Protokoll der Sitzung vom 03.07.2014

(Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit)

Also, erst mal danke, dass Sie sich überhaupt eingemischt haben! Das ist ein Zeichen, dass Sie das Amt, das Sie innehaben, noch ein bisschen erst nehmen – ein bisschen mehr als die Koalition an dem Punkt.

Ich glaube, es ist ein anderer Vorgang, warum wir jetzt darüber reden und in der Konstellation darüber reden. Ich glaube, Herr Saleh hat vor Kurzem ein Zeitungsinterview gegeben, wo er über Bürgerbeteiligung und so gesprochen hat, und da hat er das Thema Olympia mit in den Mund genommen. Ich glaube, das war der Punkt, als dem Senat aufgefallen ist, er müsste vielleicht diese 13 Fragen, die er gestellt bekommen hat, in die öffentliche Diskussion und damit ins Parlament mit hineinbringen. Er ist eigentlich ein bisschen zu spät dran dafür.

[Beifall bei den PIRATEN]

Denn wenn das Ende Mai bei Ihnen im Haus eingegangen ist, müsste man normalerweise das Papier in die Hand nehmen, sofort eine Vorlage daraus machen, es dem Parlament zuspielen und sagen: Schönen guten Tag! Der DOSB hat bei uns angefragt. Olympiabewerbung, wie steht ihr dazu? –, damit wir das hier im Haus alle mitberaten können. So ähnlich hat es in Hamburg stattgefunden. In Hamburg hat das Parlament mit der Regierung zusammen die Entscheidung getroffen, das zu machen. Das ist viel, viel weiter und viel, viel besser, als es bei uns jetzt gerade abgelaufen ist, weil wir hier in einem völlig diffusen Zustand sind, dass wir ungefähr fünf verschiedene Fraktionen

[Zuruf von der CDU: Genau fünf!]

mit fünf verschiedenen Meinungen an der Stelle haben, eine Stadt, die darüber redet. Das Problem, das wir haben, ist, dass vor allen Dingen außerhalb dieses Hauses die Stadt nicht genau weiß, an welchem Punkt einer Bewerbung wir eigentlich sind.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN und den GRÜNEN]

Ich glaube, eine ganze Menge Missverständnisse bzw. auch eine ganze Menge Frust gegenüber Olympia oder einer möglicher Bewerbung oder den Konsequenzen, die daraus entstehen, resultieren vor allem daraus, dass es zurzeit so aussieht, als ob es ein Alleingang vom Senat ist.

[Zuruf von Michael Dietmann (CDU)]

Und das kann es bei einem Thema wie Olympia nicht sein, das muss aus der Mitte der Gesellschaft, das muss vom Parlament, von der Regierung und von der Bevölkerung zusammen passieren. Nur dann ist es überhaupt sinnvoll, sich zu bewerben. Sonst können wir 2024 oder 2028 gleich vergessen.

[Beifall bei den PIRATEN]

Deshalb hätte ich von Ihnen erwartet, dass Sie mit uns zusammen in den Vorgang gegangen wären. Man hätte

Schönen guten Tag!

[Michael Dietmann (CDU): Hier ist der Regierende Bürgermeister!]

Genau! Hier ist der Regierende Bürgermeister. Ich hab‘ da mal eine Frage: Wie steht ihr denn zu Olympia?

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Zurufe]

Dann hätten wir sagen können: Nee, ist Scheiße! – oder: Ja, lass uns doch mal reden! –

[Zurufe]

Herr Kollege! Was ist denn heute los mit Ihnen? Fallen wir doch nicht in die Fäkaliensprache zurück! Ich rüge das als unparlamentarisch.

Ja das war wirklich unparlamentarisch. Das tut mir auch sehr leid. – Und dann hätten wir uns zusammensetzen und Sie zum Beispiel auch einladen und sagen können: Fraktionäre, bitte schickt doch mal einen Vertreter von euch, dann unterhalten wir uns darüber!

Wenn wir uns andere Sachen angucken – mit dem normalen Thema Stillstand und ähnlichen Sachen kommt der Berliner eh klar. Baustellen und andere Sachen – das ist er mittlerweile gewöhnt. Wenn wir es ihm so verkaufen könnten: Hey, bis 2024 müssen wir die Baustellen wegmachen, denn dann guckt die ganze Welt auf uns! –, ist das vielleicht ein Anreiz, den könnten wir dann mitnehmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Herberg! – Dann hat die Kollegin Pop das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Nur noch mal ganz kurz zur Klarstellung: Alles, was über fünf Minuten geht, wird wieder angerechnet – damit es auch jeder weiß.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Regierender Bürgermeister! Da war er wieder, der Sound von Tempelhof: „Wir wollen das, und wir werden in der Stadt für Akzeptanz sorgen.“

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Ich dachte wirklich, Tempelhof, da hätte man eine gewisse Lehre draus gezogen, aus dieser Niederlage, die man da erlitten hat, weil es in dieser Stadt kein Vertrauen

(Heiko Herberg)

mehr in Sie gibt, solche Großprojekte zu stemmen. Herr Müller hat es gerade auch eindrucksvoll beschrieben: Es gibt ein Misstrauen in der Stadt, und das Misstrauen speist sich aus Vorgängen wie Tempelhof und nicht zuletzt dem leidigen Thema BER, das Sie nicht mehr loswerden.

[Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit: Aber dann sind Sie doch schon an der Regierung, bis da was gemacht wird!]

So wie Sie es hier eingestilt haben, Herr Wowereit, klingt das – die Kollegen haben das hier schon angesprochen – nach einem Fehlstart. Sie beschließen etwas im Senat, und dann sollen es andere später ausbaden. Das ist genau der Punkt, Herr Regierender Bürgermeister. Wir reden über 2024 frühestens, 2028 eher.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Sie machen hier Sachen, die uns betreffen, uns Steuerzahler!]

Mit Verlaub, das ist nicht mehr Ihre politische Zukunft, Herr Wowereit, über die wir hier reden, das ist eine ganz andere Generation

[Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit: Genau!]

und deswegen auch als Bitte formuliert: Tun Sie dieser Idee keinen Bärendienst! Denn der sicherste Weg, in Berlin Olympia zum Scheitern zu bringen, wäre es, das zu Ihrem „Erfolgsprojekt“ zu machen, zu Ihrer nächsten „Erfolgsgeschichte“; das will hier, glaube ich, keiner.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Und ja, die olympische Frage: Olympia und andere Sportgroßereignisse stehen am Scheideweg. Das haben mehrere schon vor mir gesagt. Die Diskussionen um Katar und andere haben gezeigt, dass sich inzwischen die Frage stellt, ist das überhaupt noch etwas für Demokratien? Sind Sportgroßereignisse, wie sie zurzeit stattfinden, wie sie zurzeit von Regierungen, von großen Sportverbänden eingestilt werden, noch etwas für Demokratien, die nicht so ticken wie autoritäre Regime, die eben die Knebelverträge mitmachen, die Milliarden – 30, 40 Milliarden – irgendwo drüberkippen, Gebilde entstehen lassen wie in Sotschi, die hinterher kein Mensch mehr braucht, die in großem Stil im Zweifel Menschen umsiedeln, weil mal eben ein Stadion hinmuss,

[Christopher Lauer (PIRATEN): Da machen Sie das Chaos Wowereit auch am Prenzlauer Berg, da muss dann ein Stadion hin!]

wo Schmiergelder gezahlt werden, was ich mir für die Hauptstadt der Bundesrepublik nicht vorstellen kann, wo während der Spiele Bürgerrechte eingeschränkt werden, wo keine Freiheitsrechte vorherrschen? – Das ist nichts, was wir uns hier vorstellen können für Olympia in Berlin.

Und ich glaube, dass das eine ernsthafte Frage Richtung IOC ist: Wollen sie diesen Weg weitergehen beim IOC, oder wollen sie dann doch einen anderen Weg gehen,

einen Weg, der zurück dahin führt, dass Demokratien wieder Olympia ausführen? Dann ist es vielleicht transparenter, dann ist es bescheidener, dann ist es vielleicht auch etwas kostengünstiger, dann ist das nachhaltiger. Und das ist weltoffen und passt zu unserer Stadt. Ich glaube, das Selbstbewusstsein sollen wir in Berlin auch haben, wenn wir diese Frage diskutieren, zu sagen, auch Berlin hat Bedingungen, hat Vorstellungen, und man fügt sich eben nicht in das ein, was vielleicht in Putins Land oder in Peking gut funktioniert, aber in Berlin nicht das ist, was wir hier wollen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Da bin ich gespannt, welche Prozesse beim IOC stattfinden. Man hört von Agendaprozessen, ich bin sehr gespannt, wie weit sie da vorankommen.

Wir reden hier aber in unserer Stadt auch darüber, was die Notwendigkeiten der Infrastruktur in der Stadt sind. Wir diskutieren seit Jahren. Bei den Haushaltsberatungen hieß es noch, die Grünen wollen das Geld zum Fenster hinauswerfen, weil wir vorgeschlagen haben, die Hälfte der Jahresüberschüsse aus dem Haushalt in Investitionen, in Infrastruktur zu stecken. Die Hälfte der Jahresüberschüsse! Herr Schneider lächelt, weil er sich daran erinnert. Was tut die Koalition jetzt eigentlich gerade? – Ich glaube, Sie haben gerade beschlossen, die Hälfte der Jahresüberschüsse in Investitionen zu stecken, und zwar über ein Sondervermögen.

[Udo Wolf (LINKE): Absurd!]

Ich will Sie jetzt keineswegs schelten, dass Sie Geld zum Fenster hinauswerfen, denn Sie machen das Richtige, zumindest das Geld in Investitionen zu stecken. Aber über das Sondervermögen sollen wir noch einmal reden, weil ich glaube, dass über dieses Geld das Parlament zu entscheiden hat und nicht die Koalition in ihrem Gezerre und ihrem Kuhhandel über dieses und jenes und anderes. Ich glaube nicht, dass die Investitionsfragen die Verhandlungsmasse einer zerstrittenen großen Koalition sein sollen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Und wenn man sich klug anstellt, könnten vielleicht diese Investitionen auch für Olympia nutzbar und gut sein, Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, in den Wohnungsbau und, und, und.

[Beifall von Tim-Christopher Zeelen (CDU)]

Diese Kostenfrage wird sich hier stellen, ob man das hinkriegt. Das ist die Debatte, die wir auch werden führen müssen. Wir werden eine Machbarkeitsstudie brauchen für Berlin, weil die Zahlen inzwischen hier im Haus und auch woanders massiv divergieren. Da ist der Senat auch in der Pflicht, eine Datengrundlage für diese Debatte zu liefern. Aber ich glaube, diese Debatte muss in der Stadt stattfinden, hier im halbleeren Plenum mag es ja heute

erst einmal ein Aufschlag sein. Ich glaube, wir kommen nicht drum herum, wir wollen auch gar nicht drum herum kommen, hier in der Stadt darüber zu diskutieren. Was Sie bei Tempelhof vergessen haben oder bewusst nicht gemacht haben, muss hier stattfinden. Wir brauchen die Zeit dafür in der Stadt.