Protokoll der Sitzung vom 08.10.2015

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was wurde nach dem erfolgreichen Tempelhof-Entscheid nicht alles getönt: Wir haben verstanden. Wir ziehen Lehren aus dem Entscheid und wollen die Beteiligung ausweiten. –

[Sven Kohlmeier (SPD): Wir sind Papst!]

Und heute: Die Koalition schlägt eine Verschärfung der Regelung zur direkten Demokratie vor. Bisher haben wir

(Dr. Klaus Lederer)

in diesem Haus in großer Einmütigkeit die Regelung für mehr Demokratie zusammen verabschiedet. Es ist bedauerlich, dass die Regierungsparteien jetzt den Rückwärtsgang einlegen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Weshalb das Ganze? – Kollege Lederer hat schon darauf hingewiesen, es begann mit Gerüchten. Stadtrat Blesing aus Neukölln, das ist einer aus dieser BuschkowskyTruppe, wähnte beim Tempelhof-Entscheid massenhafte Fälschungen. Konkrete Anhaltspunkte konnte er dafür allerdings nicht nennen. Und eine Kleine Anfrage des Kollegen Rissmann, der nicht nur offene Briefe an die Kanzlerin schreibt, sondern auch Schriftliche Anfragen an den Senat, ergab, dass dem Senat keinerlei Anhaltspunkte vorlagen für diese Fälschungen und keinerlei Strafverfahren wegen Urkundenfälschung eingeleitet worden seien. Aber man kann es ja erst mal behaupten, und man kann ja erst mal die Initiative öffentlich diesem scherwiegenden Verdacht aussetzen.

Das Ergebnis dieser schmutzigen Kampagne liegt nun heute vor, nämlich eine Gesetzesverschärfung auf der Grundlage von unbestätigten Gerüchten und bloßen Vermutungen. Diese Regelung, die Sie jetzt vorschlagen, schafft allerdings neue Probleme. Was passiert beispielsweise bei abgekürzten Vornamen? Was passiert bei abgekürzten Straßennamen? Was passiert, wenn eine Doppelnamenträgerin nur einen Namen nutzt? Und was ist noch leserlich, was ist schon unleserlich? – Gucken Sie sich Ihre eigene Unterschrift mal an, würden Sie die noch für leserlich oder schon für unleserlich halten? Ich glaube, da gehen die Auffassungen in diesem Haus weit auseinander. Und genau das schafft neue Probleme.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Da ist doch die jetzige Regelung, wonach darauf abzustellen ist, ob der Unterschriftenleistende – wie es dort heißt – zweifelsfrei identifizierbar ist, viel deutlicher, viel klarer und viel besser, und sie hat sich bewährt. Deswegen braucht es diese Änderung nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Nun zum zweiten Punkt: Weil die Politik des Senats so toll ist, soll zukünftig auch mit Steuergeldern dafür geworben werden. Nun halte ich zwar die Rechtsprechung, die Kollege Lederer ins Feld führt, des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zur völligen Untersagung jeglicher Öffentlichkeitsarbeit durchaus für zweifelhaft; es gibt auch andere Auffassungen.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Allerdings öffnet der Gesetzesentwurf, den Sie vorgelegt haben, breiten Plakat- und Anzeigenkampagnen Tür und

Tor. Denn was ist denn ein angemessener Mitteleinsatz, wie es da heißt? Was ist das denn?

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Woran soll sich denn die Angemessenheit bemessen? Am Anliegen der Initiatoren? Am Geldeinsatz der Initiatoren? An dem, wie wichtig der Senat das Anliegen findet? Wir wissen, Senator Müller fand das damals sehr wichtig, Tempelhof zu bebauen, also von daher ist das sehr wichtig, und er hätte wahrscheinlich gern unbegrenzt Mittel eingesetzt. Also Sie geben dem Rechtsanwender mit Ihrem Gesetzesentwurf Steine statt Brot. Die Angemessenheit lässt sich überhaupt nicht beurteilen. Wir werden wohl in den Ausschüssen noch mal darüber reden müssen, ob man da nicht eine bessere Regelung finden kann. Denn wir sind uns doch einig, dass man zumindest den Mitteleinsatz des Senats auf den Mitteleinsatz der Initiative wird deckeln müssen. Sonst wird man kaum über eine Angemessenheit sprechen können. Wenn Sie schon so viel von Chancengleichheit reden, dann ist ja das wohl das Mindeste.

Wir werden auch darüber reden müssen – Kollege Lederer hat darauf hingewiesen –, was denn nun eigentlich mit den unzähligen Landesunternehmen ist. Das kann ja nicht sein, dass der Senat dann Öffentlichkeitskampagnen fährt auf dem Niveau dessen, was die Initiative einsetzt, und die Wohnungsbaugesellschaften und andere Töchter des Landes Berlin daneben noch ihre eigene Öffentlichkeitsarbeit machen. Wir erinnern uns ja – auch das ist schon erwähnt worden – an Kampagnen der DEGEWO und von Stadt und Land zur Bebauung des Tempelhofer Feldes.

Und zum Stichwort Chancengleichheit: Warum sperren sich eigentlich die Fraktionen, die jetzt dem Senat die Steuerschatulle öffnen möchten für Öffentlichkeitsarbeit, so konsequent gegen eine Kostenerstattung, wenigstens in maßvollem Umfang, für die Initiatoren von Volksentscheiden?

[Beifall bei der LINKEN]

Chancengleichheit müsste doch wohl heißen, dass beiden Seiten die gleichen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Das kann ja wohl nicht sein, dass das nur für den Senat gelten soll.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Chancengleichheit ist ja das richtige Stichwort: Was war denn mit der Chancengleichheit, als den Initiatoren des Volksentscheides Tempelhofer Feld die Sammlung von Unterschriften auf dem Feld verboten wurde? Was war denn mit der Chancengleichheit, als der Senat bei der Festsetzung des Termins über die Volksabstimmung sowohl bei ProReli als auch beim Energievolksentscheid getrickst hat? Da war offenbar nichts mit Chancen

gleichheit. Das ist doch ein wohlfeiles Argument, was Sie hier an dieser einen Stelle ins Feld führen.

Und nun noch mal zu den sonstigen Äußerungen der Antragsteller. Der erste Name, der sich auf diesem Antrag findet, ist der des Fraktionsvorsitzenden der SPDFraktion, Herrn Raed Saleh. Was hat der denn in der letzten Zeit zur direkten Demokratie in Berlin gesagt? Er hat im März diesen Jahres einen großen Artikel im „Tagesspiegel“ geschrieben, der überschrieben war: Keine Angst vor Demokratie! Und er hat die interessanten Worte dort geäußert:

Die Stadtpolitik der Zukunft wird durch mehr Beteiligung gestärkt und belebt.

[Dr. Michael Arndt (SPD): Richtig!]

Und was ist heute, wenn wir diesen Antrag sehen? – Rückschritt, Verzagtheit, offenbar Angst vor den Berlinerinnen und Berlinern allerorten. Auch der Entzug der bezirklichen Zuständigkeit wegen angelaufener Bürgerentscheide in den verschiedenen Bezirken – Mauerpark ist heute hier noch Thema, Rudower Feld ist ähnlich – zeugt nicht gerade von einem souveränen Verhältnis zur direkten Demokratie.

Und auch der Regierende Bürgermeister hielt es für angezeigt, im Mai diesen Jahres eine Kampagne gegen die direkte Demokratie bei der Industrie- und Handelskammer zu starten, indem er nämlich gesagt hat, das seien nicht Instrumente für die Berlinerinnen und Berliner, sondern das sei nur ein Instrument für einige. Die Stadtgesellschaft sind also nur einige, und die SPD weiß offenbar besser, wer die Stadtgesellschaft ist und was gut für die Stadt ist. Und das, liebe Sozialdemokratie, mag ein Problem sein nach 25 Jahren Regierungszeit, dass man da an der einen oder anderer Stelle eine Verdrücktheit hat, wenn die Direktdemokratie sich immer, das ist denklogisch, gegen die Politik der SPD richtet. Das kann ich gut verstehen. Aber ihr solltet nicht von der Fahne gehen, und ihr solltet weiterhin mit uns für die direkte Demokratie kämpfen. Wir wollen jedenfalls weiterhin die guten Regelungen, die wir in Berlin haben, fortentwickeln. Dafür haben wir einen Antrag im Verfahren, da geht es um Terminfestsetzung und andere interessante Fragen, Kompromissmöglichkeit. Wir laden alle ein hier im Haus, wie wir das bisher in Einigkeit gemacht haben, daran weiterzuarbeiten und diesen Rückschritt, der jetzt vorgeschlagen wird, abzulehnen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Dr. Behrendt! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt das Wort der Angeordnete Dr. Juhnke. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist natürlich legitim, dass die Opposition in ihrer Kritik überhöht und jetzt die direkte Demokratie gefährdet sieht und mit anderen Kanonen schießt, während die Regelung, wenn man sie sich tatsächlich einmal anguckt, nur eine Klarstellung von verschiedenen Spielregeln ist, die in dem Zusammenhang zu beachten sind.

Beim ersten Punkt geht es eigentlich darum, dass es zukünftig egal sein muss, in welchem Bezirk ich meine Unterschrift abgebe, in der Frage, ob sie gültig ist oder nicht. Denn wir haben offensichtlich unterschiedliches Verwaltungsgebaren zur Kenntnis nehmen müssen. Das ist ein Zustand, den man nicht halten kann. Da muss man handeln. Da muss man entsprechend klare Prüfkriterien vorlegen.

Zur Missbrauchsgefahr, die hier diskutiert wurde: Wenn es tatsächlich so ist, dass es niemanden gibt, der dort eventuell Leute aufführt, die es gar nicht gibt oder sich mehrfach einträgt oder was auch immer tut, was nicht im Sinne des Erfinders ist, dann haben wir doch gar kein Problem. Jeder wird doch wohl in der Lage sein, seinen vollständigen Namen, seine Anschrift und sein Geburtsdatum zu wissen. Mehr ist doch nicht verlangt. Bei einer freien Sammlung sind erhöhte Anforderungen, dass diese Dinge auch korrekt eingetragen werden. Und derjenige, der diese Unterschriften einsammelt, wird doch auch in der Lage sein, demjenigen das deutlich zu machen und zu sagen, dass man sich ein bisschen zusammenreißt und das so einträgt, dass man es auch lesen kann. Nicht mehr und nicht weniger ist erwartet. Ich glaube, das sind nun keine Hürden, sondern nur ganz normale Regularien, die wir hier in Zukunft festlegen wollen. Es ist auch so, wie es schon bis zum Jahr 2008 war, also es ist nichts Neues, keine völlige Denaturierung oder Veränderung, sondern nur die Abänderung eines Zustandes, der zu Zweifelsfällen geführt hat, nicht mehr und nicht weniger.

[Zuruf von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Dann haben wir uns noch Gedanken darüber gemacht, wie diese amtlichen Mitteilungen aussehen, die kleinen Heftchen, die damit versandt werden. Die Frage ist sowieso immer, wer sich das dann durchliest. Aber die Lesbarkeit sollte schon so sein, dass auch eine gewisse Chancengleichheit besteht, dass also beide Antagonisten ihre Argumente vernünftig darlegen können, dass sie in einer Art Synopse nebeneinander dargestellt werden und letztlich nicht das Design entscheidet, sondern die Argumente. Ich glaube, dagegen kann man auch nichts haben.

Und auch, dass der Senat bzw. das Abgeordnetenhaus in einem entsprechenden Rahmen seine Position darstellen können muss, ist selbstverständlich. Auch das ist meiner Auffassung nach ein Plus für die Diskursqualität, dass man sich nicht beschränken muss auf das, was in der

(Dirk Behrendt)

amtlichen Mitteilung steht, dieses im Regelfall Verwaltungsjuristendeutsch, das für den normalen Rezipienten nicht unbedingt immer eine begeisternde Lektüre ist.

Insofern, glaube ich, kann das nur dazu führen, dass die Argumente sinnvoller ausgetauscht werden. Deshalb ist es hier ein völlig sachlicher und angemessener Umgang mit der Sache, keine Schwächung der direkten Demokratie, sondern lediglich eine Klarstellung der Spielregeln. Wir können darüber im Einzelfall noch diskutieren. Aber mich erstaunt schon, dass hier ein so großes Theater um einige wenige Klarstellungen gemacht wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Dr. Juhnke! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Weiß.

Vielen Dank! – Der Antrag, wie er hier von den Koalitionsfraktionen gestellt wurde, ist sowohl inhaltlich als auch von der Art des Vorbringens eine Unverschämtheit.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Dr. Klaus Lederer (LINKE)]

Man merkt auch, dass Sie eigentlich gar nicht richtig darüber reden wollen, dass es Ihnen selbst auch ein bisschen unangenehm ist. Sie haben die Besprechung hier auch gar nicht selbst eröffnet, das musste Die Linke tun. Sie haben stattdessen einen Antrag zur Priorität gemacht, bei dem dann Ihre Redner/-innen sagen, ach, müssen wir jetzt schon wieder hierüber reden, na ja.

[Beifall und Heiterkeit bei den PIRATEN und der LINKEN]

Was müssen Sie dann von diesem Antrag hier denken, den Sie selbst einbringen?

Zum Inhaltlichen ist schon einiges gesagt worden. Die Sache mit den Unterschriften: Sie tun jetzt so, als ginge es nur darum, dass die Vorschriften, die es gibt, einheitlich von Bezirk zu Bezirk angewendet werden. Dagegen kann ja niemand was haben. Aber wenn die bestehenden Vorschriften einheitlich angewendet werden, dann müssen die bestehenden Vorschriften dazu nicht geändert werden, dann muss nur die Umsetzung der Vorschriften geändert werden.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Dr. Klaus Lederer (LINKE) und Benedikt Lux (GRÜNE) – Martin Delius (PIRATEN): Schlechte Logik, Herr Kollege!]

Der Innensenator – jetzt geht er gerade wieder – hat auch die Kompetenz dafür, dazu Ausführungsvorschriften zu machen. Sie ändern die Substanz der Vorschriften. Sie erhöhen in der Substanz die Anforderungen.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Genau!]