Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Dr. Czyborra! Ich bin mehr oder minder entsetzt, wie Sie hier mit wirklich wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen umgehen.
So kommen wir hier nicht weiter. Wenn Ihnen das Anliegen, das Ihnen ja angeblich so wichtig ist, wirklich so wichtig wäre, dann hätten Sie sich wenigstens die Mühe gemacht, zu sagen: In der Form möchte ich oder meine Fraktion diesen Antrag nicht annehmen, aber ich erkenne natürlich den wichtigen Kern und habe deshalb auch einen Vorschlag, vielleicht können wir uns auf diesen Antrag einigen.
Wir haben das zum Beispiel mit Frau Sommer auch genauso diskutiert. Wir haben gesagt, uns gefällt der letzte Abschnitt nicht, der ist uns ein bisschen zu verbalradikal ohne wirklichen Inhalt. Dann hat sie gesagt: Gut, dann nehmen wir den halt raus. So einfach ist das. Das war ein Telefonat, das hat keine Minute gedauert und dann war die Sache erledigt.
[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE) und Martin Delius (PIRATEN)]
Das hätten Sie genauso machen können, wenn Ihnen das Anliegen doch so wichtig ist. Was hier passiert, ist wirklich eine ärgerliche Sache. Der Kollege Kowalewski hat das auch schon ausgeführt. Ganz groß dabei war im letzten Jahr die AfD. Die hat sich jetzt mittlerweile ein bisschen zurückgezogen, aber das sind natürlich ganz üble Finger, mit denen wollen wir alle nichts zu tun haben. Das ist doch wohl klar.
Dass dies eine Partei ist, die rechts von der CDU steht und hier – Gott sei Dank – nicht vertreten ist, darüber sind wir ja auch ganz froh. Aber wie gesagt, Sie haben sich da offensichtlich – wir werden ja gleich noch die Rede von der CDU hören – wieder einmal an Ihren Koalitionspartner gekettet, der gesagt hat: Nö, nö, nö! Das geht überhaupt nicht. Wer hatte da die Grußworte 2010 bis 2013 gehalten? Oh, Wolfgang Bosbach. Oh,
Karl-Theodor von und zu Von-allen-guten-Geisternverlassen. Oh, Volker Kauder, Philipp Mißfelder, Peter Müller, Bundesminister Ronald Pofalla und Frau Schavan, unsere Frau im Vatikan.
[Heiterkeit bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Martin Delius (PIRATEN): Die Crème de la Crème!]
Nein, dann sind wir natürlich auch dafür. Und wer unterstützt das alles? Oh, die Junge Union Deutschland. Ja, dann muss das ja eine tolle, tolle Veranstaltung sein, dieser Marsch für das Leben. Und sie sind ja auch für das Leben. Das ist ja immer was Positives, für das Leben zu sein. Also, die Katholische Kirche ist teilweise dabei und natürlich die ganzen evangelikalen Spinner. Hej, das ist praktisch eine CDU-Veranstaltung. Also sind wir dafür.
Deshalb sind Sie nämlich – und da kommen wir der Wahrheit doch ein bisschen näher – gezwungen, da mitzugehen, weil Sie nun mal eben in dieser Koalition sind. Erzählen Sie mir nichts über Koalitionen, ich weiß, wie schmerzvoll das sein kann! Wir hatten auch einmal eine Koalition mit der SPD – im Bund. Das war nicht nur ein Zuckerschlecken, das kann ich Ihnen sagen.
Aber sich dann hier hinzustellen, liebe Frau Dr. Czyborra, und zu sagen: Mir ist das ganz wichtig, aber lassen Sie uns das doch bitte in die Ausschüsse überweisen, und die Dringlichkeit ist doch nur ein Trick von Ihnen – so billig kommen Sie uns hier nicht weg. Da muss ein bisschen Butter bei die Fische.
Dann hätten Sie uns doch vorschlagen sollen, wo Sie zustimmen können. Wo ist denn der Minimalkonsens zwischen uns allen, wo vielleicht sogar noch die CDU mitgehen kann? Da frage ich nicht nur Sie, Frau Dr. Czyborra, sondern da muss ich auch alle anderen, die zum Beispiel im Ausschuss für Arbeit, Integration und Frauen sind, fragen: Was ist denn daran nicht zu unterstützen, wenn da steht, in dieser Stadt ist kein Platz für frauenverachtende und homophobe Forderungen vermeintlicher Lebensschützer. Was hat denn eine Ülker Radziwill gegen diesen Satz? – Gar nichts, ich habe sie nämlich einmal gefragt.
Oder was haben Sie gegen Sätze wie: Die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen ist bundesgesetzlich geregelt. Mitarbeiterinnen von Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen oder Ärztinnen und Ärzte dürfen nicht verunglimpft, bedroht und tyrannisiert werden. Was soll Franziska Becker dagegen haben? – Ja, gar nichts! Natürlich nicht. Das sind alles Sätze, die aus dem Manifest, das Sie unterschrieben haben, herausgenommen wurden und zu einem Antrag zusammengeführt wurden. Und den können Sie jetzt nicht unterschreiben. Das ist
Und wenn ich mir dann angucke, wie dafür geworben wird, dann wird mir wirklich schlecht. Was steht hier? Schönes Bild, kann man jetzt nicht erkennen, aber das ist nicht schön, deshalb hat man es so klein gelassen: „Ich treibe mein Kind ab, weil es schon jetzt aussieht wie der beste Freund von meinem Mann.“
So etwas wird auf riesengroßen Schildern durch die Gegend getragen. Das ist der Marsch für das Leben.
Dann steht da noch ein Schokoriegel mit der Aufschrift: Kinderabteilung vom Süßwarenhersteller verboten. Gott sei Dank hat sich der Süßwarenhersteller dagegen gewendet.
Ich bin jedenfalls extrem enttäuscht, dass wir hier nicht in einem Minimalkonsens auf irgendeinen grünen Zweig gekommen sind und uns hier nicht im parlamentarischen Rahmen gegen diese Volltrottel stellen können.
Ich komme jetzt zum Schluss und ende mit meinem Slogan für das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, das ich, genau wie Sie, unterstützt habe.
Das kostet Sie doch nichts, wenn ich frage, das haben wir doch jetzt gelernt. – Wenn Sie schon dabei sind – ich finde alles völlig richtig, was Sie sagen –, meinen Sie nicht, dass es jetzt angebracht wäre, die Koalition aufzufordern, wenn sie schon diesen Antrag aus unerfindlichen Gründen nicht unterstützt, wenigstens bei der Gegendemonstration dabei zu sein?
Ich wollte jetzt kurz mit meinem Statement schließen: Ich unterstütze das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, weil ich es schlicht zum Kotzen finde, wie sich ein paar selbstgerechte Quartalsirre in das Leben und die körperliche Integrität von Frauen und Mädchen in diesem Land einmischen wollen.
Auch als begeisterte und engagierte Homosexuelle empfinde ich die unverhohlenen homophoben Aussagen der Veranstalterinnen und Veranstalter schlicht als Unverschämtheit. Für sie gelten weder Grundgesetz noch Respekt und Anstand.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hätten Sie es bei der Überschrift Ihres Antrags bewenden lassen, hätte meine Fraktion ohne Probleme zustimmen können.
Die Europäische Menschenrechtskonvention schützt das Recht auf Privatleben und damit, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch die sexuelle Selbstbestimmung.
Nun geht es Ihnen aber nicht nur darum, sondern in erster Linie um einen Protest gegen den Marsch für das Leben, der am 20. September zum fünften Mal stattfinden soll. Ich gebe zu, dass ich persönlich ein vollständiges Verbot und die Bestrafung aller Schwangerschaftsabbrüche in ganz Europa, wie es die Initiatoren wollen, nicht unbedingt für eine realistische Forderung halte.
Aber genauso schwierig, wie ich diese Einstellung empfinde, so problematisch sehe ich auch die Forderung des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung, nach einem uneingeschränkten Zugang zum legalen Schwangerschaftsabbruch und der Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch.
Die gegenwärtige gesetzliche Regelung hat sich über Jahre bewährt, sodass meine Fraktion hier keinen Handlungsbedarf sieht. Nach geltendem Recht sind Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Voraussetzungen straflos, nämlich, wenn eine Beratung nach § 218a Strafgesetzbuch stattgefunden hat, oder bei entsprechender medizinischer oder kriminologischer Indikation.
Der eingangs erwähnte Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellt im Übrigen auch fest, dass es kein Menschenrecht auf Schwangerschaftsabbruch gibt. Allerdings dürfe ein rechtmäßiger Schwangerschaftsabbruch nicht verweigert werden. Dies wäre ein Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention. Genau daran hält sich die deutsche Gesetzgebung.
Im vergangenen Jahr kam es am Rande des Marsches für das Leben zu nicht nur verbalen Auseinandersetzungen, sondern auch zu Handgreiflichkeiten. Das zeigt, wie eingeschworen und verhärtet die Fronten bei diesem sensiblen Thema sind. Beide Standpunkte sind durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Entsprechend sollten beide Seiten versuchen, die jeweils andere Meinung zumindest zu tolerieren. Meine Fraktion empfiehlt die Überweisung in den Ausschuss für Arbeit, Integration, berufliche Bildung und Frauen. – Danke!