Protokoll der Sitzung vom 16.01.2014

Sie wissen genauso gut wie wir: Diese Entscheidung liegt im Verfahren beim Senat, wann dieser Volksentscheid stattfindet. Wir sind auch gespannt, was Senator Henkel da vorschlagen wird. Haben wir keine Angst vor der Zukunft dieses Feldes, haben wir keine Angst davor, den Berlinerinnen die Wahrheit zu sagen und nicht mal ganz gefällig zu applaudieren und danach zu sagen: Wir machen es aber ganz anders. Folgen Sie bitte dem Ruf, den die Koalition ganz klar gibt: Es geht darum, die Zukunft dieser Stadt vernünftig zu gestalten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Kollege Buchholz! Der Kollege Wolf drängelt geradezu zu einer Zwischenfrage. Haben Sie die Zeit noch?

Aber selbstverständlich!

Ich habe mich schon sehr lange zu dieser Zwischenfrage gemeldet, Herr Präsident. Man kann den Redner auch durchaus unterbrechen.

Das hat der Präsident auch getan, und das hatte leider der Redner abgelehnt, wenn Sie genau zugehört hätten.

Leute, wenn es mir erlaubt ist, das einmal auszuführen.

Meine Frage: Herr Buchholz! Ist Ihnen denn vielleicht aufgefallen, dass die Kritik, die Sie an der Haltung der Grünen zu dem gegenwärtigen Volksbegehren, nämlich einerseits, das Volksbegehren zu unterstützen, aber die Inhalte nicht vollständig zu teilen, vollständig zutrifft auf die Haltung der SPD zum Energie-Volksbegehren?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Herr Kollege Wolf! Ich schätze Sie ja sehr. Aber ich glaube, Sie haben da jetzt ein bisschen was durcheinandergebracht, was die Reihenfolge und die Inhalte angeht. Ich erkläre es gern noch mal. Wenn wir uns hier eines anschauen, wenn Frau Kapek sich ernsthaft ins Parlament stellt und sagt, es ist toll, dass dieses Volksbegehren erfolgreich gelaufen ist, und Ihre Vertreter sich genauso hinstellen, es gibt eine Pressemitteilung von Frau Lompscher, wo sie auch wild applaudiert und sagt: Toll, dass so viele Bürgerinnen und Bürger unterschrieben haben.

[Uwe Doering (LINKE): Ist auch toll!]

Ja, Moment jetzt mal! Kollege, jetzt hören Sie sich bitte auch mal die Antwort an! Sie haben eine Frage gestellt, ich beantworte die sehr gern.

[Uwe Doering (LINKE): Ich habe keine Frage gestellt! Ich finde das toll!]

Warten Sie doch mal einen kleinen Moment, bis Sie die Antwort gehört haben. – Ja, das ist schön, dass Sie das toll finden, dass so viele unterschreiben. Aber dass Sie jetzt hier der Stadtgesellschaft irgendwie mal erklären wollen, dass Sie sagen, es ist toll, dass so viele unterschrieben haben, aber gleichzeitig sagen, die Inhalte teilen wir gar nicht.

[Uwe Doering (LINKE): Ja!]

Meine Herren! Das ist doch wirklich Haarspalterei. Da wollen Sie mir erzählen, dass Sie eine endgültige Meinung zu diesem Volksentscheid haben?

[Uwe Doering (LINKE): Ja!]

Das wage ich sehr zu bezweifeln. Ich kann nur jedem dazu raten: Schaut euch diesen Plan an! Ich halte ihn gern noch mal hoch. Es ist ein Plan, der tatsächlich mit Augenmaß, mit Verstand die große Freifläche erhält und sagt: Den Rand können wir entwickeln. Dazu müssen Sie sich irgendwann bekennen. Sie werden nicht mit Larifari durchkommen. Wir werden Sie stellen, nicht nur, wenn es zum Volksentscheid kommt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Danke schön, Kollege Buchholz! – Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Lompscher das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Buchholz! Unsere Position zu dem Erfolg des Volksbegehrens hat übrigens nichts mit Haarspalterei zu tun, sondern mit einem Demokratieverständnis, das wir mal miteinander geteilt haben,

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

und es hat etwas mit Ehrlichkeit zu tun, wenn man trotzdem darauf hinweist, dass man auch abweichende Positionen hat. Das eine und das andere kann durchaus zusammengehen. – 233 000 Unterschriften, das ist zweifellos ein Erfolg, auch wenn der Volksentscheid noch nicht entschieden ist. Respekt und Glückwunsch also an die Initiative und die vielen Unterzeichnerinnen und Unterzeichner!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Dieser Erfolg macht manchen einen großen Strich durch die Rechnung, und er ist nicht zuletzt die Quittung für die ignorante Politik von Senat und Koalition.

[Oh! von der SPD]

Viele haben unterschrieben, weil sie sich ein Tempelhofer Feld frei von jeglicher Bebauung wünschen oder weil sie mit den Senatsplänen nicht einverstanden sind und die Möglichkeit des Protests genutzt haben. So oder so – ein „Weiter so!“ kann es nicht geben, und das ist gut so.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Die Berlinerinnen und Berliner haben sich das Tempelhofer Feld seit seiner Öffnung im Frühjahr 2010 ganz eigenmächtig und kreativ angeeignet. Sie können mit der großen Freifläche offenbar etwas anfangen, anders als der Senat, der immer noch Angst hat vor der Leere und den daraus erwachsenen Möglichkeiten. Aber anstatt in einen kontinuierlichen öffentlichen Dialog über die Zukunft einzutreten, trieb die landeseigene Tempelhof Projekt GmbH gemeinsam mit der Senatsverwaltung die Entwicklungsplanung voran. Fortan wurde in nichtöffentlichen Zirkeln, gewissermaßen am grünen Tisch, am Konzept gefeilt und wurden in öffentlichen Präsentationen Zwischenergebnisse verkündet.

[Torsten Schneider (SPD): Hinterzimmer!]

Widerspruch und Protest wurden beiseitegeschoben. Die Konfrontation war da und wurde immer größer. Kein Wunder, dass sich in dieser Lage die Initiative mit vielen Unterstützern auf den direktdemokratischen Weg machte.

Welche erfolgversprechenden Alternativen hätte es denn sonst gegeben? – Aber das schien den Senat nicht zu beeindrucken. Auch während der zweiten Phase des Volksbegehrens wurden Bebauungspläne ausgelegt und Wettbewerbe veranstaltet. Den Bau des umstrittenen Wasserbeckens auf der Freifläche stoppte nur ein Eilantrag des BUND.

Viele Menschen fürchten mit der geplanten Bebauung am Tempelhofer Feld nicht nur steigende Mieten im Umfeld, sie sehen in der geplanten Randbebauung den Anfang vom Ende des frei zugänglichen und vielfältig nutzbaren Wiesenmeers. Sie fragen sich wie wir, warum sich der Senat nicht auf die Herrichtung des riesigen Bestandsgebäudes konzentriert.

[Zuruf von den GRÜNEN: Genau!]

Stattdessen werden Baufelder vorbereitet, die genau diese Nutzbarmachung des denkmalgeschützten Kolosses behindern. Der Senat kann bis heute nicht sagen, warum am Tempelhofer Feld neue Gewerbeflächen benötigt werden, wo doch an anderen Stellen in der Stadt Gewerbeflächen leerstehen, neu entstehen oder absehbar brachfallen.

[Oliver Friederici (CDU): Sozialistische Ruinen stehen leer!]

Mit dem Ziel, preiswerte Wohnungen am Tempelhofer Feld zu bauen, können sich viele Menschen identifizieren. Aber sie trauen dem Ganzen nicht und fragen: Wie soll das gehen? Gibt es nicht genug andere Stellen und geht es dort nicht billiger? – Klar geht das – sagt zum Beispiel die Plattform Nachwuchsarchitekten. Zitat:

Dort, wo Infrastruktur bereits vorhanden ist, am besten beim Nachverdichten im Bestand, ob durch Umnutzung leerstehender Büros und Ladenflächen oder durch Baulückenschließung sowie den Ausbau von Dachgeschossen, Es gibt viele Möglichkeiten, mit kreativen Ideen neuen Wohnraum zu schaffen.

Der angekündigte Wohnungsbau durch öffentliche Gesellschaften und Genossenschaften ist zunächst nichts weiter als der Köder für die geplante Gesamtentwicklung, in deren Verlauf auch Private einsteigen sollen und werden. Einer weiteren Privatisierung öffentlicher Flächen wären damit Tür und Tor geöffnet. Solange nicht klar ist, zu welchen Konditionen Gesellschaften und Genossenschaften bauen können, in welchem Umfang und zu welchen Mieten preisgünstige Wohnungen entstehen und welche Auswirkungen das auf Bestandsmieten und Wohnungsbestand anderswo hat, ist das alles nicht mehr als ein leeres Versprechen. Diese Zahlen müssen auf den Tisch.

[Beifall bei der LINKEN]

Apropos Zahlen: Zu Aufwand und Nutzen der städtebaulichen Entwicklung wird mit Zahlen jongliert, die sehr fragwürdig sind. Würde nicht hier, sondern anderswo gebaut, entstünde über 50 Jahre ein volkswirtschaftlicher

Schaden von 298 Millionen Euro, also rund 6 Millionen Euro jährlich, hat ein renommierter Gutachter errechnet. Selbst wenn das stimmte und nachvollziehbar wäre, was es nicht ist – was ist diese Summe im Vergleich zu der Tatsache, dass wir weltweit um diese Freifläche beneidet werden, dass ihr wahrer Wert in ihrem Naturpotenzial, in ihrer stadtklimatischen Funktion und in ihren unendlichen Möglichkeiten zur Aneignung liegt? Es hilft nichts: Statt Propaganda, Zahlenvoodoo und Hochglanzbroschüren sind jetzt Partizipation und Meinungsstreit angesagt, über Argumente, Fakten und belastbare Zahlen. Das hat das Volksbegehren bereits erreicht und damit einen wichtigen Anstoß für eine neue Planungskultur in der Stadt gegeben.

[Beifall bei der LINKEN]

Der Senat ist nun in der Pflicht, mit den Initiatoren und der gesamten Stadt in einen Dialog zu treten. Unser Vorschlag für ein Moratorium und Mediationsverfahren liegt seit fast einem Jahr auf dem Tisch. Es gilt, den weiteren Planungsprozess nicht konfrontativ, sondern partizipativ zu gestalten, mit möglichst breiter Öffentlichkeitsbeteiligung. Ob es für einen solchen Ansatz überhaupt noch eine Chance gibt, liegt allein in der Hand von Senat und Koalition. Am Anfang könnte zum Beispiel eine vorurteilsfreie Erhebung der Bürgerwünsche stehen, in der gesamten Stadt, bei denen, die das Feld aktuell nutzen, und bei den Anwohnerinnen und Anwohnern. Es wäre für uns alle neu und interessant zu erfahren, was dabei herauskäme, und insbesondere auch, welche Unterschiede.

Die künftige Planung darf nicht mehr in Closed Shops, kleinen Zirkeln stattfinden. Die guten Erfahrungen mit den Begleitkreisen bei Stadtentwicklungsplänen sollten aufgegriffen und weiterentwickelt werden.

[Zuruf von Daniel Buchholz (SPD) – Zurufe von den GRÜNEN]

Senat, Bezirke, Verbände, Nutzer, Anwohner und natürlich die Initiative können sich hier kontinuierlich und öffentlich nachvollziehbar austauschen, Strategien und konkrete Handlungsschritte besprechen. Öffentliche Veranstaltungen sollen nicht nur regelmäßig stattfinden, sondern auch dokumentiert werden. Sie sollen eben nicht nur Informationscharakter haben, sondern dem Austausch und der Rechenschaftslegung dienen.

[Beifall bei der LINKEN]

Bürgergutachten, Planungswerkstätten, Projektbeiräte und andere Beteiligungsinstrumente sind in Berlin nicht neu und sollten auch hier zum Einsatz kommen. Ihre Qualität bemisst sich daran, ob Ergebnisse aus diesem Beteiligungsverfahren auch wirklich und nachvollziehbar in die Planung einfließen.

[Zuruf von Burgunde Grosse (SPD)]

Um möglichst viele zu erreichen, müssen Barrieren, sprachliche, inhaltliche und räumliche, aktiv abgebaut werden. Die gute Idee der Pioniernutzung sollte auch