Protokoll der Sitzung vom 22.05.2014

[Beifall bei den PIRATEN]

Herr Dr. Juhnke, wollen Sie antworten? – Ich sehe, das ist der Fall. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Herr Lauer! Sie konnten sich jetzt doch nicht zusammenreißen und haben die gesundheitspolitische Debatte hier gestartet. Ich lasse mich gar nicht auf dieses Niveau herab,

[Lachen bei der LINKEN]

weil die Experten des Robert-Koch-Instituts eine vernünftige Expertise gegeben haben, was die Ansteckungsgefahr anbelangt. Deshalb ist dieser Hinweis obsolet. was die Nachmedikation und andere Dinge anbelangt, das kann ich nicht beurteilen. Aber wie gesagt, ich verlasse mich da auf das, was die Experten sagen.

Sie haben den Fall vom Neptunbrunnen angesprochen. Das ist doch gar kein POLIKS-Fall! Dort wird ein Mensch vorgefunden, dessen Identität überhaupt nicht bekannt ist, und dann kommt es zu einer solchen Situation. Hier geht es um Einsätze, wo Sie wissen, Sie gehen in eine bestimmte Wohnung oder eine bestimmte Situation, und es ist bekannt, wen Sie da antreffen. Da ist es doch für jeden Normaldenkenden klar, dass es ein Vorteil ist, wenn ich weiß, dass da jemand ist, der zu aggressiven Gewaltausbrüchen oder anderen Dingen neigt.

[Zurufe von den GRÜNEN]

Das ist doch sinnvoll! Daher verstehe ich nicht, wie Sie jetzt wieder versuchen, damit zu argumentieren, das helfe ja alles gar nicht. Dasselbe mit der Videoüberwachung: Die hätte am Neptunbrunnen auch nichts genutzt. Deswegen ist das aber kein Argument, sie in Bausch und Bogen zu verdammen und abzuschaffen. – So argumentieren Sie permanent und unterstellen uns dann Ihr Wort der Scheinsicherheit. Sie müssen sich wirklich einmal entscheiden, welche Argumentation Sie verfolgen wollen, und dafür, auf die Fakten einzugehen und nicht auf irgendwelche Dinge, die Sie an den Haaren herbeiziehen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU Zurufe]

Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Lux. – Herr Kollege Taş, noch einen kleinen Moment Geduld!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es erschreckend, in welcher Weise hier ein Vertreter der CDU-Fraktion daraus folgert, wenn eine Person geisteskrank ist oder eine Ansteckungsgefahr besteht, dass sie auch aggressiv und gewalttätig ist – so die wohlgewählten Worte des Kollegen Juhnke hier.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Es wird unterstellt, dass es gut für die Polizei zu wissen sei, dass geisteskranke Personen alle aggressiv seien und zu Gewaltausbrüchen neigen – so Ihre Worte gerade hier, Herr Juhnke! Wir machen das nicht, von äußeren Merkmalen auf Aggressivität zu schließen. Wenn Sie das tun, dann sagen Sie das bitte den Menschen ehrlich! Kategorisieren Sie sie! Gehen Sie raus und sagen Sie: Berlinerinnen und Berliner dieser Sorte sind bestimmt polizeilich relevant! Wenn das die Grundlage Ihrer Politik ist und Sie nicht verstehen, dass es Geisteskranke gibt, die völlig ungefährlich sind, dass es Personen gibt, die Sie in der polizeilichen Datenbank speichern wollen, von denen keine Ansteckungsgefahr ausgeht, nur weil sie ein Merkmal wie HIV tragen – wenn Sie das nicht begreifen wollen, haben Sie sich mit Ihrer Argumentation weit außerhalb von dem bewegt, was Demokraten tun sollten.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Herr Kollege Dr. Juhnke! Sie haben das Recht, auch hierauf zu antworten – Sie verzichten darauf. Damit erteile ich jetzt für die Fraktion der Linken dem Kollegen Taş das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn es tatsächlich eine HIV-Übertragung im Einsatz gegeben hätte, hätten wir darüber sicherlich nicht nur in der „Bild“-Zeitung gelesen. Dass Sie HIV als Krankheit bezeichnen, Herr Juhnke, macht heute noch einmal deutlich, dass Sie zumindest auf diesem Gebiet kein Experte sind und keine Ahnung haben.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

(Christopher Lauer)

Im vorliegenden Antrag geht es um die Speicherung der Merkmale „geisteskrank“ und „Ansteckungsgefahr“ im polizeilichen Informationssystem POLIKS. Das Abgeordnetenhaus hat im Jahr 1988 tatsächlich beschlossen, die Speicherung dieser Merkmale in polizeilichen Informationssystemen nicht mehr zuzulassen, und zwar mit der Begründung, dass sie für die Betroffenen stigmatisierend seien – eine damals sinnvolle und richtige Entscheidung, wie ich finde.

Aufgrund eines Beschlusses des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz in Berlin hat aber die Senatsverwaltung die Entscheidung getroffen, diese personengebundenen Hinweise nun wieder zu verwenden. Was hat sich denn seit dem Jahr 1988 in Berlin geändert? Dass Beschlüsse des Parlaments von jetzt an für die Verwaltung nicht mehr bindend sind? Hätte es nicht zumindest zum guten demokratischen Ton gehört, das Parlament zu befragen, ob es an seinem Beschluss festhalten möchte, ehe man als Verwaltung eigenmächtig handelt? – Ich meine: Ja!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

In der Henkel-Behörde scheint man das anders zu sehen, und das ist auf jeden Fall ein Problem.

Zum Inhalt: Was hat sich denn in den letzten 20 Jahren in dieser Stadt geändert, so dass dieser Beschluss aufgrund der vergangenen Zeitspanne keine politische Wirkung mehr entfaltet? – Weder sind die Ansteckungsgefahr für Polizistinnen und Polizisten noch die Anzahl gefährlicher Geisteskranker signifikant gestiegen. Auch im Bericht des Berliner Datenschutzbeauftragten von 2012 wird darauf hingewiesen, dass die Hinweise „geisteskrank“ und „Ansteckungsgefahr“ für die geltend gemachte Eigensicherung der Polizei nicht erforderlich seien. Insbesondere gebe es keine Fälle von Ansteckung durch eine infizierte Person.

Dem ist eigentlich nichts Weiteres hinzuzufügen. Die sachliche Begründung für die Änderung der Praxis ist somit äußerst fraglich. Dass es nun alle anderen Länder auch tun, ist kein Argument. So, wie es keine Gleichheit im Unrecht gibt, so sollte es auch keine Gleichheit im Unsinn und keine Gleichheit in der Stigmatisierung geben. Auch dies ist ein Problem.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Geisteskrank – was soll denn das überhaupt sein? Es gibt Hunderte von psychischen Leiden, die allermeisten völlig ungefährlich sind. Es ist nicht einzusehen, wieso das BKA und die Innenverwaltung die Kriterien, nach denen dieses Merkmal vergeben wird, als Verschlusssache einstufen. Die pauschale Behauptung, die Preisgabe der Hinweise zur Vergabe dieses Merkmals könne – Zitat –

dem Wohle eines deutschen Landes schwerwiegende Nachteile bereiten oder zu einer schwerwiegenden Gefährdung des Allgemeinwohls führen, indem sich etwaige Täter darauf vorbereiten und Rückschlüsse auf polizeiliche Taktiken ziehen könnten

ist mir in diesem Zusammenhang nicht verständlich. Ich frage mich, wie das aussehen soll, denn in dieser Pauschalität scheint es mir lebensfremd zu sein. Ich frage mich außerdem, was denn so geheimhaltungsbedürftig an der Information ist, ab wann die Berliner Polizei jemanden für geisteskrank hält.

Außerdem verwehrt sich der Senat durch diese Politik des Mauerns die Chance, die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt davon zu überzeugen, warum die Aufnahme dieser Merkmale nun wieder notwendig sein soll, wenn es über 20 Jahre auch gut ohne sie ging.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Aus unserer Sicht sind die Merkmale nicht nur völlig sinnlos, sondern sogar diskriminierend. Die Vorstellung von einem Infizierten, der auf andere Menschen mit der Absicht losgeht, sie anzustecken, ist ein Rückschritt in die Achtzigerjahre und erinnert an die Schauermärchen über HIV-Infizierte.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Ich will nicht, dass unsere moderne, bürgernahe Polizei mit solchen stigmatisierenden Begriffen arbeitet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Henkel! Zu guter Letzt: Wir haben ein allgemeines Datenbankproblem. Der Grundsatz des § 3a des Bundesdatenschutzgesetzes, der zu Datensparsamkeit aufruft, wird zu Makulatur, wenn staatlicherseits immer umfangreichere Datensammlungen angelegt werden und dies als Lösung irgendeines Problems dargestellt wird, was es nicht ist.

[Benedikt Lux (GRÜNE) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Der Datenschutz ist ein Grundrecht. Lassen Sie ihn uns daher ernst nehmen und zumindest auf die Speicherung dieser stigmatisierenden Merkmale verzichten, und lassen Sie uns gemeinsam eine Debatte darüber führen, in welchem Rahmen und in welchem Umfang polizeiliche Datensammlungen überhaupt notwendig sind und wo wir auf der anderen Seite lieber Datensparsamkeit gelten lassen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lux?

(Hakan Taş)

Nein, ich komme gleich zum Schluss! – Für meine Fraktion Die Linke sind diese personengebundenen Hinweise weder geeignet noch erforderlich. Deshalb besinnen Sie sich, und machen Sie diesem Unsinn ein Ende! – Danke sehr!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen mir nicht vor. Zu diesem Antrag wird die Überweisung an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung beantragt. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.5:

Priorität der Fraktion der SPD

Tagesordnungspunkt 20

Initiative für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt weiterentwickeln (I) – Vielfalt in der Pflege und im Alter

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU Drucksache 17/1652

Auch hier grundsätzlich eine Redezeit von fünf Minuten. Es beginnt der Kollege Schreiber für die SPD, dem ich jetzt das Wort erteile. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Heute ist ein Tag, wo man sagen kann: Ja, jetzt geht es los! Ein Tag der Freude! Wir setzen heute Stück für Stück das um, was wir im Koalitionsvertrag – für die, die nachlesen wollen: auf Seite 65 – festgeschrieben haben, denn wir beginnen heute in der Plenarsitzung damit, dass wir die ISV – Initiative Sexuelle Vielfalt – Stück für Stück umsetzen. Wir haben klar und deutlich gesagt, dass wir sie nicht nur weiterentwickeln wollen, sondern auch weiter vorantreiben wollen. Mir und uns allen ist bekannt, dass die Oppositionsfraktionen hierzu schon Stellung bezogen haben. Es liegen ja schon seit anderthalb oder zwei Jahren Anträge zu dem Thema vor. Deswegen kann man heute auch klar und deutlich sagen: Wir setzen ein deutliches Zeichen, dass die Initiative weitergeht.

Es wurde auch im queerpolitischen Raum oft behauptet, dass wir die Initiative eingestellt hätten und nur noch verwaltet werde. Dem ist glücklicherweise nicht so. Hier ist heute auch Raum, um ein Stück weit darzustellen, wie es insgesamt weitergehen soll und wie der Rahmen der Initiative Sexuelle Vielfalt aussieht. Dazu möchte ich

auch deutlich machen, was die Prioritäten der Regierungsfraktionen waren. Wir haben – zusammen mit dem Kollegen Evers – gesagt, dass für 2014 unsere Priorität noch mal ein Stück weit auf dem Doppelhaushalt liegt. Da haben wir etliches bewegt. Es wurden beispielsweise ca. 500 000 Euro für den Bereich der Queerpolitik bereitgestellt.