Protokoll der Sitzung vom 13.06.2013

das Land zufließen. Diese kommen zwar zunächst in den Bezirken an, werden dort aber vermittels Basiskorrektur abgeschöpft und dem Landeshaushalt zufließen. Im vergangenen Jahr waren dies allein für Kosten der Unterkunft Mehreinnahmen von noch einmal 170 Millionen Euro. Ich hoffe, Sie können mir noch folgen bei den vielen Zahlen.

Und schließlich ist darauf zu verweisen, dass im Jahr 2013 – wie auch im Jahr 2012 – die Erstattungen der EU für konsumtive und investive Ausgaben im Haushaltsplan unterveranschlagt sind. Bereits zum jetzigen Zeitpunkt ist der Zeitanteil um gut 20 Millionen Euro überschritten. Und dabei ist für das laufende Jahr – übrigens dem letzten Jahr der Förderperiode – noch kein einziger Antrag bedient worden. Von einer Überschreitung der diesjährigen Ansätze in Höhe von mindestens 40 Millionen Euro darf man getrost ausgehen.

Wenn Ihnen das allein noch nicht reicht, darf sich der Finanzsenator darauf verlassen, dass die Wirtschaftssenatorin auch in diesem Jahr die GRW-Mittel nicht ausschöpfen wird. Für Mai waren lediglich 19 Millionen Euro ausgegeben. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es zu diesem Zeitpunkt immerhin 27 Millionen Euro. Am Ende des Jahres 2012 waren 30 Millionen Euro dieser Wirtschaftsfördermittel verloren. Auch die Arbeitssenatorin wird sich mit mindestens 20 Millionen Euro nicht verausgabter Zuwendungen und Zuschüsse in der Arbeitsmarktförderung an der Aktion „Wir sparen, bis es quietscht“ beteiligen. Die Minderausgaben im Bereich der Bauinvestitionen und infolge des ungesteuerten Personalabbaus habe ich noch nicht eingepreist. Ein bisschen was müssen wir ja noch für die Haushaltsberatungen lassen.

Wer in dieser Form mit bebender Stimme davon spricht, dass jeder Stein umgedreht werden müsse, und zugleich die haushaltswirtschaftlichen Puffer verschweigt – die Summen habe ich gerade genannt –, macht sich in höchstem Maße unglaubwürdig. Da ist es berechtigt, von Voodoo zu sprechen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Mit dieser bewussten Irreführung in der Darstellung der Haushaltslage – ob vor oder nach Zensus – vergeht sich der Finanzsenator nicht nur an unserem Parlament – da hat Herr Esser völlig recht –, sondern er vergeht sich auch und vor allem an den Interessen der Stadt, denn die ist darauf angewiesen, einen begründeten und nachvollziehbaren Abwägungsprozess zu den Schlussfolgerungen aus der realen Situation zu erfahren.

Und so wird es weitergehen. Einerseits kündigte der Finanzsenator gestern erneut den Kassensturz nach dem 30. Juni an, andererseits will er den Senat den Haushaltsentwurf schon fünf Tage vorher beschließen lassen. Das ist fatal, weil eine Abwägung der Chancen und Risiken

nach dem Zensus ja tatsächlich vorgenommen werden muss. Man darf also auf den Aufschlag zu den Haushaltsberatungen wirklich gespannt sein.

Schon in der Rede zum Nachtragshaushalt 2012 haben wir die Kriterien benannt, an denen die Linksfraktion den Entwurf des Senats messen wird. Ein Haushaltsplan muss – erstens – von der tatsächlichen Situation der Stadt ausgehen und nicht nur von der Landeskasse. Er muss – zweitens – die finanzpolitischen Spielräume ausmessen und der politischen Schwerpunktsetzung dienen und – drittens – in seiner Art der Beratung dem Gegenstand angemessen sein. Wir werden demnächst, wenn die CDU in der Steuerfrage umgefallen oder gekauft worden ist, den Haushaltsentwurf genau daran messen.

[Zurufe von der SPD und der CDU]

Unsere Schwerpunkte sind klar und benannt: soziale Wohnungswirtschaft, Bildung und sozialer Zusammenhalt, gute Arbeit und Personalentwicklung. Wir werden uns auch den Debatten um Steuererhöhungen nicht entziehen und unsere diesbezüglichen Vorschläge – ich erinnere an die Debatte zu den Share-Deals – erneut in die Diskussion einbringen.

Ich befürchte nur, dass es in der Senatssitzung letzten Endes so zugehen wird wie beim Reichszensus im alten Rom. Dort traten die rechtlich unabhängigen Bürger alle fünf Jahre auf dem Marsfeld an und mussten ihr steuerpflichtiges Vermögen laut ansagen. Die Zensoren teilten dann die Bürger in Klassen ein, die auch über ihren politischen Einfluss entschieden. In diesem Licht ist klar, wer der Oberzensor dieses Landes sein möchte.

[Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Schmidt! – Für die Fraktion der Piraten hat der Kollege Herberg jetzt das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Bis kurz vor Beginn der Rede hier dachten wir noch, wir würden die Antwort einzig und allein von Senator Henkel bekommen. Jetzt stellt sich heraus, dass wir die Antwort ebenfalls von Herrn Nußbaum hören. Wir werden also eine Premiere haben, und zwei Senatoren werden zu einer Aktuellen Stunde sprechen. Die Aktuelle Stunde ist von der CDU beantragt worden und wurde vor allem begründet mit: Wir müssen mal gucken, wie das mit dem Zensus 2011 genau war. Eigentlich glauben wir das alles nicht. – Ich hatte das Gefühl, es war eher ein Ablenkungsmanöver von den Haushaltsberatungen, weil heute noch keiner Lust hatte, jetzt schon darüber zu reden. Eigentlich war ja geplant, den Haushalt schon am 16. Juni im Senat zu beschließen. Anscheinend hat aber der Druck, den wir gestern auch im Hauptausschuss hat

(Dr. Manuela Schmidt)

ten, bewirkt, vielleicht ist auch beim Finanzsenator ein Nerv geplatzt, dass er sagte: Jetzt muss ich hier auch noch sprechen, bevor mir meine Koalition das Wort wegnimmt.

Es ist natürlich richtig, dass wir uns auch darüber unterhalten müssen, wie dieser Zensus zustande gekommen ist und ob die Zahlen, die dort genannt wurden, auch alle stimmen. Charlottenburg-Wilmersdorf hat gerade einen Pressebeitrag gehabt, wonach sie sich nicht vorstellen können, wie in ihrem Bezirk auf einmal 30 000 Leute fehlen können. Sie haben jetzt vor, mit Stichproben zu gucken, ob das alles stimmt. Das können wir alles gerne machen, bloß haben wir jetzt gerade eine Zeit, in der wir auf Haushaltsberatungen zugehen. Wir sind nicht im November 2012 und mitten im Haushalt, wo man das breit diskutieren könnte, sondern wir gehen auf die Haushaltsberatungen zu. Da ist es völlig richtig, dass wir als Opposition darauf bestehen, uns heute, hier und jetzt über die Finanzen und die finanziellen Auswirkungen zu unterhalten und nicht darüber, wie das jetzt ist und ob man dagegen klagen könnte. Das ist ein Prozess, der Monate und Jahre dauert, bis man sich über alles gestritten hat.

In der Presse – das wurde auch schon oft genug gesagt – vom 4. Juni sprach Herr Senator Nußbaum vom Schwarzen Freitag. So etwas macht natürlich erst einmal hellhörig. Vom Geschichtsunterricht kennt man ja noch: Die gingen dann zur Treppe, gingen hoch und fielen irgendwann runter. – Wenn Rückzahlungssummen von über einer Milliarde Euro im Raum stehen und auch die künftigen Jahre mit bis zu einer halben Milliarde belastet werden könnten – da waren wir gerade in Brüssel und durften uns von den Parlamentariern erklären lassen, dass Berlin in Zukunft aus Brüssel auch noch weniger Geld bekommt. Das macht einen noch hellhöriger: Da gibt es weniger Geld, und da wird noch eine halbe Milliarde Euro eingespart. Das macht einen schon nachdenklich. Ein paar Tage später heißt es: Es ist doch nicht so schlimm. Ich habe da und dort noch Geld gefunden. Die Steuern sind sowieso etwas höher, und am Ende wird schon alles gut werden. – Aber erst wird der Druck so aufgebaut, dass wir im Prinzip damit rechnen müssen, dass bei jeder sozialen Einrichtung erst einmal gekürzt wird.

Dann sprach Herr Schneider von Schattenhaushalten und solchen Sachen. Ich kann mich noch daran erinnern, dass wir hier auch in den letzten Haushaltsberatungen immer wieder gesagt haben, wir müssen an diese Schattenhaushalte ran. Wir müssen das transparent machen. – Dann machen Sie es doch endlich! Überzeugen Sie Ihren Senator, dass die ganzen Investitionen, die wir in landeseigene Betriebe stecken, in den Haushalt hineinkommen, dass wir das ordentlich abbilden und ordentliche Summen daraus bilden. Das wird in der I-Planung etc. immer schön versteckt. Das sind Investitionssummen, die auch bei den Gesprächen darüber, wie viele Schulden das Land

Berlin noch aufnimmt, nicht richtig auftauchen. Da verstecken wir immer alles.

Die CDU hat davon gesprochen, dass sie gegen den Kahlschlag sei. Das finde ich super. Die SPD sagt: Keine Kürzungsfantasien! – Das finde ich auch super. Da sind wir ja alle auf einer Seite.

[Torsten Schneider (SPD): Aha!]

Die CDU merkt an: Die Liegenschaftspolitik klappt nicht so ganz dufte. – Darüber unterhalten wir uns ja in einer Großen Anfrage noch. – Wohnungspolitik: Bis auf die Ansage der Mieterpartei SPD ist noch nichts im Raum, was Sie machen wollen.

[Zuruf von der SPD]

Der Generationenwechsel, Neueinstellungen, Ausbildung sind alles buzzwords, die Sie nennen, aber gleichzeitig wollen Sie in den Bezirken das Personal kürzen. Sie wollen den Bezirken nicht die Möglichkeit geben, selbst Einstellungen in größerem Maß vorzunehmen. Sie sprechen aber großspurig von einem Generationenwechsel.

[Beifall bei den PIRATEN]

Dann kommen Sie auf Baukostensteigerungen. Da mussten Sie bei Herrn Müller noch eine kleine Kelle hinterhergeben. Die Retourkutsche bekommen Sie dann gleich von Schneider, der damit auf die Bundesregierung losgeht. Ein bisschen Knatsch haben Sie ja schon innerhalb der Koalition. Das können Sie doch nicht ganz verstecken.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Die lieben sich!]

Kommen wir mal auf die Schuldenbremse 2020 zurück. Es wird Ihnen selten passieren, aber hier ist es innerhalb der Runde so: Wir sehen alle 2020, aber keiner von uns zwingt Sie, schon sehr viel früher diese Schuldenbremse einzuhalten. Das heißt, wenn wir Investitionen tätigen wollen, die sinnvoll sind, dann können wir gerne darüber reden.

[Torsten Schneider (SPD): Sie haben doch dagegen gestimmt!]

Wir haben nicht dagegen gestimmt. Ich habe einen Parteitagsbeschluss im Hintergrund, der mir erlaubt, Investitionen sogar auf Pump zu tätigen.

[Torsten Schneider (SPD): Was ist denn beim Wasser?]

Dann dürfen wir an der Stelle auch mal über sinnvolle Investitionen reden. Wie wäre es mit der energetischen Sanierung von Schulen, Bädern und Sporthallen? Es ist ja nicht nur so, dass man, wenn man Kredite aufnimmt, um das zu finanzieren, nur die Kredite zurückzahlen müsste. Man hat zum Beispiel Energieeinsparungen. Das sind Kosten, die wie in den folgenden Jahren weniger stemmen müssten. Bei den steigenden Energiepreisen gehe ich sogar davon aus, dass diese Kosten die Zinsausgaben übersteigen.

Dann kann man das zum Beispiel auch schön mit dem aufzubauenden Stadtwerk verbinden. Wir reden alle darüber, dass wir ein Stadtwerk aufbauen wollen. Da haben die Grünen, glaube ich, Windparks und Solardächer ins Spiel gebracht – entsprechende Anträge haben wir heute auf der Tagesordnung. Das kann man super mit dem Stadtwerk verbinden, und die Investitionen, zum Beispiel in Solardächer, die wir auf landeseigene Unternehmen setzen, zahlen sich in wenigen Jahren wieder aus. Auch die Investitionen in Kitaplätze: Wenn sich erst einmal herumspricht, dass es in Berlin mit den Kitaplätzen besser läuft als in den anderen Bundesländern und wir das einhalten, was vom Gesetzgeber verlangt wird, können wir die ungefähr 180 000 Personen, die in Berlin fehlen, vielleicht wieder aufwiegen.

Der Senator hat gestern im Hauptausschuss gesagt, die USA änderten gerade die Zinspolitik. Vielleicht ist genau jetzt der Punkt, um diese Investitionen zu machen, denn jetzt sind die Zinsen auf einem historischen Tiefstand, und wenn wirklich in der ganzen Welt darüber nachgedacht wird – was Herr Schneider auch gesagt hat –, ist es richtig, diese Investitionen jetzt zu tätigen. Wenn ich aber vom Senator etwas über eine Haushaltssperre höre – wir sind jetzt mitten im Jahr 2013 und haben noch sechs Monate vor uns –: Heißt das dann wieder, dass die ganzen Projekte, die nicht schnell genug waren, ihr Geld auszugeben, oder die ganzen Bezirke, die noch nicht alle Planungen für 2013 abgeschlossen haben, am Ende wieder das Geld zurückpacken müssen und der Finanzsenator das Geld wieder einstreicht und am Ende sagen kann: Ja, ich habe noch einmal 50 Millionen mehr gefunden? – Im Prinzip wollten wir ja alle, dass es irgendwo investiert wird. Aber die Investitionen haben dann wieder nicht stattgefunden.

Herr Schneider! Sie haben von der Grunderwerbsteuer geredet. Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass wir in den letzten Haushaltsberatungen einen Antrag dazu hatten. Aber den haben Sie abgelehnt.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist doch absurd!]

Das ist nicht absurd. Sie haben doch eben gerade gesagt, dass Sie dafür sind, die Grunderwerbsteuer zu erhöhen!

[Weiterer Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Ja, Herr Schneider! Jetzt können Sie sagen, dass Sie schon immer alles besser gewusst haben; aber wir haben den Antrag eingebracht, und Sie haben ihn abgelehnt!

[Beifall bei den PIRATEN]

Herr Senator Nußbaum hat auch vom Kassensturz geredet. Wir haben heute auch einen Antrag zum BER auf der Tagesordnung. Der BER redet gerade auch eigenständig vom Kassensturz. Wir wollen den BER zum Kassensturz auffordern, aber CDU und SPD lehnen den Antrag heute wieder ab. Aber wissen Sie was? – Der BER macht das,

was wir wollen. Auch der Senator macht das, was wir wollen. Sie brauchen wir eigentlich gar nicht.

[Beifall bei den PIRATEN – Torsten Schneider (SPD): Nur Ihre Fraktion macht nicht, was Sie wollen!]

Vielen Dank! – Meine Damen und Herren! Das war die erste Rederunde. Jetzt hat der Senat das Wort. Wie schon gesagt, teilen sich zwei Mitglieder des Senats die Redezeit auf. Das bedeutet aber keine doppelte Redezeit. Ich bitte Sie also herzlich darum, sich im Rahmen des Üblichen zu bewegen.

[Zuruf: Der Senat kann so lange reden, wie er will!]

Ja, er kann so lange reden, wie er will, aber wir haben hier gewisse Gepflogenheiten. – Es eröffnet der Kollege Henkel. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Stunde lautet: Zensus 2011. Zu so einer Aktuellen Stunde gehören natürlich auch ein paar Anmerkungen zum Zensus selbst, auch wenn die haushaltsmäßigen Auswirkungen natürlich ebenso dazugehören. Wir haben es in den Wortbeiträgen eben gehört. Wir haben uns das auch gedacht, und deshalb rede ich zu den Dingen, die meine ureigene Sache und in meinem Ressort beheimatet sind, nämlich zum Zensus, und dann redet der Kollege Nußbaum, und dann, denke ich, wird das eine runde Sache. Dann haben Sie eine wirklich Aktuelle Stunde, und dann ist hoffentlich das Informationsbedürfnis aller hier im Plenum gestillt.

Unsere Stadt hat sich in den letzten Wochen nicht geändert, aber sie ist nicht mehr dieselbe – das sagen jedenfalls die Statistiker. Denn diese Statistiker haben ermittelt, dass Berlin zum Stichtag 9. Mai 2011 knapp 179 000 Einwohner fehlen. Das sind 5,2 Prozent weniger, als wir nach der bisherigen Fortschreibung der Volkszählung von 1987 annehmen mussten. Allein für den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf ist ein Minus von etwa 30 000 Einwohnern oder 9,5 Prozent ausgewiesen. – Das sind erhebliche Veränderungen, die natürlich Fragen aufwerfen: Fehlen diese Menschen tatsächlich, oder sind sie statistischen Methoden zum Opfer gefallen? – Der stellvertretende Bezirksbürgermeister Gröhler hat in der letzten Senatssitzung jedenfalls begründete Zweifel angemeldet, ob die Abweichungen zu den Melderegistern in dieser Größenordnung überhaupt nachvollziehbar sind.