Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Zuschauer! Bevor wir es vergessen: Es geht in dieser Debatte zur nichtindividualisierten Funkzellenabfrage nicht um die Schwere der Straftat der Autobrandstiftung, sondern um die Frage, ob die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage dazu geeignet ist, solche Delikte aufzuklären, und ob sie verhältnismäßig ist. Nach Ansicht der Piratenfraktion ist die nichtindividualisierte Funkzellenabfrage unverhältnismäßig. Sie ist eine unverhältnismäßige Ermittlungsmethode. Das hat ja auch Frau Koppers am Montag im Innenausschuss so dargestellt. Schon die Abfrage der Verbindungsdaten, also der Mobiltelefonnummer, stellt einen Eingriff in die Grundrechte dar. Ich möchte an der Stelle auch noch mal betonen, es gibt nicht nur ein bisschen Grundrechtseingriff, sondern Grundrechte sind Schutzrechte der Bürger gegenüber dem Staat. Die kann man nicht ein bisschen verletzen, sondern sie werden verletzt oder sie werden nicht verletzt.
Zur Klärung der Verhältnismäßigkeit und warum die nicht individualisierte Funkzellenabfrage unserer Meinung nach unverhältnismäßig ist: Sie haben, wenn Sie diese Anfrage durchführen, zwei Annahmen, Sie gehen davon aus: Erstens: Der Täter führt ein Mobiltelefon mit sich, und er benutzt es auch kurz vor oder nach der Tat in der Nähe des Tatorts. – Die zweite Annahme, die Sie machen, ist: Sie gehen davon aus, dass das Mobiltelefon, das der Täter mit sich führt, auch auf ihn angemeldet ist. Sie erhalten als Information bei der nicht individualisierten Funkzellenabfrage keinen gerichtsfesten Beweis einer Täterschaft oder einer Teilnahme an einer Straftat. Sie erhalten lediglich ein Indiz dafür, dass sich ein Mobiltelefon am Tatort aufgehalten hat.
Wir erinnern uns: Es wurden in den vergangenen vier Jahren allein im Zusammenhang mit diesen Autobrandstiftungen 4,2 Millionen Verbindungsdaten abgefragt. Dagegen stehen die Verbindungsdaten von naturgemäß Unschuldigen, die mit dieser Tat nichts zu tun haben und die auch nicht wissen, da sie nicht informiert worden sind, was eigentlich nach der Strafprozessordnung vorgesehen ist, dass sie in diese Funkzellenabfrage geraten sind. In 960 Fällen wurden eben doch noch mehr Daten abgefragt. Das bedeutet, das Einzige, das Sie hier erreichen, ist, dass Sie die Information über Menschen abfragen, die mit dieser Tat höchstwahrscheinlich nichts zu tun haben. Und noch mal: Die nicht individualisierte Funkzellenabfrage hat in Berlin im Zuge dieser Autobrandstiftungen zu keinem Ermittlungserfolg geführt.
Jetzt sagen Sie: Wie soll man die Leute darüber informieren? – Das ist ganz einfach: Die Polizei hat jetzt schon die Technik, verschickt stille SMS. Da ist eine Lücke in der Strafprozessordnung, da steht nichts über die Form. Sie können den Leuten eine SMS schicken. Das wäre das Mindeste, das man an der Stelle tun könnte.
Was ich in dieser Diskussion – auch am Montag im Innenausschuss – sehr bemerkenswert finde, ist, dass die Koalition diese Ermittlungsmethode verteidigt. Ich verstehe es nicht. Warum verteidigen Sie diese Ermittlungsmethode? Wir haben eine Ermittlungsmethode, die in vier Jahren keinen einzigen vorweisbaren Erfolg gezeigt hat, die einen massiven Eingriff in die Grundrechte darstellt.
Ich habe Sie leider akustisch nicht verstanden, Herr Kohlmeier! Irgendwas scheint mit Ihrem Mikrofon nicht zu stimmen.
Das Missbrauchspotenzial ist allerdings ziemlich hoch. Sie haben ein hohes Missbrauchspotenzial. Hier waren eben Polizisten drin, und die sagten, was sie an dieser ganzen Debatte nicht gut finden, ist, es findet auf einmal so ein Polizeibashing statt, dass sich die Polizei der Mittel bedient, die sie hat. Ja, jetzt stellen Sie sich vor, was das für einen Schaden für das Ansehen der Polizei in Berlin verursacht, wenn nur einer dieser Datensätze missbraucht werden sollte. Darauf wird gleich noch Herr Morlang eingehen, was man damit alles Tolles machen kann.
Wie gesagt: Es ist geradezu grotesk, wie Sie diese nicht zielführende Ermittlungsmaßnahme verteidigen. Wir müssen die nicht individualisierte Funkzellenabfrage im Zusammenhang mit Autobrandstiftungen begraben. Es ist ganz einfach. Herr Heilmann! Sie geben über den Generalstaatsanwalt eine Weisung an die anderen Staatsanwälte heraus, und da steht: Wir setzen dieses Mittel nicht mehr ein.
Das ist die einfachste Möglichkeit, die Sie haben. Da müssen wir keine lange Debatte führen. Da muss man auch nicht darüber diskutieren, wie das Frau Merkel in Reden schon mal ganz gerne sagt, das muss man einfach mal machen. Und wir müssen das machen. Wie gesagt: Ein Datensatz wird missbraucht, der Ruf der Polizei in Berlin ist im Arsch.
Es gibt weitere Möglichkeiten. Herr Dix empfahl die Bundesratsinitiative. Da muss geprüft werden, ob sie verfolgt werden kann. Es gibt zwei Anträge im Deutschen Bundestag. Da sind die Grünen und die Linken gefragt, dass sie hier ein bisschen Dampf machen. Aber die nicht individualisierte Funkzellenabfrage im Zusammenhang mit Autobrandstiftungen muss weg. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lauer! Ich verstehe nicht, warum Sie gleich damit begonnen haben zu sagen: Es geht hier nicht um solche Straftaten, die verfolgt werden. – Denn Voraussetzung für diese Ermittlungsmethode ist nach der Strafprozessordnung gerade das Vorliegen besonders schwerer Straftaten. Wenn Sie diesen Aspekt ausblenden, blenden Sie schon die erste rechtsstaatliche Kontrolle für diese Ermittlungsmethode aus.
Ich gebe Ihnen ausdrücklich recht, wenn Sie sagen: Jeder Einzelfall ist ein Grundrechtseingriff. – Da haben Sie recht. Die Frage ist allerdings: Wie tief ist er? Ist er gerechtfertigt? – Wir haben Grundrechtseingriffe ohne Ende. Das liegt geradezu in der Natur eines Parlaments, das Grundrechtseingriffe beschließt. Die Frage ist immer: In welchem Rahmen? Zu welchem Zweck? Welche Methoden?
Darauf möchte ich hier auch noch mal hinweisen: Diese Zahl von 4,2 Millionen Daten in mehreren Jahren ist eine gigantisch hohe Zahl. Da zuckt jeder im ersten Augenblick zusammen.
Aber man muss es auch mal in Relation stellen. Was haben wir am Montag gemeinsam gehört? – Die Schätzungen sagen: 40 Millionen solcher Daten fallen täglich in Berlin an. – Das muss man einfach mal in Beziehung zueinander setzen.
Herr Lauer! Vielleicht hören Sie auch zu. Vielleicht sind Sie dazu in der Lage. Ich war es bei Ihnen eben jedenfalls auch.
Dann haben wir auch viele andere Methoden, wo wir auch viele Unschuldige unter Generalverdacht stellen. – Die Methode, die bei den Brandstiftern den größten Erfolg hatte, war das Gucken der Polizei auf Videoaufzeichnungen bei der U-Bahn. Da sind zig Unschuldige auch mit erfasst – nach meiner festen Überzeugung sogar eine erheblich tiefere Eingriffsdichte, was den Grundrechtseingriff angeht. Da werden Fotos von Personen gemacht und nicht nur eine Seriennummer mitgeteilt. Trotzdem ist es eine denkbare Methode. Es gibt andere Massenmethoden. Denken Sie an DNA-Analysen bei schweren Straftaten, wo auch Tausende von Menschen beeinträchtigt werden, in ihr Grundrecht eingegriffen wird, aber weil es um besonders schwere Straftaten geht, halten es zumindest die meisten für gerechtfertigt! Man kann ja auch sagen: Strafverfolgung machen wir gar nicht mehr.
Ich halte es auch nicht für richtig, wenn Sie hier sagen: Es ist unverhältnismäßig, weil es erfolglos war. – Die Betrachtung einer Maßnahme – wende ich sie an? – muss ich ja leider immer zu einem Zeitpunkt machen, wo ich noch nicht weiß, was hinten rauskommt. Da muss ich überlegen: Ist es verhältnismäßig oder nicht? – Dass auch eine verhältnismäßige Maßnahme im Ergebnis erfolglos sein kann, ändert nichts daran, dass sie verhältnismäßig war. Ob ich sie dann regelmäßig weiterführe, wenn ich nach einer gewissen Weile den Erfahrungswert habe, das bringt nichts, das ist eine andere Frage.
Ich glaube, dass man es bei jedem Ermittlungsverfahren erneut prüfen muss. Da wird man natürlich auch in Rechnung stellen, welche Erfahrungen man in der Vergangenheit gehabt hat. Aber ich kann mir sehr wohl Fälle vorstellen, wo diese Ermittlungsmethode auch in der Zukunft sinnvoll ist.
Das muss man im Vorhinein prüfen, ob es verhältnismäßig ist oder nicht. Aber hinterher zu kommen und zu sagen, da kam kein Ergebnis heraus, und deshalb ist es unverhältnismäßig, ist nach meiner festen Überzeugung nicht sachgemäß. Das mögen Sie anders sehen.
[Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe von Benedikt Lux (GRÜNE) und Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN)]
Herr Kollege Lux! Ich war auch erstaunt, dass der Herr Staatssekretär vorhin sagte, das ist ein grundsätzlich geeignetes Mittel. Großer Lacherfolg bei den Grünen!
Grundsätzlich geeignet heißt auch nicht, dass da zwangsläufig ein Erfolg herauskommen muss. Da müssen Sie sich einfach mal über die Begriffe klar werden. Ich würde bei dem Verfahren sagen, grundsätzlich geeignet ist es sehr wohl, auch wenn es hier leider keinen Erfolg hatte. Es ist einfach die falsche Fragestellung.
Richtig ist – ich glaube, da haben wir hier weitgehend Einigkeit –, dass wir in einer schnelllebigen Technikentwicklung immer wieder neu darüber diskutieren müssen: Welche Mittel, Ermittlungsmethoden, stellen wir der Polizei zur Verfügung? Welche Risiken liegen darin? Wie kann ich das im Rahmen der Gesetzgebung in den Griff bekommen? Muss ich unter Umständen die Gesetze ändern? Insofern glaube ich, ist die rechtspolitische Diskussion angebracht, in diesem Fall, auch vor dem Hintergrund andere Fälle, darüber nachzudenken, ob die Strafprozessordnung modifiziert werden muss, ob zum Beispiel den Richtern mehr Kriterien an die Hand gegeben werden müssen, um zu überprüfen, ob solch eine Maßnahme zulässig ist oder nicht. Da bin ich für Diskussionen völlig offen. Aber ich kann nicht den Skandal erkennen, der hier hochstilisiert wird, dass man sagt: Wir brauchen ein Moratorium. Diese Ermittlungsmittlungsmethode darf überhaupt nicht eingesetzt werden, ehe es nicht zu neuen rechtlichen Regeln kommt. – Wie gesagt, dass wir darüber diskutieren müssen, ist richtig.
Ich will mit einem Vorschlag schließen. Vielleicht sollten wir gemeinsam mit den betroffenen Ausschüssen, dem Innenausschuss und dem Ausschuss für Digitale Verwaltung, Datenschutz und Informationsfreiheit, darüber diskutieren, ob wir uns mal von der Polizei praktisch vorführen lassen, wie sie mit solchen Daten arbeitet. Manchmal versachlicht es die Diskussion ungemein, wenn man vor Ort sieht, wie es funktioniert. In diesem Sinne hoffe ich darauf, dass wir die Diskussion, die sicher mit der heutigen Debatte nicht beendet ist, in Zukunft gemeinsam sachlicher im Interesse der Bürgerinnen und Bürger führen.
Vielen Dank, Herr Kollege Kleineidam! – Für die Fraktion der Grünen hat der Kollege Lux das Wort. – Bitte schön!
Danke, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht hier um die Frage: Was darf der Staat, was dürfen seine Ermittlungsbehörden, um Straftaten zu verfolgen und um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten? Wir leben zum Glück alle in einem demokratischen Rechtsstaat, und hier gilt nun mal einer der
wichtigsten Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns, der für uns Grüne völlig klar ist: Nicht alles, was der Staat kann, soll er auch dürfen. – Auch wenn die Mehrheit in diesem Land vielleicht sagt: Was habe ich schon zu verbergen? Loggt mich doch in eure Funkzelle ein! – Aber jeder und jede, der oder die zu Unrecht beschuldigt wird, verliert dauerhaft sein bzw. ihr Vertrauen in den Rechtsstaat, und die Sicherheitspolitik von uns Grünen basiert darauf, jede Verletzung der Unschuldsvermutung zu vermeiden.
Thema ist heute die in der Strafprozessordnung vorgesehene Funkzellenabfrage. Hier besorgen sich Strafverfolgungsbehörden die Verbindungsdaten bei Handyanbietern wie Telekom, Vodafone, O2 und E-Plus, bei den sogenannten Providern, auf deren Rolle ich auch noch zu sprechen komme. Die Ermittlungsbehörden können also in einem bestimmten Zeitraum nach einer Tat herausfinden, welche Handys in einem bestimmten Gebiet aktiv waren. Der Unterschied zu anderen zielgerichteten Maßnahmen ist, dass bei der Funkzellenabfrage ähnlich wie bei der Rasterfahndung noch gar kein Verdacht vorhanden ist. Es soll immer erst durch diese massenweise Funkzellenabfrage ein Verdacht hervorgebracht werden. Ich kenne einen Fall, über den die „BZ“ berichtet hat, in dem das wohl sehr gut gelungen ist, und den kann man hier nennen. Das war der Fall, wo man den Mörder von Polizeioberkommissar Lieschied durch die Funkzellenabfrage herausgefunden hat. Das ist ein Fall, bei dem nach einem Mord die Funkzellenabfrage gemacht worden ist, wo ich für meine Fraktion sage: Da ist die Funkzellenabfrage sinnvoll. Sie ist erfolgreich gelaufen.