Protokoll der Sitzung vom 25.06.2015

Das hat der Bundesjustizminister Heiko Maas im Januar 2015 gesagt, und recht hat er, der Bundesjustizminister!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Der jetzt im Bundestag verhandelte Entwurf eines Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen das Grundgesetz und die Grundrechtecharta der EU. Er ist

(Präsident Ralf Wieland)

weder geeignet noch erforderlich noch angemessen, bezogen auf das Ziel, schwere Straftaten aufzuklären.

Im Jahr 2011 hat das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht eine Studie vorgelegt. Daraus ergibt sich, dass die damals zeitweise bestehende Vorratsdatenspeicherung keinerlei Einfluss auf die Aufklärungsquoten hatte. Und das scheint ja auch logisch, denn gucken wir nach Frankreich, dort gibt es die Vorratsdatenspeicherung schon länger, und konnte irgendeiner der furchtbaren Anschläge, die dort stattgefunden haben, verhindert werden? – Nein, das ist nicht geschehen.

Jedes Telefongespräch, jede SMS, jeder Internetbesuch, jede IP-Adresse sollen zehn Wochen lang anlasslos gespeichert werden, die Standortdaten für vier Wochen. Was heißt Vorratsdatenspeicherung in einem demokratischen Rechtsstaat? Lassen wir noch einmal den Bundesjustizminister antworten. Der sagt:

Das heißt, wir würden genau das machen, was die Terroristen eigentlich wollen, nämlich unsere Freiheit und unseren Rechtsstaat einschränken.

Recht hat er auch hier, der Bundesjustizminister.

Die angeblichen Vorteile einer anlasslosen generellen Speicherung von Verbindungsdaten vermögen eine Totalüberwachung nicht zu rechtfertigen. Eine Vorratsdatenspeicherung erhöht die Aufklärungsquote nicht. Zur Kriminalitätsbekämpfung sind auch ohne eine Totalprotokollierung jeder Benutzung von Telefon, Handy, E-Mail und Internet genügend Verbindungsdaten verfügbar.

Das wiederum habe ich einem Beschluss des SPDLandesparteitags vom 27. Oktober 2012 entnommen, und auch das trifft uneingeschränkt zu. Wären ein paar Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mehr anwesend als da gerade sitzen, dann könnten Sie dazu jetzt einmal klatschen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Beifall von Silke Gebel (GRÜNE)]

Es ist Ihr Beschluss, nicht meiner!

Willy Brandt hat nicht nur gesagt: Mehr Demokratie wagen – und nicht: Mehr Überwachung wagen! –, sondern Willy Brandt hat auch gesagt:

Deutsche Sozialdemokraten dürfen Kränkungen der Freiheit nie und nimmer hinnehmen. Im Zweifel für die Freiheit!

Es ist im Interesse Berlins, dass sich der Senat im Bundesrat gegen die vorgesehene Neureglung der Vorratsdatenspeicherung wendet. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Als Nächster hat der Kollege Kohlmeier das Wort. – Bitte!

[Benedikt Lux (GRÜNE): Jetzt brauchten wir eigentlich Stroedter!]

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Der Antrag der Linksfraktion freut mich, weil er die Position des SPD-Landesverbandes wiedergibt, weil er die Position vieler SPD-Netzpolitiker wiedergibt und weil er auch meine eigene Auffassung wiedergibt.

[Uwe Doering (LINKE): Dann könnt ihr ja zustimmen! – Udo Wolf (LINKE): Wir helfen gern!]

Der SPD-Landesverband hat sich eindeutig gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Hunderte SPD-Gliederungen haben sich gegen die Vorratsdatenspeicherung oder die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Wir in der SPD, die die Vorratsdatenspeicherung ablehnen, sind der Auffassung, dass die anlasslose und flächendeckende Speicherung ein undifferenziertes und rechtlich unverhältnismäßiges Überwachungsinstrument ist,

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

das die Grundrechte in unzumutbarer Art einschränkt und alle Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union unter Generalverdacht stellt.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Aber?]

Der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lars Klingbeil, hat in der „Süddeutschen Zeitung“ im Zusammenhang mit den Diskussionen, die wir in den letzten Wochen in der SPD erlebt haben, gesagt:

Wir haben in der Partei eine sehr kontroverse Diskussion.

Wie diese kontroversen Diskussion bei uns in der Partei ausgegangen ist, das haben Sie erlebt: mit dem Ergebnis des SPD-Parteikonvents. Da muss ich bitter feststellen: Eine knappe Mehrheit meiner Partei hat sich für das Vorhaben von Gabriel, Maas und de Maizière ausgesprochen, die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Die Vorratsdatenspeicherung bleibt nach meiner Auffassung falsch. Sie ist falsch, und deswegen ist der Kompromiss, der auf Bundesebene beschlossen wurde, nach meiner Auffassung ebenso falsch.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Kollege Lederer hat zutreffend festgestellt – was auch überall zu lesen ist –, dass die Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden, Telefonnummern, Anrufe,

(Dr. Klaus Lederer)

Handystandort, IP-Adressen und die Zuordnung von IPAdressen zu speichern. Standortdaten werden vier Wochen aufgehoben, alle anderen Daten zehn Wochen. Es gibt einen Richtervorbehalt, Ermittlungsbehörden können auf die Daten zugreifen, und Ausnahmen soll es für Berufsgeheimnisträger wie Journalisten und Anwälte geben. Mich überzeugt diese gesetzliche Regelung in keiner Weise. Der Europäische Gerichtshof hat hier eine klare Entscheidung getroffen, und auch darauf hat Kollege Lederer zutreffend hingewiesen. Ich möchte nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land anlasslos überwacht werden, ich möchte nicht, dass Daten von Berufsgeheimnisträgern erhoben werden. Ich sehe die Vorratsdatenspeicherung gerade nicht als vermeintliche Wunderwaffe gegen Terror, Kindesmisshandlung oder organisierte Kriminalität.

Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es nicht nur peinlich, sondern für einen Innenminister auch unseriös, wenn Reinhold Gall twittert:

Ich verzichte gern auf vermeintliche Freiheitsrechte, wenn wir einen Kinderschänder überführen.

Der baden-württembergische Innenminister ist für diesen Tweet zu Recht kritisiert worden, und er führt eine Debatte auf einem Niveau, das weder ihm noch dem Thema angemessen ist.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Ja, liebe Kolleginnen und Kollege von der Linksfraktion, Sie würden von unserer Seite Zustimmung zu diesem Antrag erhalten. Nur, jetzt kommt das große Aber – lieber Kollege Lederer, Sie wissen es selbst, weil wir auch schon einmal zehn Jahre miteinander koaliert haben –, Sie wissen nur zu gut, was im Koalitionsvertrag auf der vorletzten Seite immer steht. Es ist das wortgleiche Zitat, das auch in der rot-roten Koalitionsvereinbarung gestanden hat. Ich zitiere:

Im Abgeordnetenhaus und in den Ausschüssen stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der Vereinbarung sind.

So die wortgleiche Vereinbarung in dieser Koalitionsvereinbarung, wie sie auch bei Rot-Rot stand.

[Ajibola Olalowo (GRÜNE): Und wer ist der größere Koalitionspartner?]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lederer?

Ich würde erst einmal auf den Zwischenruf, wer der größere Koalitionspartner ist, antworten wollen. – Das ist die SPD. Ich will nur nicht wissen, wie Sie reagierten, wenn wir als größerer Koalitionspartner möglicherweise einmal mit Ihnen regieren.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Passiert nicht!]

Dann können wir auch nicht bestimmen, wie die Politik aussieht. Aber daran werde ich Sie ggf. noch einmal erinnern.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Kollege Lederer, gern!

Bitte schön, Herr Lederer!

Lieber Kollege Kohlmeier! Die Haltung der Union ist mir ja bekannt. Aber wenn Ihre Haltung eine andere ist, bedeutet das dann effektiv, dass das Land Berlin dann im Bundesrat nicht zustimmt? Das wäre dann ja die Konsequenz aus allem, was Sie jetzt gesagt haben, nämlich dass Berlin nicht zustimmt. Sie sind dagegen, die sind dafür, wie sieht es denn damit aus?

Die Haltung der Union wird gleich dargestellt werden.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Nee, nee! Die Haltung des Senats!]

Insofern darf ich auch gleich zu dem Ende meiner Rede kommen. Es wird in dieser Frage, liebe Kollegen von der Opposition, weder einen Koalitionskrach noch einen Koalitionsbruch geben. Wir werden uns an den Koalitionsvertrag halten und uns natürlich mit der CDU über das weitere Vorgehen bezüglich dieses Antrags abstimmen.