Protokoll der Sitzung vom 27.11.2014

Sie reden in Ihren Anträgen über das Schicksal der Oranienplatzflüchtlinge. – Daraufhin hat der Senat unter der Verantwortung von Frau Kolat versucht, die Situation zu deeskalieren. Das ist gelungen. Und jetzt haben wir dieses Einigungspapier, und jetzt wird vorgeworfen, der Senat würde es nicht umsetzen.

[Fabio Reinhardt (PIRATEN): Das sagen die Gerichte!]

Nein, die Gerichte sagen das nicht. Meine Wahrnehmung ist eine ganz andere. Wir haben in der Integrationsausschusssitzung am 6. November gelernt, dass von denjenigen, die von der Ausländerbehörde eingeladen worden sind, um ihre Verfahren rechtsstaatmäßig durchzurühren, 222 per 6. November 2014 dieser Einladung nicht gefolgt sind. Warum sind sie dieser Einladung nicht gefolgt?

[Fabio Reinhardt (PIRATEN): Weil sie beschissen werden!]

Nein, sie werden nicht schlecht behandelt, sondern ich weiß aus meinen Quellen, dass es einige Unterstützergruppen gibt, die ihnen nahegelegt haben, die Beratungsangebote der Ausländerbehörde nicht wahrzunehmen. Das heißt also, diejenigen, die die Lage vorher eskaliert haben, sabotieren jetzt die Umsetzung des Einigungs

(Canan Bayram)

papiers vom Oranienplatz. Und dieser perfiden Strategie erteile ich eine Abweisung.

[Beifall bei der CDU]

Die Lehre, die wir daraus ziehen müssen, ist: Wir können nicht unsere Verwaltung damit lahmlegen, uns um das Schicksal von Einzelnen zu kümmern, sondern wir müssen die Verfahren gesetzmäßig und systematisch und gerecht durchführen. Nur dann werden wir auch den Menschen insgesamt gerecht und nicht nur einer Einzelgruppe, die besonderes laut schreit. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Frau Kollegin Bayram hatte um das Wort gebeten für eine Kurzintervention. Das erteile ich ihr jetzt – bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Das ist mal wieder so absurd, was hier behauptet wurde, dass ich das so nicht stehenlassen kann. 222 Menschen, die in dieser Vereinbarung das Recht auf eine Einzelfallprüfung zugesagt bekommen haben, wurden eben nicht rechtsstaatlich behandelt. Das wurde ganz klar deutlich in dieser Ausschusssitzung, dass sie zwei Termine bekommen haben, und wenn sie da nicht erscheinen konnten, egal ob entschuldigt oder nicht, wurden sie aus den Heimen rausgeschmissen ohne jeden Bescheid, ohne jeden Rechtsschutz. Herr Kollege, wenn Sie das als rechtsstaatlich bezeichnen, dann frage ich Sie, wo Sie studiert haben.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Und wenn Sie sich hier hinstellen und meinen, Sie hätten mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – –

[Oliver Friederici (CDU): Was hat denn das Studium damit zu tun?]

Schweigen Sie doch, wenn Sie es nicht verstehen! Ich habe hier meine Rede, die halte ich. Und wenn Sie eine Frage stellen wollen, dann melden Sie sich! – Von daher: Wenn Sie sich hier hinstellen und so tun, als ob der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg etwas falsch gemacht hätte, dann muss ich Sie korrigieren.

[Lachen bei der SPD und der CDU]

Genau das Gegenteil ist richtig. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg war der einzige Berliner Bezirk, der sich mit den Flüchtlingsprotesten solidarisiert hat. Dass es der CDU nicht in den Kram passt, das kann ich mir vorstellen,

[Torsten Schneider (SPD): Peinlich, was Sie erzählen!]

aber dass Sie, Herr Schneider von der SPD, hier rumkrakeelen, da müssen Sie noch mal in sich gehen!

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Und eines will ich abschließend auch noch mal sagen: Hier einen Flüchtlingskommissar zu zitieren, von dem Sie noch nicht mal wissen, ob der sich die Berliner Verhältnisse angeschaut hat, ist billige Masche, Herr Kollege Dregger. Sie haben zur Kenntnis zu nehmen, dass die traumatisierten Menschen, die nach Berlin kommen, keine Behandlung bekommen. Das sagt der Flüchtlingsrat, das sagen alle Kirchen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU! Was dann aus Menschen wird, die mal fliehen mussten und schwer traumatisiert sind und dann, auch als ältere Menschen, sehr verbittert sein können – ich brauche den Namen nicht zu sagen, aber das sollte die CDU dann wissen, denn es ist ja der Kreuzberger Abgeordnete, der sonst immer hier vorne Sachen von sich gibt über Menschen, die geflüchtet sind. Das heißt, auch im Interesse der CDU sollte es sein, eine wirklich gute medizinische Versorgung der Flüchtlinge zu gewährleisten. Und davon sind wir noch meilenweit entfernt.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Danke schön! – Der Kollege Dregger möchte antworten. – Sie haben das Wort, Herr Kollege Dregger!

Verehrte Kollegin Bayram! In einem haben Sie mich zu Recht korrigiert, wenn Sie sagen, dass es nicht richtig ist, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg einiges falsch gemacht hat. Er hat nämlich alles falsch gemacht bei diesem Problem.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Und er hat das getan, weil er ein flüchtlingspolitisches Ziel verfolgt hat. Er wollte die Welt verändern und hat deswegen die Lebensverhältnisse auf dem Oranienplatz so miserabel gestaltet, damit das Schicksal dieser Betroffenen möglichst drastisch sichtbar ist. Und das ist eine Instrumentalisierung von armen Menschen, die traumatisiert sind und in unsere Stadt gekommen sind und die diese Behandlung weiß Gott nicht verdient haben.

[Beifall bei der CDU und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Mir ist auch völlig unbegreiflich, wie Sie António Guterres jegliche Qualifikation und Kenntnis absprechen können bezüglich der Verhältnisse in Berlin. Ich lade Sie gerne ein, dass wir uns um einen gemeinsamen Termin mit ihm bemühen, damit Sie sich vom Gegenteil überzeugen.

[Fabio Reinhardt (PIRATEN): Ich komme auch mit!]

Sehr gern, lieber Herr Reinhardt, auch Sie haben da Aufklärungsbedarf. – Dann haben Sie gesagt, es gebe keine rechtsstaatlichen Verfahren in dieser Stadt.

[Canan Bayram (GRÜNE): Ist ja auch so!]

Die Einzelfallprüfung ist das Wesen eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Und die Einzelfallprüfung findet immer statt, nicht nur bei Oranienplatzflüchtlingen und -betroffenen, sondern bei allen.

[Canan Bayram (GRÜNE): Die wird ja nicht vorgenommen!]

Deswegen würde ich Ihnen empfehlen, liebe Frau Kollegin Bayram, dass Sie zur Sachlichkeit zurückkehren,

[Canan Bayram (GRÜNE): Wo sind denn die Bescheide?]

unser Land und unsere Stadt nicht schlechtreden, sondern die wirklichen Probleme konstruktiv begleiten, z. B. bei der Unterbringung. Vielleicht können Sie ja mal jemanden zu Hause aufnehmen. Und dann können wir gemeinsam auch die Probleme dieser Stadt lösen. – Herzlichen Dank!

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Wenn der Staat in seinen Aufgaben versagt hat! – Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Danke schön! – Jetzt hat für die Linksfraktion der Kollege Taş das Wort. – Bitte sehr, Herr Kollege!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dregger! Das Problem sind nicht die Flüchtlinge. Das Problem sind Residenzpflicht, fehlende Sprachkurse, Asylbewerberleistungsgesetz und die ganzen Sondergesetze aus dem Jahr 1993, die Sie geschaffen haben.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Geringerer als Papst Franziskus hat am Dienstag dieser Woche in Straßburg die Flüchtlingsverhinderungspolitik der EU scharf gegeißelt. Ich brauche zwar vor diesem Hohen Haus keinen göttlichen Beistand, möchte aber mit Erlaubnis, Herr Präsident, einen Satz dieser Rede zitieren:

Es ist nicht hinnehmbar, dass das Mittelmeer zum Massenfriedhof wird.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Das EU-Parlament hat mit großer Mehrheit der Rede des Papstes Beifall gezollt. Aber es gab keine Anzeichen, an der Abschottung Europas gegenüber Schutz und Hilfe suchenden Menschen etwas zu ändern. Und was machen in unserem Land die schwarz-roten Koalitionen? – Auf Bundesebene verschärfen sie die noch übrig gebliebenen Teile des Grundrechts auf Asyl, um angebliche Schein- und Sozialhilfeflüchtlinge zu bekämpfen, mit Unterstützung übrigens eines grünen Ministerpräsidenten, wohl

gemerkt. In Sachsen verkündet Innenminister Markus Ulbig von der CDU die Schaffung spezieller Polizeieinheiten, die für straffällige Asylbewerber zuständig sein sollen. Die große Koalition in Dresden macht rechte Forderungen damit salonfähig. Und dann tun Sie, meine Damen und Herren von der CDU und der SPD, überrascht, wenn die sogenannte AfD Zulauf erhält und in Berlin Bürgerinnen und Bürger von Neonazis gegen die Flüchtlinge aufgehetzt werden.

In den letzten Wochen protestieren viele, sehr viele Rechtsextremisten gegen die Unterbringung von Menschen in unterschiedlichen Bezirken. Eine gemeinsame Erklärung der Landesvorsitzenden von allen Parteien dazu war wichtig. Genauso wichtig ist es, Kolleginnen und Kollegen, dass wir heute gemeinsam ein Zeichen gesetzt haben. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen allen bedanken.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Diese gemeinsame Resolution ist aber auch notwendig. Wir müssen gemeinsam gegen die Rechten deutlich machen, dass wir die Hetze gegen Menschen, die unsere Unterstützung brauchen, nicht hinnehmen werden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wie am 22. November in Marzahn müssen wir uns auch in den nächsten Wochen und Monaten in Buch, in Marzahn, in Treptow-Köpenick, aber auch in anderen Bezirken gemeinsam gegen die Nazis stellen und uns an den Gegenprotesten beteiligen. In unserer Entschließung steht auch noch mehr Gutes. Die Verantwortung Berlins gegenüber schutzsuchenden Menschen zum Beispiel. Von Solidarität, Akzeptanz und gegenseitigem Respekt ist die Rede. Das ist erfreulich. Weil aber die Koalition eine Debatte dazu verhindert hat, will ich an dieser Stelle sagen, wenn wir diese Entschließung ernst nehmen, dann muss sich in der Flüchtlingspolitik des Senats einiges ändern.