Unwürdige Abschiebepraxis: Konsequenzen aus dem Fall Banu O. ziehen (I): Sicherung fachärztlicher Standards bei Abschiebungen
Ich habe den Antrag Drucksache 17/2336 vorab an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung überwiesen und darf Ihre nachträgliche Zustimmung feststellen.
In der nun folgenden Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Frau Kollegin Bayram, bitte schön, Sie haben das Wort!
Vielen Dank! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon gesagt worden, der Fall Banu O. hat durch breite Medienberichterstattung mal wieder deutlich gemacht, dass es in diesem Land Berlin, insbesondere seitdem es einen CDU-Innensenator, Frank Henkel, gibt, gängige Praxis ist, dass rechtswidrige Abschiebungen stattfinden.
Das ist etwas, was weder mit geltenden Gesetzen noch mit unserer Verfassung vereinbar ist, und dem wollen wir, Bündnis 90/Die Grünen, auf den Grund gehen.
Daher will ich sowohl den Fall Banu O. als auch einen weiteren Fall kurz darstellen, damit Sie eine Vorstellung von den Rechtsverstößen bekommen. Banu O., in Berlin geboren, aufgewachsen, 30 Jahre,
wurde auch aus der Ausländerbehörde heraus abgeschoben, nachdem sie von der Ausländerbehörde getäuscht wurde. Abschiebungsgehilfe war ein Abschiebungsarzt, dessen ärztliche Qualifikation bis heute weder nachgewiesen ist noch vom Gericht angenommen wurde, vielmehr hat das Gericht ihn für unqualifiziert angesehen. Das hat dazu geführt, dass Banu O. zum Flughafen verbracht wurde, ihr Anwalt, der noch mit ihr reden wollte, einen Platzverweis erhalten hat, sie ohne Wechselwäsche, Tasche oder Geld in einen Flieger gesetzt und in ein Land gebracht wurde, in dem sie seit 17 Jahren nicht war und wo sie niemanden kennt.
Es ist ganz klar, dass das nicht nur Rechtsverstöße sind, sondern das ist auch eine Situation, in der die Menschen ihrer Identität beraubt werden und in der ein solches Vorgehen mit Menschen dazu führt, dass integrationspolitische Ziele ad absurdum geführt werden.
Im Moment nicht, danke schön. – Stellen Sie sich vor, was es mit einem Menschen, der 30 Jahre hier lebt, macht, in ein anderes Land verbracht zu werden, seine gesamte Familie, seine sozialen Kontakte und alles zu verlieren!
Ein weiterer Fall sind zwei junge Männer armenischer Herkunft, die in einem Härtefallverfahren waren – und weder sie noch das betreffende Mitglied der Härtefallkommission hatten das Ergebnis erfahren –, die morgens um 6 Uhr aus ihrer Wohnung gerissen wurden, ohne richterliche Anordnung, ohne jede Rechtsgrundlage, die es verdient, das Ganze als rechtstaatsmäßig zu bezeichnen.
In diesen Bereichen, die ich Ihnen vorgestellt habe, gibt es unterschiedliche Ansagen. Mein Eindruck ist, dass sowohl der Innensenator als auch sein Staatssekretär uns gegenüber wahrheitswidrige Angaben gemacht haben. Beispielhaft will ich nennen: Der Innensenator hat behauptet, dem Gericht habe eine Approbationsurkunde vorgelegen. Der Anwalt bestreitet das. Der Staatssekretär für Inneres, Herr Krömer, schreibt als Antwort auf eine
Schriftliche Anfrage, dass Rainer Lerche, so heißt dieser Abschiebearzt, erst seit 2009 in Berlin diese Abschiebepraxis mitgestalten würde. Demgegenüber sagt Herr Rainer Lerche selbst im Gerichtsverfahren, dass er seit 2000 für die Ausländerbehörde tätig ist.
Da frage ich mich, liebe Kolleginnen und Kollegen: Warum gibt es diese abweichenden Ansichten und Darstellungen? Was wird uns hier vom Innensenat vorenthalten, und wo wird uns die Unwahrheit gesagt?
Wenn es einen Grund gibt, einen Untersuchungsausschuss zu machen, dann ist für uns, Bündnis 90/Die Grünen, dieses Thema hier einen Untersuchungsausschuss wert, denn wir haben Verantwortung für die Menschen. In diesem Untersuchungsausschuss könnten wir die Einhaltung von Menschenrechten bzw. deren Nichteinhaltung untersuchen. Das schulden wir auch den Migrantinnen und Migranten in Berlin, denn einer, der Wüsten und Meere überwunden hat, hat es zumindest verdient, dass er im Land Berlin ein rechtstaatliches Verfahren bekommt. Genau das wird aber den Menschen versagt, so festgestellt vom Verwaltungsgericht Berlin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion! Ihr Antrag, eine Zertifizierung bei der ärztlichen Begutachtung durchzuführen, geht in die richtige Richtung. Ich will auch einen Antrag zur Wohnungsdurchsuchung, wo es richterliche Anordnungen gibt. Das entbindet uns nicht von der Pflicht, die Fälle aufzuklären. – Danke schön!
Vielen Dank, Frau Bayram! – Das Wort zu einer Zwischenbemerkung hat der Abgeordnete Schneider. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte gerne im Wege der Zwischenfrage gefragt, musste aber die paar Schritte hierhin auf mich nehmen.
Ich möchte die Grünen fragen, ob Sie, wenn Sie zum Thema § 60 etc. zitieren, die Verfassungslage und das Berliner Untersuchungsausschussgesetz kennen und ob Ihnen ein Fall bundesweit in Erinnerung ist oder vorschwebt, den Sie hier zitieren können, wo eine Oppositionsfraktion, ohne die qualifizierte Mehrheit zu haben, einen Untersuchungsausschuss beantragt hat oder ob Sie
einen solchen Fall nicht kennen und es Ihnen da so wie uns geht. Wie ordnen Sie eine solche Peinlichkeit ein, sich so isoliert mit einem Schaufensterantrag zum Löffel zu machen?
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Kollege Schneider! Den Einwand hier hätten Sie sich wirklich sparen können,
denn erstens hat es so etwas schon einmal gegeben. Und es hat auch in anderen Bundesländern schon Anträge und Untersuchungsausschüsse im Zusammenhang mit Aufenthalt und Asylrecht gegeben. Aber wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, dass etwas mit uns nicht stimmen würde, wenn wir uns für Menschenrechte und gegen Abschiebungen einsetzen,
die nämlich genau das fordern: die Ausländerbehörde der Zuständigkeit von Innensenator Henkel wegzunehmen und in einen Bereich hineinzubringen, der die Menschenrechte und die Integration im Blick hat.
Dieses Förmeln hier, so zu tun, als wenn es ein Problem wäre, wenn wir im Bereich Menschenrechte und im Bereich Humanität untersuchen wollen, dann ist das völlig absurd und an der Sache vorbei.
Woher wissen Sie denn, Herr Schneider, dass es nicht dazu kommt, dass sich hier im Hause eine Mehrheit bereitfindet?
Denn im Moment ist es vielleicht so, dass der eine oder andere denkt, er könne es auch auf einem anderen Wege bewältigen, aber ob das am Ende so bleibt, das ist doch eine Frage. Sie können mich für mutig halten, dass ich den Antrag hier trotzdem so einbringe.
Aber ich bin meiner Fraktion dankbar, dass ihr das Thema wichtig genug ist, einen Redebeitrag wie den von Ihnen hier heute zu riskieren, denn der zeigt im Prinzip, dass Sie selbst ein Problem damit haben, weil in Ihrer eigenen Fraktion verschiedene Menschen sind, die diesen Untersuchungsantrag sehr gerne unterstützen würden.
Das wäre doch einmal etwas, was die SPD zeigen könnte, nämlich schon im Vorgriff darauf, dass man mit diesem Koalitionspartner nicht mehr weitermachen will. Wir haben es ja erlebt hier im Plenum. Nutzen Sie doch die Chance, Herr Schneider, dem Antrag die nötige Mehrheit zu verhelfen!