Protokoll der Sitzung vom 12.09.2013

Den Überweisungen der Antrage Drucksache 17/1153 und 17/1160 hatten Sie eingangs bereits zugestimmt.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4:

Stellungnahme des Senats zum Bericht des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit für das Jahr 2012

Vorlage – zur Kenntnisnahme – Drucksache 17/1103

Ich begrüße ganz herzlich Herrn Dr. Dix, den Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit,

[Allgemeiner Beifall]

und erteile ihm auch das Wort. – Herr Dr. Dix! Sie haben das Wort! – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt der Bericht des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit für das Jahr 2012 und die Stellungnahme des Senats hierzu vor. Die ständig zunehmende Bedeutung des Datenschutzes wird jedem überdeutlich, der morgens die Zeitungen aufschlägt. Auch der Regierende Bürgermeister hat hierauf bei der Eröffnung der Internationalen Funkausstellung hingewiesen. Der Jahresbericht 2012 konzentriert sich einerseits auf Entwicklungen in Berlin, behandelt aber auch europäische und internationale Fragen, denen sich die Bundeshauptstadt gerade in einer vernetzten Welt stellen muss.

(Wolfram Prieß)

Unsere 2012 durchgeführte Prüfung der flächendeckenden Funkzellenüberwachung ist in diesem Haus bereits erörtert worden, allerdings spricht der Senat in seiner Stellungnahme dem Datenschutzbeauftragten die Kompetenz dafür ab,

[Heidi Kosche (GRÜNE): Was?]

die Maßnahmen der Staatsanwaltschaft vor einer gerichtlichen Anordnung zu bewerten. Dabei verkennt er, dass die Strafverfolgungsbehörden sich einer datenschutzrechtlichen Kontrolle von Funkzellenabfragen nicht unter Hinweis auf die Unabhängigkeit der Gerichte entziehen können – wo kein Kläger, da kein Richter. Gerade weil Betroffene häufig nicht – wie im Prinzip vorgeschrieben – benachrichtigt werden, ist eine unabhängige Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten im Interesse des Grundrechtschutzes der betroffenen, meist unverdächtigen Personen zwingend geboten.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Zugleich begrüße ich es, dass dieses Haus auf Empfehlung des Ausschusses für Digitale Verwaltung, Datenschutz und Informationsfreiheit den Senat aufgefordert hat, sich im Bundesrat für eine Beschränkung der Funkzellenabfragen auf das erforderliche Maß einzusetzen und darüber hinaus zu prüfen, ob die Öffentlichkeit über Funkzellenabfragen unterrichtet werden kann.

Auch in zwei weiteren Punkten besteht ein Dissens zwischen dem Datenschutzbeauftragten und der Landesregierung. 1988 hatte das Abgeordnetenhaus den Senat aufgefordert, im polizeilichen Informationssystem auf bestimmte personengebundene Hinweise wie „geisteskrank“ und „Ansteckungsgefahr“ zu verzichten, weil diese Merkmale dazu führen, dass Betroffene leicht abgestempelt werden.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Allerdings!]

Der Senat ist dieser Forderung des Parlaments seinerzeit gefolgt. Auf den Beschluss der Innenministerkonferenz hin hat er allerdings im vergangenen Jahr der Polizei die Verwendung dieser personenbezogenen Hinweise wieder gestattet, ohne dem Parlament zu erläutern, weshalb dafür inzwischen, nach 24 Jahren, ein zwingendes Erfordernis besteht.

[Philipp Magalski (PIRATEN): Unerhört!]

In Sachen Informationsfreiheit erklärt der Senat in seiner Stellungnahme zwar einerseits, ein Transparenzgesetz sei in Berlin nicht erforderlich, weil das Informationsfreiheitsgesetz eines der informationsfreundlichsten Gesetze in Deutschland sei, andererseits lehnt der Senat es nach wie vor ab, die pauschale Geheimhaltung seiner Beschlüsse aufzuheben. Dazu bleibt festzuhalten: In puncto Transparenz gerät Berlin zum Beispiel gegenüber Hamburg ins Hintertreffen, denn dort sind die wesentlichen Teile der Senatsbeschlüsse zu veröffentlichen, wenn das Hamburgische Transparenzgesetz 2014 in Kraft tritt.

Gegenwärtig stehen wir zudem an einer entscheidenden Wegmarke. Wenn die Geheimdienste zweier westlicher Demokratien offensichtlich jedes Maß verloren haben und die weltweite Telekommunikation einschließlich der Telefonate und des Mailverkehrs auch innerhalb Berlins nahezu lückenlos und weitgehend unkontrolliert überwachen, dann müssen jetzt Konsequenzen gezogen werden.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat hierzu in der vergangenen Woche konkrete Forderungen erhoben. Die Bundeskanzlerin hat mit Blick auf die Aktivitäten der US-amerikanischen und britischen Geheimdienste gesagt: Deutschland ist ein Land der Freiheit. – Der Senat von Berlin sollte sie beim Wort nehmen und auf die zügige Umsetzung des AchtPunkte-Plans der Bundesregierung drängen. Die Aufklärungsbemühungen dürfen mit der Bundestagswahl nicht enden.

Jede Regierung und jedes Parlament in Deutschland sind nach dem Grundgesetz verpflichtet, die Grundrechte der hier lebenden Menschen zu schützen, selbst wenn diese im Ausland beeinträchtigt werden. Auch die Berliner Verwaltung muss Konsequenzen ziehen. Dazu zählt etwa der konsequente Verzicht auf die Nutzung von Telekomunikations-, Cloud- und anderen Internetdiensten, bei denen der unverhältnismäßige Zugriff ausländischer Geheimdienste nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann. Zudem braucht Europa jetzt einen gemeinsamen Rechtsrahmen für den Datenschutz mit hohem Schutzniveau, was die Vizepräsidentin der EUKommission jüngst gemeinsam mit dem Senator für Justiz und Verbraucherschutz mit Recht hervorgehoben hat. Auch hierzu enthält unser Jahresbericht 2012 konkrete Vorschläge. Wenn Hersteller von Sicherheitssoftware oder Netzknotenrechnern auf Veranlassung der Geheimdienste Schwachstellen und Hintertüren in ihren Produkten verstecken, kann nicht verhindert werden, dass auch Kriminelle diese Schwachstellen ausnutzen. So wird statt Sicherheit systematisch Unsicherheit erzeugt und Vertrauen zerstört.

Wir müssen entscheiden, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, in einer freien Gesellschaft, in der die heimliche Überwachung der Telekommunikation wieder zur Ausnahme wird, oder in einer unfreien Gesellschaft, in der diese Überwachung die Regel bleibt. – Ich danke herzlich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Allgemeiner Beifall]

Vielen Dank, Herr Dr. Dix! – Für die Besprechung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD.

(Dr. Alexander Dix)

Ich erteile dem Kollegen Kohlmeier das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Dix! Selten war ein Datenschutzbericht aktueller als jetzt. „Datenschutz und Informationsfreiheit 2012“ steht über dem Bericht, den Sie und Ihre Mitarbeiter dem Abgeordnetenhaus in Papier- und in digitaler Form vorgelegt haben. Themen des Berichts sind die Funkzellenabfrage, EU-Datenschutzgrundverordnung, Arbeit mit privaten Endgeräten, elektronisches Klassenbuch, Antiterrordatei, Berliner Mietspiegel, Onlinebonitätsauskunft und Informationsfreiheit in Berlin. Die Themenvielfalt zeigt, es geht in dem Bericht nicht nur um Datenschutz, es geht auch um Informationsfreiheit und insbesondere das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung – Dinge, die uns alle tagtäglich betreffen.

Durch den PRISM-Skandal, den NSA-Abhörskandal, die Snowden-Enthüllungen ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch weiten Bevölkerungsschichten immer präsenter und wichtiger. Die Enthüllungen zeigen: Keine elektronischen Daten sind irgendwo sicher. Außerstaatliche Organisationen haben Zugriff auf fast alles und jeden. Da mutet es wie ein Armutszeugnis an, wenn die Bundeskanzlerin im TV-Duell quasi eingestehen muss, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und der Schutz persönlicher Daten an der Staatsgrenze enden.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Es ist eine bittere Erkenntnis: Der Staat kann unsere Daten nicht schützen. Dass das Internet, Telefonie, Netzwerke nicht an der Staatsgrenze enden und der deutsche Staat den Schutz unserer Daten nicht garantieren kann, kann uns alle empören, auch in diesem Hause. Aber als Berliner Landesparlament können wir diesen Schutz nicht gewährleisten und auch nicht versprechen. Wir können lediglich das Bewusstsein für Datenschutz, Informationsfreiheit und den Schutz persönlicher Daten schaffen. Deshalb bin ich dem Datenschutzbeauftragten für den Bericht dankbar, den er heute vorlegt, weil er das Bewusstsein für einen Bereich schafft, der gerne als NoThema abgetan wird, aber jeden von uns betrifft.

Der Bericht soll gerade keine Anerkennung der guten Leistungen des Senats oder von Unternehmen sein. Es geht darum aufzuzeigen, wo im Land Berlin nachgebessert werden soll, wo Missstände bestehen oder wo der Schutz persönlicher Daten betroffen ist. Das ist die Aufgabe des Berichts und des Datenschutzbeauftragten. Jeder Senat, egal in welcher Konstellation er hier vorne sitzen würde, muss einem solchen Bericht entgegensehen, der Kritisches enthält und der deutlich macht, was noch besser werden muss.

Sehr geehrter Herr Dr. Dix! Sie sind selten bequem. Sie sind selten um Konsens bemüht. Und manchmal fühle ich mich auch nicht mitgenommen.

[Lachen von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Für mich ist das ein Zeichen von Stärke, welche Sie ausstrahlen. Es ist ein Zeichen von Unabhängigkeit, die Sie genießen. Und es ist ein Zeichen, dass Sie Ihre Arbeit ernst und genau nehmen. Die Akribie und Detailtreue des Berichts zeigen, wie hart Sie und Ihre Mitarbeiter gearbeitet haben. Ich denke, auch im Namen des ganzen Hauses zu sprechen. Mein besonderer Dank gilt Ihnen als Behördenleiter und Ihren Mitarbeitern für diesen Bericht. Ihre Arbeit ist wichtig, und der Bericht ist für unsere Arbeit wichtig.

Aber nicht allem, was von Ihnen in diesem Bericht angemahnt wird, schließen wir uns an als Parlament.

[Uwe Doering (LINKE): Sie können für die SPD, aber nicht für das Abgeordnetenhaus sprechen!]

Es zählt zu den parlamentarischen Regeln, dass das Parlament über diesen Bericht diskutieren und seine Schlüsse für unsere Arbeit daraus ziehen wird. Der zuständige Ausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses wird diesen Bericht beraten. Darauf werden die Koalitionsfraktionen drängen. Ich bin mir sicher, dass wir zu einer ausführlicheren Beratung als über den Bericht 2011 kommen, dessen Beratung im Wechsel der Legislaturperiode zu kurz gekommen ist. Ich freue mich auf den Diskurs mit Ihnen im Ausschuss. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Vielen Dank, Herr Kollege Kohlmeier! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Lux das Wort. – Bitte sehr!

Danke sehr, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Dix! Vielen Dank für die Vorlage dieses Datenschutzberichts! In der Tat, die Vorredner haben es angedeutet, es ist in diesen Zeiten angesichts eines der größten und tiefgreifendsten Überwachungsskandale der NSA, den Edward Snowden enthüllt hat, relativ schwierig, auf Berliner Ebene über Datenschutz und Informationsfreiheit zu reden. Es mag etwas provinziell anmuten, aber das ist es nicht. Datenschutz und der Schutz der persönlichen Daten beginnt im Kleinen bei jedem Einzelnen. Es ist ein fundamentales Recht in unserer freiheitlichen Gesellschaft, zu wissen, selbst zu entscheiden, wohin die Informationen über einen selbst gehen, mit wem man sie teilt und mit wem nicht.

(Vizepräsident Andreas Gram)

Auch diejenigen, die das häufig nicht interessiert, die meinen: Was habe ich überhaupt zu verbergen? Was geht mich das an? Wie soll das überhaupt gehen, dass Daten im Internet geschützt sind? –, auch denen soll gesagt sein: Sie haben was zu verbergen. Jede und jeder hat was zu verbergen. Jeder hat eine Privatsphäre. Es werden tagtäglich unbescholtene Bürgerinnen und Bürger zu Unrecht vom Staat überwacht, von Unternehmen belästigt oder einfach nur von Kriminellen durch Identitätsklau geschädigt, weil ihre Daten gesammelt worden sind, weil die Daten vielleicht unachtsam preisgegeben worden sind. Dieser zunehmenden, teilweise ausufernden Überwachung wollen wir einen Riegel vorschieben.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Wir als Parlament, sehr geehrter Herr Kollege Kohlmeier, stehen dabei auf der Seite mit den Besorgten, aber auch zu Recht wütenden Berlinerinnen und Berlinern, die, die nicht wollen, dass ihre Kommunikation widerrechtlich gespeichert und ausgewertet wird, die auf der Demonstration „Freiheit statt Angst“ am letzten Samstag bei bestem Wetter 20 000 Leute auf die Straße gebracht hat und die zu Recht deutlich gemacht werden, hier in diesem Land muss wieder Freiheit herrschen, müssen wieder das Recht und der Rechtsstaat vorherrschen. Meine Daten gehören mir, niemand soll sie widerrechtlich nutzen oder speichern.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Es ist ja das Schwierige, beim Datenschutz, der, wenn er verletzt wird, nicht zu unmittelbaren Konsequenzen, zu Schäden oder zu einer Verhaftung oder so führt, zu begreifen, in einer Gesellschaft, in der keiner mehr sicher sein kann, ob er gerade überwacht wird, was mit den Daten passiert, die man von sich gibt. In dieser Gesellschaft wird auch das Zusammenleben manipuliert. In dieser Gesellschaft überlegt sich jeder Einzelne: Bewege ich mich gerade frei, oder laufe ich nicht Gefahr, überwacht zu werden? Und deswegen ändert man auch sein Verhalten. Und deswegen ist es richtig, für einen aktiven Datenschutz zu streiten und gegen jede Form von Überwachung.

Der Datenschutzbeauftragte hat sich dabei als Institution für den aktiven Grundrechtsschutz bewährt. Und – man höre und staune – es sind lediglich 38 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in dieser Behörde eine enorme Arbeit leisten und die täglich den Schutz von persönlichen Daten besorgen und Missstände aufzeigen. Ich möchte mal einen Vergleich ziehen: Es gibt auch noch eine andere geheimdienstliche Behörde im Land Berlin, da arbeiten 200 Leute, die Chefs vom Berliner Verfassungsschutz sind ja relativ häufig auf der ersten Seite von Berliner Zeitungen. Wann war Herr Dr. Dix das letzte Mal mit seinen wertvollen Hinweisen auf der ersten Seite? Denn dort werden jeden Tag die persönlichen Daten und die Grundrechte der Berlinerinnen und Berliner geschützt.

Auch das muss der Öffentlichkeit bekanntgemacht werden.