Protokoll der Sitzung vom 24.09.2015

Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/2393

In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke. Das Wort erteile ich dem Kollegen Schatz. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die EUHandelskommissarin Malmström hat unlängst auf einer Pressekonferenz zum Freihandelsabkommen TTIP gesagt, dass es Kritikerinnen und Kritiker am Freihandelsabkommen gebe, die durch keine Argumente zu überzeugen seien, dass TTIP gut sei, selbst wenn sie ihnen allen ein Eis spendieren würde. Insofern schlage ich vor, dass der Kollege Buchner – von mir aus rechts hinter mir – für die Berliner SPD ein Eis für jeden Genossen und jede Genossin anfordert, denn der vorgelegte Antrag, den wir Ihnen heute vorlegen, ist ein Beschluss des SPD-Landesparteitags vom 13. Juni dieses Jahres.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Er fordert ganz klar, CETA in den Ratifizierungsverhandlungen abzulehnen, die TTIP-Verhandlungen und auch die TISA-Verhandlungen abzubrechen, sich dafür einzusetzen, die europäische Bürgerinitiative „Stoppt TTIP!“ zuzulassen und letztlich – das ist ein entscheidender Punkt, wie ich finde – ein neues und transparentes Verhandlungsmandat zu erstellen, wo es um soziale und ökologische Mindeststandards für einen Handel innerhalb der WTO geht, also letztlich um eine gerechte Weltwirtschaftsordnung. Auf den Punkt komme ich gerne zurück.

Die Kritikpunkte an TTIP, aber auch an CETA und TISA sind klar. Es handelt sich hier um Geheimverhandlungen, nach wie vor, auch wenn das Mandat inzwischen offengelegt wurde, der Großteil der Verhandlungen findet hinter verschlossenen Türen statt und selbst die Vertreterinnen und Vertreter der NGOs sagen, dass das, was sie hinterher in den Beratungsrunden erfahren, auch alles in der Zeitung steht. Also sie haben keine wirklichen Informationen, während die Lobbyisten der Industrie den Verhandlern in den USA und auch leider der EU-Kommission auf dem Schoß sitzen. – Eins!

Zweiter Kritikpunkt: Das Investorstreitregelungsverfahren ISDS und selbst der letzte Vorschlag von Kommissarin Malmström, hier ein Handelsgerichtshof einzuführen, ist doch ein absurder Vorschlag. Diese Investorenschutzregelung wurde mal 1957 in einem Freihandelsabkommen der damaligen Bundesrepublik mit Pakistan eingeführt, weil es Sorgen gab, dass es in Pakistan kein ordentliches Rechtssystem gibt. Diese Sorge stellt sich doch nicht, wenn wir über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA reden, oder?

[Philipp Magalski (PIRATEN): Wer weiß!]

Da ist der ordentliche Gerichtsweg einzuschlagen und keine Sondergerichte.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Es geht um regulatorische Regelungen, Regelungen, die gewählte Parlamente entmachten, weil jede Regelung vorher vorzulegen ist, ob sie denn den Interessen der Investoren genügt, um die Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen, ein Thema, mit dem wir hier in Berlin geschlagen sind – ich sage: Wasser und S-Bahn. Es geht darum, dass ACTA durch die Hintertür wiederkommt, weil es auch um Urheberrechtsregelungen geht. Es geht darum, dass Verbraucherschutz flötengeht. Es geht um Regulierung der Finanzmärkte, und – ja, das ist mal ein Punkt, wo die USA uns weit voraus sind, aber die amerikanischen Banken sind deshalb sehr für TTIP, weil sie diese Regelungen loswerden wollen – es geht um die ILO-Kernarbeitsnorm, also um den Kern des europäischen Tarifrechts, um das Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren und gemeinsam Tarifverträge abzu

(Simon Kowalewski)

schließen. Es geht um Kulturförderung, Buchpreisbindung, die in Gefahr sind.

Und: Bilaterale Freihandelsabkommen verstärken die Armut des globalen Südens. Wir hatten unlängst eine Debatte auch zu Flüchtlingen. Und der Kollege von der CDU hat aus meiner Sicht zu Recht darauf hingewiesen, dass es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen. Wenn es darum geht, Fluchtursachen zu bekämpfen, dann müssen wir in der Tat diese bilateralen Freihandelsabkommen ablehnen und für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung sorgen, damit die Menschen dort, wo sie zu Hause sind, eine Perspektive haben.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Gegen TTIP gibt es Protest in ganz Europa. Bis heute haben 2 854 658 Menschen die selbstorganisierte Bürgerinitiative unterschrieben – viele in Berlin. Ich denke, diesen Protest müssen wir ernst nehmen. Es gibt übrigens am 10. Oktober in Berlin auch eine Demo gegen die geplanten Freihandelsabkommen. Ich habe erfreut zur Kenntnis genommen, dass auch die Berliner SPD aufgerufen hat, an dieser Demo teilzunehmen.

[Zuruf von Daniel Buchholz (SPD): So ist es! – Beifall bei der LINKEN]

Wir brauchen die Debatte zu den Freihandelsabkommen – auch hier im Parlament, und es geht nicht – wie gesagt – nur um TTIP, sondern auch um das bereits fertig verhandelt Freihandelsabkommen mit Kanada CETA und um TISA, aus dem Uruguay übrigens jetzt als eines der ersten Länder aus den Verhandlungen ausgeschieden ist.

Die Bundeskanzlerin macht Druck, die Verhandlungen so schnell wie möglich abzuschließen. Also, ich finde, es ist Zeit, dass sich auch das Berlin Parlament auf eine Position verständigt. Insofern war der Landesparteitagsbeschluss der SPD für uns eine gute Grundlage, hier im Parlament zu diskutieren. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Schatz! – Für die Fraktion der SPD spricht jetzt Kollege Zimmermann und hat das Wort. – Bitte sehr!

[Udo Wolf (LINKE): Jetzt haben wir euch zu doll gelobt!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verhandlungen zu TTIP bereiten uns schon seit längerer Zeit

einige Sorgen. Ich will nicht weiter vertiefen, dass die Kommission etwas peinlich die völlig überzogenen Wachstumserwartungen deutlich nach unten korrigiert hat. Ich will nicht weiter vertiefen, dass eine ganze Armada von Anwälten nur darauf wartet, mit Schadenersatzklagen gegen die TTIP-Staaten Millionen zu verdienen, und ich will auch nicht vertiefen, dass den Abgeordneten des Deutschen Bundestags immer noch die Einsicht in die konsolidierten Verhandlungsdokumente verwehrt wird. Das alles ist nicht dazu geeignet, Vertrauen aufzubauen, sondern eher im Gegenteil: Unser Misstrauen gegen dieses Vorhaben ist größer geworden, als es zu Beginn ohnehin schon war.

Deswegen will ich nur einen einzigen Punkt herausgreifen, der beleuchten soll, wie sich dieses ganze Vorhaben eigentlich in einem Widerspruch befindet, und deshalb ganz grundsätzlich ein Problem darstellt: Es gibt, aus meiner Sicht, entweder Wachstum oder Beibehaltung von Standards, aber nicht beides gleichzeitig. Es hat das Londoner Centre for Economic Policy Research schon im Jahr 2013 festgestellt, dass 80 Prozent der erwarteten Wachstumswirkungen dieses Abkommens aus zwei Faktoren herrühren, nämlich der Absenkung von Standards, also Beseitigung von nichttarifären Handelshemmnissen und Absenkung von gesetzlichen Standards, und dem Zugang zu den öffentlichen Aufträgen der jeweils anderen Seite. Wenn man das erleichtert, gibt es diese Wachstumserwartungen.

Das heißt, wenn man beteuert, dass keine Standards angetastet werden, und gleichzeitig Wachstum verspricht, kann man nur antworten: Es geht nicht beides zusammen! Wenn alle Regeln, von Arbeitnehmerschutz bis Verbraucherschutz, gehalten werden sollen, dann kann es nicht zu den Versprechungen und Segnungen des Abkommens kommen. Es bleibt ein leeres Versprechen. Wenn aber andersherum die versprochenen Wirkungen alle eintreten sollen, dann müssen Zugeständnisse bei den Schutzgesetzen gemacht werden, dann muss es zu Absenkungen kommen.

Mein Fazit ist: Es kann nicht beides gleichzeitig gehen. Deswegen muss es zu einer ganz grundsätzlichen Kritik an diesem Vorhaben kommen.

[Beifall von Daniel Buchholz (SPD), Anja Schillhaneck (GRÜNE) und Philipp Magalski (PIRATEN)]

Wir haben diese Kritik allenthalben auch schon gehört. Ich glaube, dass man diesen Widerspruch nicht auflösen, sondern nur mit einer Reaktion beantworten kann, dass man sich nämlich auf ein echtes Freihandelsabkommen beschränkt. Abbau der letzten Zölle – ungefähr 5 Prozent der Warenströme sind noch mit Zöllen belegt – zwischen den USA und der EU: ja. Abbau der letzten Hindernisse wie Lizensierungsverfahren, dass man Angleichungen von Lizensierungsverfahren macht: ja, gar kein Problem. Ein echtes Freihandelsabkommen, dass die letzten ta

(Carsten Schatz)

rifären Handelshemmnisse beseitigt, von diesem Anspruch zu diesem hier: Das kann man machen. Bei allem anderen würde es uns am meisten nützen, wenn man es ganz weglässt.

Ob wir jetzt diesen Antrag brauchen oder nicht, werden wir noch gucken müssen. Ob man es tatsächlich so beschließen kann, darüber werden wir beraten. Aber ich halte es für entscheidend, dass wir in unseren Einlassungen auf Bundesebene und auf EU-Ebene diese ganz grundsätzliche Kritik auch deutlich machen. Es wird, fürchte ich, nicht mehr ausreichen, nur rote Linien zu definieren. Diese muss man auch definieren, aber, ich glaube, wir kommen über diesen Widerspruch nicht hinweg, und deswegen unsere doch sehr deutliche Ablehnung dieses Vorhabens. – Herzlichen Dank!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN – Beifall von Alexander Spies (PIRATEN)]

Vielen Dank, Kollege Zimmermann! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Schillhaneck und hat das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal freue ich mich, zumindest mit meinen beiden Vorrednern in weiten Teilen große Einigkeit der Bewertung gerade des Unterfangens TTIP feststellen zu können, und bedanke mich für Ihre Ausführungen, auch deswegen, weil es mit die Gelegenheit gibt, den Blick noch auf einen etwas anderen Aspekt dieses Antrags zu lenken.

Der Antrag bezieht sich zum einen nicht nur auf TTIP, sondern stellt zum Zweiten auch eine positive Forderung auf. Er sagt Ja zu einem fairen und nachhaltigen Handeln, und genau das ist ein weiterer Punkt, über den wir auch im Ausschuss genau reden sollten: Wie stellen wir uns das eigentlich vor? Herr Kollege Zimmermann hat die eine oder andere Ausführung gerade eben gemacht. Ich verweise hier auf den fünften Punkt des Antrags. Ich finde es in der Tat ein kleines bisschen amüsant, dass wir mal wieder in der Situation sind, dass wir einen Antrag vorliegen haben, der offensichtlich vom Landesparteitag der SPD bereits beschlossen ist. Können wir mal gucken, wie wir Ihren Parteibeschluss in parlamentarische Politik umsetzen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Da sind wir doch bei solchen Beschlüssen gerne behilflich!

Und zwar geht es da um einen Punkt, der uns aus Grünen-Sicht sehr, sehr wichtig ist. Wenn wir von Gerech

tigkeit, von Fairness im globalen Maßstab reden, meinen wir eben nicht nur den Abbau von Handelsbarrieren zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika oder auch Kanada, sondern wir meinen insgesamt ein faires Handelssystem. Wir können nicht auf der einen Seite wohlfeile Sonntagsreden halten über: Ja, irgendwie ist auf dieser Welt gerade etwas ein bisschen in Schieflage geraten und Leute gehen weg, wo sie vielleicht lieber bleiben würden – es gibt dieses ganz, ganz fiese, böse, krasse, abwertende Wort des Wirtschaftsflüchtlings,

[Beifall von Hakan Taş (LINKE) – und Carsten Schatz (LINKE)]

aber an dem können wir uns kurz langhangeln und fragen: In der Tat, wenn das so ist, dass Leute irgendwo weggehen, weil dort die wirtschaftliche Situation so am Boden und fast irreparabel kaputt ist, dass sie keine Chance für sich und ihre Kinder sehen und aus ihrer Heimat weggehen, dann sollten wir uns mal ganz kurz fragen: Was hat das mit uns, und was hat das mit globaler Handelspolitik zu tun? Diese Frage stellt dieser Antrag sehr berechtigt, und deswegen ist es ein guter Antrag.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Alle diese hier erwähnten Abkommen sind Abkommen, die einschließen – im Fall TTIP die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika –, aber sie schließen auf der anderen Seite auch aus, nämlich alle anderen. Man kann sehr, sehr viel gegen die WTO- und die Doha-Handelsrunde und ähnliche gescheiterte Versuche, globale Handelspolitik zu organisieren, sagen, aber einen Vorteil hatten sie: Alle saßen mit am Tisch. Das muss unsere gemeinsame Mindestforderung für das Entwickeln eines fairen und nachhaltigen Handelssystems sein, das eben nicht einfach nur einen kleinen Kreis meistbegünstigt und alle anderen außen vor lässt, denen wir irgendwelche von uns definierten Standards aufdrücken. Das muss eigentlich unsere gemeinsame Forderung sein.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Auch bei einem anderen Punkt müssen wir mal über Fairness reden: Wenn wir uns anschauen, wer durch TTIP, TISA und CETA aktiv begünstigt wird, dann sind es – wie man es dem entnimmt, was die EU-Kommission dann irgendwann doch mal nach ganz viel Drücken, Ziehen, Zerren, Bittesagen und Fordern veröffentlicht hat – vor allem ohnehin global agierende Großunternehmen. Wenn ich jetzt mal einen vielleicht etwas ungewöhnlichen Schlenker mache und mich sehr stark auf eine sogenannte Standortlogik einlasse – die wird von einigen aus diesem Haus ja auch immer bemüht –, mich dem Argument sozusagen sogar positiv annähere, dass das Rückgrat unserer Wirtschaft eigentlich der sogenannte Mittelstand sei – wo man aus volkswirtschaftlicher Sicht durchaus sagen kann, dass da was dran ist –, dann sollte es mir

(Frank Zimmermann)

doch zu denken geben, dass es mittlerweile in vielen Ländern der Europäischen Union Initiativen gibt, die „KMU gegen TTIP“ heißen. Da auch geht es um Fairness und um die Frage, wem das nützt, wem das schadet. Und genau deshalb sollten wir uns sehr offen und positiv zu diesem Antrag positionieren. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin Schillhaneck! – Für die Fraktion der CDU erteile ich jetzt der Kollegin Bentele das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich richtig gerechnet habe, werden wir in diesem Haus, von heute abgesehen, wahrscheinlich noch mindestens drei Mal über die Forderung der Aussetzung der Verhandlungen zum TTIP-Abkommen diskutieren. Die Piraten haben das mit Zustimmung der Opposition 2014 gefordert, 2015 ist jetzt Die Linke dran, 2016 sind es voraussichtlich die Grünen. Und kurz vor der Wahl wird das dann wahrscheinlich auch