Protokoll der Sitzung vom 30.05.2013

Fünf Minuten pro Fraktion! Es beginnt die Piratenfraktion. Da ist mir der Kollege Baum als Redner benannt worden, dem ich jetzt das Wort erteile.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen, Kolleginnen, werte Gäste! Wir beraten hier jetzt einen Antrag, eine Entschließung, wo es darum geht, dass wir unserer Partnerstadt Moskau mal unsere Position darlegen und zeigen, dass wir es nicht als richtig erachten, dass in Moskau und ganz Russland in Zukunft die Propagierung von Homosexualität in der Öffentlichkeit eingeschränkt werden soll. Damit verbunden ist nämlich auch eine ganz entscheidende Einschränkung von grundlegenden Menschenrechten. Und das dürfen wir gerade unserer Partnerstadt Moskau eben nicht durchgehen lassen.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Partnerstadt heißt ja eben auch nicht umsonst Partnerstadt. Gerade in schwierigen Situationen erwartet jeder von seinem Partner oder Partnerin einen Hinweis, bevor

man einen großen Fehler macht. Gerade aus diesem Grund ist Berlin eben hier in der Pflicht, insbesondere in Moskau darauf hinzuweisen, dass dieses Gesetzesvorhaben gegen grundlegende Menschenrechte verstößt. Diese Stadt ist eben auch aus der Städtepartnerschaft mit Moskau insbesondere mit den dort lebenden Menschen verbunden. Und dazu gehören eben auch alle Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender.

Es gibt also viele Gründe, die dafür sprechen, dieser Entschließung zuzustimmen. Mir fallen keine ein, die dagegen sprechen. Deshalb würde ich mich freuen, wenn Sie dieser Entschließung zustimmen könnten. Ich bin gespannt, ob es Argumente dagegen gibt, und werde mich bei Gelegenheit noch dazu äußern. – Danke!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Danke schön! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort der Kollege Schreiber. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte im Vorfeld eines klarstellen: Über das, was in Russland in der Menschenrechtsfrage nach unseren Maßstäben stattfindet, kann man in der Tat den Kopf schütteln. Aber, und diese Frage stelle ich nicht rhetorisch: Legitimiert es ein deutsches Landesparlament als Verfassungsorgan, ein anderes Nationalparlament, in dem Fall die Duma, zu kritisieren bei der Frage, was es beschließt?

[Andreas Baum (PIRATEN): Ja!]

Ich will klar sagen, und das war bisher eigentlich immer Konsens, dass das Berliner Abgeordnetenhaus klar gegen Hass, Gewalt und Homophobie steht.

[Beifall von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Zweitens: Ich unterstelle allen Fraktionen hier im Haus, dass wir eine klare Positionierung zum Thema Minderheitenschutz haben. Deswegen sollten wir das auch nicht von der Tagesordnung wischen, sondern es uns immer vor Augen führen.

Ich möchte deutlich machen: Es gab eine Umfrage vom Levada-Zentrum – ein Meinungsforschungsinstitut – vom 17. Mai. Das hat klar belegt, dass 51 Prozent in Russland für eine Zwangsheilung und eine strafrechtliche Verfolgung von Schwulen und Lesben sind.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Das ist ja das Problem!]

Aber, und das ist das Entscheidende, es gibt noch mehr Zahlen: Es scheint in der Tat ein gesellschaftliches Problem bei der Anerkennung von Minderheiten zu geben.

Das scheint sich auch im Parlament ein stückweit fortzusetzen.

Aber bei dem, was Sie heute mit der Resolution vorhaben, geht es ein stückweit um Außenpolitik. Zur Außenpolitik gehört eben, dass man ein gewisses Taktgefühl und Fingerspitzengefühl in der Diplomatie haben muss, wie man beispielsweise mit einer Partnerstadt wie Moskau in dieser Frage umgeht, zum einem eine klare Linie zu ziehen und zum anderen deutlich zu machen, dass wir in einem Dialog bleiben müssen.

[Beifall bei der SPD – Thomas Birk (GRÜNE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Ich will deutlich machen, dass das unser Weg ist. Wir brauchen den Dialog der Vernunft.

Ich will mich heute ausdrücklich beim Parlamentspräsidenten, Ralf Wieland, bedanken. Kollege Evers und ich hatten vor zwei Wochen die Möglichkeit, ihm mitzuteilen, wie die Situation ist. Wir wollten ihn bitten, dass die Delegation, die letzte Woche in Moskau war, dieses Thema anspricht. Ich bin dankbar, dass der Parlamentspräsident in der Stadtduma den CSD erwähnt und gesagt hat, dass er eine ganz wichtige Veranstaltung in Berlin ist, dass es nicht um Ausgrenzung, sondern um Toleranz und Anerkennung geht.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birk und danach eine des Kollegen Baum?

Ich glaube, das bringt uns nicht weiter. – Es geht genau darum, dass wir dieses direkt vor Ort als Dialog der Vernunft vorbringen. Genau diese Möglichkeit hat die Delegation des Präsidiums genutzt. Das beispielsweise bei der Städtepartnerschaft, die seit dem 28. August 1991 besteht, in Seminaren, die wir zwischen Berlin und Moskau haben, zu intensivieren, ist unsere Aufgabe. Das machen wir. Man muss das Thema beim Jugend- und Schulaustausch zwischen den beiden Städten ansprechen. Aber Sie betreiben etwas, nämlich mit erhobenem Zeigefinger auf andere zuzugehen, das schwierig ist. Das trifft nicht den richtigen Ton. Es geht konkret darum, dass wir unsere Städtepartnerschaft nutzen, um diese Themen in einer vernünftigen Art und Weise vor Ort anzusprechen. Das wurde getan. Dabei bleibt es nicht. Es geht auch weiter darum, dass wir in der Sache im Dialog sind.

Außerdem entscheidet nicht das Berliner Abgeordnetenhaus, was in der Duma entschieden wird. Das kann vielleicht einmal Thema im Bundestag oder im Europaparlament sein. Es geht darum, dass wir unseren Dialog fortsetzen. Es gibt auch Ideen für das nächste Jahr, als Par

lament etwas sehr Konkretes zu tun, aber dem will ich nicht vorgreifen.

[Lachen bei den GRÜNEN]

Liebe Grüne! Eins ist klar: Ihre Protestplakate sind gemalt. Ihre Pressemitteilung ist schon längst fertiggeschrieben. Ihnen geht es vordergründig, das will ich Ihnen hier ganz klar und deutlich sagen, um die Frage der Menschenrechte, aber hintergründig geht es um die Frage, wie das Abstimmungsverhalten von Rot-Schwarz zu dem Thema ist. Das ist der einzige Kern, der Sie hier treibt, weil wir Bundestagswahlkampf haben.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Das ist diffamierend! Das weise ich zurück!]

Ihre Reaktion zeigt mir sehr deutlich, wie Sie in dieser Frage ticken.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Da brauchen wir gar nicht um den heißen Brei herumzureden. Sie können es nicht anders. Sie versuchen, das politisch Trennende zwischen uns zu fördern, anstatt gemeinsam zu überlegen, wo es hin geht. Die Grünen habe in den BVVen Anträge vorbereitet, sie uns vor die Nase gehalten und gesagt: Macht mit oder nicht! – Das ist keine Art des Umgangs miteinander. Ich hoffe, dass Sie bei der Frage der Zusammenarbeit zur Besinnung kommen. Dann können wir über andere Wege und das, was im nächsten Jahr ansteht, gerne sprechen. – Um es klar zu sagen: Wir werden die Resolution ablehnen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Danke schön, Kollege Schreiber! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Birk das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Tom Schreiber! Wenn Sie hingehen und in der „Siegessäule“ sagen, die Initiative sexuelle Vielfalt bedeute auch, in den Dialog mit Moskau und Russland über die Menschenrechte dort zu treten, dann signalisieren Sie der Community: Das machen wir. – Wenn wir aber über genau das hier heute abstimmen wollen, dann ist es falsch, und wir wollen nur die rot-schwarze Koalition vorführen. Das finde ich, ehrlich gesagt, bigott.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Wir haben diesen Antrag rechtzeitig allen Fraktionen zugesandt mit der Bitte um Beitritt, und das haben Sie abgelehnt. Das ist ihr Problem, aber nicht unseres. Es wäre einfach gewesen mitzumachen. Die Bürgerschaft in Hamburg hat einstimmig einen entsprechenden Beschluss

gefasst, als in Sankt Petersburg das gleiche Gesetz verabschiedet wurde. Da war auch die CDU dabei. Und auch in den Bezirken hat es die CDU möglich gemacht. Machen Sie sich hier keinen schlanken Fuß! Es geht um Menschenrechte und nicht um Parteipolitik vor Ort.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Die Situation ist so, dass, obwohl vor 20 Jahren und drei Tagen in Russland das Verbot von homosexuellen Handlungen aufgehoben wurde, die Homosexuellen weiterhin in Russland und anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion stigmatisiert blieben. Eine queere Bewegung gab es zunächst nicht. Das hat sich seit einigen Jahren geändert. In mehreren Metropolen haben sich Lesben, Schwule und Transgender organisiert und kämpfen für ihre gesellschaftliche Anerkennung und ihre Rechte. Sie stoßen allerdings dabei auf massiven Widerstand der Staatsmacht, und das entgegen der europäischen Grundrechte und Rechtsprechung. Es wurden regelmäßig Demonstrationen verboten und die Staatsmacht lässt es zu – sie forciert es geradezu –, dass die wenigen, die sich dennoch trauen, für ihre Rechte auf die Straße zu gehen, zusammengeschlagen werden. Nicht die Täter, sondern die Opfer dieser Gewalt werden anschließend willkürlich verhaftet. So ist es auch letzten Samstag vor den Augen der Medien im Moskau geschehen bei den Versuchen einzelner Lesben und Schwuler, CSD-Aktionen abzuhalten. In den vergangenen Jahren hat der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck Ähnliches in Moskau erlebt. Die Bilder gingen um die Welt. Diese Willkür verstößt gegen die Menschenrechte und kann uns hier in der Partnerstadt Berlin nicht unberührt lassen.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Und jetzt droht noch Schlimmeres: Wie schon in Sankt Petersburg und neun weiteren Regionen soll nun für ganz Russland ein sogenanntes „Anti-Propaganda-Gesetz“ beschlossen werden, das jegliches Sprechen über Homosexualität mit hohen Geldstrafen bis zu 12 000 Euro belegt. Das Ganze soll angeblich dem Jugendschutz dienen. Auf diese Weise werden alle queeren Gruppen, die sich engagieren, kriminalisiert. Auch die dringend notwendige HIV-Prävention wird zielgruppengerecht nicht mehr möglich sein. Da nicht definiert ist, was unter Propaganda zu verstehen ist, kann schon jedes Zeigen der Regenbogenfahne, jeder gleichgeschlechtliche Kuss unter Strafe gestellt werden. Das kann uns doch im Gedenkjahr der zerstörten Vielfalt nicht unberührt lassen. Das muss uns alarmieren.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung hat zusammen mit dem queeren Exilverein Quarteera die bundesweite Kampagne Freundschaftskuss erdacht. Alle deutschen Städte und Bundesländer, die mit russischen Städte und Regionen Partnerschaften und Freundschaften haben – insgesamt

100 –, wurden angeschrieben und um Unterstützung gegen dieses Anti-Homosexuellen-Gesetz gebeten. Viele haben geantwortet. Die Stadt Osnabrück fasste einen einstimmigen Beschluss dazu. Der Oberbürgermeister von Stuttgart, Fritz Kuhn, wird sich einsetzen, die OBs von Saarbrücken, Speyer, Oldenburg und vielen anderen Städten ebenso. Selbst die Bundeskanzlerin hat positiv geantwortet. Erfreulicherweise haben letzte Woche die Bezirksverordnetenversammlungen von Spandau zu Wolgograd, wo es einen abscheulichen, bestialischen Mord an einem Schwulen gegeben hat, und Lichtenberg zu Kaliningrad ganz ähnliche Beschlüsse wie den vorliegenden Antrag zur Entschließung per Sofortabstimmung verabschiedet. Der Bezirksbürgermeister Geisel war bei unserer Veranstaltung dazu vorgestern hier im Haus; wir haben uns über seine klare Haltung sehr gefreut. Er wird einen Brief schreiben und jede Gelegenheit nutzen, auf die Missstände hinzuweisen. Nehmen Sie sich daran bitte ein Beispiel!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Meine Damen und Herren von der Koalition! Beschämen Sie dieses Haus nicht! Ich habe erwähnt, wie sich Tom Schreiber einerseits in der „Siegessäule“ äußert, aber hier dann den Worten nicht Taten folgen lässt. Nun bekennen Sie auch Farbe! Die Münchener haben es vorgemacht: Durch die Anwesenheit von 17 Münchner Politikerinnen und Politikern beim CSD in der Partnerstadt Kiew in der Ukraine verlief dort die Demonstration am letzten Wochenende friedlich, weil Polizeischutz gegen die zehnfache Zahl von Gegendemonstranten gewährt wurde. Die Ukrainer Lesben und Schwulen waren dafür sehr dankbar, und auch in Polen haben wir durch internationale Solidarität sehr viel erreicht. Jetzt brauchen die russischen Lesben und Schwulen unsere Unterstützung, und diese Entschließung soll dazu ein Baustein sein.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Sie müssen zum Ende kommen, Herr Kollege!

Ich komme zum letzten Satz: Das Gesetz geht bald in die zweite Lesung und wird womöglich nach der Sommerpause schon beschlossen. Der Regierende Bürgermeister hat eben noch beim Hissen der Regenbogenfahne gesagt, wie wichtig es sei, Solidarität mit Russland zu zeigen. Hier haben Sie heute per Sofortabstimmung die Gelegenheit dazu. Stimmen Sie unserem Antrag zu!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Danke, Herr Kollege Birk! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt die Kollegin Bentele das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!