Protokoll der Sitzung vom 20.02.2014

Berlin hat also derzeit einen Bürgermeister, der längst nichts mehr darauf gibt, welchen Schaden er für diese Stadt anrichtet, denn er weiß, egal, welchen Bock er schießt, er bleibt im Amt. – Herr Wowereit! Ihr Mentalitätswechsel bedeutet, dass die SPD Steuerhinterzieher deckt, dass der Berliner Sumpf immer weiter anwächst und dass die Glaubwürdigkeit der Politik immer weiter den Bach hinuntergeht. Das Traurigste an der ganzen Geschichte ist aber: Es ist nur eine von vielen, nur eine von unzähligen Fehlentscheidungen, derer Sie sich schuldig gemacht haben, Herr Wowereit! Ihre Deckung eines Steuerhinterziehers und Ihr Pensionsbeschaffungsprogramm sind nur ein weiterer Beweis dafür, dass es Ihnen grundsätzlich an politischem Gespür und an Integrität fehlt.

Das gilt aber für den kompletten Senat. Das ist nicht das erste Gefälligkeitsgutachten, das hier diskutiert wird. Statt sich als Vorkämpfer Ihres angekündigten Mentalitätswechsels zu profilieren, haben Sie sich wieder mal als

oberster Betreiber der Sumpferweiterung in der SPD einen unrühmlichen Namen gemacht. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Danke schön, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich lasse jetzt also abstimmen. Wer dem Antrag Drucksache 17/1462 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind Linke, Grüne und Piraten. Wer enthält sich? – Wer ist dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Letzteres war die Mehrheit. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.3:

Priorität der Fraktion Die Linke

Tagesordnungspunkt 10

Gegen Gewalt an Frauen – Bleiberecht für Opfer von Menschenhandel

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 13. Januar 2014 Drucksache 17/1407

zum Antrag der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion Drucksache 17/0653

Hier hat jede Faktion jeweils eine Redezeit von grundsätzlich bis zu fünf Minuten. Das Neue kennen Sie. Frau Kollegin Sommer steht schon bereit für die antragstellende Fraktion. Ich erteile ihr jetzt das Wort. – Bitte sehr!

[Benedikt Lux (GRÜNE): Wir können ja noch ein bisschen warten, bis die CDU wieder draußen ist!]

Nein, die Rednerin kann anfangen, wann immer es ihr gefällt. Ich erteile ihr das Wort, Herr Kollege Lux!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor uns liegt ein völlig entstellter Antrag. Er gibt vor, Opfern von sexueller Gewalt helfen zu wollen, verschlimmert aber in Wirklichkeit ihre Situation. Diese Tragödie begann 2012, als meine Fraktion Die Linke einen Antrag für ein Bleiberecht für Opfer von Menschenhandel einreichte. Der federführende Innenausschuss gab ein Jahr lang keine Stellungnahme zu diesem Antrag ab. Dann waren wir als Linksfraktion gezwungen, am 7. November 2013 einen Brief an den Präsidenten zu schreiben. Einen Monat später wurde der Antrag endlich im Innenausschuss behandelt.

Doch was passierte dann? – Ohne verständliche Begründung wurden wir mit einem mündlichen Änderungsantrag konfrontiert. Dieser Änderungsantrag wurde nie an die

(Oliver Höfinghoff)

Mitglieder des Ausschusses verteilt. Erst in der Ausschusssitzung am 13. Januar 2014 erhielten wir ihn als Tischvorlage. Das ist absolut unprofessionell!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

So etwas habe ich in meiner gesamten Zeit im Abgeordnetenhaus noch nie erlebt. Es macht deutlich, dass die SPD/CDU-Koalition nicht bereit ist, tatsächlich etwas für den Schutz der Opfer zu tun.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Dabei haben wir nichts Revolutionäres gefordert, nur einfach die längst überfällige Umsetzung einer EURichtlinie. Kern dieser EU-Richtlinie ist der menschenrechtsbasierte Ansatz, dass beim Umgang mit Menschenhandel das Opfer in den Mittelpunkt zu stellen ist. Dabei ist das Aufenthaltsrecht der Dreh- und Angelpunkt. Solange Betroffene von Menschenhandel nur als Zeugen gesehen werden, werden sie weiterhin missbraucht, nicht nur von den Menschenhändlern, sondern nun auch von staatlicher Seite.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Sie sagen, für Sie stehe die Kriminalitätsbekämpfung im Vordergrund. Das ist richtig und wichtig, doch genau sie funktioniert nicht, wenn das Opfer nicht ausreichend geschützt wird. Schlimmer noch: Die Frau wird unter Generalverdacht gestellt, ein Aufenthaltsrecht erschleichen zu wollen. Mit Verlaub, das sind fast indische Verhältnisse, in denen sich die Frauen befinden.

Rechtlich gesehen haben die Opfer einer Straftat, die in Deutschland begangen wurde – und das trifft in diesen Fällen zu –, einen Anspruch auf medizinische Behandlung, Bildung und Ausbildung, auf juristischen Beistand und auf Wiedergutmachung. Das alles ist ohne einen gesicherten Aufenthaltsstatus nicht möglich. Eine Frau, die Opfer von Menschenhandel ist, wird lediglich als Zeugin gesehen. Damit kann sie der Gewaltspirale nicht entfliehen, Herr Juhnke! Das begünstigt wiederum Menschenhandel in diesem Land.

Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass Sie, Herr Henkel, Ihre Finger im Spiel hatten. Die Änderungsvorschläge tragen Ihre Handschrift, Herr Henkel! Einmal mehr demonstrieren Sie Ihre Unkenntnis von EURichtlinien, Herr Henkel! Statt diese umzusetzen, kritzeln Sie in unserem Antrag herum und entstellen ihn völlig.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Nun widerspricht sogar der Inhalt der Überschrift. Wir wollen die Opfer schützen, und Sie stellen sie unter Generalverdacht. Das ist unerhört!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall den PIRATEN]

Skandalös ist auch, dass die SPD-Fraktion dieses mitträgt. Liebe SPD-Fraktion! Es ist nicht zu fassen, wie wenige sozialdemokratische Grundsätze in Ihrer Politik übrig geblieben sind. Während unserer gemeinsamen Regierungszeit – daran will ich kurz erinnern – hatten wir immerhin noch einen kompetenten und beliebten Innensenator.

[Beifall von Burgunde Grosse (SPD) und Björn Eggert (SPD)]

Man vergisst schnell, dass es so etwas mal gab. Zu jener Zeit war einer der wichtigsten Grundsätze der Innenpolitik, dass der Opferschutz im Mittelpunkt steht. Mit diesem Antrag haben Sie sich nun endgültig von dieser Prämisse verabschiedet. Das ist antisozialdemokratisch.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall den GRÜNEN]

Herzlichen Dank! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt Frau Dr. Czyborra das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt Themen, die eignen sich gut für große Empörung und theatralischen Auftritt. Dann fällt es manchmal auch schwer, genau hinzusehen und sich nicht auf Kosten der Opfer moralisch zu empören oder politische Retourkutschen oder Exempel zu statuieren.

Die Entschließung, über die wir hier reden, wurde – das hat Frau Sommer gesagt – im November eingebracht und hat sich eigentlich, wenn man genau hinschaut, durch den Koalitionsvertrag im Bund erledigt.

[Beifall von Kurt Wansner (CDU) – Zuruf von Udo Wolf (LINKE]

Es wundern mich allerdings auch einige Änderungsformulierungen des Innenausschusses, das muss ich zugeben.

Worum geht es noch mal? – Es geht um die Europapolitik und vor allem um Bundespolitik. Es geht um die Umsetzung einer EU-Richtlinie zu Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels von 2011. Alle notwendigen Fakten finden sich in den Akten dieses Parlaments, z. B. im Protokoll einer Anhörung des Ausschusses Arbeit, Integration und Frauen vom letzten September. Das wurde dort wunderbar auf den Punkt gebracht. Deswegen zitiere

(Evrim Sommer)

ich das auch, ich könnte es nicht besser formulieren. Die Vertreterin von IN VIA, dem Verband für katholische Mädchensozialarbeit führte aus:

Menschenhandel zum Zweck der sexuellen kommerziellen Ausbeutung ist eine besonders menschenverachtende Form der organisierten Kriminalität. Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt, dessen Bekämpfung und Verfolgung wesentlich von der Aussagebereitschaft und Aussagefähigkeit der betroffenen Frauen abhängig ist.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Kein Dissens!]

Menschenhandel ist ein Gewaltdelikt, das schwere psychische und physische Folgeschäden bei den Opfern verursacht und oft traumatische Auswirkungen hat.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Wie bei Kindern!]

Anklagen und Verurteilung sind in diesem Deliktbereich ohne die Aussagen der Opferzeuginnen so gut wie nicht möglich. Viele Opfer …, die den psychischen und physischen Repressalien … ausgesetzt waren, können nur äußerst schwer Vertrauen aufbauen. Gewalt und Bedrohung gegenüber den Opfern selbst und ihren Familien in den Heimatländern sowie die Tatsache, dass die Täter nicht selten aus dem nahen … Umfeld stammen, sind die Gründe dafür, warum so viele Opfer die Aussage verweigern.

Es wird geschätzt, dass nur ungefähr zehn Prozent der betroffenen Frauen Aussagen machen.

Ein sicherer Aufenthalt in Deutschland bzw. in Berlin wäre deswegen der richtige Schritt für die Sicherung der nötigen Hilfemaßnahmen für Betroffene, deren psychische Stabilisierung und infolge Stärkung der Aussagebereitschaft und Aussagefähigkeit.

Momentan wird eine Aufenthaltserlaubnis jeweils für sechs Monate erteilt, der Aufenthaltstitel verlängert, und er erlischt mit Ablauf des Gerichtsverfahrens. In dieser Zeit, ein bis drei, manchmal fünf Jahre, leben die Frauen in prekärer Situation. Sie haben keinen oder kaum Zugang zu Ausbildung, Integrations- oder Deutschkursen oder zum Arbeitsmarkt und erhalten lediglich eine medizinische Notversorgung, keine Therapien. Das empfinde auch ich als unwürdig. Langfristiges Bleiberecht muss aus humanitären Gründen und aus Gründen der Strafverfolgung gewährt werden, bei Kindern und Jugendlichen sofort.

Nun haben wir ja einiges erreicht, und es gibt im Bund einen Koalitionsvertrag, in dem steht: