Protokoll der Sitzung vom 06.03.2014

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Da gab es ein wissenschaftliches Interesse. Man hat vor rund 100 Jahren diese Gebeine nach Berlin geschafft, weil man die vermessen und ordnen wollte, weil man nämlich damit belegen wollte, dass es menschliche Rassen gibt und dass eben neben der europäischen Rasse andere Rassen existieren würden. Das ist die wis

(Fabio Reinhardt)

senschaftliche Seite dieses Problems. Wir wissen alle, wie das dann nach 1933 weiterging. Da ging es dann nicht ums Messen und Sortieren, sondern da ging es ums Umbringen.

Und darum hat die UNO in einem Statement schon in den Fünfzigerjahren davor gewarnt, dass man mit dem Rassebegriff, ohne dieses zu bedenken, weiter umgeht, und kam damals in einem UNESCO-Statement on Race zu dem Ergebnis: Die Vorstellung, es gebe unterschiedliche Menschenrassen, ist nur für eines gut, nämlich die Verfolgung bis hin zum Genozid. Das ist sozusagen die historische Folie, auf der wir uns bewegen, wenn wir uns heute die Berliner Landesverfassung angucken, wo wir diesen Begriff noch finden.

Man fragt sich, was hat eigentlich den Verfassungsgeber bewogen, das dort hineinzuschreiben. Das waren damals sicherlich gut gemeinte Motive, noch geprägt von der Vorstellung, es gebe verschiedene menschliche Rassen. Zwischenzeitlich ist das durch die Genetik überholt. Die Menschheit ist zu vielfältig, hat die Genetik uns gezeigt, als dass sie sich in Rassen einteilen ließe. Dieses Denken haben wir überwunden. Es klingt aber noch in unserer Verfassung an – und das ist das Problem, weil die jetzige Formulierung in unserer Landesverfassung zu dem Missverständnis einlädt, dass wir als Verfassungsgeber etwaig solchen Vorstellungen heute noch anhängen. Was nicht der Fall ist. Deswegen wollen wir zur Klarstellung die „Rasse“ aus der Berliner Landesverfassung streichen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Es kann doch nicht gelingen, den zunehmenden Rassismus in unserer Gesellschaft bekämpfen zu wollen mit dem Begriff Rasse. Ich denke, man muss sich davon entfernen. Man muss Gehirnschmalz aufwenden, welche Formulierung einerseits keine Schutzlücken aufreißt – was wir nicht wollen –, andererseits aber nicht zu solchen Missverständnissen einlädt. Da haben Sie, Kollege Kohlmeier, Herrn Pestalozza schon zitiert, der der Meinung ist, unsere Formulierung sei nicht überzeugend. „Rassistisch“ sei mehr oder weniger das Adjektiv zu „Rasse“. Dem ist nicht so, „rassische“ Gründe wäre das Adjektiv und nicht „rassistische“. Das ist ein Unterschied. Wenn allerdings unsere Formulierung nicht so verstanden wird, wie wir sie verstanden wissen wollen, dann werden wir darüber noch einmal reden und darüber nachdenken müssen. Denn die Verfassung prägt ja auch Werte und Wertevorstellungen, und wir wollen die Bevölkerung des Landes Berlin erreichen. Wenn schon Professor Pestalozza nicht versteht, was wir vorschlagen, könnte das Anlass sein, darüber nachzudenken, ob wir eine andere Formulierung nehmen.

Ich erinnere allerdings daran, dass der Landtag in Brandenburg – es ist nicht alles schlecht, was aus Brandenburg kommt – eine parallele Diskussion geführt hat. Die haben jetzt in Artikel 12 Abs. 2 die Formulierung: „Nie

mand darf“, dann kommen verschiedene Merkmale, und es endet „oder aus rassistischen Gründen bevorzugt oder benachteiligt werden“. Das haben sie dort gemacht und sind offenbar der Meinung, sie erreichen ihre Bevölkerung und erreichen damit das, was sie erreichen wollen. Deshalb hielten wir diese Regelung, die in Brandenburg mit breiter Mehrheit von den Linken über die SPD bis hin zur CDU in die Verfassung geschrieben worden ist, für zielführend.

Wichtig ist es uns, dass wir dieses Missverständnis, ich habe es angesprochen, nicht entstehen lassen und dass wir all jenen, die versuchen, damit politisch inhaltlich in die Vorderhand zu kommen, diesen Anknüpfungspunkt entreißen. Damit die Rassisten aller Couleur für ihre Wahnvorstellungen, die Menschheit gliedere sich in Rassen und es gebe höher- und niederwertige und Letztere seien womöglich qua Geburt nur zu niederen Tätigkeiten geeignet, diese Vorstellungen gibt es ja alle, keine Grundlage mehr in der Berliner Landesverfassung finden. Deswegen unser Angebot, unsere Forderung, unser Wunsch, unser Aufruf: Lassen Sie uns, solange das Ziel klar bleibt, im Rechtsausschuss über die Formulierung reden. Aber wichtig ist uns: Die „Rasse“ soll raus aus der Berliner Landesverfassung. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Kollege Dr. Behrendt! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt der Kollege Rissmann das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unabhängig von dem Anliegen in der Sache wundere ich mich über diese Rederunde heute. Auch die Beiträge der Kollegen Reinhardt und Behrendt haben das bestätigt. Beide sagen im Kern, sie wollen in Ruhe im Rechtsausschuss darüber reden. Das war auch informell abgestimmt. Insofern weiß ich gar nicht, warum wir das Plenum heute damit beschweren, weil es einen Konsens zwischen allen Fraktionen gab, dass wir uns dieser Angelegenheit annehmen. Es gibt eigentlich nur die offene Frage, welche Formulierung geeignet ist, um dieses Anliegen richtig, sinnvoll und überlegt zu befördern. Schade, dass Sie diesen guten Ansatz – Herr Kollege Behrendt, Sie waren damals auch Antreiber im positiven Sinn – jetzt aufgegeben haben und hier bei einer Frage, bei der es um demokratische Einheit geht und nicht um die Herausarbeitung von Unterschieden, die es gar nicht gibt, parteipolitische Profilierungsversuche vornehmen wollen. Insofern ist dies hier eine unnötige Beschäftigung.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

(Dirk Behrendt)

Lieber Kollege! Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Höfinghoff zu?

Natürlich, bitte!

Danke schön, Herr Kollege! – Herr Rissmann! Das erweckt gerade den Eindruck als wären Sie der Meinung, man solle oder dürfe hier im Plenum nur debattieren, wenn man sich uneinig ist. Stimmt das?

Herr Kollege Höfinghoff! Sind Sie sicher, dass das eine ernst gemeinte Frage war? Natürlich können wir hier auch formelhaft alle Gemeinsamkeiten beschwören, wenn Sie meinen, dass uns das etwas bringt. Sinnvoller hätte ich es gefunden, wenn wir im Rechtsausschuss eine ordentliche Formulierung unter der Beteiligung von Sprach- und Rechtswissenschaftlern gesucht hätten. Die hätte man dann hier präsentieren können, und dann hätte man das deklaratorische Element, das Sie offenbar wollen, hier gemeinsam formulieren können. Jetzt bringt uns das hier nicht weiter. Alle sagen: Wir wollen etwas ändern, müssen aber gucken, wie wir das vernünftig formulieren. Ob das wirklich etwas bringt, weiß ich nicht. Der Kollege Reinhardt aus Ihrer Fraktion hat sehr ehrlich gesagt, dass das reine Symbolpolitik ist. Wenn Sie der Meinung sind, dass das Abgeordnetenhaus von Berlin dazu dienen soll, regelmäßig Symbolpolitik zu befördern, glaube ich, dass die Menschen in unserer Stadt wirkliche Probleme haben, die von Symbolen entfernt sind. Mit denen sollte man sich dann hier beschäftigen.

Auch die Union wird das mitmachen, so, wie wir das in Vorgesprächen deutlich gemacht haben. Inhaltlich stößt Ihr Änderungsvorschlag auf Bedenken. Es gibt heute einen Artikel im Zentralorgan der SED, in dem Professor Pestalozza darlegt, warum das juristisch-inhaltlich nicht sinnvoll ist. Sprachlich passt Ihre Änderung auch nicht. In die Aufzählung von Substantiven, die in Artikel 10 VvB steht – Geschlecht, Abstammung, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben usw. –, passt Ihre Formulierung nicht hinein. Der Kollege Kohlmeier hat es bereits dargestellt. Also werden wir uns überlegen, wie man das sprachlich sinnvoll lösen kann. Kollege Kohlmeier hat darauf hingewiesen, dass man über „Ethnie“ diskutieren könnte, wenn wir gemeinsam dann ermittelt haben, dass der Schutzzweck, den wir gemeinsam wollen, von diesem Begriff erfasst wird. Das machen wir dann im Rechtsausschuss. Dann gibt es eine weitere Besprechung, Kollege Höfinghoff, und dann können Sie das machen, was Sie offenbar wollen: Symbolpolitik. Aber dann im Sinne

eines guten demokratischen Gemeinwesens gemeinsam. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Kollege Rissmann! – Herr Dr. Lederer! Sie haben jetzt für die Fraktion Die Linke das Wort – bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Der Antrag greift in der Tat ein Problem auf, denn der Begriff Rasse, da sind wir uns, glaube ich, alle einig, sollte in Verfassungstexten und in Gesetzestexten in Berlin und Deutschland der Vergangenheit angehören. Es lässt sich tatsächlich nur rechtshistorisch erklären, weshalb der da steht. Das würde aus heutiger Sicht sicherlich so nicht mehr formuliert werden. Der Kollege Behrendt ist darauf eingegangen. Natürlich muss man an der Stelle sagen: Ja, das mag dann Symbolpolitik sein, aber es gibt eine bestimmte Form von Symbolpolitik, die ist dringend nötig.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Das ist der Grund, weshalb wir gesagt haben, wir unterstützen in diesem Sinne den Antrag und den Vorstoß, der in den vorliegenden Antrag gemündet ist. Ich denke aber, ein bisschen Arbeit sollten wir uns schon noch machen.

Zum einen: Ja, Verfassungsänderungen brauchen hier eine Zweidrittelmehrheit und deshalb müssen wir uns am Ende tatsächlich alle einig sein. Ich finde es wichtig und richtig, wenn ein solcher Änderungsantrag zur Verfassung hier im Haus einstimmig verabschiedet wird. Wir sollten hier kein Spiel spielen. Wir sollten deshalb auch nicht versuchen, uns in dieser Frage gegenseitig vorzuführen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Insofern bin ich erst einmal froh, dass Union und SPD gesagt haben, sie seien bereit, gemeinsame Gespräche zu führen. Wir sollten am Ende darauf orientieren, zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen.

Der zweite Punkt, den ich benennen will: Der Begriff Rasse, so ungeeignet und falsch er ist, ist aber immerhin wie alle anderen Begriffe in Artikel 10 Abs. 2 VvB ein objektives Kriterium.

[Zuruf von den PIRATEN: Nein!]

Der jetzt vorgeschlagene verändernde Passus erfordert Handlungsmotivforschung. „Aus rassistischen Gründen“ ist eben nicht objektiv, sondern eine Geschichte, die

letztlich die Interpretation der Aussagen oder des Handelns Dritter erfordert, während die bisherigen Aufzählungen alle objektive Merkmale sind. Ich finde schon, wir sollten versuchen, einen objektiven Begriff für das Ganze zu finden und zwar aus folgendem Grund: Wenn wir das jetzt so ändern wie hier vorgeschlagen, steht im Grunde als Gesetzesbefehl in der Verfassung: Weil nicht rassistisch gehandelt werden darf, darf nicht rassistisch gehandelt werden. Dabei beißt sich die Katze in den Schwanz. Und auch bei Symbolpolitik oder bei symbolischen Änderungen der Verfassung sollte man sich überlegen, wie man die Verfassung so ändert, dass man am Ende in der Sache selbst dem Anliegen, das man vertritt, keinen Bärendienst erweist. Insofern glaube ich, wir sollten die methodisch problematische, wenn auch mögliche Variante, die in dem Antrag vorgeschlagen ist, noch mal auf weitere Möglichkeiten hin ergänzend überprüfen: Finden wir nicht noch Begriffe, die vielleicht besser sind? „Ethnie“ ist hier gesagt worden. Ich will das jetzt gar nicht abschließend beurteilen. Wir sollten noch mal ein bisschen Gehirnschmalz investieren. Wir sollten vielleicht eine Anhörung machen, noch mal ein bisschen gucken, ob es dazu auch andere Möglichkeiten gibt. Das wäre mir persönlich sehr wichtig, denn wir sollten hier nicht mit heißer Nadel stricken.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die dritte Anmerkung, die ich machen will: Wenn wir schon dabei sind – die Aufzählung von Merkmalen in Artikel 10 Abs. 2 Verfassung von Berlin ist auch in anderer Hinsicht zu überdenken. Beispielsweise hat der Grundgesetzgeber im Grundgesetz auch vor dem Hintergrund der Erfahrung mit der Aktion T4 und den sogenannten Euthanasiemorden der Nazis auch Menschen mit Behinderungen in das Diskriminierungsverbot aufgenommen. Das gibt es bei uns in der Verfassung, soweit ich das überblicke, derzeit nicht. Auch Altersdiskriminierung ist in unserer Verfassung derzeit noch nicht festgeschrieben. Wenn man also dann schon dabei ist, dann sollte man in der Tat gucken, dass man am Ende auch die Diskriminierungsmerkmale erfasst, die heute verfassungsrechtlich in der Regel in Bundes- oder Landesverfassungen aufgeführt sind. Denn mit einem hat der Kollege Kohlmeier recht: Wir sollten nicht nächste und übernächste Woche wieder von neuem anfangen, die Verfassung zu ändern, weil uns die nächste Idee gekommen ist, sondern wir sollten jetzt gründlich genug arbeiten, dass wir, wenn wir diesen Artikel ändern, ihn danach möglichst in den nächsten Jahren nicht mehr anfassen müssen.

Letzte Bemerkung: Die Begründung des Antrags geht ja zu Recht davon aus, dass es auch noch einige Landesgesetze gibt, in denen sich ekelhafte Bemerkungen, ungeeignete und politisch abzulehnende Formulierungen finden. Dann sollten wir uns schon gleich auch der Übung unterziehen, das dann richtig zu machen und auch gleich diese Gesetze mit anzufassen, wenn wir einmal dabei sind, und dann sollten nach Möglichkeit alle fünf Fraktionen des Hauses gemeinsam diese Begriffe verändern

und an diese Stelle Formulierungen setzen, die wir alle gleichermaßen mittragen können.

Kollege Lauer hat eine Zwischenfrage. Lassen Sie die zu?

Na klar!

Bitte!

Es ist mehr eine Verständnisfrage. Ich fand das jetzt in der Debatte ganz interessant und gar nicht so überflüssig wie Herr Rissmann. Aber können Sie noch mal erklären, warum man das denn überhaupt in der Verfassung spezifizieren muss, nach welchen Dingen? Warum reicht es nicht, einfach zu sagen: Kein Mensch darf diskriminiert werden? – Das ist jetzt tatsächlich nur eine Verständnisfrage.

Na ja, die Diskriminierungsmerkmale als solche haben schon ihren Grund. Als das Grundgesetz 1948/49 erarbeitet wurde, sind die Aufzählungen seinerzeit erfolgt aus den Erfahrungen des Nazi-Terrors von 1933 bis 1945. Man hat seinerzeit die im Fokus des Diskurses liegenden gesellschaftlichen Gruppen dort erfasst. Nicht erfasst wurden beispielsweise die Queers, also die LGBT-Community, nicht erfasst wurden seinerzeit behinderte Menschen. Im Rahmen der Verfassungsreform der Neunzigerjahre sind die behinderten Menschen dann wenigstens berücksichtigt worden. Das war auch ein Stück weit Wiedergutmachung gegenüber Opfergruppen, die man über Jahre, Jahrzehnte hinweg in der bundesrepublikanischen Geschichtsschreibung nicht im Blick hatte. Deswegen sage ich, Diskriminierungsmerkmale als solche haben schon auch ihren Sinn. Auch sie aufzuzählen hat seinen Sinn. Aber wenn wir uns an diesen Artikel 10 Abs. 2 jetzt machen, dann sollten wir uns gründlich an diesen Artikel ranmachen, damit wir nicht im nächsten oder übernächsten Jahr dann wieder anfangen, ihn aufzuschnüren. Dieser Arbeit sollten wir uns gemeinsam unterziehen. Mein Eindruck war, der Konsens in dem Haus ist: Wir können das miteinander bewerkstelligen. Dann sollten wir es jetzt machen. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Danke, Kollege Dr. Lederer! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Rechtsausschuss empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 6:

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Hochschulen im Land Berlin (Berliner Hochschulgesetz – BerlHG)

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/1485

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Es wird die Überweisung des Gesetzesantrags an den Ausschuss für Wissenschaft empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.