Protokoll der Sitzung vom 29.08.2013

[Beifall bei der SPD – Zuruf von Uwe Doering (LINKE)]

In diesem Volksbegehren stehen zwei Dinge: Lasst uns ein Stadtwerk gründen – da haben wir überhaupt kein

Problem miteinander, da sind wir inhaltlich völlig derselben Meinung –, und lasst uns eine Netzgesellschaft gründen. – Die zentrale Frage, die Sie heute nicht beantworten werden, deren Antwort ich mit Sicherheit auch nicht bis zum 3. November vom Vorhabenträger erfahre: Weshalb sollte die Berliner Bevölkerung eine Netzgesellschaft gründen, die sich an Verfahren um die Netze überhaupt nicht beteiligen kann? Das ist doch die zentrale Frage, und das wird die Presse für sich auch noch beantworten müssen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Herr Schneider! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Herr Abgeordneter Schäfer. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 17. Juni hat der SPD-Landesvorstand zwei Beschlüsse gefasst: Der Volksentscheid soll zur Bundestagswahl kommen. Der Koalitionsbeschluss darauf lautete: Nein, sechs Wochen danach. – 1,5 Millionen Euro lässt dieser Senat es sich kosten, die Demokratie zu behindern. Der SPDParteivorstand hat im Juni beschlossen, das Gesetz des Energietisches im Abgeordnetenhaus zu übernehmen. Der Koalitionsbeschluss heute: Es gibt keine Übernahme. Darüber hinaus: SPD und CDU empfehlen sogar ein Nein zu diesem Volksentscheid, den der SPD-Parteitag unterstützt hat. Herr Saleh! Sieht es so aus, wenn Sie immer sagen: Wir setzen sozialdemokratische Politik mit der CDU um? – Herzlichen Glückwunsch!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Herr Schneider versucht, eine Diskussion aufzumachen, die aufs Glatteis führt. Von verfassungsrechtlichen Bedenken ist da die Rede. Ich zitiere mal Klaus Wowereit. Klaus Wowereit hat uns am 14. August 2012 geschrieben:

Der Gesetzentwurf widerspricht weder dem Grundgesetz noch sonstigem Bundesrecht oder der Verfassung von Berlin.

Das sind seine Worte. Es kann sein, dass sich Herr Wowereit irrt, und dann werden die Gerichte diese rechtlichen Probleme ausräumen, wie bei jedem anderen Gesetz auch. Deshalb müssen wir diese Debatte nicht führen. Hier geht es um eine Richtungsentscheidung. Ein Volksentscheid ist immer eine Richtungsentscheidung.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Jetzt kommt Herr Schneider mit dem Einwand, diese neuen Modelle demokratischer Kontrolle, die das Volksgesetz vorsieht, stellten ein Haushaltsrisiko dar. Wer in

Berlin glaubt denn noch, dass die jetzige Kontrolle landeseigener Unternehmen funktioniert? Wer glaubt denn noch, dass die Kontrollmechanismen bei der Landesbank erfolgreich waren, bei Verlusten von 9 Milliarden, die uns die große Koalition eingefahren hat? Wer glaubt denn noch, dass die Kontrollmechanismen am BER funktionieren? Diese traditionellen Modelle führen doch dazu: Da sitzen Herr Wowereit und Herr Henkel dabei, und es sind auf der Baustelle am BER mehr Unternehmensberater als Arbeiter anwesend. Das ist die Art von Kontrolle, die nicht funktioniert! Das Haushaltsrisiko sitzt hier an dieser Senatsbank, das ist nicht im Volksgesetzentwurf zu finden.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Deshalb kann man diese neuen Modelle erproben und nach zwei Jahren nachbessern, wo sie nicht funktionieren. Das ist kein Problem. Schlechter als heute kann es nicht laufen.

Der Volksentscheid ist eine Richtungsentscheidung. Er ist die Richtungsentscheidung, ob Berlin ein Stadtwerk wirklich will. Was Sie hier erzählen, Sie wollten ja ein Stadtwerk gründen, da sehen wir die Wahrheit doch im Haushaltsentwurf. 1,5 Millionen pro Jahr wollen Sie da reinstecken. Zwei mal 1,5 Millionen, so viel kostet ein einziges Windrad. Das Eigenkapital der Stadtwerke Pfarrkirchen ist 3 Millionen. So wenig wollen Sie für ein Stadtwerk Berlin als Zuschuss vorsehen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Pfarrkirchen hat halb so viele Einwohner wie BerlinBiesdorf. Das ist kein Stadtwerk. Das ist so tun als ob. Wir brauchen ein richtiges Stadtwerk. Dieses Stadtwerk muss in den nächsten vier Jahren 500 Millionen Investition allein mobilisieren, damit die Hausaufgaben des Landes bei der Energiewende gemacht werden, damit die landeseigenen Gebäude für die Energiewende fit werden, damit wir Blockheizkraftwerke in landeseigenen Gebäuden kriegen, damit wir Kerne von dezentralen Nahwärmenetzen bauen können.

[Zuruf vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit]

Sie müssen nicht nach Herrn Esser rufen, der sieht das genauso! – Und das kriegen wir hin. Diese Frage „Richtiges Stadtwerk oder so tun als ob, wie es der Herr Wowereit will“, das ist die Frage, die der Volksentscheid entscheidet.

Bei den Netzen gibt es auch eine klare Entscheidung, die das Volk zu treffen hat. Sie planen doch den schmutzigen Deal mit Vattenfall. Sie wollen doch mit Vattenfall gemeinsam dieses Stromnetz führen. Sie wollen das Modell Wasserbetriebe hier auch beim Strom einführen. Und da kann nur ein Volksentscheid Nein sagen und Sie davon abbringen, diesen Irrweg zu gehen. Deshalb kämpfen wir für ein Ja zum Volksentscheid.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Jede Stimme für diesen Volksentscheid ist ein Ja zur Energiewende endlich auch in Berlin, damit wir wegkommen vom letzten Platz bei den Erneuerbaren. Jede Stimme ist ein Ja zu einem Stadtwerk, und jedes Ja zu diesem Volksentscheid ist auch eine gelbe Karte für diesen Senat, der mit bloßem Machtkalkül hier arbeitet, statt endlich mal eine eigene Alternative zur Alternative zu stellen.

[Zuruf von Sven Kohlmeier (SPD)]

Sie können sich doch in der Koalition nur auf das einigen, was Sie nicht wollen. Aus Ihrem Entwurf geht nicht hervor, was Sie machen wollen. Sagen Sie endlich mal, was Ihre Alternative ist! Wenn Sie Kraft hätten, dann hätten Sie einen eigenen Gesetzentwurf gemacht und ihn am Tag der Bundestagswahl zur Alternative gestellt.

[Zuruf von der SPD]

Dann hätten die Menschen entscheiden können. Sie können sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen, sondern nur auf ein Nein. Sie sind die Koalition des Dagegen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Lachen bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Schäfer! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Melzer. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach lauten Reden will ich zunächst mal feststellen, das Abgeordnetenhaus von Berlin, die Mehrheit dieses Abgeordnetenhauses, wird heute zu diesem Energieentscheid Nein sagen, und zwar aus guten Gründen,

[Zuruf von Heidi Kosche (GRÜNE)]

denn es ist ein Konzept, das auf absehbares und unbeschränktes Risiko und auf absehbare Verluste ausgerichtet ist, das für den Landeshaushalt risikoreich ist. Deswegen ist es richtig, gut und wichtig, dass die Koalitionsfraktionen aus SPD und CDU heute mit einer Stimme klar und deutlich vernehmbar Nein zu diesem Energieentscheid sagen.

[Beifall bei der CDU – Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Was sagt der Rest?]

Dieser Entscheid möchte eine Netzgesellschaft gründen, sozusagen eine weitere. Gleichzeitig sagt aber der Vorhabenträger: Diese Netzgesellschaft kann sich überhaupt nicht mehr auf irgendwelche Netze – weder auf Gas noch auf Strom – in den nächsten Jahren in Berlin bewerben. Nein, es geht vielmehr darum, die Verheißung dieses Erwerbs eines Stromnetzes, was gar nicht möglich ist, zu

nutzen, um die Menschen an die Urnen zu kriegen. Und da sind die Oppositionsfraktionen reingefallen. Sie glauben auch, dass das noch rechtlich möglich ist, versuchen ebenfalls, die Leute an die Urnen zu kriegen.

[Zuruf von Joachim Esser (GRÜNE)]

Fakt ist eines: Diese neue Netzgesellschaft kann überhaupt nichts für Stromnetzkonzessionen und Gasnetzkonzessionen in den nächsten 10 bis 20 Jahren ausrichten. Sie ist unnötig, und sie behindert sogar weitere Bewerbungen von anderen Netzgesellschaften auch im Landeseigentum. Das ist ein Trick, und das werden wir nicht durchgehen lassen.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Torsten Schneider (SPD) und Renate Harant (SPD)]

Mit Blick auf Baden-Württemberg wird auch eines deutlich – der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat das am 22. August noch mal klargestellt –: Durch die Übernahme des Stromnetzes wird der unzutreffende Eindruck bei dem Bürgerbegehren dort erweckt, man könnte maßgeblich beeinflussen, welcher Strom durchgeleitet werden würde, oder auch, wie die Tarife aussehen. Das ist alles falsch. Deswegen wurde in Baden-Württemberg das Bürgerbegehren auch vom Verfassungsgerichtshof abgelehnt. Das gilt es auch klar und deutlich zu sagen und den Menschen reinen Wein einzuschenken.

Die Dinge, über die wirklich abgestimmt werden kann, liegen klar auf dem Tisch. Die Dinge des Wolkenkuckucksheims, die Herr Wolf und Herr Schäfer auch angesprochen haben, sind eben nicht Gegenstand der Abstimmung, und das müssen wir den Leuten auch ganz klar sagen.

Das Landesunternehmen, das sich bewirbt, das in einem diskriminierungsfreien Ausschreibungsverfahren fair und transparent mit allen anderen Wettbewerbern um das beste Konzept konkurriert, das haben wir ausgestattet. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir es ausgestattet haben mit vielen Hundert Millionen an Investitionen für den Kauf des Netzes und für die Erhaltungsinvestitionen, denn klar ist auch: Ein solches Stromnetz kostet viel Geld Investition, kostet viel Geld und hat gewisse Risiken und nicht etwa eine sichere Rendite. Auch darüber müssen die Berliner aufgeklärt werden. Für den Haushalt Berlins ist das ein Risiko und kann dazu führen, dass andere wichtige Vorhaben nicht mehr umgesetzt werden. Auch deswegen sagen wir heute hier nein.

Der Vorhabenträger möchte auch ein Stadtwerk gründen und hat eine bunte Sammlung an Wünsch-dir-wasAufgaben zusammengestellt. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass es sehr sinnvoll ist, sich sehr genau zu überlegen, was ein Stadtwerk soll, was es können soll und was nicht und wie insbesondere diese ganzen Wünsche und Ziele finanziert sein sollen. Deswegen ist die Frage nicht: Macht man Sozialmaßnahmen? Macht man

niedrige Tarife? Verheißt man alles Seligmachende? –, sondern: Rechnet man es vernünftig durch und stellt sicher, dass das, was ein Stadtwerk machen könnte, am Ende nicht zum Verlust für das Land Berlin führt und für neue Schulden für jeden Steuerzahler? – Das ist es, worum es in unserer Verantwortung, auch in unserer gemeinsamen Regierungsverantwortung geht. Deswegen bringen Businesspläne und Wirtschaftlichkeitsberechnungen in solchen Fragen Sinn.

Die öffentliche Kontrolle dieses möglichen Stadtwerks und dieses möglichen Netzbetriebes ist angesprochen worden. Der Energietisch sagt: Wir alle, die Abgeordneten, der Senat, sollen dieses Unternehmen nicht kontrollieren. Vielmehr gibt es einen Verwaltungsrat, der sich selbst kontrolliert, auch selbst festlegt, was für ein Gehalt gezahlt wird, sich auch selbst entlastet. Dieser Verwaltungsrat ist sozusagen ein Selbstbedienungsladen. Auch hier müssen wir klar sagen: Berlin ist nicht so reich, dass wir sicherstellen könnten, dass sich andere selbst bedienen könnten.

[Zuruf von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Die Kontrolle der öffentlichen Hand wird durch die öffentliche Hand vollzogen, und das passiert auch hier im Abgeordnetenhaus. Null Prozent das Risiko übernehmen wollen, aber 100 Prozent den Gewinn oder aus unserer Sicht, 0 Prozent Kontrolle zu haben, aber 100 Prozent der Haftung, das kann nicht der richtige Weg für das Land Berlin sein.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Abschließend sagen wir deswegen: Es geht um finanzielle Risiken in Milliardenhöhe. Das ist gefährlich für den Landeshaushalt. Wir – SPD und CDU – rufen deswegen gemeinsam auf, kein Gesetz zu unterstützen, das überflüssige Gründungen von Netzgesellschaften fordert und das absehbares und unbeschränktes Risiko für den Haushalt des Landes Berlin abbildet.

[Zuruf von Joachim Esser (GRÜNE)]

Diese Gefahren sind wir nicht bereit einzugehen und werben deswegen für ein Nein beim Volksentscheid. – Vielen Dank!