Protokoll der Sitzung vom 08.05.2014

In der Sache besteht sehr großer Handlungsbedarf. Die Zahl der Asylanträge in Berlin ist von 9 500 im Jahr 2012 auf 18 500 im Jahr 2013 angestiegen. Das bedeutet eine Verdoppelung der Fallzahlen. In den Berliner Flüchtlingsunterkünften haben sich fast auf den Tag genau, wenn man die Zahlen nimmt, vor einem Jahr 1 893 Kinder aufgehalten. Es ist davon auszugehen, dass es bis zum heutigen Tag auf keinen Fall weniger geworden sind. Von diesen Kindern waren damals allein 861 im Kitaalter, also unter sechs Jahren. Wir haben gesehen, dass von dieser Anzahl eine wirklich nur verschwindend kleine Zahl von 6 Prozent überhaupt eine Kita besucht. Wir sehen, dies ist dramatisch. Wir wollen auch, dass sich hieran etwas ändert.

Zuerst müssen wir uns angucken – und das haben wir gemeinsam getan im Ausschuss –, woran das liegt. Nach dem Ablauf der dreimonatigen Asylerstaufnahmefrist gibt es einen bundesgesetzlichen Rechtsanspruch auf eine bedarfsgerechte Betreuung in einer Kindertageseinrichtung. Eine Versorgungslücke besteht nicht. Platzmangel ist also nicht der erste Grund, den wir annehmen müssen, warum die Inanspruchnahme von Kitaplätzen genau in dieser Gruppe viel zu gering ist. Meiner Ansicht nach bestehen – das hat sich im Ausschuss auch gezeigt – fünf Gründe dafür, die hier zusammenkommen.

Der erste Grund, und das ist der, den man am leichtesten aus der Statistik herausnehmen kann: Die Asylerstaufnahmefrist von drei Monaten ist zu dem Zeitpunkt der Erhebung noch nicht abgeschlossen. Das ist eine statistische Größe, die wir in diesem Fall beiseitelassen können.

Der zweite Grund: Aufgrund der besonderen Lebenslage nach einer Flucht und der dabei oft erlittenen dramatischen Erlebnisse benötigen die Familien häufig mehr Zeit, bis sich die Eltern für den Kitabesuch der Kinder

(Fabio Reinhardt)

entschieden haben. In diesem Fall müssen wir darauf hoffen, dass die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter vor Ort in den Flüchtlingsunterkünften bei diesem Prozess der Eingewöhnung helfen.

Die unübersichtliche Zuständigkeitsregelung der Jugendämter aber ist etwas, was wir sehr wohl ändern können und mit diesem Antrag auch ändern wollen. Die oftmals kulturell bedingte Distanz werden wir, zumindest per Gesetz, nicht schnell ändern können.

Und nein, das möchte ich als Punkt hier aufzählen in meiner Rede, es ist nicht so, dass, sobald die Nachfrage besteht, auch wirklich ein Platz da ist. Wir haben in Berlin das Problem, dass wir mehr Plätze brauchen und einen steigenden Bedarf haben. Dafür werden wir mehr Geld ausgeben müssen. Der Finanzsenator ist heute nicht da, aber ich vermute, Herr Feiler wird es gerne mit übernehmen. Wenn ich den Schlagzeilen einer großen Berliner Boulevardzeitung glauben darf, haben wir sprudelnde Steuereinnahmen. Seien Sie sich gewiss, in Vertretung: Meine Fraktion wird darauf achten, dass dieses Geld auch in die Zukunftsaufgaben dieser Stadt investiert wird.

[Zuruf von Elke Breitenbach (LINKE) – Wolfgang Brauer (LINKE): Herr Schneider, zuhören! – Das trauen Sie sich auch nur zu sagen, weil Herr Nuß- baum nicht da ist!]

Das heißt aus meiner Sicht: Geld für den Ausbau von Kitaplätzen, vor allem aber auch für die Qualitätsentwicklung. – Ich habe ja gesagt, dass Herr Nußbaum nicht da ist, ich hätte es ihm gerne auch selber gesagt. Ich werde ihm, wenn Sie möchten, das Protokoll zuschicken, das ist kein Problem!

Bei den letzten drei Punkten sehen wir in diesem Antrag einiges, das bereits erreicht wird, und vor allen Dingen, was wir machen können. Die mehrsprachigen Informationen und das diesbezügliche Angebote zu verbessern, ist eine wichtige Sache, die wir gemeinsam angehen möchten. Ich möchte ergänzen, dass wir in diesem Fall erst am Anfang stehen. Wir werden mehr Kulturmittler in den Flüchtlingsunterkünften brauchen. Auch das kostet Geld. Ich bin der Meinung, wir sollten uns auch Gedanken darüber machen, inwieweit wir die Eltern, die ihre Kinder in die Kita schicken, z. B. von der Zuzahlung für das Mittagessen befreien müssen. Auch das gilt es, in den Haushaltsberatungen zu besprechen.

Am Ende bleibt mir zu sagen: Kein Kind bleibt zurück. Das heißt zumindest für mich, dass es auch mehr Geld für die Jugend geben muss. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD, der CDU und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Eggert! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Burkert-Eulitz. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist sehr erfreulich, dass die Koalition endlich erkannt hat, dass es Maßnahmen des Landes Berlin bedarf, um die Lage von Flüchtlingskindern zu verbessern. Deshalb stimmen wir der vorliegenden Beschlussempfehlung auch zu. Es ist aber auch ganz klar, dass dies erst ein erster Schritt sein kann und die Anstrengungen sehr viel weiter gehen müssen.

Vielleicht ist den Anwesenden hier nicht klar, dass – im Gegensatz zu allen anderen sozialrechtlichen Bereichen – alle Kinder und Jugendliche, die in Deutschland leben, Ansprüche auf alle Leistungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes haben – neben einem Kitaplatz sind das die Ansprüche auf Hilfen zur Erziehung wie Erziehungsberatung oder psychologische Unterstützung. Jedes Flüchtlingskind hat also einen Rechtsanspruch auf sämtliche Leistungen. Wir sprechen derzeit über fehlende Kitaplätze für diese Kinder und über eine mangelnde Beratung der Sorgeberechtigten.

Das Feld ist aber viel größer, und dies wird vom Senat bisher ignoriert. Die derzeitige Situation von Flüchtlingskindern in ganz Deutschland in Sammelunterkünften entspricht nicht den Standards des Kinderschutzes. Das habe ich mir nicht ausgedacht, sondern das sagt das Deutsche Jugendinstitut. In seiner neusten Veröffentlichung – „Impulse“ – wird endlich auch der Situation von Flüchtlingskindern großer Raum eingeräumt. Das Deutsche Jugendinstitut erstellt den Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung. Dort versammelt sich an Fachkompetenz all das, was auch für die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland prägend ist.

In der aktuellen Zeitschrift wird darauf eingegangen, dass es keinerlei Forschung gibt, auch hier im Land Berlin nicht. Wir wissen nicht, wie es den Kindern und Jugendlichen in den Sammelunterkünften geht. Sie werden nicht wie alle anderen Kinder pädagogisch und psychologisch betreut, obwohl gerade diese Kinder und Jugendlichen von den Belastungen und Auswirkungen von Krieg und Flucht viel stärker betroffen sind als Erwachsene, da sie noch keine entsprechenden psychologischen Schutzmechanismen entwickeln konnten. Laut Veröffentlichungen des Deutschen Jugendinstituts sollen bis zu 50 Prozent dieser Kinder auf die Belastungen von Krieg und Flucht mit psychischen Auffälligkeiten reagieren. Und sie erhalten keine Hilfe! Das Land Berlin ist in der Verantwortung, endlich für eine kindgerechte Umgebung für diese Kinder und Jugendlichen zu sorgen!

(Björn Eggert)

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Es wird endlich Zeit, dass sich der Berliner Senat der vielfältigen Probleme von Flüchtlingskindern annimmt, denn ein Zuwarten ist nicht nur ein Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention, sondern auch gegen die Regelungen des SGB VIII, denn dort hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Jugendhilfe hat Kinder und Jugendliche, also auch Flüchtlinge, zur Verwirklichung dieses Rechts vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen. Es ist die staatliche Verpflichtung, für positive Lebensbedingungen für diese jungen Menschen und ihre Familien zu sorgen.

Das Land Berlin ist der örtliche und überörtliche Träger der Jugendhilfe. Damit ist der Senat von Berlin unmittelbar verpflichtet, gerade § 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes umzusetzen. Klar ist: Bisher wurde zu wenig für die Berliner Flüchtlingskinder und ihre Familien getan. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition! Sie müssen endlich mehr tun. Die Beschlussvorlage ist gerade mal ein erster Baustein. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Burkert-Eulitz! – Für die CDUFraktion hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Simon. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im November letzten Jahres haben wir unsere Reden zu Protokoll gegeben. Damals habe ich darauf hingewiesen, dass Berlin sich seit vielen Jahrzehnten sehr gut um die Menschen kümmert, die hier nach einer Flucht Aufnahme finden. Aber nichts, was schon gut läuft, lässt sich nicht noch besser machen.

[Zuruf von den GRÜNEN: Richtig!]

In diesem konkreten Fall hat die weitere Diskussion auch in den Ausschüssen dazu geführt, dass wir heute über einen geänderten Antrag diskutieren und befinden werden.

Die Änderungen im Antrag der Piratenfraktion waren notwendig. Ohne diese wäre der Antrag für die CDUFraktion nicht zustimmungsfähig gewesen. Das fing schon mit der damaligen Überschrift an. Auch hier möchte ich gerne begründen, weshalb eine Änderung aus Sicht der CDU-Fraktion unumgänglich war und ist. Eine institutionelle Diskriminierung gibt es nicht. Jedes Kind, auch aus einer Flüchtlingsfamilie, hat das Recht auf einen Kitaplatz.

Auch den ersten Punkt der seinerzeitigen Antragsfassung haben wir auf Initiative der Koalition abgeändert. In der Fassung des Antrages, der heute beschlossen werden wird, gibt das Abgeordnetenhaus dem Senat einen Prüfauftrag. Das halten wir für sachgerechter, als bereits jetzt eine Entscheidung zu treffen.

Wir nehmen einen zusätzlichen Punkt auf, den wir für eine noch bessere Willkommenskultur für wichtig halten. In der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge sollen kindgerechte Aufenthalts- und Betreuungsbedingungen zur Verfügung gestellt werden. Hier könnten im Übrigen schon erste Informationen für Eltern zum Recht auf einen Kitaplatz erfolgen.

Der Punkt mit den Elterninformationen in allen für Berlin relevanten Sprachen bleibt unverändert. Die Personalforderung, die die Piratenfraktion in den Punkten 2 und 4 ihres Antrages in der Ursprungsfassung gestellt haben, kann die Koalition nicht übernehmen. In meiner Rede im letzten Jahr hatte ich schon deutlich gemacht, dass ich das nicht in einzelnen Anträgen beschließen möchte, sondern im Rahmen der Haushaltsberatungen diskutieren und ggf. beschließen will. Da gehört es hin.

Ich werbe ausdrücklich für Ihre Zustimmung zum Antrag „Frühe Bildung für alle Kinder in Berlin – Familien von Flüchtlingskindern beim Besuch von Kita und Schule beraten und unterstützen!“, also dem Antrag in der heutigen Fassung. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Vielen Dank, Herr Simon! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Möller. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Januar dieses Jahres wurden in der Erstaufnahmestelle des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, dem LAGeSo, 1 800 Asylanträge gestellt. Das sind 60 Prozent mehr als im gleichen Monat des Vorjahres. Es gibt eine weitere steigende Tendenz: Unter den Zufluchtssuchenden sind immer mehr Familien mit Kindern in immer schlechterem gesundheitlichen Zustand. Jedes dieser Kinder hat einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer Kita oder Schule. Alles dafür zu tun, dass dieser Rechtsanspruch umgesetzt wird, ist im Land Berlin politisch

(Marianne Burkert-Eulitz)

Konsens. Das hat die Debatte zum Antrag der Piratenfraktion gezeigt, und das ist etwas Gutes.

Es gibt diesen sinnvollen Ersetzungsantrag, der auch in meinen Augen ein erster Schritt in die richtige Richtung ist. Wie das alles besser in und mit den Bezirken organisiert werden soll, will der vorliegende Antrag prüfen lassen. Das ist gut, deshalb unterstützen wir diese Initiative auch.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Eine Kitabetreuungsquote von ungefähr 6 Prozent bei Flüchtlingskindern ist völlig inakzeptabel. Und wenn diese Quote steigt – und das wird sie tun aufgrund der wachsenden Zahl von Menschen, die zu uns kommen, und aufgrund einer hoffentlich bald höheren Inanspruchnahme der Kitabetreuung bei den Flüchtlingsfamilien –, dann reichen die bisherigen Rahmenbedingungen hinten und vorne nicht aus.

[Beifall bei der LINKEN]

Außerdem – so der Antrag – sollen in der Erstaufnahmestelle in der Turmstraße kindgerechte Aufenthalts- und Betreuungsbedingungen geschaffen werden. Na endlich, hätten Sie schon längst machen können, Herr Czaja! Ich bin auch ein bisschen überrascht, verehrte Frau Präsidentin, dass Sie der Meinung sind, Herr Czaja sei nicht zuständig für diesen Bereich. Wir hatten ihn ja gerade rufen lassen. Sehr wohl ist Herr Czaja für den Kinderschutz in dieser Stadt mitverantwortlich.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Die unzumutbaren Zustände dort in der Erstaufnahmestelle werden auch von den Mitarbeitenden des LAGeSo seit Langem beanstandet. Da geht es um so selbstverständliche Dinge wie einen Rückzugsraum während der stundenlangen Wartezeit und die Versorgung mit Getränken von Menschen, die in oft schlechter gesundheitlicher Verfassung sind. Also, Herr Czaja, in Abwesenheit, nehmen Sie jetzt schnell den politischen Auftrag auch Ihrer Fraktion zur Kenntnis, realisieren Sie endlich, dass Kinderschutz auch in Ihr Ressort gehört! Und der gilt nämlich in dieser Stadt vom ersten Tag an.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Handeln Sie in der Turmstraße sofort! Der Auftrag ist jetzt öffentlich.

Was wir ebenfalls jetzt schon, auch ohne Prüfauftrag, wissen: Alle Fachkräfte, die im Aufnahmesystem tätig sind, müssen gut über die Rechte der Flüchtlinge und die Zugangswege zum Bildungssystem informiert sein. Es gilt, erstens die Eltern zu gewinnen, zweitens ihnen den Zugang zur Kita so leicht wie möglich zu machen und dann drittens um den real existierenden Kitaplatz.

Eine Umfrage der Arbeiterwohlfahrt zum Problem der Nichtinanspruchnahme von Kitaplätzen hat ergeben, dass die Betroffenen entweder keinen Kitaplatz finden oder erst gar keinen Kitaplatz in der Gegend frei ist, dass sie ihre Rechte nicht kennen, mit dem deutschen Bildungssystem nicht vertraut sind oder kein Vertrauen in dieses haben oder dass sie an bürokratischen Hürden oder mangelnden Deutschkenntnissen scheitern. Hier hapert es. Das wurde festgestellt. Hier muss zuerst gehandelt werden. Da ist das neue Infopapier zum Kitabesuch für Fachpersonal in Erst-, Not- und Gemeinschaftsunterkünften gut.

Klar ist aber auch – das zeigt die Praxis jetzt schon –, dass zusätzlich zu Schulung und Aufklärung des Fachpersonals dringend zusätzliches Fachpersonal nötig ist. Das ist nun mal so. Das wären zunächst ausreichend Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den Aufnahmeeinrichtungen. Das sind derzeit viel zu wenige, besonders in den 16 Hostels, die aus der Not heraus belegt werden. Da gibt es gar keine Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Dort sind die Familien nicht mal polizeilich gemeldet, sodass sie auch ihre Kinder nicht in Kita und Schule anmelden können, selbst wenn sie davon wüssten, dass sie das tun können.