Das Risiko der Pflege muss gemeinschaftlich getragen werden. Zum Schluss fordere ich sie mit Désirée Nick auf, dass Alter als Fortschritt zu betrachten. Lassen Sie uns diesen Fortschritt gemeinsam gestalten und damit auch den demografischen Wandel in Berlin und diesen nicht aufhalten. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen, meine Herren! Das muss man Ihnen lassen. Bei der Auswahl Ihrer Aktuellen Stunde beweisen Sie immer ein glückliches Händchen. Auch heute haben Sie mit Ihrer zeitlosen Aktualität einmal wieder den Vogel abgeschossen. Weit mehr als die Hälfte Ihres Trosses hat sich mit der Gestaltung anderer Aufgaben aus dem Staub gemacht.
Es ist im Prinzip eine Unverschämtheit, hier über Pflegende und den Bedarf an Hilfe zu reden und das Desinteresse auf eine solche Art und Weise zu demonstrieren.
Als wir vor 14 Tagen das Thema Pflege wegen der aktuellen Arbeitskämpfe aufgerufen haben, weil die Pflegekräfte bei Charité und Vivantes mit ihren Streiks gerade bessere Bedingungen für gute Pflege durchsetzen wollten, war Ihnen das nicht aktuell genug. Wir mussten es zu unserer Priorität machen, um den Beschäftigten zu signalisieren, dass ihr Anliegen auch im Interesse der Patienten politisch ernst genommen wird. Ich erinnere mich noch gut an Ihre Reaktion. Herr Ludewig hat sich in der Debatte hier vorne bockig hingestellt
und mit seinen Bauklötzchen geschmissen, während Herr Isenberg sich einen schlanken Fuß gemacht hat. Er hat sich solidarisch erklärt und die Beschäftigten aufgefordert, in die Gewerkschaft zu gehen, um gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, als seien nicht er und seine Regierung genau diejenigen, an die sich die Forderungen richten und die es in der Hand haben, in Berlin für die Pflegenden bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Das Wort Pflege taucht in Ihrem Koalitionsvertrag überhaupt nicht auf, geschweige denn „gute“ Pflege, nicht ein einziges Mal, in keinem Zusammenhang. Ehre, wem Ehre gebührt: Im sogenannten Wahlprogramm der CDU immerhin zweimal. Einmal auf der berühmten Seite 66, die wir alle schon kennen; alles, was mir einfällt zur Gesundheit, in acht Sätzen.
Da beklagen Sie die multiresistenten Krankenhauskeime, machen Personalmangel und Zeitdruck in der Pflege unter Rot-Rot dafür verantwortlich und versprechen, sich nachhaltig für mehr Personal einzusetzen. Jetzt könnten Sie zwar ganz unverschuldet, aber immerhin, Ihre Wahlversprechen umsetzen. Also bitte, warum machen Sie, um noch einmal auf die Debatte von vor 14 Tagen zurückzukommen, dem Vorstand der Charité im Sinne ihrer „guten Pflege“ nicht wenigstens eine klare Ansage, keine weiteren Nachtdienste abzubauen, während noch in der Schlichtung über Mindestbesetzungen auf Stationen verhandelt wird? Das wäre ein erster Schritt zu guter Pflege. Aber wohl nicht so gemeint – geschenkt –, verschlucken Sie diese Seite am besten auch, und dann ganz brandaktuell: „Mit guter Pflege in die Zukunft – Berlin gestaltet den demografischen Wandel“. Wo haben Sie diese Aktualität denn ausgebuddelt? Da muss jemand in Ihrem Stab, wahrscheinlich aus Langeweile, auf der Suche nach einem Kreuzworträtsel im Schreibtisch auf alte Unterlagen gestoßen sein.
Das Thema steht – siehe da – seit mindestens 2011 auf der Agenda. Guten Morgen, Herr Krüger! Bereits damals hat die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales im März mit allen wichtigen Akteuren eine ressortübergreifende „Landesinitiative Pflege – für ein gutes Leben im Alter in Berlin“ vorgestellt. Damals wurden konkrete Maßnahmen zur guten Pflege definiert, zu Tarifbindung und Entgelthöhe, zu Arbeits- und Gesundheitsschutz, zur Finanzierung der Ausbildung. Interessant wäre nun, zu erfahren, wie weit Sie in den letzten zwei Jahren Ihrer Regierungszeit diese Maßnahmen denn umgesetzt haben. Dazu kein Wort. Stattdessen schneidern Sie hier aus den alten Versatzstücken ein vermeintlich neues Kleid und latschen hier vorne stolz damit herum.
Den demografischen Wandel gestalten – ja. Die Menschen haben das Glück, immer älter zu werden, aber müssen wir deshalb auch immer kränker werden? Schon eine Verschiebung der Pflegeraten ab dem 65. Lebensjahr um fünf Jahre in höhere Lebensalter hätte erhebliche Auswirkungen auf den tatsächlichen Pflegebedarf.
Ein nicht unwesentlicher Aspekt in dieser Diskussion, der in den Vordergrund gehört: Prophylaxe und Vorbeugung in ihrer gesamten gesellschaftlichen Komplexität mit den entsprechenden Programmen ressortübergreifend fördern, Gesundheitsversorgung nicht nur als Reparaturbetrieb begreifen, konkret niederschwellig und interkulturell Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen anbieten. Aber in Ihrer Mitteilung – zur Kenntnisnahme – Drucksache 17/1144 teilen Sie mit, dass für all die hehren Vorhaben wie gesunde Kommune, gesundes Altern und gesundes Aufwachsen keine Finanzmittel in den Haushalt eingestellt werden konnten und dass deshalb mit der Bearbeitung entsprechender Programme noch nicht begonnen wurde. Dass Sie dann auch noch teilweise eine Finanzierung von entsprechenden Projekten gestückelt nachgeschoben haben, sei akzeptiert, beweist aber nur, wie ernst Ihnen das Anliegen jenseits Ihrer Ankündigungsrhetorik wirklich ist.
Was gäbe es zu tun? – Gute Pflege heißt zunächst und vor allem, für bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung zu sorgen. Das ist ja schon gesagt. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Alles andere ist ganz einfach Lyrik.
Da gehören zunächst einmal die Löhne auch angeglichen. In der Krankenpflege verdient eine Pflegekraft auch noch zu wenig, aber mit 2 450 Euro deutlich mehr als eine Pflegekraft in der Altenpflege. Da liegt der Schnitt bei 2 190 Euro brutto. Ein Automechaniker – Frau Radziwill hat das Beispiel gebracht – verdient laut Lohnspiegel im Schnitt ebenfalls 2 450 Euro. Warum wird die Pflege eines alten Menschen schlechter bezahlt als die Reparatur eines Autos? – Verkehrte Welt und politisch geradezurücken!
Auch die Ausbildungsvergütungen in der Altenpflege liegen in der Regel 20 Prozent unter denen in der Krankenpflege. Warum? Das Berliner Bündnis für Fachkräftesicherung in der Pflege hat Ihnen hierzu die Hausaufgaben bereits diktiert, und Qualitätsmerkmal ist es eben nicht, wenn eine Pflegekraft, betriebswirtschaftlich effektiv, 20 Patienten versorgt, sondern Qualitätsmerkmal muss das Bemühen sein, diesen Betreuungsschlüssel zu senken, und das wäre über eine sichere Refinanzierung auch zu belohnen. Zuwendungspflege statt Pflege am Fließband im Minutentakt. Das ist das Stichwort, statt sich hier hinzustellen und den Leuten immer zu versichern, wie gut und wie toll Ihre Arbeit ist, die Sie machen. Schaffen Sie dafür die Rahmenbedingungen! Nehmen Sie den Druck aus dem System! Legen Sie Standards für Mindestbesetzungen und Ausstattung fest!
Ein weiterer Aspekt dabei: Die Verweildauer von Altenpflegekräften in ihrem Beruf – das wurde schon gesagt – liegt bundesweit durchschnittlich bei acht Jahren, die von
Krankenpflegekräften immerhin bei 14 Jahren. Das hat handfeste Gründe: Altenpflegekräfte erkranken selber häufiger und länger als Menschen in anderen Berufsgruppen. Also auch hier keine rhetorischen Exerzitien, sondern konkrete Verbesserungen bei der betrieblichen Gesundheitsförderung.
Weiteres Problem: Erhebungen der Saarländischen Pflegegesellschaft haben ergeben, dass 33 Prozent der Pflegezeit für Dokumentation und Administration verloren gehen. Auch hier gibt es Handlungsbedarf. Stattdessen vergiften Sie die Atmosphäre zu den Pflegediensten. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang noch sehr gut an den Amoklauf aus Ihrem Haus wegen der vermeintlichen Pflegeskandale bei ambulanten Pflegediensten. Wie ein Elefant im Porzellanladen. „Jede zweite Einrichtung betrügt“ – so die Schlagzeile. Was ist eigentlich dabei herausgekommen, nachdem Sie alle ambulant Pflegenden unter diesen Generalverdacht gestellt haben? Selbst in Ihr Wahlprogramm, das der CDU, hatte das Einzug genommen, dieses Mal auf Seite 67. „Skandal im Pflegeheim“, verkünden Sie da. Das war das zweite und letzte Mal im Übrigen, dass das Wort Pflege bei Ihnen aufgetaucht ist.
Weiterer Handlungsbedarf: Wir brauchen einen verbesserten Zugang in die Pflegeberufe auch für Quereinsteiger, mit entsprechenden Ausbildungsangeboten. Ein Problem ist: Die Gebühren für die schulische Ausbildung in Pflegeberufen müssen endlich abgeschafft werden. Teure Ausbildung erst selber finanzieren, um anschließend unter schlechten Bedingungen unterbezahlt zu arbeiten – welche Gestaltungsvariante ist das denn? In Niedersachsen ist die Ausbildung in der Altenpflege von Schulgeldzahlung befreit. Da hat man beim Ministerium für Soziales ein entsprechendes Budget eingerichtet. 3,5 Millionen Euro würde das in Berlin im Jahr kosten. Da braucht es eben dann auch den politischen Willen, oder es stellt sich einer von Ihnen hier hin und erklärt: Das wollen wir uns nicht leisten. – Dann können Sie sich aber auch alle Ihre Lippenbekenntnisse sparen.
Ein weiteres Ärgernis: Die Kosten der praktischen Ausbildung werden anteilig auf die Bewohner der Pflegeheime oder in der ambulanten Pflege auf die Leistungskomplexe für die einzelnen Patienten umgelegt. Das heißt, Einrichtungen, die ausbilden, werden dann dafür auch noch bestraft, weil sie ihre Leistungen teurer anbieten müssen als die Konkurrenz, die nicht ausbildet. Nach § 25 des Altenpflegegesetzes kann eine Landesregierung über eine Rechtsverordnung eine Umlagefinanzierung der Ausbildungskosten verfügen, wenn ein Mangel an Ausbildungsplätzen zu beseitigen ist. Wer nicht ausbildet, zahlt. Was braucht es da Fantasie? Ansonsten sind Ihre Erklärungen hier wohlfeil.
20 Minuten hatten Sie als Koalitionäre Zeit, Ihr aktuelles Thema mit Inhalten zu füllen. Als einzige Begründung dafür erscheint mir Ihre Einsicht in die Rasanz plausibel, mit der sich diese Koalition selber zum Pflegefall entwickelt.
Bei diesem Tempo – man hat es auch bei der Regierungserklärung vorhin gespürt – haben Sie die Pflegestufe 3 bis 2016 allemal erreicht.
Also: Genießen Sie die verbleibenden Tage, Ihre Dienstwagen und das Umland! Tauschen Sie emsig noch ein paar Staatssekretäre aus! Führen Sie anschließend Prozesse mit Ihnen, die Zeit will ja auch politisch gefüllt sein, und keine Sorge um den demografischen Wandel mehr: 2016 ist für diese Koalition sowieso Schicht im Schacht, und dafür braucht es dann auch keinen Blick in diesen Age-O-Mat, Frau Radziwill. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Dr. Albers! – Für die Piratenfraktion hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Spies. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind doch noch ein paar Leute hier im Saal, die Interesse an diesem Thema haben.
Das ist natürlich weitgehend nicht nur ein seniorenpolitisches Thema. Denn in den letzten Jahrzehnten wurde die Pflege an den Rand des Gesundheitswesens gedrängt. Dagegen sollte sie, wie in anderen europäischen Ländern üblich, in dessen Mitte stehen.
Die Situation vor Ort ist alles andere als gut. Pflegedienstleistungen werden oft nur noch von Hilfskräften in prekärer Beschäftigung erbracht. Selbst die wenigen vorhandenen Fachkräfte werden ausnehmend schlecht bezahlt. Sie erhalten überwiegend keinen tariflichen Lohn und werden zunehmend in Teilzeit beschäftigt. Dabei sind die Arbeitsbedingungen schlecht und die Anforderungen hoch. Das hat zur Folge, dass etwa 50 Prozent der ausgebildeten Pflegekräfte fünf Jahre nach Ende ihrer Ausbildung den Pflegeberuf aufgeben. In dieser Situation
Zuallererst ist für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu sorgen, und es sind Vollzeitstellen für Fachkräfte zu tariflich angemessener Bezahlung zu schaffen. Das Zusammenwirken von Hilfs- und Fachkräften ist dabei neu zu gestalten. Hilfskräfte sind in der Pflege notwendig, dürfen sie aber nicht dominieren. Angemessene tarifliche Bezahlung und ständige Weiterbildung sind auch für die Hilfskräfte zu gewährleisten.
Dazu müssen in der Pflegebranche endlich Tarifverträge her, denn für 80 Prozent der Unternehmen gibt es überhaupt keine. Brandenburgs Sozialminister Baaske wünscht sich seit Langem allgemeinverbindliche Tarifverträge und ruft die Sozialverbände zum Abschluss von Tarifverträgen auf – bisher ohne großen Erfolg. Immerhin muss in Brandenburg kein Schulgeld für die Absolvierung einer Pflegeausbildung bezahlt werden. Und: In Brandenburg wurden nun wenigstens Leitlinien für die Pflegepolitik vorgestellt, damit man sich ein Bild davon machen kann, wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen soll.
Nicht einmal dazu ist man in Berlin in der Lage. Vorhaben werden möglichst vage und unverbindlich angekündigt. Dabei ist vollkommen klar: Wir brauchen keine Imagekampagne und wohlfeile Versprechen – wir brauchen konkrete Verbesserungen: Tariflohn, faire Beschäftigungsverhältnisse, bessere finanzielle Ausstattung, mehr Personal, weniger Arbeitsbelastung und eine fachgerechte Ausbildung. Herr Czaja! Legen Sie hierzu tragfähige und konkrete Konzepte vor! Dann ist eine Imagekampagne obsolet.
Es gibt noch ein anderes Problem, das hier schon angesprochen wurde, nämlich die Wohnraumversorgung nicht nur pflegebedürftiger Senioren, sondern auch von Einrichtungen, die im Kiez vor Ort kranke und pflegebedürftige Menschen betreuen. Man nennt das auch das Konzept der Enthospitalisierung. Wir haben gerade den Fall, dass ein solches Projekt – die Pinel gGmbH in Schöneberg, wo psychisch kranke Menschen vor Ort in ihrem Kiez betreut werden – vom Senat geschlossen werden soll. Ich setze mich dafür ein, das zu verhindern, und fordere auch Sie dazu auf. Es nützt dann auch nichts, von Neubauten und Potemkinschen Dörfern auf dem Tempelhofer Feld zu sprechen, denn die Versorgung von Einrichtungen mit Wohnräumen ist im Kiez und nicht auf dem Tempelhofer Feld zu leisten. Oder wollen Sie alle pflegebedürftigen Personen irgendwann einmal aufs Tempelhofer Feld karren und dort zentral versorgen?