Protokoll der Sitzung vom 18.09.2014

Wie ich das sehe – Entschuldigung, wenn er hier nach neuer Geschäftsordnung Fragen beantworten kann, dann wird er wohl hier auch erklären können,

[Lars Oberg (SPD): Nein!]

bei seinem erkrankten Senator –

[Lars Oberg (SPD): Nein, sonst immer Klugscheißerei!]

Herr Oberg! Habe ich Sie richtig verstanden, haben Sie gerade etwas von „Klugscheißerei“ gesagt?

Kurze Aufklärung zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Lauer. In der Debatte darf kein Staatssekretär ein Senatsmitglied vertreten, sondern da greift die Vertretungsregelung innerhalb des Senats. Insofern nicht wundern, sondern Blick in die Geschäftsordnung.

Gut, dann nehme ich alles zurück und behaupte das Gegenteil. – Ich möchte auf ein paar Sachen eingehen, auf diese gemischten Streifen, die hier von Frau Yzer erwähnt worden sind, dass das jetzt alles mit der automatisierten Kennzeichenerkennung und mit dem Unterbindungsgewahrsam so toll sei. Das hier spricht eine ganz klare Sprache. Statt dass sich insbesondere die CDUFraktion engagiert, die immer behauptet, sie würde sich für Innenpolitik interessieren und sie wüsste ja, wo der Puls der Polizei schlage, aber nichts zu tun für Innenpolitik hält, waren das einzige, das Sie hier präsentiert haben, weitere Einschnitte in Grundrechte, weitere Rationalisierungsmaßnahmen. Das hat ja auch Herr Juhnke vorhin gesagt. Sie sagen, die automatisierte Erkennung von Fahrzeugen sei einfach effizienter, als wenn wir da Leute hinstellen müssten. Ja, genau, weil die Berliner Polizei auch gar keine Leute mehr hat, um sie dort hinzustellen. Haben Sie, Herr Juhnke, sich einmal mit der Basis der Berliner Polizei unterhalten? Haben Sie sich mit den Leuten unterhalten, die heute z. B. extra diesen Blitzermarathon machen müssen?

[Andreas Gram (CDU): Bundesweit!]

Das wäre jetzt alles unparlamentarisch, aber sie sind nicht besonders begeistert, dass sie zusätzlich zu ihrer bisherigen Arbeit und der Personaldecke, die sie im Moment haben, die auch dazu führt, dass man Funkstreifen nicht besetzen kann usw. usf., einen Blitzermarathon veranstalten müssen. Jetzt sagen Sie: Okay! Super! Ein weiteres technisches Spielzeug. – Es ist ein Grundrechtseingriff.

Sie opfern quasi, weil Sie nicht genug operative Kräfte haben, weiteres Recht auf informationelle Selbstbestimmung eben dafür, dass jemand automatisiert etwas machen soll. Das Bundesland Brandenburg benutzt dieses Gerät bereits und hat es 2007 sage und schreibe dreimal eingesetzt und 2008 auch dreimal. Das sind 240 000 Euro, die dieses Gerät kostet. Niemand hat in der Debatte einen Nutzen beschrieben, der diesen Grundrechtseingriff ausgleichen würde, außer dass Sie sagen: Ja, es ist effizienter. Ja, wir haben uns in den letzten Haushaltsberatungen nicht darum gekümmert, mehr Polizistinnen und Polizisten einzustellen. – Sie loben sich die ganze Zeit noch selbst für die 250 Polizisten. Wir lachen dann immer und sagen, das sind 200 von Rot-Rot und 50 haben Sie aufgrund des Koalitionsvertrages. Die Polizei lacht sich darüber kaputt, weil sie sagt, das gleiche nicht ihre Abgänge aus, die sie betriebsbedingt hat. Das gleicht nicht die Zahlen der Langzeiterkrankten aus oder derjenigen, die nicht mehr verwendbar sind. Sie sagen jetzt der Polizei: Super, ihr könnt eine automatisierte Kennzeichenerkennung machen. – Die Polizei hat heute über die Lasermessungen getwittert und schrieb: Wir haben ein Motorrad mit 70 km/h zu schnell erwischt und haben es jetzt zur Fahndung ausgeschrieben, weil wir überhaupt nicht in der Lage sind, hinterher zu fahren und es zu fassen.

Herr Zimmermann hat sich vorhin darüber gefreut, dass dieser Unterbindungsgewahrsam an strenge rechtliche Kriterien geknüpft wird. Was sind denn darin für Paragrafen, die die Polizei dazu berechtigen zu beantragen, dass jemand – –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zimmermann?

Ich habe es so verstanden, dass Herr Zimmermann eine Kurzintervention machen will.

Nein, er wollte fragen!

Vielen Dank! – Herr Kollege Lauer! Können Sie mir sagen, wo bei dem Kfz-Scanning, das vorher bei der technischen Observationsnorm angesiedelt und möglich war, unter der neuen Rechtsgrundlage, die die Löschungsvorschrift enthält, ein zusätzlicher Grundrechtseingriff liegt? Können Sie mir das sagen?

(Christopher Lauer)

Der zusätzliche Grundrechtseingriff liegt darin, dass Sie in der Begründung dieses Gesetzesantrags sagen: Jetzt haben wir hier noch mehr Möglichkeiten, dieses Zeug einzusetzen. – Das ist doch ganz einfach. Das ist auch Ihre Absicht. Bei Ihrer Personalpolitik ist es auch ganz klar, dass diese ganze Überwachungstechnik in Zukunft mehr eingesetzt werden soll, weil das der Trend ist. München fängt jetzt an mit Precrime. Berlin denkt darüber nach, ob man es benutzt, also dass man alle Bewegungsdaten und alles Mögliche auswertet, um Leute zu kriegen, die möglicherweise beabsichtigen, eine Straftat zu begehen, ohne dass sie sie begehen. Das ist der Trend, weil Sie sich mit den Problemen, die die Polizei insbesondere bei der Besetzung an der Basis hat, nicht auseinandersetzen, weil Sie sich für Ihre Rationalisierungsmaßnahmen so loben, weil Sie so tun, als sei das irgendwie ein großer Wurf.

Eine Sache noch, weil Herr Zimmermann danach gefragt hat: Beim Unterbindungsgewahrsam ist u.a. auch § 27 VersG enthalten, das Mitführen von Waffen. Eine Waffe kann auch eine Flasche sein. Das heißt: Vor der Walpurgisnacht ist irgendein Polizist der Meinung: Oh, das ist eine Waffe. Oh, du gefällst mir nicht. Oh, du musst jetzt einmal in den Unterbindungsgewahrsam. – Bums, da haben Sie Ihre schöne Rechtsgrundlage, bums, da wird jemand vier Tage lang, ohne dass er etwas getan hat, ohne dass es irgendeinen Beweis dafür gibt, dass diese Person in irgendeiner Weise straffällig werden wird, eingesperrt, und Sie sagen als Begründung, weshalb das nicht so schlimm ist: In anderen Ländern ist es noch schlimmer. – Klar, da können wir auch sagen: Ja, in Nordkorea gibt es auch Arbeitslager, ist auch alles ganz schlimm. Ist ja super, dass es hier nicht so ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist keine Innenpolitik, das ist Sicherheitsesoterik.

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Da ist es! Da ist es! Ich habe darauf gewartet!]

Die Polizei leidet darunter und die Stadt leidet darunter. – Vielen lieben Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Eine Kurzintervention? – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich kann Ihnen eine kurze Kurzintervention leider nicht ersparen, weil hier vor allen Dingen von Herrn Lauer gesagt worden ist, dass wir zahlreiche zusätzliche Grundrechtseingriffe ins Gesetz schreiben. Ich möchte gern kurz darstellen, was wir hier machen.

Wir haben die anlassbezogene, automatische Kennzeichenfahndung, das Scanning, das vorher durch die technische Observationsnorm geregelt war, jetzt mit einer speziellen Norm plus Löschungsvorschrift mit den gleichen inhaltlichen Anforderungen, dass der Verdacht bestehen muss, dass eine erhebliche Straftat unmittelbar vorvorsteht. Das ist der gleiche Eingriffsbereich, die gleiche Eingriffstiefe, wie sie vorher auch bestand, also kein zusätzlicher Grundrechtseingriff.

Wir haben zweitens den Einsatz der Polizei im Ausland, der landesgesetzlich geregelt wird. Für die Berlinerin, aber auch für die Litauerin, die betroffen sind, ist das kein zusätzlicher Eingriff, weil das nach den Regeln des dortigen Landes geschieht.

Wir haben drittens den Einsatz von möglicherweise ausländischen Polizisten in Berlin. Wenn die hier sind, halten sie sich an die hier bestehenden Rechtsgrundlagen und an nichts anderes – kein zusätzlicher Grundrechtseingriff.

Wir haben Gerichtskostenregeln, freiwillige Gerichtsbarkeit, Einrichtung einer Rechtsextremismusdatei usw., das sind alles selbstverständlich keine grundrechtsrelevanten Bereiche. Dann haben wir weiterhin die Einziehungsvorschriften, wir haben Rechtsanpassungen an Bundesrecht usw., alles keine Grundrechtseingriffe, jedenfalls keine zusätzlichen.

Es gibt einen einzigen Punkt, an dem der Grundrechtseingriff von maximal zwei auf maximal vier Tage erweitert wird, das ist in der Tat grundrechtsrelevant. Das halten wir nach Abwägung aber für vertretbar. Das ist der Punkt, an dem wir von einer zusätzlichen Grundrechtsrelevanz sprechen können. Alle anderen Punkte bewegen sich auf dem Niveau, auf dem wir bisher schon mit dem bisherigen Polizeirecht waren. – Herzlichen Dank!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]

Danke schön! – Dann hat Herr Lauer noch einmal die Möglichkeit, darauf einzugehen. – Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Zimmermann! Nur weil Sie jetzt noch einmal stakkatoartig Punkte Ihres Gesetzes wiederholen, macht es das Gesetz nicht besser. Sie wollen diese Maßnahme, die automatisierte Kennzeichenerkennung, so steht es in der Begründung des Senats, zum Standardrepertoire der Berliner Polizei machen. Es steht dort auch: zum Beispiel bei Sportveranstaltungen, zum Beispiel bei Großlagen, Demonstrationen. Es ist doch ganz klar, worum es geht: Sie haben aufgrund Ihrer Personalpolitik nicht mehr genug Leute, die diese Aufgaben wahrnehmen können. Jetzt

ziehen Sie halt den letzten Strohhalm, den Sie haben, nämlich mehr Überwachungstechnik. Natürlich ist es ein Grundrechtseingriff, wenn Sie diese Geräte mehr einsetzen wollen.

Was ich Ihnen an dieser Stelle vorwerfe, ist: So etwas kommt von so was. Sie sparen an der falschen Stelle. Sie sehen es nicht ein, warum man die Berliner Polizei hier mit mehr Kräften unterstützen muss, weil Sie in der Vergangenheit die Debatten darüber gescheut haben, weil Sie eben nicht bereit waren zu sagen: Dann müssen wir eben an der einen oder anderen Stelle sparen. – Es ist klar, dass Fachpolitiker ihrer Partei, aber auch Fachpolitiker aus der anderen Partei, aber auch Fachpolitiker der Linken immer irgendwo anders Prioritäten setzen wollen. Ich empfehle Ihnen aber: Gehe Sie einmal an die Basis, gehen Sie in die Abschnitte, machen Sie es wie ich, hospitieren Sie einfach zehn Tage lang bei der Berliner Polizei. Die Leute werden Ihnen immer dasselbe erzählen. Allein der Abschnitt 32, der auch für das Berliner Abgeordnetenhaus verantwortlich ist, hat 17 000 Stunden extra im Jahr aufgrund von Versammlungslagen. Er fackelt ein Drittel aller Versammlungen hier in Berlin aus. Dieser Fakt fließt in keine Statistik ein, was die Ausrüstung mit Personal, was die Ausrüstung mit Material angeht. Diese Leute pfeifen aus dem letzten Loch. Die bekommen montags gesagt, dass sie kein Wochenende haben, dass sie eine Alarmhundertschaft stellen müssen, dass sie keine Freizeit haben, dass sie nicht beim Grillfest sind, dass sie nicht bei der Theatervorführung ihrer Kinder sind. Diese Leute pfeifen aus dem letzten Loch. Was Sie ihnen hinwerfen, ist: ein bisschen Rationalisierung, damit Sie mit den Ressourcen, die sie ohnehin nicht haben, besser klarkommen.

Das hat zur Konsequenz, dass in einer Zeit, in der wir alle darüber reden, dass Geheimdienste uns von vorn bis hinten überwachen, dass Sie in einer solcher Zeit einem solchen Verhalten Vorschub leisten, weil es immer einfacher sein wird, die Menschen technisch zu überwachen, weil es immer Leute geben wird, die behaupten, dass man damit effizienter Kriminalität bekämpfen kann. Das Einzige, was Sie machen, ist, diese Straße zu gehen, diesen Abwärtspfad zu gehen, weil Sie nicht bereit sind, in diese Polizei zu investieren, weil Sie nicht bereit sind, in deren Strukturen zu investieren, weil Sie nicht bereit sind, Gesetzesänderungen zu machen, die denen möglicherweise Arbeit abnimmt. Dann sagen Sie mir hier: Es sind keine Grundrechtseingriffe. Übersichtsaufnahmen sind keine Grundrechtseingriffe, 48 Stunden Videoaufzeichnungen sind keine Grundrechtseingriffe, automatisierte Kennzeichenkennung ist kein Grundrechtseingriff, das sind alles keine Grundrechtseingriffe. Es werde grundrechtsschonend eingesetzt. Wir wachen in einer schönen neuen Welt auf, Herr Zimmermann, weil wir als Innenpolitiker nicht bereit sind, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, die man in einer Demokratie, wenn man eine demokratische Polizei haben möchte, treffen müsste. Und das ist

das, worüber wir hier reden, weil Sie sich von Politikmachen verabschiedet haben und von den Gewerkschaften die Gesetzentwürfe schreiben lassen. – Vielen lieben Dank!

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung der Gesetzesvorlage federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und mitberatend an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien, an den Ausschuss für Digitale Verwaltung, Datenschutz und Informationsfreiheit und an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Der Tagesordnungspunkt 6 steht als vertagt auf der Konsensliste.

Ich komme zu

lfd. Nr. 7:

Erstes Gesetz zur Änderung des Landeskrankenhausgesetzes

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 17/1802

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Es wird die Überweisung der Gesetzesvorlage an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales und an den Hauptausschuss empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Ich komme zu

lfd. Nr. 8:

Zweites Gesetz zur Änderung des Berliner Juristenausbildungsgesetzes

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 17/1808

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Es wird die Überweisung der Gesetzesvorlage federführend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung und mitberatend an den Ausschuss für Wissenschaft empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Tagesordnungspunkt 9 steht als vertagt auf der Konsensliste.