Protokoll der Sitzung vom 06.03.2014

Bevölkerungszahl. Wir haben eine neue Problemlage, wir haben eine neue Gemengelage. Und wir haben Finanzen.

[Beifall bei der LINKEN]

Es ist möglich, sich jetzt anders zu orientieren. Aber Sie sagen von vornherein, Sie wollen nicht einmal darüber reden? – Das finde ich unterirdisch.

[Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank! – Wollen Sie replizieren, Herr Kollege? – Bitte schön!

Ich habe gar nicht gesagt, dass ich nicht darüber reden will.

[Katrin Möller (LINKE): Ach, doch! Dann fang doch mal an!]

Ich war gerade dabei, darüber zu reden und rede auch gern im Fachausschuss noch mal über das Thema. Das ist gar nicht das Problem.

Aber – und das ist der Punkt – es hat sich nicht die Ausgangslage geändert – und da haben Sie mir nicht zugehört, Frau Möller –, dass die Bezirksbürgermeister im Rat der Bürgermeister diesem so nicht zustimmen werden. Wir haben jederzeit die Möglichkeit, das alte Konzept zu nehmen, es kurz zu aktualisieren und es wieder in den Rat der Bürgermeister einzubringen. Wenn es da eine Zustimmung gibt, werden wir im Parlament bestimmt die letzten sein, die den Bezirksbürgermeistern und -bürgermeisterinnen vorschreiben, in diesem sehr wichtigen Bereich – darin gebe ich Ihnen vollkommen recht – keine Priorität zu setzen und nicht mehr Personal einzustellen. Gar keine Frage! Da sind wir an Ihrer Seite. Wir können uns auch gern gemeinsam Wege ausdenken und darüber reden. – Noch mal der Hinweis: Einfach zu sagen, wir machen es jetzt, weil wir es besser wissen, und keine Rücksicht mehr auf die Bezirke zu nehmen, das wird es von uns nicht geben

[Beifall von Roman Simon (CDU)]

Vielen Dank! Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Burkert-Eulitz das Wort. – Bitte sehr, Frau Kollegin!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege Eggert! Nur weil Sie jedes Mal erzählen, dass die Bezirke auf Kosten der Kinder und Jugendlichen sparen, wird die Tatsache nicht richtiger, dass es nicht die Bezirke sind, sondern der Senat. Rot

Schwarz erpresst die Bezirke, das ist die Wahrheit, und dabei sollten wir auch bleiben.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Immer wieder müssen wir in Berlin erleben, dass Kinder zu Tode kommen oder für ihr ganzes Leben geschädigt sind, weil ihnen in ihren Familien Gewalt angetan wurde. Einige dieser Kinder waren den Jugendämtern bereits bekannt und schon in das Hilfesystem aufgenommen. Wir mussten die fürchterlichen Zustände in den HasenburgHeimen zur Kenntnis nehmen, die zur Schließung dieser Heime geführt haben. Nach solchen Nachrichten wird von der Öffentlichkeit sofort die Frage gestellt, warum die Jugendämter so etwas nicht verhindern. Wir wissen alle, sie können es nicht, weil sie nicht genügend Personal haben. Wenn wir unsere Kinder besser schützen wollen, brauchen die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den Jugendämtern genügend Zeit, um ihre Schützlinge regelmäßig zu sehen. Sie brauchen die Zeit, um die Maßnahmen, die sie finanzieren, zu beobachten und gegebenenfalls umzusteuern. Sie brauchen Zeit, um Hinweisen nachzugehen, auch wenn sie noch nicht besonders bedrohlich wirken. Sie brauchen Zeit, um Familien zu beraten, bevor die Probleme aus dem Ruder laufen. Sie brauchen Zeit für Beratung mit Kolleginnen und Kollegen und anderen Partnern aus dem Netzwerk Kinderschutz, um immer wieder die Perspektive auf ihre Fälle zu überdenken. Sie brauchen Zeit für regelmäßige Weiterbildung. Und sie brauchen Zeit für Supervision und die Gesundheitsförderung, damit sie ihre Arbeitsfähigkeit nicht durch Dauerstress und das Gefühl der Unzulänglichkeit der eigenen Arbeit verlieren. Das alles muss gewährleistet werden, wenn Kinderschutz nicht nur eine Worthülse sein soll.

Seit Jahren werden die Aufgaben und Belastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugendämtern, vor allem der Kinderschützer, größer. Nun werden sie sich auch um die heute von Ihnen eingeführte Kitapflicht

[Zuruf von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

oder auch die geplante Kitapflicht

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Eher!]

kümmern müssen. Was macht die große Koalition in Berlin? – Sie lassen die Kinderschützerinnen und Kinderschützer im Regen stehen, zeigen aber im Zweifel mit dem Finger auf sie. Berlin wächst, das hat Senator Müller öffentlich in der Sendung „Klartext“ festgestellt und sich über den Personalabbau in seinem Haus beschwert. Eigentlich bräuchte er mehr Personal, um die wachsenden Aufgaben zu bewältigen. Hört, hört! Wenigstens einer, den die Berliner Realität einholt und der daher umdenkt. Die Frage ist, wann endlich Rot-Schwarz folgt.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

(Katrin Möller)

Berlin wächst in den Bezirken, wir haben Rekordzuwächse bei den jüngsten Berlinerinnen und Berlinern. Die Jugendämter erhalten kein zusätzliches Personal, auch wenn sie sich um immer mehr Kinder kümmern und immer mehr Familien unterstützen sollen. Lassen Sie endlich davon ab, den schwarzen Peter wieder eilfertig an die Bezirke weiterzuschieben! Wohlfeile Argumente, wie die Bezirke müssten ja nur die richtigen Schwerpunkte setzen, sind nach dem jahrelangen massiven Personalabbau in den Bezirken zynisch. Der Verweis auf die Bezirke ist nur der Versuch, sich selbst der Verantwortung für die Kinder zu entziehen. Wir sind gefordert, deshalb unterstützen Bündnis 90/Die Grünen den Antrag der Linken. Und wir wünschen uns, dass wir weiter im Ausschuss diskutieren. Wir werden auch weiter an dem Thema dranbleiben. Das werden wir Ihnen auch zeigen und immer wieder die Finger in die Wunde legen, sodass wir auch die nächsten Jahre über diese Probleme sprechen werden, genau so lange, bis sie gelöst sind. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Danke auch, Frau Kollegin! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt der Kollege Simon das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Burkert-Eulitz! Ihnen ist rechtzugeben, Kinderschutz wird hier immer wieder Thema sein. Das ist gut und richtig so, denn es ist wichtig, dass wir das regelmäßig diskutieren. Kinderschutz ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich kann Sie beruhigen: Trotz der Tatsache, dass ich für die CDU-Fraktion die gesamtgesellschaftliche Dimension betone, haben wir die personelle Situation in den regionalen sozialpädagogischen Diensten im Blick. Ich darf Ihnen mitteilen, es gibt in den Bezirken heute mehr Personal als zum Ende der Regierungszeit der Linksfraktion in Berlin, und zwar acht Prozent mehr in den regionalen sozialpädagogischen Diensten. Das ist doch deutlich!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Der Bedeutung des Kinderschutzes sind sich CDU und SPD sehr wohl bewusst. Wir haben bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir das Netzwerk Kinderschutz sichern und weiterentwickeln. Das haben wir im Haushalt 2014/2015 durch Taten untermauert.

Die Fraktion Die Linke fordert die Erarbeitung von Standards für die Personalausstattung der regionalen sozialpädagogischen Dienste in Berlin. Mein Kollege Eggert hat dazu auch schon etwas gesagt. Ich frage Sie auch: Wozu? Vor Jahren wurden als Ergebnisse einer Studie Vorschläge für die Organisation der Jugendämter gemacht. Die Senatorin hat es oft beim Namen genannt. Das

sogenannte Musterjugendamt wurde vorgeschlagen. In diesem sind die Aufgaben des Kinderschutzes berücksichtigt. Aber was ist dann passiert? – 2011 haben die Bezirke die Umsetzung der Ergebnisse und die Übernahme der in dem Projekt erarbeiteten Standards aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt. Die Bezirke sehen darin einen nicht gewollten Eingriff in die Globalsummensystematik und damit in die ohnehin schon begrenzte Unabhängigkeit der Bezirke bei der Finanzplanung. Sie fordern nun die verbindliche Einführung von Standards und eine zweckgebundene Ausstattung der Bezirke. Das steht nach wie vor im Widerspruch zum System der Globalsumme und würde den Verantwortungs- und Handlungsrahmen auch für die Personalplanung und entwicklung für die Bezirke einschränken. Das wollen die Bezirke derzeit jedenfalls nicht. Und die CDU-Fraktion findet es schwierig, gegen den Willen der Bezirke vorzugehen.

Wenn es um Fallzahlen geht, sei mir auch eine weitere Bemerkung gestattet. Heute haben wir keine berlineinheitliche Erhebung von Neuverfahren. Es wird nicht einheitlich gezählt, z. B. ob jeder Anruf auch ein neuer Fall ist.

[Zuruf von Katrin Möller (LINKE): Darum geht es doch!]

Solange nicht einheitlich gezählt wird, liefe die Begrenzung von Fallzahlen eben nicht auf eine gleichmäßige Auslastung von Mitarbeitern der Jugendämter hinaus. Ich kann Sie aber beruhigen. An einer einheitlichen Zählweise wird von den Stadträten gearbeitet.

Die Eingruppierung der Stellen der regionalen sozialpädagogischen Dienste kann man sich ansehen. Aber der von Ihnen gewählte Zeitpunkt ist falsch. Die Frage ist finanziell relevant und gehört in die Haushaltsberatungen. Diese sind vorerst abgeschlossen. Gerne kann das Thema fachlich in 15 oder 18 Monaten bei der Beratung des Haushalts 2016/2017 diskutiert werden.

Die nächsten drei Spiegelstriche in Ihrem Antrag betreffen alle die Frage, wie man als Arbeitgeber mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der regionalen sozialpädagogischen Dienste umgeht. Nach meinem Verständnis dürfte es schon jetzt eine Verpflichtung der Arbeitnehmer geben, an Qualifizierungsveranstaltungen teilzunehmen.

[Katrin Möller (LINKE): Sie schaffen das aber nicht!]

Insoweit dürfte der Arbeitgeber ein Weisungsrecht haben. Anderes, in diesen Spiegelstrichen Genanntes dürfte überflüssig sein. Ich habe in Vorbereitung der Sitzung Kontakt zu einem Jugendstadtrat aufgenommen,

[Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE): Ist klar: Liecke!]

der bestätigte mir, dass Supervision und Qualifizierungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden.

(Marianne Burkert-Eulitz)

Zum Abschluss darf ich betonen, dass die regionalen sozialpädagogischen Dienste viele Fälle bearbeiten, die gar keine Kinderschutzfälle sind. Ich bitte also, Kinderschutz und regionale sozialpädagogische Dienste nicht gleichzusetzen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Kollege Simon! – Für die Piratenfraktion hat jetzt die Kollegin Graf das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!

Sehr geehrtes Präsidium! Liebe Damen und Herren! Herr Simon! Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, sollen wir also die Politik bis zur Haushaltsberatung einfach niederlegen.

[Beifall und Heiterkeit bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Jetzt ist noch der Zeitpunkt, an dem wir handeln können, denn bis 2016 müssen 1 457 Vollzeitäquivalente in den Bezirken abgebaut werden. Die Hauptlast tragen hierbei die Bezirke Treptow-Köpenick, Lichtenberg, Mitte, Marzahn-Hellersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg mit insgesamt 1 120 Stellen, ausgerechnet die Bezirke, in denen die Hilfen zur Erziehung steigen, genau die Bezirke, die einen hohen Bedarf an Personal in den bezirklichen Jugendämtern und in regionalen sozialpädagogischen Diensten haben. Bis heute ist unklar, wie sich dieser Stellenabbau in den jeweiligen Jugendämtern und in den dazu gehörigen regionalen sozialpädagogischen Diensten gestaltet. Frau Scheeres versprach uns vor einem Jahr im Ausschuss die weiteren konkreten Zahlen neben den bisher bekannten aus Mitte und Lichtenberg. Allerdings sind sie bis heute nicht gekommen.

Die Zielzahl von 20 000 Stellen steht als Herausforderung in den Akten. „Herausforderung“ – im Ernst jetzt? – Herr Nußbaum! Es wäre schön, wenn Sie zuhörten.

[Senator Dr. Ulrich Nußbaum: Gerne!]

Danke! – Sehen Sie die extreme Überarbeitung der Mitarbeiter in den Jugendämtern und die erhöhten Fallzahlen dann auch als Herausforderung? Ist die Tatsache, dass die Qualität der Betreuung für die Familien unter dem Stellenabbau leidet, ebenfalls eine Herausforderung? Wir reden hier von aktuell 85 bis 140 Familien pro Mitarbeiter. Aus fachlicher Sicht wären 35 angemessen. – Herr Nußbaum! Sie hören mir immer noch nicht zu! Werden Sie sich bitte einmal über die Konsequenzen Ihrer Entscheidungen bewusst! Gibt es denn im Senat ein Konzept zur Aufrechterhaltung der Gesundheit der Mitarbeiter, konkret für die in den Jugendämtern?

[Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Was tut der Senat, um auf Krankheitsfälle und die auf die Belastung gegründeten Burnouts zu reagieren? – Bisher hat der Senat noch gar nichts getan. Und aufgrund Ihrer Aufmerksamkeitsspanne gehe ich davon aus, dass das in Zukunft auch nicht geschehen wird.