteren Blick entwickeln.
Werfen Sie bitte anderen nicht vor, sie seien Wirtschaftsbetriebe, weil manche das auch machen. Das ist doch selbst aus der Sicht einer friesischen Kaffeestube pharisäerhaft.