Protokoll der Sitzung vom 16.01.2014

unter anderem mit einer Großen Anfrage, soweit dieser Themenkomplex aufgrund der unvollständigen Datengrundlage überhaupt gut durchdringbar ist.

Was können wir mit unserem Antrag nun erreichen? – Erstens, wir wollen eine Evaluation aller bestehenden Maßnahmen und Programme. Ich denke, das ist fair. – Zweitens: Eltern und Lehrer sollen über das Problem besser informiert werden. Deshalb mehr Elternarbeit, mehr Weiterbildung und eine neue Handreichung. Auch das ist, denke ich, ein fairer Ansatz, der auch nicht repressiv ist und keine Sanktionen beinhaltet. – Drittens: Bestimmte schulische Programme wie das duale oder das produktive Lernen sollen unter dem Aspekt Reintegrationsmöglichkeit für schuldistanzierte Jugendliche neu beleuchtet werden. Auch darin sehe ich keinen fiesen Ansatz. – Und der letzte, vielleicht wichtigste Punkt: Die Fristen für Fehlmeldungen werden verkürzt und klar und einheitlich für alle Bezirke definiert. Die Eltern werden eng einbezogen, und die Kriterien für das Auslösen eines Hilfsmechanismus, Stichwort Schulversäumnisanzeige oder AG Schulpflicht, einheitlich festgelegt. Also zusammenfassend: Wir verbessern die Datenlage und schöpfen den Rahmen an präventiven Maßnahmen aus, soweit es eben geht.

Tja – soweit es eben geht. Ich gebe zu, dass mich zwei Aussagen des Datenschutzbeauftragten Dix bei allem Respekt doch etwas gewundert haben: Dass nämlich schon für das Senden einer einfachen SMS von der Schule an Eltern im Sinne von „Sehr geehrter Herr XYZ, die erste Stunde ist vorüber, und Ihr Sohn oder Ihre Tochter ist heute nicht zum Unterricht erschienen,“ eine Extraeinwilligung der Eltern und des Schülers erforderlich macht.

[Martin Delius (PIRATEN): Nach Recht und Gesetz!]

Ich war davon ausgegangen, dass es im ureigensten Interesse der Eltern liegen müsste, für die Schule ihres Kindes erreichbar zu sein, falls dem Kind etwas zustößt etc., musste aber lernen, dass davon offensichtlich nicht selbstverständlich ausgegangen werden kann, sondern dass dies durch einen bürokratischen Akt noch mal extra begründet werden muss.

[Beifall bei der CDU und der SPD – Martin Delius (PIRATEN): Was hat das denn mit den Eltern zu tun? – Uwe Doering (LINKE): Wer hat denn das Gesetz ge- schaffen?]

Des Weiteren war seine Aussage, dass unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten in einer potenziellen AG Schulpflicht nur allgemein über Schuldistanz geredet werden dürfe, aber keine Einzelfälle diskutiert werden dürften, doch sehr ernüchternd. Denn das macht eine sinnvolle Koordinierung von teils verschiedenen und auch sehr teuren Maßnahmen ja eigentlich unmöglich.

(Stefanie Remlinger)

[Uwe Doering (LINKE): Sagen Sie das Ihrer Bundesregierung!]

Verhindert der Datenschutz hier vielleicht nicht eine sinnvolle Bündelung von Daten von Einzelfällen? Die Praxis wird zeigen, inwieweit eine solche AG Wirkung entfalten kann.

[Uwe Doering (LINKE): Mutti erzählen, da muss sie was ändern!]

Was konnten wir in den Ausschussberatungen noch lernen? – Vielleicht das: dass die Piraten mal wieder zweistellige Millionenbeträge in diesem Bereich versenken und Grüne und Linke die Schule generell neu erfinden wollen. Vielleicht betreten wir angesichts dieser Alternativen doch den von uns vorgeschlagenen, wenn vielleicht auch bescheideneren, aber langfristig effektiveren Weg.

Ach so, eins haben wir noch gelernt; eventuell müssten wir den letzten Satz unserer Begründung neu fassen: Schulschwänzen muss nicht in allen Fällen zum Schulabbrechen ohne Abschluss führen. Man kann auch führende Positionen in einer Landtagsopposition übertragen bekommen – wie im Falle von Herrn Delius und von Frau Remlinger, die bekennende oder stark gefährdete Schulschwänzer sind bzw. waren.

[Uwe Doering (LINKE): Ich auch!]

Es wäre mal einen Test wert, ob eine solche Berufsaussicht für ihre Kinder ratlose Eltern beruhigt.

[Zuruf von der LINKEN: Czaja!]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Remlinger?

Und zum Schluss noch einige Worte zum Bundesprogramm „Jugend stärken“. Natürlich sollten wir Bundesmittel nutzen, wenn sie bereitstehen. Unsere Information aus dem Senat zur Zukunft des Programms „Jugend stärken“ lautet wie folgt: Für alle bestehenden Projekte gibt es eine Übergangsfinanzierung bis zur Mitte dieses Jahres. Parallel dazu wird an einer neuen Programmarchitektur gearbeitet, die die jetzt getrennt geförderten Bausteine zusammenfassen und auch junge Schulverweigerer einschließen soll. – Insofern, denke ich, hat sich der Antrag der Grünen erledigt. – Danke!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Uwe Doering (LINKE): Bisschen einfach gemacht!]

Vielen Dank, Frau Bentele! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Kittler. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei rund 3 500 Schülerinnen und Schülern hält sich die Lust auf Schule so in Grenzen, dass sie an mehr als zehn Tagen im Schuljahr schwänzen, 650 mehr als 40 Tage. Dass dieses ein ernstzunehmendes Problem ist, leugnet hier niemand. Wir haben unsere Meinungen dazu ja aus Anlass der Großen Anfrage und im Ausschuss breit ausgetauscht. Immerhin hatte diese Debatte die Auswirkung – das sehe ich ein bisschen anders als Frau Remlinger –, dass im Antrag nun nicht mehr nach polizeilicher Zuführung und mehr Bußgeld gerufen wird, was ich ja dort noch am schärfsten kritisiert habe. Der vorliegende Antrag ist trotzdem nicht der große Wurf. Ich habe aber langsam den Eindruck, dass dieses Thema Ihr einziger bildungspolitischer Schwerpunkt ist, liebe Koalition.

[Beifall bei der LINKEN und von Martin Delius (PIRATEN)]

Seit der Großen Anfrage vom 14. September 2012 verfolgen Sie uns hier damit, aber in Ihrem Antrag ist nur viel aufgeschrieben, ohne aber damit Entscheidendes auf den Weg zu bringen. Im Gegensatz dazu war der Änderungsantrag der Piraten zu unterstützen. In ihm wurden Vorschläge gemacht, die an die Wurzel des Übels gehen. Und Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, wollen uns hier mehrere Sachen als neu verkaufen, die es schon gibt. Oder was soll ich mit dem Antragstext „Weiterbildungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer am LISUM sollen verstärkt werden“ anfangen? Ich habe nicht ein Angebot im gegenwärtigen Katalog gefunden, bis auf ein auf Nachfrage regional buchbares in Marzahn-Hellersdorf und eines für berufsbildende Schulen am vergangenen 4. Dezember 2013. Mehr ist dem Senat seit September 2012 dazu nicht eingefallen? Das Wort Verstärkung ist da wohl fehl am Platz.

[Beifall bei der LINKEN]

Dann wollen Sie prüfen lassen, ob eine bezirkliche AG Schulpflicht unter Beteiligung der Jugendhilfe helfen kann. Dass das rechtlich gar nicht zulässig ist, hat Herr Dix schon im Ausschuss erklärt. Darauf reagieren Sie nicht einmal.

[Zuruf von Uwe Doering (LINKE)]

Sie wollen außerdem das Pilotprojekt „Elektronisches Klassenbuch“ evaluieren lassen, das es nach Aussage von Staatssekretär Rackles noch gar nicht gibt.

[Zuruf von Martin Delius (PIRATEN)]

Eine Schule soll jetzt eintreten. Was also wollen Sie da ausweiten?

Und nun „Santa Statistica“ in Ihrem Änderungsantrag zur Heilsbringung anzurufen! Was soll das denn helfen? Bei Schülerinnen und Schülern mit Schuldistanz helfen in seltenen Fällen auch Strafmaßnahmen! – Hier hilft nur Prävention, damit es gar nicht erst dazu kommt, oder

(Hildegard Bentele)

Projekte, die mit Einzelbetreuung Hilfe bieten. Hier liegt der Hase im Pfeffer. Sie wollen prüfen lassen,

inwieweit das duale Lernen und insbesondere das produktive Lernen in Schulen so weiterentwickelt werden kann, dass es schuldistanzierte Jugendliche bei der Reintegration in den Schulalltag unterstützen kann.

Das impliziert doch, dass sie es gar nicht tun! Besonders das produktive Lernen tut es aber, gerade in einer anderen Art von Schule, die einfach ausgebaut gehört. Stattdessen hat im Bezirk Marzahn-Hellersdorf der Bezirksbürgermeister Komoß in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage im vorigen Jahr verkündet, dass dort das Projekt Produktives Lernen mit dem Schuljahr 2012/13 beendet wird. Schaffen Sie also erst mal Bewährtes ab, um es dann vielleicht, wenn Sie mit Ihrer Prüfung fertig sind, wieder einzuführen? Wie logisch ist das denn?

[Zuruf von Joschka Langenbrinck (SPD)]

Und, Herr Kollege Oberg, bevor Sie wieder hinterher sagen, Sie hätten es nicht gewusst: Der großartige präventive und systemische Ansatz des Bundesprogramms und ESF-Projekts „Schulverweigerung – Die zweite Chance“ hat zwar noch mal eine Galgenfrist von einem halben Jahr bekommen, läuft dann aber endgültig aus. Sicher habe nicht nur ich im vorigen Jahr einen Brief des Netzwerks der Koordinierungsstellen bekommen. Sie stellen glaubhaft dar, dass sich diese stigmatisierende Problematik wie ein roter Faden durch die gesamte Schulkarriere von Schülerinnen und Schülern zieht. Sie bringen aber Schülerinnen und Schüler zum Schulabschluss und erleichtern den beruflichen Einstieg. Jetzt müssen sie wieder einen neuen Antrag stellen, obwohl sie nachgewiesenermaßen diesen Schülerinnen und Schülern sehr gut helfen. Das ist das Problem. Wir müssen solche Angebote verstetigen und nicht immer wieder neu Programme auflegen. Sonst können Sie Ihren Antrag als Makulatur benutzen. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Kittler! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Delius. – Bitte sehr!

Vielen Dank! – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

[Steffen Zillich (LINKE): Du bist ein schlechtes Beispiel!]

Ach so, da ich hier schon als schwerstkrimineller ehemaliger Schulschwänzer bezeichnet wurde,

[Beifall von Heiko Herberg (PIRATEN) Zuruf von Uwe Doering (LINKE)]

ein kurzes Statement an alle Kinder und Jugendlichen: Wenn es euch passiert, dass ihr zu einem Zeitpunkt keine Lust auf Schule habt, dann macht euch deswegen nicht fertig, vor allem lasst euch deswegen nicht fertig machen! Das heißt nicht, dass ihr nicht einen guten Schulabschluss bekommt.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Zuruf von Hildegard Bentele (CDU)]

Ja, Frau Bentele, ich habe Sie bewusst falsch verstanden, um zu überspitzen, was Sie gesagt haben, um es zu enttarnen. Es hat offensichtlich funktioniert.

Über dem Antrag steht schon das erste Problem. Alle Kinder müssen zur Schule gehen, das steht über dem Antrag, wenn ich mich richtig erinnere. Das stimmt nicht. Herr Simon als jugendpolitischer Sprecher wird dem widersprechen. Kindergartenkinder nämlich müssen nicht zur Schule gehen. Das ist ein schöner Hinweis darauf, wie durchdacht der Antrag der Koalitionsfraktionen ist.

Die Koalitionsfraktionen wollen sich mit schuldistanzierten Jugendlichen in Berlin beschäftigen. Das an sich finden wir gut. Allerdings, wenn man sich den Antrag anguckt, kann man ihn diplomatischerweise als rückständig bezeichnen. In der Bildungspolitik auf Probleme, die immer wieder auftreten können, mit Grenzen und Regeln, mit mehr Kontrolle und Zwang zu antworten, ist eine politische Vorgehensweise aus dem letzten Jahrtausend. Im Gegensatz zur SPD und CDU ist der Rest des gesellschaftlichen Diskurses, relevante Interessengruppen und die wissenschaftliche Community, längst weiter. Die Verhinderung von Schuldistanz und ihre Begegnung kann nur mit mehr Betreuung, mit Zuspruch und der intensiven Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Problemen funktionieren.

[Beifall von Heiko Herberg (PIRATEN) und Andreas Baum (PIRATEN) – Beifall von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

Vielen Dank, Herr Baum! – An den Punkten – das ist schon ausgeführt worden – bleibt die Koalition allerdings so vage, dass man sich fragt, warum die Dinge, die da drinstehen, überhaupt noch erwähnt werden müssen. Sie sind entweder schon umgesetzt oder sollten eigentlich selbstverständlich sein.

Wir brauchen eine anerkennende und unterstützende Schulkultur und die nötigen Ressourcen statt neuer technischer Spielereien und der Drohung mit der Polizei, die über die AG Schulpflicht, die immer noch im Antrag steht, nicht weg ist.