Protokoll der Sitzung vom 22.05.2014

Was die Koalition macht – durch den Innensenator geduldet –, ist das Gegenteil dessen. Sie sorgen hier für Scheinsicherheit, indem Sie meinen, geisteskranke Personen und Personen, von denen eine Ansteckungsgefahr ausgeht, gesondert erfassen zu müssen.

Erstens: Sie haben nur 101 Personen seit dem Herbst 2012 als Personen, die geisteskrank sind, in diese Datenbank aufgenommen. Die Piraten haben es gerade gesagt: Die Kriterien dafür sind Verschlusssache. Rechtsschutz gibt es dagegen nicht. Es gibt ungefährliche Geisteskranke – unbestritten. Da wird nicht differenziert, aber es wird suggeriert, sie seien gefährlich. Und in den drei Fällen, die es in Berlin gab, bei denen Geisteskranke erschossen worden sind, war offenkundig, dass es sich um Menschen handelt, die gestört sind oder eine psychische Störung haben. Hier hätte sich die Polizei zurückziehen müssen, sich selbst sichern müssen, sich nicht in eine Notwehrlage begeben müssen. Dann wären die Todesfälle auch nicht passiert.

Was aber in der Sache deutlich heftiger ist, ist das Merkmal der Ansteckungsgefahr. Hier führen Sie aus, dass HIV-Infizierte und Hepatitis-Infizierte in dieser Datenbank aufgeführt werden sollen. Mal davon abgesehen, dass von HIV bei einer entsprechenden Medikation fast keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, gibt es auch hier keinen Rechtsschutz, keine Transparenz. Ich sage Ihnen eines: Drei Wochen vor dem CSD wollen Sie alle AIDSKranken in einer polizeilichen Datenbank aufführen. Das ist die Aussage, die Kollege Zimmermann hier gerade bestätigt hat, was der Innensenator will, was die CDU gut findet. Sie wollen alle HIV-Infizierten, Sie wollen alle AIDS-Kranken in einer polizeilichen Datenbank aufführen.

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Völliger Unsinn!]

Aber Ihr Regierender Bürgermeister ist mit Freuden Schirmherr der AIDS-Gala in dieser weltoffenen Stadt. Sie stigmatisieren die AIDS-Kranken in dieser Stadt

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Das ist ja Volksverdummung, was Sie erzählen!]

und sorgen dafür, dass sich Polizei in dem Moment gefährdet fühlt, weil sie die Hinweise in der Datenbank hat.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Das ist die Schizophrenie. Das ist die falsche Politik, auch für die Polizei. Eigensicherung ist wichtig. Und man kann sich ja darauf einigen, dass man gefährliche Menschen oder gewaltgeneigte Personen aufführt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Zimmermann?

Bitte!

Können Sie mir nicht darin zustimmen, dass es einen kleinen Unterschied macht, ob, wenn eine Infektion bekannt ist, sie gespeichert wird, zu der Tatsache, dass eine HIV-Datei, eine AIDS-Datei, angelegt werden soll, entgegen der Tatsache, die Sie hier behaupten?

Nein! Sie speichern eine HIV-Infektion in der polizeilichen Datenbank. Sie können diese polizeiliche Datenbank nach HIV-Infizierten durchsuchen, und mit der Zeit werden Sie jeden HIV-Infizierten dort speichern. Sie stigmatisieren die. Sie grenzen diese Menschen aus. Diese haben keinen Rechtsschutz, mal davon abgesehen, dass von HIV bei einer entsprechenden Medikation keine Ansteckungsgefahr ausgeht. Übrigens ist Hepatitis in vielen Fällen heilbar, Herr Kollege Zimmermann, und was machen Sie denn mit den Menschen, die davon geheilt sind, die aber nicht wissen, dass sie in Ihrer Datenbank sind? Die sind auf einmal gefährlich, und die Polizei soll da besonders geschützt vorgehen. Vielleicht irritieren Sie aber auch die Polizei damit, weil sie in der entsprechenden Situation zu falschen Mitteln in der Eigensicherung greift. Sie wecken hier schlafende Hunde, und deswegen ist Ihre Datei, das, was Sie hier wollen, gefährlich. Es ist schizophren, und es grenzt die Menschen aus.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Wir wollen eine besonnene Innenpolitik, und wir finden Eigenschutz der Polizeibeamten und -beamtinnen wichtig.

[Daniel Buchholz (SPD): Würden Sie als Polizeibeamter da reingehen?]

Herr Kollege! Wir können uns ja einigen und die Gewaltgeneigtheit der Menschen abklären. Wenn Menschen mit psychischer Störung zu Gewalt neigen oder häufig alkoholisiert sind und deswegen zu Gewalt neigen – dafür haben Sie übrigens keine Antwort – oder wenn sie eine Waffe tragen, dann können sie natürlich gespeichert werden, weil sie objektiv gefährlich sind. Das ist aber bei Menschen, die eine ansteckende Krankheit oder eine psychische Störung haben, nicht so, und deswegen ist das Hokuspokus. Das ist Scheinsicherheit, was Sie betreiben, wie wir es von der großen Koalition nicht anders kennen. Aber dass Sie sich hier hinstellen, drei Wochen vor dem CSD, bei der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters bei der AIDS-Gala, und alle HIV-Infizierten, und davon sind 80 Prozent schwule Männer, in die Ecke

und in die Datei stellen, das ist dermaßen lächerlich bzw. gefährlich, und das wollen wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Sie haben die Chance, dass wir diese Hinweise bei der Berliner Polizei streichen. Der Innensenator hat sich bisher, wie so häufig, um jede Debatte gedrückt, aber der Ball liegt bei Ihnen im Feld. Lassen Sie uns diese unsinnigen Merkmale aus der polizeilichen Datenbank streichen! – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Lux! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt das Wort der Kollege Dr. Juhnke. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hier ist ja schon unheimlich viel Unsinn erzählt worden, und wir sind schon wieder bei den ganz großen Kanonen, die rausgeholt werden. Vielleicht sollten wir uns mal ein bisschen an die Fakten halten und noch mal schildern, was eigentlich passiert ist.

In der Tat: 1988 hat es diesen Antrag von der FDP gegeben, wie Herr Lauer schon ausführte. Er hat aber nicht gesagt, aus welchen Gründen damals dieser Beschluss gefasst wurde, und zwar waren es folgende Argumente: Es wurde kritisiert, dass häufig nicht belegt werden konnte, aufgrund welcher Tatsache den Betroffenen eine bestimmte Eigenschaft zugeschoben wurde, und dass es für diese Zurechnung keine festen Kriterien gebe. Daraufhin sind in Berlin diese personenbezogenen Hinweise nicht mehr aufgenommen worden.

Jetzt haben wir folgende Weiterentwicklung: Die IMK hat sich mit dieser Thematik beschäftigt, insbesondere diesen Kritikpunkt aufgegriffen und hat in ihren Arbeitsgruppen nach intensiver Prüfung und Beratung festgelegt, wie es dazu kommt, dass diese personenbezogenen Hinweise vergeben werden. Ich darf auch aus der Antwort, die jedermann bekannt sein kann, Herrn Lauer insbesondere, weil er die Frage gestellt hat, noch mal zitieren, dass zur Vergabe erforderlich ist, dass die Hinweise von einer Ärztin oder einem Arzt oder einer anderen öffentlichen Stelle auf der Grundlage eines ärztlichen Attestes oder einer entsprechenden ärztliche Unterlage vorliegen muss, und dass es nicht einfach reicht, auf Zuruf

[Zuruf von Thomas Birk (GRÜNE)]

oder aufgrund der Desinformation durch irgendwelche Leute bei der Polizei man den Eindruck gehabt hat, dass derjenige einen verwirrten Eindruck oder Ähnliches gemacht habe, dass es leichtfertig zu irgendwelchen Zuschreibungen kommt. Nein, es sind ganz spezielle Kriterien notwendig, um diese personenbezogenen Hinweise

zu geben. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, dass es bisher erst in wenigen Fällen passiert ist. Insgesamt sind es nach meinem Stand etwa 200 in beiden PHW, und von daher wissen wir auch, dass es sich hier um kein Massenphänomen handelt. Im Übrigen wurde das seit April 2013, nicht seit 2012, fortgeführt, wie auch falsch gesagt wurde, in Abstimmung mit der Senatskanzlei.

Worum geht es dabei überhaupt? – Es geht um das Thema Eigensicherung, und das ist für uns ein ganz wichtiges Kriterium. Diese personenbezogenen Hinweise können wertvolle Hinweise geben, um dann ein einsatztaktisches Verhalten entsprechend steuern zu können. Vor allem: Diese Einschätzung gilt bundesweit. Das heißt, wir haben hier keine Einzelregelung. Wir haben hier eine Regelung, die für ganz Deutschland gilt, in der IMK durch einen Beschluss des Arbeitskreises II festgeschrieben. Es wurde auch zum Beispiel – bevor sich jetzt noch andere Gesundheitsexperten berufen fühlen, bestimmte Fragen zur Ansteckungsfähigkeit oder anderen Dingen zu stellen, Herr Birk – –

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Birk?

Nein! Ich möchte im Zusammenhang ausführen. – Es wurde gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut festgelegt, welche Krankheiten dort eine Rolle spielen. Ich glaube, die Kompetenz dieser Einrichtung sollte über alle Zweifel erhaben sein.

Im Übrigen: Wer auch mit den Polizeigewerkschaften die Diskussion führt, weiß, dass dort Überlegungen im Gange sind, diesen Katalog auszuweiten, dass es Kritik gibt, dass dort zu wenige Krankheiten erfasst sind und dass die Kollegen gefährdet sind. Ich kann das nicht beurteilen. Hier wird über TBC gesprochen, das nicht zu diesem Katalog gehört, aber ich glaube, es wird gute Gründe gegeben haben, und man sollte doch erst mal abwarten, welche Erfahrungen man damit sammelt. Ich fasse zusammen: Es handelt sich um ein bundesweites Vorgehen, das gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut in dieser Frage entwickelt wurde.

Nun haben Sie in der Begründung verschiedene Kritikpunkte vorgebracht, zum einen, dass es nicht erforderlich sei, unter anderem, weil es bisher angeblich zu keinem Ansteckungsfall gekommen ist. Das ist schlicht und ergreifend eine Quintessenz dessen, dass wir keine Statistik darüber führen, aber ich sage Ihnen: Selbst wenn es eine Statistik gäbe, die das ausweisen würde, wäre das kein Beweis, denn es soll ja gerade darum gehen, Ansteckungsfälle oder andere Dinge zu vermeiden. Von daher wäre es überhaupt kein Argument, das man hier in die Beratung ziehen muss.

(Benedikt Lux)

Ich glaube insbesondere, dass man gerade bei der Gefahr der sogenannten Geistesgestörten, obwohl ich dieses Wort sicherlich ein bisschen unglücklich finde,

[Benedikt Lux (GRÜNE): Aha!]

darüber nachdenken könnte, es zu ändern, aber nichtsdestotrotz geht es nicht ums Label, sondern um den Inhalt. Es ist sinnvoll, dass wir die Gefahr durchaus sehen, dass es bei Leuten, die zu krankhaften Gewaltausbrüchen neigen, zur Eigensicherung der Beamten sinnvoll ist, dass sie vorher in diesem System POLIKS darüber eine Information haben.

Jetzt komme ich zu der Frage, was hier gesagt wurde, und wo Herr Lux völlig durchgedreht ist, der Stigmatisierung.

Herr Kollege! Durchgedreht ist in diesem Haus keiner. Das wollte ich bitte festhalten.

Die Erarbeitung einer vollständigen Datei, wo alle HIVKranken geführt werden, ist völliger Unsinn. Es geht hier um POLIKS, ein System, das geführt wird, in dem Personen vorkommen, die mit dem Gesetz in irgendeiner Weise in Kollision geraten sind, die also der Polizei auch nur bekannt sind. Das ist keine gesamtgesellschaftliche Aufnahme aller Personen. Das ist völliger Unsinn. Von daher kommt es auch nur den Abfrageberechtigten zur Kenntnis. Das sind diejenigen, die bei der Polizei arbeiten. Sie können auf Anfrage ebenfalls Informationen darüber erlangen, aber das nur mit besonderen Gründen. Von daher ist es Unsinn, hier von einer allgemeinen Stigmatisierung zu reden.

Ich komme zum Schluss, weil die Zeit abgelaufen ist. Ich glaube, dass wir deutlich machen konnten, dass die Kritikpunkte, die 1988 eine Rolle gespielt haben, nicht mehr existieren, dass es gute Gründe gibt, weiter an diesen Hinweisen festzuhalten, und dass Sie vielleicht auch dann gegebenenfalls die Ablehnung Ihres Antrags als Votum sehen können, dass wir die Auffassung von vor 25 Jahren nicht mehr teilen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke! – Vorab möchte ich sagen: Andere Kollegen mit dem Begriff „durchgedreht“ zu bezeichnen, ist unparlamentarisch. Ich rüge das. – Jetzt hat das Wort der Kollege Lauer für eine Zwischenbemerkung. – Bitte schön!

Erstens: In der Vorbereitung habe ich mich auch noch mal mit dem Kollegen Schatz unterhalten, und ich glaube, das war wahrscheinlich auch der Grund, warum er sich vorhin gemeldet hat. Sie gehen ja mit Ihrer HIVErkrankung – –

Sie müssen sich auf den Vorredner beziehen, Herr Kollege!

Ich beziehe mich auf den Vorredner Herrn Juhnke, denn er hat hier von selbsternannten Gesundheitsexperten gesprochen, und ich habe mit einem Betroffenen gesprochen, der gesagt hat: Mit der Medikation reduzieren Sie diese sogenannte Ansteckungsgefahr auf quasi Null.

Zu dem, was Sie gesagt haben, Herr Juhnke: Das war vielleicht sehr schön und hat für Sie Sinn ergeben, ist aber leider falsch. Wenn wir hier von der Eigensicherung der Polizistinnen und Polizisten sprechen, dann haben wir im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz einen Gefahrenbegriff, auf den hin reagiert werden muss und nicht auf irgendeine Bezeichnung in irgendeinem POLIKS. Das heißt, auch eine geisteskranke Person, um im Duktus dieser personenbezogenen Hinweise zu bleiben, hat ja auch die Möglichkeit, sich im Rahmen dessen, was ihr möglich ist, normal zu verhalten. Sie sprechen von Eigensicherung, also gehen von irgendeiner Welt aus, die ich leider nicht kenne und die es so in Berlin wahrscheinlich auch nicht gibt: Da gibt es einen Notruf, und da wird gesagt: Ja, da steht ein Typ im Neptunbrunnen und fuchtelt mit einem Messer rum. Ich weiß nicht, wie man den identifizieren soll. Vielleicht kennen Sie da Verfahren, die mir nicht bekannt sind. Aber die Vorstellung, dass sich die Polizei in irgendeiner Form besser eigensichern könnte, wenn sie noch einmal in die Datenbank schaut und erfährt, dass ein nackter Mann mit einem Messer in einem Brunnen in Berlin geisteskrank ist – da würde ich mich für diese wichtige Information für den Einsatz bedanken. Ich zitiere noch einmal aus der Kleinen Anfrage 17/12382:

Der Umgang mit psychisch erkrankten Personen in Akutsituationen ist integraler Bestandteil eines großen Teils des Einsatztrainings, weil sie im konkreten Fall ähnlich unberechenbar reagieren können wie Personen unter starkem Alkohol- oder Drogeneinfluss oder generell wie Menschen in extremen persönlichen Lebenssituationen...

Es ist also Teil des Polizeitrainings, sich auf alle möglichen Gefahren einzustellen, und Sie sprechen hier davon, dass ein solches Merkmal – noch einmal: es ist öffentlich nicht einsehbar, nach welchen Kriterien das geschieht – der Eigensicherung der Kolleginnen und Kollegen dienen

(Dr. Robbin Juhnke)

würde. Es ist falsch, was den Begriff der psychischen Erkrankung angeht, sagt der Senat. Selbst die Definition der psychischen Erkrankung als solche ist schon strittig. Der Berliner Datenschutzbeauftragte hat im ITDat-Ausschuss im Februar 2014 gesagt, die Hintergründe der Forderungen, die seinerzeit das Berliner Parlament aufgegriffen habe, seien nach wie vor tragfähig. Der Datenschutzbeauftragte kritisiert es, der Senat sagt, es sei nutzlos, die Polizei sagt, sie trainiere die Leute sowieso, darauf zu reagieren, und Sie sagen: Es ist schön, wenn wir in Datenbanken „geisteskrank“ und „Ansteckungsgefahr“ reinschreiben.

[Beifall bei den PIRATEN]