Protokoll der Sitzung vom 03.07.2014

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie zu erwarten war, wird diese Debatte keine energiepolitische Debatte, und dass ich hier rede, trägt dem Rechnung.

[Allgemeiner Beifall – Allgemeine Heiterkeit]

Aber ich habe mir vorgenommen, heute etwas zur Nachdenklichkeit anzuregen. Ich weiß nicht, ob das mit meiner Person auch in Verbindung gebracht werden kann.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Nicht zwingend!]

Ich würde mir wünschen, dass Sie ein bisschen der Nachdenklichkeit Rechnung tragen. Ich erwarte gar keinen Applaus, weil ich nämlich auch die Absicht habe, uns selbst zu kritisieren.

Ich glaube, es geht heute – und das ist jedenfalls der Gegenstand meines Redebeitrags – nicht um Energiepolitik, sondern es geht um den Grundsatz der Gewaltenteilung. Ich sehe in diesem gesamten Verfahren diesen Grundsatz unter Druck gebracht. Das beginnt im Senat. Wenn der Justizsenator sich zum obersten Richter aufspielt, dann ist dieser Grundsatz unter Druck. Deshalb ist das nicht vernünftig und nicht richtig, und ich bin sehr froh, dass das durch den Regierenden Bürgermeister bereinigt wurde.

[Beifall bei der SPD – Andreas Otto (GRÜNE): Ah, ja! – Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Man redet nicht schlecht über Abwesende!]

Wenn wir Abgeordnete nicht mehr in der Lage sind oder uns jedenfalls dem Verdacht aussetzen, dass wir dem Ansinnen von Interessierten, von Lobbyisten nicht mit der gebotenen Objektivität entgegentreten, sondern selbst den Eindruck erwecken – und das tun wir durch ambivalente Argumentationen –, dass es nicht mehr um das Gemeinwohl geht, dann ist dieser Grundsatz erneut unter Druck.

Dazu will ich Ihnen ein Beispiel geben: Hier wird gesagt, das Traditionsunternehmen GASAG – hundert und soundso viel Jahre – und die Arbeitnehmer der GASAG seien hier im Fokus. Diese Argumentation höre ich bei

(Michael Schäfer)

der ehemaligen Bewag, bei Vattenfall, einem Staatsunternehmen, nicht. Also wird das Einzelschicksal von Arbeitnehmern im politischen Diskurs ambivalent, und wir setzen uns unter Druck.

[Beifall bei der SPD – Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN) – Zuruf von Joachim Esser (GRÜNE)]

Die Argumentation ist uns überhaupt nicht egal, aber ich glaube, dass die Arbeitnehmerrechte hier nicht in Gefahr sind. Da haben wir eine unterschiedliche Wahrnehmung.

[Uwe Doering (LINKE): Glauben oder wissen?]

Wir werden jedenfalls dafür sorgen, Herr Kollege Doering. Darauf können Sie sich verlassen. – Wenn wir energiepolitisch zwischen den Fraktionen innerhalb des Hauses für uns in Anspruch nehmen, die Perspektive des Mediums Gas in die eine wie in die andere Richtung festzulegen, dann schwingen wir uns hier zu Experten auf, die wir aber auch nicht sind. Da gibt es keine klare Vision: Ist Gas ein Zukunftsmedium, oder ist es das nicht?

[Zurufe von den GRÜNEN]

Ich weiß ja, dass die Grünen da auch noch Gesprächsbedarf haben, obwohl Kollege Schäfer meint, er habe da einen einstimmigen Beschluss auf seiner Seite.

[Heiterkeit bei der SPD und den PIRATEN]

Wenn wir schon politisch entschiedene Sachverhalte hier jetzt erneut politisieren – in einem streng verrechtlichten Verfahren – und erneut aufrufen, dann machen wir uns als Haus unglaubwürdig. Wir haben diesen Weg – ich gebe zu: mit ordnungspolitisch verschiedenen Vorstellungen, bei SPD und CDU, innerhalb der Koalition und auch innerhalb des Hauses insgesamt – aber immerhin beschritten. Da gibt es Kompromisslösungen. Das Abgeordnetenhaus bzw. der Hauptausschuss hat die Kriterien zur Kenntnis genommen. Ich saß auf einem Podium, wo ein Bewerber ganz klar die Kriterien unter Druck gebracht hat. Wir haben eine Enquete-Kommission gegründet, die natürlich aus Oppositionssicht die Kriterien beleuchten soll, aber wir laufen Gefahr, das nicht mehr objektiv zu tun. Ich finde das sehr schwierig.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: Ich habe ja auch das Gutachten der CDU-Fraktion gelesen, das da in der Presse ist und die selbstverständlichen Parlamentsrechte betont. Übrig bleibt davon ein Untersuchungsausschuss. Ich weiß nicht, ob das gewollt ist, ich finde es aber schwierig in dieser brisanten Auseinandersetzung. Das nutzt uns nicht – diese Ambivalenz und diese Wahrnehmung von Parlamentarismus. Das nutzt uns gar nichts.

In der PPP-Debatte – und damit will ich fast schon am Ende sein, denn ich wollte heute ja nur vorsichtig argumentieren – gab es einen zentralen Hebel, wie man diese Debatte zugunsten der Privaten sozusagen dreht, und das ist die Debatte über die Beweislast gewesen. In den Lan

deshaushaltsordnungen und in der Bundeshaushaltsordnung steht, dass selbstverständlich private Projekte öffentliche Aufgaben übernehmen können, soweit sie das günstiger als die öffentliche Hand können. Ich glaube ja diese Prämisse nicht, und ich glaube, die Mehrheit glaubt das nicht. Das scheitert schon an der Gewinnorientierung. Der zentrale Hebel, das unter Druck zu bringen und Verhältnisse wie in Großbritannien zu haben, wo wir mit 15 Prozent brutto den Haushalt so gesteuert haben, war die Umkehr der Beweislast: Die öffentliche Hand sollte beweisen, dass sie es besser kann. – Wir sind dem entschieden entgegengetreten – völlig unter dem Radarschirm. Das war ein großer ordnungspolitischer Erfolg. Und hier verhält es sich – das sage ich jetzt zum Koalitionspartner – ganz genauso. Der Finanzsenator bzw. die Vergabestelle muss nicht beweisen, dass sie eine korrekte juristische Entscheidung getroffen hat, und wir, die wir uns politisch festgelegt haben, sind auf eine Signifikanzkontrolle ausgeschränkt, denn auch wir sind keine Richter.

[Zuruf von Thomas Birk (GRÜNE)]

Wir wussten von Anfang an, dass dieses Verfahren einer juristischen Überprüfung unterzogen wird. Das war hier im Saal jedem klar. Deshalb sollten auch wir uns nicht zum Richter aufschwingen, sondern wir sollten korrekte politische Arbeit leisten.

Der letzte Punkt ist das Kartellamt. Das Kartellamt und auch die Obergerichte haben zehn Jahre lang dafür gesorgt – unter der politischen Prämisse, dass der Wettbewerb im Interesse des Gemeinwohls das beste Ergebnis erzielt –, auch Privaten Gelegenheit zu verschaffen, hier heranzukommen. Das Argument war immer, dass auch Newcomer eine Chance haben müssen. Das war die einzige Frage, die die SPD-Fraktion in der entsprechenden Anhörung hier an das Kartellamt gerichtet hat, und es war eine strikt suggestive und selbstverständlich eine rhetorische Frage. Auch hier muss das Newcomer-Argument gelten. Und wenn jetzt auch hier in diesen Instanzen, im Kartellamt und in Obergerichten – und das sage ich deutlich –, diese Sache jetzt anders bewertet wird, dann müssen auch diese Instanzen sich fragen – unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung –, ob sie berufen sind, Politik zu machen oder sich im Gemeinwohlinteresse an Recht und Gesetz zu halten. Wir, die SPD-Fraktion, sagen zu, dass wir das gründlich prüfen. Selbstverständlich sehen auch wir die politische Verantwortung bei der Vergabestelle, aber wir werden uns einer seriösen Prüfung zuwenden und uns an übrigen, polemischen Auseinandersetzungen nicht beteiligen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Schneider! – Für die Linksfraktion hat nun das Wort Herr Harald Wolf. – Bitte!

(Torsten Schneider)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, haben die letzten Tage gezeigt, dass die beiden Koalitionsparteien in Sachen Rekommunalisierung der Energienetze völlig konträre Positionen vertreten. Die SPD will die Rekommunalisierung der Energienetze, die CDU will sie nicht. Nun ist es in Koalitionen durchaus normal oder kommt dort vor, dass bestimmte Positionen nicht vereinbar sind. Normalerweise löst man das, indem man sich für eine der Positionen entscheidet oder einen Kompromiss findet, der tragfähig ist. Die große Koalition hat sich für keine dieser Möglichkeiten entschieden, sondern sie hat sich dafür entschieden, den politischen Konflikt nicht politisch auszutragen, sondern den Konflikt in das Verfahren zu verlagern. Herr Schneider! Das ist genau der Punkt, weshalb wir jetzt die von Ihnen beklagte Diskussion führen: Diese Koalition hat nicht politisch entschieden, sondern den Konflikt in das Verfahren verlagert.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Da hat die CDU die Hoffnung gehabt: Mit einem Newcomer kann man nicht erfolgreich sein, und folglich können wir bedenkenlos in dieses Verfahren gehen und können vorher alles abnicken. – Das gilt für die Vergabekriterien, die heute von Ihnen beklagt werden und die Sie rechtswidrig finden. Die Opposition hat im Hauptausschuss bei der Diskussion über die Vergabebriefe auf rechtliche Problematiken und Risiken hingewiesen, aber da hat die CDU nur dagesessen und geschwiegen wie ein Gummibaum, statt dass sie mal ein Wort gesagt und sich mit dem Thema beschäftigt hätte.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Meine Damen und Herren! Sie haben jedes Recht verwirkt, sich in dieser Frage zu rechtlichen Unwägbarkeiten oder Ähnlichem zu äußern. Ich sage: Das ist absurd. Sie hatten die Möglichkeit, Bedenken vorher im Verfahren zu äußern, und nun wird das im Nachgang artikuliert. Ich weiß auch nicht, was Ihre Ankündigung bedeutet, dass Sie nun vertieft rechtlich prüfen wollen – und was Sie alles sehen wollen. Da hat Kollege Schneider völlig recht. Ich empfehle dem Parlament an dieser Stelle auch, sich nicht zur Vergabestelle aufzuspielen. Vergabestelle ist die Senatsverwaltung für Finanzen, und die hat die Aufgabe, das Vergabeverfahren nach Recht und Gesetz durchzuführen. Ob das geschehen ist, werden die Gerichte und das Kartellamt klären. Das ist die Verantwortung der Finanzverwaltung und des Kollegen Nußbaum, und ich bin nicht bereit, als Parlamentarier diese Verantwortung zu übernehmen, und das sollte das Parlament auch nicht tun.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Garmer?

Bitte!

Lieber Herr Kollege Wolf! Sind Sie der Meinung, dass das Kartellamt nur deswegen ein Verfahren eingeleitet hat, um der CDU-Fraktion einen Gefallen zu tun?

Nein! Ich glaube nicht, dass das Kartellamt vorhat, der CDU-Fraktion einen Gefallen zu tun. Ich weiß auch nicht, ob Sie sich wirklich darüber freuen können, denn wie Sie aus der politischen Klemme herauskommen wollen, in die Sie sich manövriert haben, darauf bin ich gespannt.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich habe auch schon eine Prognose. Sie werden aus dieser ganzen Veranstaltung ganz klein herauskommen – egal, was das Kartellamt sagt. Sie werden am Ende des Tages, wenn das hier zur Abstimmung steht, zustimmen. Das prognostiziere ich Ihnen. Sie haben nach all dem, was vorher da war, wo Sie zugestimmt haben, keine Möglichkeit mehr.

Im Übrigen, Herr Garmer, ich sage es noch einmal: Das, was das Kartellamt sich anguckt, die Ausgestaltung der Change-of-Control-Klausel und ob zum Beispiel das, was im letzten Urteil des Bundesgerichtshofs zur Konzessionsvergabe formuliert worden ist, in den Vergabebriefen umgesetzt worden ist, haben wir vonseiten der Opposition im Hauptausschuss angesprochen. Da ist Ihre Fraktion abgetaucht. Sie haben geschwiegen wie Gummibäume. Sie haben nicht zu diesem Thema gesagt, sondern es nur abgenickt. Damit ist das Thema für mich, was Ihre Fraktion angeht, erledigt.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Heiko Herberg (PIRATEN)]

Unsere Position ist klar. Wir sind der Auffassung, dass die wesentlichen Infrastrukturen der Energiewirtschaft in die öffentliche Hand gehören. Wir sagen aber auch gleichzeitig: Es reicht nicht aus, nur eine solche Grundsatzposition zu formulieren, sondern dazu gehört auch eine energiepolitische Konzeption und eine Strategie. Die vermisse ich auch bei diesem Senat. Es ist auch schwierig bei zwei Parteien, wo zusammensitzt, was nicht zusammengehört. Was fehlt, ist eine klare Zielbestimmung, was Sie mit den Netzen wollen und wie Sie auf die einzelnen energiewirtschaftlichen Akteure Einfluss nehmen wollen.

Dann sage ich: Beim Thema GASAG muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass das Netz das wesentliche Asset, der werthaltigste Bestandteil der GASAG ist. Es ist die Grundlage für Investitionen der GASAG. Das Netz ist die Grundlage für die Kreditfähigkeit der GASAG, und wenn man ihr das Netz isoliert wegnimmt, bleibt ein energie- und wirtschaftspolitisch relativ uninteressanter Torso übrig, ein Gashändler, und das ist relativ unspannend. Wenn wir jetzt drei oder vier Jahre prozessieren, wer im Vergabeverfahren recht gehabt hat – und dieses Szenario droht mit der Klage der GASAG –, dann ist Folgendes klar: Die drei privaten Eigentümer werden in dieser Zeit die Rendite aus dem Netz ziehen. Sie werden nicht investieren, und das ist das Risiko für Arbeitsplätze, nicht der Übergang nach § 613a BGB und diejenigen, die im Netz beschäftigt sind oder für das Netz arbeiten, sondern was ist die Perspektive für die GASAG insgesamt. Deshalb sagen wir ganz klar: Wenn der Senat diese Entscheidung so trifft, dass das Netz zum Land geht, dann muss das Land sich auch aktiv darum bemühen, mit den anderen privaten Anteilseignern an der GASAG die Diskussion darüber zu führen, wie man auch diese herauskauft, dass das Land Berlin in die Eigentümerstellung kommt, und dann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, brauchtet ihr euch auch nicht mehr mit der CDU zu streiten, ob das Stadtwerk mit drei Windrädern auch noch zehn Kunden haben darf, sondern dann könnte man ein wirkliches Stadtwerk aufbauen. Dafür plädieren wir. Das wäre eine energiepolitische Strategie.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Wolf! – Für die CDU-Fraktion hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Melzer. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte für die CDU-Fraktion zum jetzigen Zeitpunkt drei Komplexe ansprechen. Der eine ist: Wie ist der weitere Ablauf der Beratungen hier im Parlament? Das sieht unser Koalitionspartner unter dem Begriff der Gewaltenteilung bei der Legislative. Das Zweite ist die Frage, wie die aktuelle rechtliche Situation ist. Kartellamt und Landgerichte sind angesprochen. Gewaltenteilung – Judikative. Und das Dritte ist die Frage: Wie ist die Vergabeentscheidung beim Finanzsenator zustande gekommen? – Das ist ganz offensichtlich die Exekutive.

Da stelle ich schon fest, dass diese Vergabeentscheidung, wer künftig das Gasnetz betreiben soll, in der Stadt sehr umstritten ist. Wir bleiben dabei: Es ist auf der einen Seite ein 170 Jahre altes Traditionsunternehmen, und es hat auch niemand gesagt, dass die es nicht könnten. Auf der anderen Seite gibt es ein relativ junges, kleines, feines

Landesunternehmen, das frisch aus der Taufe gehoben wurde.

[Ajibola Olalowo (GRÜNE): Was für ein Unsinn!]

Jetzt ist es so – Stichwort Exekutive –, dass der Finanzsenator laut Energiewirtschaftsgesetz auch die Vergabestelle ist. So scheint es zu sein, und deswegen sagen wir auch: Für die sachliche und rechtliche Dimension der Entscheidung trägt er die Verantwortung. Auch im Senat ist dazu in der Sache keine abschließende Entscheidung getroffen worden. Die Berichtspflicht – hier im Parlament und später in den Ausschüssen – wird sicher beim Finanzsenator liegen.