Bundesprogramm „JUGEND STÄRKEN plus“ – Förderung von schuldistanzierten Kindern und Jugendlichen ab dem 12. Lebensjahr erhalten
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Familie vom 14. November 2013 Drucksache 17/1338
Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Langenbrinck. – Bitte sehr!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten vier Jahren ist die Zahl der Schulschwänzer in Berlin gestiegen. Heute ist sie auf einem sehr hohen Niveau. Über 22 000 Schüler machen blau. Das ist jeder fünfte. Hartnäckig schwänzen sogar 3 500 von ihnen. So kann man nicht wirklich viel lernen. Da ist ein Schulabschluss unerreichbar.
Wenn Sie jetzt denken, dass sei alles halb so wild und alles sei tutti, dann erlaube ich mir den zarten Hinweis, dass die Zahlen von einem Schulhalbjahr und nicht von einem ganzen Jahr stammen und sich nur auf die Oberschule beziehen. Uns als Sozialdemokraten ist es nicht egal. Uns ist es wichtig, dass alle Kinder und Jugendlichen zur Schule gehen, einen Abschluss machen, einen Ausbildungsplatz finden, eine Arbeit bekommen und sie
Wer aber die Schule schwänzt, verpasst leicht den Anschluss und endet nicht selten als Schulabbrecher, zum Teil mit verheerenden Folgen.
Wir wissen alle, dass Kinder und Jugendliche unterschiedlich häufig und aus unterschiedlichen Gründen die Schule schwänzen. Egal wie und egal warum, es muss ihnen so früh wie möglich geholfen werden. Wir müssen mit ihnen gemeinsame Wege finden, die in die Schule führen und nicht ins Abseits.
Das klappt leider bisher nicht so gut, weil die Bezirke zu unterschiedlich mit dem Problem umgehen. Daher brauchen wir klare und verbindliche Regeln für alle Bezirke. Unsere Kinder sind überall in Berlin gleich viel wert.
Auch wenn es die Grünen gern behaupten und auch Frau Remlinger mit Sicherheit gleich ins gleiche Horn blasen wird, wollen wir natürlich nicht bei Schülern, die mal einen Tag nicht zur Schule kommen, sofort zu Hause die Kavallerie einreiten lassen. Für die SPD steht ganz klar die Prävention im Mittelpunkt. Deshalb bringen wir heute mit der CDU ein Berliner Programm zur Vorbeugung und Bekämpfung von Schuldistanz auf den Weg. Die Lehrer sollen noch stärker zur Vorbeugung von Schuldistanz und zum Umgang mit Schwänzern weitergebildet werden. Sie sollten erste Anzeichen früh erkennen und der Sache auf den Grund gehen.
Für sie ist auch ein Leitfaden mit Informationen über Ursachen und Folgen von Schuldistanz zu entwickeln, eine Darstellung der bestehenden Präventionsprogramme und der Vorgabe verpflichtender Schritte zur Hilfe für die Kinder und Jugendlichen.
Wir wollen – das ist ganz wichtig –, dass die Sozial- und Elternarbeit an Schulen gezielt dafür genutzt wird, präventiv auf Schuldistanz einzuwirken. Auch deshalb haben SPD und CDU dafür gesorgt, dass alle 255 Sozialarbeiter an unseren Berliner Schulen erhalten bleiben.
Wir wollen prüfen, inwieweit das duale Lernen und vor allem das produktive Lernen so weiterentwickelt werden können, dass sie schuldistanzierte Jugendliche auf ihrem Weg zurück in die Schule unterstützen. Es ist sicherzustellen, dass die Schulen die Eltern gleich am ersten Fehltag ihrer Kinder informieren, denn nicht alle Eltern wissen darüber Bescheid, dass ihre Kinder schwänzen. Wir beschleunigen – das ist ebenfalls ein wichtiger Punkt – die Schulversäumnisanzeigen. Die Schulen werden verpflichtet, schon nach fünf nicht zusammenhängenden unentschuldigten Fehltagen innerhalb eines Schulhalb
jahres eine solche Anzeige zu stellen. Dadurch kann die wichtige Unterstützung für die Kinder und Jugendlichen und für ihre Familien schneller starten.
Wir wollen außerdem – weiterer wichtiger Punkt –, dass die eine Hand weiß, was die andere tut. Die beteiligten Akteure müssen sich gezielt und wesentlich besser miteinander vernetzen. Es darf nicht sein, dass wichtige Informationen über potentielle oder notorische Schwänzer in den Aktenschränken der einzelnen Behörde verstauben, ohne dass im Interesse der Kinder gehandelt wird.
Um die weitere Entwicklung im Blick halten zu können, wird die Statistik über Schulschwänzen verbessert und vereinheitlicht. Der Senat wird relevante Informationen für alle öffentlichen Schulen in allen Bezirken zentral und für jedes Schulhalbjahr erfassen. Auch die Sozialdemokraten im Bund sind an dem Thema dran. Das SPDgeführte Bundesfamilienministerium legt mit „Jugend stärken im Quartier“ ein neues Programm auf. Das macht weiterhin die Unterstützung und Förderung von schuldistanzierten Kindern und Jugendlichen ab zwölf Jahren möglich. Damit hat sich der Antrag der Grünen – tut mir leid – erledigt.
Sie sehen, für die SPD steht die Hilfe ganz klar im Mittelpunkt. Wir stärken weiter die Prävention gegen Schuldistanz und setzen die Schulpflicht mit klaren Regeln zum Wohl der Kinder und Jugendlichen konsequent durch. Wir wissen, darin sind wir uns alle einig, dass nur die dauerhafte Teilnahme am Unterricht die Voraussetzungen schafft, einen Schulabschluss zu machen und sich gute Chancen für das eigene Leben zu erarbeiten. Echte Zukunftschancen für wirklich alle Kinder, das ist das, was wir Sozialdemokraten wollen. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Langenbrinck! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Remlinger. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Langenbrinck! Nach allem, was Sie vorgetragen haben, frage ich mich schon, warum nicht ich, sondern die „Berliner Zeitung“ den Ansatz Ihres Antrags beschrieben hat: „CDU und SPD sind sich einig über ein strikteres Vorgehen.“ Dort wurde beschrieben, dass darunter mehr von Bußgeld oder Polizei zu verstehen ist. Daran zeigt sich, dass Sie entgegen Ihrem Vortrag das Problem verlagern. Ich gestehe Ihnen zu, Herr Langenbrinck, dass sich der Ton Ihres heutigen Vortrags im Vergleich zu anderen Vorträgen geändert hat. Diese Veränderung begrüße ich. Dennoch verlagern Sie mit Ihrem Antrag den Schwerpunkt der Debatte in die Richtung ordnungspolitischer
Die noch aktuelle Handreichung des Senats zur Schuldistanz nennt allein 49 unterschiedliche Faktoren, die hier mit verantwortlich sein können. Wir wissen auch, dass Schulschwänzen in allen Altersstufen beginnt, schon in der Kita, in allen Schichten und in allen Schulformen vorkommt. Zuletzt wurde in Niedersachsen sogar nachgewiesen, dass es steigende Raten für das Gymnasium gibt.
Entgegen Ihrem Vortrag haben Sie zum Thema Prävention nichts Neues in Ihrem Antrag. Mehr Fortbildung für Lehrer ist immer sehr schnell und einfach aufgeschrieben. Was Sie aber machen, ist, dass Sie entgegen der Rhetorik des Verständnisses der Komplexität des Problems am Ende doch alles in einen Topf werfen. Übrig bleibt – lesen Sie Ihre eigene Begründung noch einmal –, dass für Sie Schulschwänzer schwierige Jugendliche aus schwierigen, weil bildungsfernen Familien sind. Sie messen ernsthaft das Problem in Ihrer gesellschaftlichen Diagnose an der Anzahl der Familien, die Hilfen zur Erziehung in Anspruch nehmen. Den Erfolg der Bildungspolitik messen Sie daran, dass es mehr Anzeigen gegeben hat, wie viele Schulschwänzer es gibt. Lesen Sie Ihren Antrag! Das ist nicht unser Ansatz. Für eine vielfältige Problematik taugt kein Einheitsbrei als Lösung, und diese Denke ist nicht hilfreich, sie läuft Gefahr, genau die Gruppen und Phänomene zu produzieren, die sie an die Wand malt.
Muss man in diesem Haus allen Ernstes noch einmal betonen, dass nicht jede einkommensschwache Familie auch sozial schwach ist; dass nicht jede Familie, die Hilfe braucht, bildungsfern ist; dass nicht jedes Kind und jeder Jugendliche, der oder die schwänzt, bildungsfern sind und schwache Leistungen bringen und unintelligent sind?
Ich hätte gehofft, aber man muss es offensichtlich noch mal betonen. Aber vielleicht würde es Ihnen ja helfen, dass Sie einmal überlegen: Was würde Ihnen selber denn helfen?
Jedem von uns kann es passieren, als Schülerin, vielleicht ist es manchen von Ihnen auch mal passiert, dass Sie gedacht haben: Gehe ich da heute noch hin?
Ja? Ja! – Oder wenn Sie Lehrkraft wären, was, glauben Sie, würde Ihnen helfen? Ich stelle mir vor, mir als Jugendlicher hätte geholfen, wenn ich das Gefühl hatte, es gibt nun wirklich wichtigere Dinge, gerade in meinem Leben, als so eine Frage wie „Was ist die Hauptstadt des
Bundesstaats Washington?“, wenn mich einer mal gefragt hätte, was mit mir los ist, wie es mir geht. Das hätte mir geholfen.
Und als Lehrkraft würde mir, stelle ich mir vor, helfen, wenn ich eine kollegiale Unterstützung habe, wenn ich Beratung habe, wenn ich Entlastung habe, dass es mir vielleicht tatsächlich möglich ist, so ein Kind, so einen Jugendlichen auch mal außerhalb des eigentlichen Unterrichts anzusprechen. In diese Richtung müssen wir denken.
Als Schulpolitiker bitte ich Sie, doch zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie überhaupt nicht die Rolle der Schule selber in Ihrem Antrag thematisieren. Dabei hat Christine Sälzer – kontaktieren Sie die Frau, die arbeitet auch manchmal für den Senat – jüngst nachgewiesen, wie wichtig das Schulklima ist, die eigene Schulkultur, und die Frage, wie man damit umgeht. Und die schlechtesten Ergebnisse zeigen nachgewiesenermaßen autoritäre Stile, die mit Sanktionen arbeiten. Die sind schädlicher als permissive Stile, schädlicher als noch der Toleranteste: „Schwänz du nur, ich bin froh, wenn du zurückkommst“. Und am hilfreichsten ist: Ich habe eine klare Haltung, ich reagiere verbindlich, ich zeige mit anderen Worten meine Haltung, dass du mir wichtig bist.
Deshalb kommen wir heute beim Thema Schuldistanz in der Tat nicht zueinander. Aber vielleicht treffen wir uns wieder, wenn wir gemeinsam für eine noch engere inhaltliche Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe streiten. Ganz sicher kommen wir hoffentlich zusammen, wenn wir uns für eine Ausweitung der Schulsozialarbeitsstellen einsetzen, auch wieder in den nächsten Haushaltsberatungen. – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank, Frau Remlinger! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Bentele. – Bitte sehr!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute abschließend unseren Antrag zum Thema Prävention gegen Schulschwänzen und zur konsequenten Umsetzung der Schulpflicht. Ich denke, wir haben das Ausmaß der Problematik von rund 3 500 regelmäßig oder dauerschwänzenden Schülern vor allem dank der Beharrlichkeit unseres Kollegen Joschka Langenbrinck wirklich gut durchdrungen,