Protokoll der Sitzung vom 25.06.2015

Insofern darf ich auch gleich zu dem Ende meiner Rede kommen. Es wird in dieser Frage, liebe Kollegen von der Opposition, weder einen Koalitionskrach noch einen Koalitionsbruch geben. Wir werden uns an den Koalitionsvertrag halten und uns natürlich mit der CDU über das weitere Vorgehen bezüglich dieses Antrags abstimmen.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Dann müsst ihr euch enthalten! Einer dafür, einer dagegen – das ist Enthaltung!]

Wir werden mit der CDU selbstverständlich über das Thema Vorratsdatenspeicherung reden und möglicherweise – das wird gleich dargestellt werden –, vielleicht gibt es einige Überraschungen, Kollege Juhnke, auch bei dieser Frage.

Ich bin gerne bereit, die CDU von der Ablehnung der jetzigen Regelung der Vorratsdatenspeicherung zu überzeugen. Diese Überzeugungsarbeit möchte ich gerne mit Ihnen von der Opposition leisten, und zwar im Rechtsausschuss, lieber Kollege Lederer. Wir beantragen, diesen Antrag im Ausschuss weiter zu behandeln und weiter zu besprechen, sodass wir uns gegen die Sofortabstimmung heute aussprechen. – Herzlichen Dank!

[Elke Breitenbach (LINKE): Wie, da klatscht keiner?]

Vielen Dank! – Für die Grünen jetzt der Kollege Behrendt!

Herr Präsident! Werter Kollege Kohlmeier! Da fällt mir Valentin ein:

Mögen hätte ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Ich glaube, das hat er vor 70 Jahren zur SPD gesagt, aber es ist heute so aktuell wie damals.

Ich verrate kein Geheimnis, die Debatte läuft ja schon lange: Bündnis 90/Die Grünen lehnen die Vorratsdatenspeicherung ab. Wir wollen keine anlasslose, umfassende Speicherung von allen Kommunikationsdaten von 80 Millionen Deutschen. Das ist eine Form der Überwachung, von der Horst Herold damals nicht einmal zu träumen wagte. Für die Jüngeren: Horst Herold war von 1971 bis 1981 Präsident des Bundeskriminalamtes und Erfinder der Rasterfahndung.

Herr Maas, er ist hier schon erwähnt worden, ein Ritter von trauriger Gestalt, hat vollkommen zutreffend ausgeführt, dass die Vorratsdatenspeicherung gegen das Recht auf Privatheit und den Datenschutz verstößt. Das war richtig, das ist richtig, das bleibt richtig, unabhängig davon, was ein Herr Gabriel dazu denkt oder äußert.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ich frage mich: Haben Sie eigentlich bei Ihrem – es war ja alles geheim – Konvent auch einen Hammelsprung gemacht? Das war ja alles relativ knapp.

Das Bundesverfassungsgericht hat völlig richtig ausgeführt, die Vorratsdatenspeicherung schaffe ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetwerdens. Genau um dieses Gefühl geht es, und genau dieses Gefühl wollen wir nicht. Wir wollen keine umfassende staatliche Überwachung, die die Grundrechtsträger dazu veranlasst, auf die Wahrnehmung ihrer Freiheit zu verzichten. Diese verhaltensbeeinflussende Wirkung der Vorratsdatenspeicherung ist meiner Auffassung nach das zentrale Problem. Wir wollen in Freiheit miteinander umgehen, und wir wollen nicht das Gefühl haben, dass der Staat alle Bewegungen, alle Telekommunikationsvorgänge erfasst.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Auf einen Aspekt, der in der Debatte nur am Rande angesprochen wird, möchte ich noch mal ein Augenmerk legen: Die Vorratsdatenspeicherung belastet über Gebühr die Berliner Internetwirtschaft. Alle Berliner Telekommunikationsanbieter müssen nämlich die Datenspeicherung bezahlen, die da gefordert wird – und das ist recht erheblich. Das sind für Mittelständler rund 80 000 Euro für die Einrichtung, und dann kommen die laufenden Kosten dazu. Ich wundere mich, dass insbesondere die CDU, die sich ja gern für den Mittelstand in die Bresche wirft, oder aber die Wirtschaftssenatorin, die jetzt nicht anwesend ist – – Der Senat ist überhaupt nicht mehr anwesend, sehe ich gerade.

[Martin Delius (PIRATEN): Doch – da ist der Senat! Frau Kolat! – Weitere Zurufe]

Der Senat kommt. Wenn man ihn ruft, kommt er. Das ist doch schön. – Von der Wirtschaftssenatorin habe ich jedenfalls noch nicht gehört, dass sie sich gegen diese uferlosen Kosten ausspricht.

Eine letzte Geschichte zum Schluss: Ein Verfassungsorgan hat soeben die Speicherfrist für Telekommunikationsvorgänge verkürzt. Welches Verfassungsorgan war das? – Der Deutsche Bundestag hat die Speicherfrist für das Datennetz des Bundestages von drei Monaten auf eine Woche verkürzt, und die werden schon wissen, warum sie das getan haben. – Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren!

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die CDU-Fraktion jetzt Herr Dr. Juhnke. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Inwiefern meine Rede Überraschungen enthält, das überlasse ich Ihrer Interpretation. Ich möchte damit beginnen, dass wir hier viel von Freiheitseinschränkungen gehört haben, aber ich vertrete die Auffassung, dass Freiheit ohne Sicherheit nicht möglich ist und dass sie sich gegenseitig sogar bedingen. Von daher ist es kein Gegensatz, sondern wir bewegen uns in dem üblichen Spannungsfeld, in dem wir uns in der Innen- und Rechtspolitik oft bewegen.

Ich glaube, dass der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 2010 zu erheblichen und gefährlichen Lücken bei der Strafverfolgung führte, denn wir wissen, dass heute die Planung, Vorbereitung und Absprache, aber auch die Durchführung von Straftaten in weitem Umfang per Telefon oder im Internet besprochen werden. Das gilt von Cyber

Crime-Delikten bis hin zu terroristischen Anschlägen, und das darf nicht ausgeblendet werden.

Nach dem Anschlag von Paris konnte übrigens auch sehr schnell das dahinterstehende Netzwerk erkannt werden.

[Daniel Buchholz (SPD): Und was hat es gebracht?]

Von daher ist dieses Argument immer kein hilfreiches, weil wir daran gerade die Sinnhaftigkeit der Verkehrsdatenspeicherung erkennen können, denn es ist weniger ein Mittel für die Prävention, sondern ganz wesentlich ein Mittel für die Strafverfolgung. Alle Fachleute sind sich in diesem Ziel auch einig. Daher hat sich die Union schon immer für eine verfassungskonforme Regelung eingesetzt.

[Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Wir hätten uns auch gewünscht, dass der Gesetzentwurf, der jetzt im Bundestag zur Beratung ansteht, in einigen Punkten noch weitergegangen wäre. Warum sollen z. B. ausgerechnet die Verkehrsdaten der E-MailKommunikation auf Dauer von der Speicherfrist ausgenommen werden, obwohl heute praktisch der größte Teil der Kommunikation per E-Mail stattfindet? – Aber sei’s drum! Ich möchte jetzt nicht den Koalitionsvertrag im Bund zitieren, der, wie Sie ja alle wissen, die Umsetzung der EU-Richtlinie vorsieht. Ich bin in dem Fall froh, dass es endlich gelungen ist, hier eine Regelung auf der Bundesebene zu vereinbaren.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Fühlen Sie sich jetzt sicherer?]

Im Übrigen ist auch vieles unrichtig, was immer wieder vorgebracht wird. Es trifft nicht zu, dass unsere Verfassung der Verkehrsdatenspeicherung grundsätzlich entgegenstehen würde. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich klargestellt, dass eine solche Regelung nur unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben grundsätzlich vereinbar ist. Auch die Entscheidung des EuGH steht dem nicht entgegen.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Haben Sie die mal gelesen? Da steht das Gegenteil drin!]

Es muss verhältnismäßig ausgestaltet werden, und wir haben in Deutschland eine Regelung vorgehabt, die dem weitgehend auch entsprochen hat.

Im Übrigen geht es auch nicht um die Gesprächsinhalte, sondern um die Daten der Dinge, wer mit wem wann gesprochen hat, und es speichert auch nicht der Staat, sondern die Telekommunikationsanbieter. Das wurde ja schon gesagt, und es wurde übrigens auch schon in der Vergangenheit so gemacht – für alle Leute, die keine Flatrate besitzen oder Ähnliches. Von daher weiß ich nicht, ob die wirtschaftlichen Belastungen, von denen gesprochen wurde, tatsächlich so gravierend eintreten würden. Aber auch das wird im Bundesrat beraten – im Übrigen im Wirtschaftsausschuss.

Die Strafverfolgungsbehörden dürfen auf diese Daten erst zugreifen, wenn der konkrete, durch Tatsachen belegte Verdacht einer schweren Straftat besteht, und ob dies der Fall ist, muss generell vorher ein Gericht geprüft haben. Das heißt also, es handelt sich um keinen Generalverdacht, da 99,9 Prozent der Daten, die dort erhoben werden, vermutlich niemals in irgendeiner Weise zu weiteren Strafverfolgungsbemühungen herangezogen werden. Es geht also nicht um den gläsernen Bürger, und wer so argumentiert, der führt die Menschen in die Irre. Ich bin der Auffassung, dass die Gefahr für die Daten der Bürger nicht vom Staat oder von den Strafverfolgungsbehörden ausgeht, sondern vor allem von den Kriminellen selbst, und dem muss ein Riegel vorgeschoben werden.

Der Entwurf der Bundesregierung stellt daher einen Schritt in die richtige Richtung dar. Ich kann nur dem Senat empfehlen, diesem Gesetzesvorhaben im Bundesrat zuzustimmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Piratenfraktion hat jetzt Herr Dr. Weiß das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank! – Meine Damen und Herren! Wenn man sich Sicherheitspolitik in Deutschland anguckt, dann fallen dort schnell zwei große Akteure ins Auge. Das eine sind Sicherheitsbehörden, die nach immer neuen Maßnahmen, nach neuen Datenspeicherungen und nach neuen Überwachungsmaßnahmen verlangen, meist auf der Grundlage reiner Möglichkeitserwägungen – es ist möglich, also müssen wir es auch tun dürfen –, und auf der anderen Seite Gerichte – insbesondere das Verfassungsgericht, aber auch der Europäische Gerichtshof in diesem Fall –, die diese Vorhaben auf ihre Rechtmäßigkeit und Vereinbarkeit mit den Grundrechten überprüfen. Die Sicherheitspolitik selbst, wie sie maßgeblich von der CDU und der SPD in diesem Land bestimmt wird, beschränkt sich in diesem System vor allem auf die Rolle eines Fließbandes zwischen den beiden Punkten. Und bei der Vorratsdatenspeicherung haben wir es mit einem äußerst hartnäckigen Fließband zu tun, denn das Ganze ist jetzt schon eine ganze Weile und einige Jahre lang hin und her gegangen.

Insofern will ich mich jetzt auf drei Punkte beschränken. – Erstens: Bei der Vorratsdatenspeicherung handelt es sich um eine Totalerfassung des Kommunikationsverhaltens von Menschen unabhängig von Zeitraum, Ort, Person, Lebensumstand usw., die in der Tat – und das ist auch vom Bundesverfassungsgericht so festgestellt worden – mit nichts vergleichbar ist, was wir in unserer Rechtsordnung sonst an Maßnahmen kennen. Es ist ein qualitativer Unterschied, der auch all jene Lügen straft,

(Dr. Robbin Juhnke)

die behaupten, die Vorratsdatenspeicherung sei einfach nur die Übertragung analoger Ermittlungsmethoden und -befugnisse in einen angeblich rechtsfreien Raum Internet, der so natürlich nicht existiert. Diese besondere Qualität der Überwachung hat in einer offenen Gesellschaft nichts, aber auch gar nichts zu suchen.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Eine solche totale Überwachung macht man, oder man macht sie nicht. Deshalb gibt es auch nicht so etwas wie ein bisschen Vorratsdatenspeicherung oder eine gute Vorratsdatenspeicherung oder einen guten Kompromiss bei der Vorratsdatenspeicherung. Entweder gibt es sie halt, oder es gibt sie nicht – und es darf sie nicht geben.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Zweiter Punkt – das EuGH-Urteil und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts –: Man mag ja meinen, man könnte einen Entwurf der Vorratsdatenspeicherung machen – mit einigen Verbesserungen bei den Verfahrensweisen, bei der Speicherung, den Zugriffen usw. –, der noch mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts konform ist. Das Bundesverfassungsgericht hat dem nicht in der Schärfe eine Absage erteilt. Dass allerdings beim Urteil des EuGH zu versuchen, halte ich für abenteuerlich. Da müssen Sie nur mal gucken, was im Urteil des EuGH zur Frage der Verhältnismäßigkeit steht, denn es ist gerade der totale Überwachungsaspekt, der hier kritisiert wird. Wenn Sie das wollen, dann müsste man auch ein Argument vorbringen zur unabdingbaren Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung. Da sind allerdings auch die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung in den letzten Monaten erstaunlich still. Das ist wenig überraschend, denn wie soll so ein Argument aussehen? Die Vorratsdatenspeicherung hatten wir in diesem Land bereits. Wir haben sie jetzt seit einiger Zeit nicht mehr, es gibt Erfahrungen aus anderen Ländern, und wir wissen, dass sie nicht notwendig ist.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Nicht einmal zutreffende anekdotische Unterstützung kann dafür von den Teilen der Politik, die das wollen, geliefert werden, und das sagt ja schon einiges aus, denn normalerweise ist anekdotische Unterstützung besonders leicht zu bekommen.

Drittens: Wenn wir uns die gesellschaftlichen, die politischen und die technischen Entwicklungen der letzten – sagen wir mal – zehn Jahre angucken, dann deutet alles darauf hin – das ist ziemlich klar –, dass die Eingriffstiefe, die die Vorratsdatenspeicherung bedeutet, zugenommen hat und weiter zunehmen wird. Die Digitalisierung unserer Gesellschaft, der zunehmende Gebrauch von mobilen Kommunikationsmitteln usw. bedeuten, dass wir hier nicht über ein paar Telefonate reden, die irgendwo aufgelistet werden, sondern wir reden über komplette

Kommunikationsprofile von persönlichen Beziehungen, Profile von Bewegungen usw.