Protokoll der Sitzung vom 06.03.2014

Der Antrag zum Frauenkampftag: Wir erleben auch da gerade in der Werbung, dass dieser eigentlich als Empowermenttag gedacht Tag von der Werbewirtschaft zu einer Art zweitem Muttertag herunter sandgestrahlt wird, wo sich die Frauen Blumen schenken lassen und sich zu so richtig günstigen Preisen einmal so richtig schön verwöhnen lassen können. Das funktioniert auch nicht so ganz gut.

Wie wir gerade alle bei allen Vorrednerinnen und Vorrednern gehört haben, mit der Ausnahme des Kollegen Goiny, der lieber mit schupelianischen Beispielen derailt hat: Wir ärgern uns alle über diskriminierende Werbung. Ich selbst wurde vor einer Weile regelrecht wütend, als eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt, von meinen Gebührengeldern übrigens, mir auf Berliner Plakatwänden vermittelte, ich würde sofort zum Neandertaler, mit einem auf runde Lederstücke beschränkten Wahrnehmungsfilter, bloß weil irgendwelche Ballsportveranstaltungsnachrichten in der Glotze laufen und das natürlich nur, weil ich ein Typ bin, bei Frauen sei das natürlich etwas völlig anderes.

Auch wenn sich alle darüber aufregen und ärgern, gibt es dennoch diskriminierende Werbung. Das ist aus einem Grund so: Sie wirkt. Sie wirkt unterbewusst und wirkt bei jedem von uns, speziell wirkt sie aber bei Kindern, weil die noch die Bildung haben, diese Information richtig einzuordnen. Deswegen gehen sie davon aus, dass das wohl so sein wird, dass Männer Täter oder Kriminalbeamte sind und Frauen Opfer, dass sich Frauen vor allem durch Attraktivität und sexuelle Verfügbarkeit auszeichnen und Männer durch Macht und aggressives Auftreten und dass die Welt der Mädchen eine völlig andere ist als die der Jungen, sogar mit einem völlig anderen Farbton. Es gibt unterschiedliche Überraschungseier, es gibt unterschiedliche Kartoffelchips. Kinderspielzeug gibt es ohne

hin nicht mehr. Es gibt nur noch Jungenspielzeug und Mädchenspielzeug. Eine Brücke zwischen diesen Welten ist nicht möglich.

Weil das auf große Plakate gedruckt ist, muss das auch stimmen. Die werberelevante Zielgruppe ist dann streng getrennt. Und so funktioniert die Werbung mit sexistischer Kackscheiße – Entschuldigung, aber das ist ein Fachbegriff – am besten. Der Verein Pinkstinks hat im letzten Jahr mit einer Demo gegen diskriminierende Werbung den Pariser Platz gefüllt. Eine entsprechende Petition an den Werberat wurde von über 16 000 Menschen unterzeichnet.

Der Werberat als Teil der Werbewirtschaft ist allerdings weder willens noch fähig, diskriminierende Werbung zu verhindern. Eine Werbewatchgroup, wie sie der Antrag fordert, bietet den von der Werbung betroffenen Menschen niedrigschwellige Interventionsmaßnahmen, kann aber auch präventiv mit den werbenden Unternehmen zusammenarbeiten, um nicht diskriminierende Werbung zu ermöglichen. Das zeigt die Erfahrung aus Wien, wo eine solche Wachtgroup seit zwei Jahren sehr gut funktioniert.

In Friedrichshain-Kreuzberg wurde ein noch viel weitergehender Antrag von vier der dort sowie auch hier vertretenen Parteien gestellt. Er befindet sich gerade in den Beratungen. Wenn das so ist, gehe ich eigentlich davon aus, dass es auch hier kein Problem sein sollte, diesen Antrag, der noch wesentlich handzahmer als der in Friedrichshain-Kreuzberg ist, auch zu beschließen und uns gemeinsam auf den Bericht zu freuen und eventuell noch einmal weiter zu diskutieren. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Kollege Kowalewski! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen empfohlen. Hierzu gab es keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.

Die Fraktion der CDU beantragt die zusätzliche Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien. Wer dieser zusätzlichen Überweisung zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Regierungsfraktionen. Wer ist dagegen? Das sind die Grünen, die Linke und die Piraten. Wer enthält sich? – Keiner. Erstes war die Mehrheit. Dann ist die zusätzliche Überweisung beschlossen.

Ich komme nun zu

(Christian Goiny)

lfd. Nr. 20:

Kinderschutz braucht mehr Personal

Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/1472

In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke. Die Kollegin Möller hat das Wort. – Bitte schön!

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen: Das ist die Haltung des Senats zu den desaströsen Personalverhältnissen in den bezirklichen Jugendämtern. Nicht gesehen haben Sie, dass die Kollegen des Jugendamtes im Gesundbrunnen weiße Fahnen aus den Fenstern gehängt haben, weil sie fürchten, vor ihrer Arbeitsbelastung zu kapitulieren. Nicht gehört haben Sie, dass die Leiterinnen aller Jugendämter mit einem offenen Brief um Hilfe riefen, weil „die Funktionsfähigkeit der Jugendämter zur pflichtgemäßen Erfüllung ihrer Aufgaben gefährdet ist“. Nichts gesagt haben Sie zu den wiederholten Brandbriefen der Jugendhilfeausschüsse, die auffordern, den akuten Personalmangeln endlich zu beheben, weil die Kinderschutzstellen in einigen Sozialräumen kaum noch arbeitsfähig sind. Was – das möchte ich wissen – muss noch passieren, damit der Senat merkt, dass es hier bereits fünf nach zwölf ist?

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wann nehmen Sie endlich die gestiegenen Anforderungen an die Jugendämter zur Kenntnis? Es gibt eine Vielzahl von gesetzlichen Neuregelungen auf Bundes- und Landesebene, also Mehrarbeit. Die Bevölkerungszahl wächst. Es wird ständig von der wachsenden Stadt geredet. Die Bevölkerungsstruktur verändert sich kontinuierlich, Stichwort: Flüchtlingsfamilien.

Laut Sozialstrukturatlas leben 36 Prozent der Berliner Kinder in sozialen Risikolagen, und diese Risiken wachsen. Und, ganz wichtig: Es haben sich neue, zusätzliche Handlungsbedarfe aus der Auswertung der tragischen Kindertodesfälle ergeben. Dass daraus Konsequenzen erwachsen, haben wir alle gemeinsam eingefordert. Im Ergebnis ist zum Beispiel verstärkte ressortübergreifende Netzwerkarbeit gefragt. Das gesamte Umfeld des Kindes muss stärker in den Fokus gerückt werden, die Wohnsituation, die Väter, der fehlende Kitaplatz – also Mehrarbeit, und diese braucht mehr Personal mit mehr Zeit, und zwar jetzt schon.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Aber die Jugendämter bleiben, wie sie sind. Schlimmer noch, auch über ihnen hängen die schwarzen Wolken von Personalabbau und Sparvorgaben. Gerade gestern war auch der letzte der zwölf Berliner Bezirke gezwungen,

die unselige Rahmenvereinbarung zum Stellenabbau zu unterschreiben. Und auch das ist bekannt: Wer die Etats der Hilfen zur Erziehung überschreitet, sprich: bedarfsgerecht finanziert, steht am Pranger, wie jetzt gerade Lichtenberg.

Anstatt die neuen finanziellen Spielräume Berlins zu nutzen und die soziale Infrastruktur bedarfsgerecht auszubauen, wie es jetzt endlich möglich wäre, wird auf den Knochen der Mitarbeitenden an den irrsinnigen Personalabbauvorgaben für die Bezirke festgehalten.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Für die Jugendämter heißt das: Die Arbeitsanforderungen an die einzelnen steigen qualitativ und quantitativ. Es müssen immer mehr Fälle betreut werden, und was hier Fall heißt, ist in der Regel eine Familie mit komplexer Problemlage. Der Bund empfiehlt, dass eine Person höchstens 60 Fälle betreuen soll. Dieser Schlüssel wird in allen Berliner Bezirken überschritten. Wer 90 Fälle betreut, der hat noch Glück. Wer etwa in Tempelhof arbeitet, muss auch schon mal für 120 bis 140 Familien da sein. Besonders gefährlich ist es im Bereich Kinderschutz, wo das Leben und das Wohlergehen der Kinder uneingeschränkt der Wachsamkeit bedürfen. Das leisten und verantworten, stellvertretend für uns alle, die Kolleginnen und Kollegen in den regionalen sozialpädagogischen Diensten. Für diesen Bereich braucht es zu allererst eine Lösung. Deshalb unser Antrag hier.

[Beifall bei der LINKEN]

Schon in Maßen ist diese Arbeit anstrengend. Diejenigen, die sich dafür entscheiden, tun es aus Überzeugung und mit hohem Engagement. Sie wollen nicht mehr, als ihre Arbeit gut machen, aber es fehlt an Zeit, um zu reflektieren, sich auszutauschen. Es fehlen Zeit und Geld für Fortbildung, es fehlen sogar Vertretungskräfte, von Auszeiten und zeitweisen Umsetzungen in weniger belastete Bereiche gar nicht zu reden etc., etc. Die logische Folge ist: Es fehlt an Nachwuchs, weil diese Arbeit unter diesen Bedingungen nicht attraktiv ist.

Es hilft nicht, den Kopf weiter in den Sand zu stecken, und es bringt nichts, den Schwarzen Peter immer wieder den Bezirken zuzuschieben und mantrahaft auf ein längst überholtes Personalbemessungsmodell von 2009 zu verweisen, das schon damals nicht angenommen wurde. Die Finanzierungsweise der Bezirke und die Kosten- und Leistungsrechnung mit der Produktmenge als Messinstrument für den Bedarf an sozialer Dienstleistung muss endlich auf den Prüfstand!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Unser Antrag schlägt nächste Schritte vor, damit in allen Bezirken gute, verbindliche Standards zweckgebunden

(Vizepräsident Andreas Gram)

und bedarfsgerecht mit Ressourcen ausgestattet werden. Das Land Berlin hat nicht nur gegenüber den schutzbedürftigen Kindern eine Fürsorgepflicht, sondern auch gegenüber seinen Mitarbeitenden. Und Kinderschutz braucht nun mal Kinderschützer.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin Möller! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt der Kollege Eggert das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Frau Möller! Die Forderung nach mehr Personal ist einfach und mehr als billig. Man könnte fast meinen, dass Sie – in diesem Fall nicht Sie als Person, sondern die Linke – nicht in der Regierungsverantwortung gewesen wären und diese Sachen nicht mitgemacht hätten.

[Zurufe von der LINKEN]

Ich wusste, das Geschrei würde groß werden. – Die interessante Frage ist, dass jetzt, in dieser Legislaturperiode, wo die Linke nicht mehr in der Regierungsverantwortung steht, auf einmal die gemeinsamen Personalziele von 100 000 Beschäftigten in den Bezirken keine Rolle mehr spielen. Dieses ist jetzt ein überholtes Konzept, das schon damals nicht angenommen wurde, wie wir eben von Frau Möller gehört haben. Es war aber eine gemeinsame Sache.

[Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Die Zahl 100 000 bezieht sich nicht nur auf die Bezirke. Danke für den Hinweis, Herr Parlamentarischer Geschäftsführer! Gut, dass Sie zuhören! Es sind 100 000 in ganz Berlin. – Aber selbst, wenn man die Wandlung vom personalpolitischen Saulus zum Paulus für voll nehmen möchte, ist der Antrag anzulehnen, da wie üblich angebliche Missstände beseitigt werden sollen, die in Wirklichkeit so gar nicht da sind.

[Katrin Möller (LINKE): Angebliche Missstände?]

Sie tragen hier die Eulen nach Athen. So verwundert Ihre Forderung nach einer Einführung von Standards für die Personalausstattung der Jugendämter sehr; denn die ganzen Debatten, all diese Anträge hatten wir bereits in der Arbeitsgruppe „Musterjugendamt“. Diese wurde im Bereich Jugend von der Senatsverwaltung eingesetzt. Es wurde dort sehr lange getagt, und es wurden genau diese Punkte und Standards definiert. Warum haben wir sie heutzutage nicht? – Weil die Bezirke – damals gab es auch noch linke Bezirksbürgermeisterinnen und -bürgermeister – diese nicht wollten. Das ist jetzt anders, es gibt

in Berlin keine linken Bezirksbürgermeisterinnen und -bürgermeister mehr. Daher fordert die Linke jetzt das Parlament auf, durchzugreifen, was beim letzten Mal nicht der Fall war, als dieses hätte machbar sein können.

Ich glaube, dass es nicht möglich sein wird, dass wir hier gegen die Personalpolitik der Bezirke vorgehen, indem wir sie auf Landesebene fest verordnen. Wir können darüber gern noch einmal im Ausschuss diskutieren. Die grundsätzliche Kritik und das Problem dabei sehe ich auch. Ich halte es auch für unverantwortlich, wenn Bezirke so, wie dargestellt, auf Kosten der Kinder und Jugendlichen Personaleinsparungen vornehmen. Das möchte ich nicht mitverantworten. Ich bin gern bereit, dafür eine Lösung zu finden.

Richtig wäre aber, wenn Sie Ihre Genossinnen und Genossen in den Bezirksverordnetenversammlungen aufforderten, entsprechende Anträge zu stellen und die Prioritäten auf den Jugend- und Kinderschutz zu legen. Das ist in den letzten Jahren leider nicht in allen Bezirken passiert. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, damit es den Kindern und Jugendlichen in dieser Stadt besser geht! – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zurufe von den GRÜNEN]

Danke schön! – Frau Kollegin Möller! Sie haben das Wort zu einer Kurzintervention!

Herr Eggert! Sie haben recht, das war auch unter Rot-Rot schon ein Problem. Aber das heißt nicht, dass man nicht weiterhin an dieser Sachlage arbeitet. Sie haben mir nicht zugehört. Wir haben im Moment eine andere Situation in Berlin. Gucken Sie mal in die Zeitung, da steht jeden Tag drin, wie unglaublich das Wirtschaftswachstum ist, wie wahnsinnig die neuen Steuereinnahmen fließen, wie viel Geld in die Stadt kommt, auch aufgrund der guten wirtschaftsstrategischen Arbeit von vorher! Und wir haben eine Notfallsituation in den Bezirken. Sie haben doch diese Brandbriefe auch gelesen und diese ganzen Alarmsignale gehört. Sie lehnen jetzt tatsächlich ab, dass man sich in diesem Parlament im Fachausschuss über diese Situation austauscht und nach Lösungswegen sucht? Das geht doch so nicht.

[Björn Eggert (SPD): Zuhören!]

Natürlich ist das Problem, dass die Bezirke unterfinanziert sind und dass in den Jugendämtern überall Alarm geschrien wird, weil die Leute ihre Arbeit nicht schaffen. Sie können doch nicht einfach sagen, weil die Linke mal unter Rot-Rot das gleiche Problem hatte – – Jetzt haben wir – was ich auch gesagt habe – eine ganz andere

Bevölkerungszahl. Wir haben eine neue Problemlage, wir haben eine neue Gemengelage. Und wir haben Finanzen.